The Smiths sind die Band der Stunde. Mehr denn je. Die Stimme Englands jenseits von Hipness und Kult. Die aktuellen Vertreter der alten britischen Stärke, den Widerspruch zwischen Dandytum und Sozialismus vermitteln zu können. Bei aller scheinbaren Mickrigkeit. Der imaginäre Tod der Queen inthronisiert den gebrochenen Realismus Morrisseys als offizielles verbindliches Idiom der zeitgenössischen Popmusik.
Dandyism starts at home. Oder? Barbarism dagegen endet meistens auf der Straße oder in der freien Natur, während der Dandyism zu Hause bleibt. Ginge er auf die Straße, würde er bestenfalls zum amüsiert-unbeteiligten Studenten des menschlichen Dramas, im üblichen Fall aber haßt er die Menschen (und zieht schon mal ihre Vernichtung in Erwägung). Nur der englische Dandy ist natürlich wie alles aus England ganz anders, er ist der Linksverkehr der conditio humana, er fährt auf der falschen Seite, denn in England will der Dandy sogar, daß die Tiere am Leben bleiben.
Schlauberger könnten einwenden, daß sei eben das Dandyhafte an Morrisseys sozialer Seite, sozusagen, wenn der Dandy sozial-engagiert ist, tut er es eben für die Tiere, nicht für die Menschen, als gleichsam köstlich-subtile Perversion des Sozialen, als Sozial-Sodomie. Weit gefehlt. Morrissey kümmert sich auch um alles andere.
Soeben hat er eine Langspielplatte veröffentlicht, die heißt „The Queen Is Dead“. Dazu können wir uns viel denken. „Zehn Jahre Punk“ z. B. Also erst höhnisch sagen, daß Gott sie schützen soll, und das Gegenteil meinen (das ewige Heiligsprechen der Sex Pistols ist mindestens so nervtötend wie bei der vorangegangenen Generation der Umgang mit dem Erbe Jim Morrisons, den ich für meinen Teil übrigens zur Gänze rehabilitiert habe, falls das irgendwen interessiert) und zehn Jahre später einfach behaupten, daß sie tot ist, obwohl das doch gar nicht stimmt.
Alle verstehen natürlich auch die einfache Symbolik des Titels, die Queen steht für England, die Werte, das Alte, das nur noch als Illusion etc., mithin heißt der Satz „The Queen Is Dead“, wenn er schlau gemeint ist, „Kohl is alive“, ist aber wahrscheinlich gemeint wie „Thatcher is alive“. (Es ist nicht meine Art stundenlang LP-Titel auszuloten, ich heiße Diedrich, aber du kannst auch Heidegger zu mir sagen, nein, aber die Smiths sind selber schuld: ihr gemeines Talent für den umwerfenden Slogan verlangt die umwerfende Abarbeitung des umwerfenden Slogans – auch wenn man alles andere darüber vergißt –, bis nichts mehr vom Slogan übrig bleibt. So ist das mit rätselhaften Dingen: jeder will spielverderberisch kaputtmachen und lösen, aber die Rätsel wissen das und wollen das auch, denn das Rätsel, die Vieldeutigkeit, das Enigma – sie alle sind kleine Sadomasos.)
Das mit Kohl und Thatcher will ich kurz erklären (dann kommen wir wieder auf das Dandy-mit-Labour-Parteibuch-Problem zu sprechen und dann auf die Texte im allgemeinen, auf das, was Morrissey dazu sagt, auf die Musik und zum Schluß auf den „Pun“ als alles einwickelnde Crux, Nahtstelle der britischen Zivilisation von William The Conqueror bis Gary Lineker):
Jeder hat also das Gurkentruppenfinale gesehen, komplett mit Gurkenkanzler in Gurkenbananenrepublik-Stadion mit Dritte-Welt-Bourgeoisie-Prachtkulisse, das dann ein militärisch besiegtes, hochverschuldetes Land gewonnen hat. Wacker gekämpft, die Gurkentruppe, ganz ohne Koketterie und Faible für DIE ANDERE MEINUNG: ich hatte sie wirklich gerne, die wackere Gurkentruppe, und ich kann das Renegatengerede eines Bernd Schuster, von wegen gut, daß wir verloren haben, nicht mehr hören, es war nicht gut, aber meinetwegen gerecht, aber eigentlich auch das nicht, denn der deutsche Fußball war gerade im Begriff, wider alle Zufälligkeiten, die den Fußball und seinen Reiz als Allegorie des Lebens (in dem auch alles zufällig ist) ausmachen, eine Kontinuität einzuführen, eine Regel, die Regel vom WILLEN und von der Verläßlichkeit des SPEZIFISCH Deutschen im Fußball, was bequem und schön gewesen wäre, so als hätte man im Leben einfach den Tod abgeschafft. Egal.
Auf jeden Fall war das Gurkenszenario real. Illusion dagegen eine Woche später der weiße Wunderknabe Becker, der Herrenmensch-Präsident, die deutsch-englische Freundschaft und über allem eine Queen, die alles Deutsche ins zweite Glied zurückstufte. Die Queen ist wirklich das einzige Staatsoberhaupt der Welt (neben Gorbatschow, Gonzalez und Castro), das vollkommen zu Recht eines ist, und nebenbei das netteste, das einzige wahre eben (und wie das einzig Wahre immer: eine schöne Illusion). Wie sie beim Gala-Essen die Fenster öffnen ließ und bemerkte: „Es ist mir egal, wenn David Steel die Vorhänge ins Gesicht wehen.“ Wie sie ihre herrliche Familie herumkommandiert, wie sie Thatcher haßt und sich nur mit Harold Wilson verstand, der ihr seine Pariser Nachtleben-Erlebnisse zu beichten pflegte. Wie ihre Schwiegertochter immer strahlender, während Fergie von Tag zu Tag murkeliger wird, wie also die Geschichte auch hier sinnvoll moralisch-ethisch einwandfrei waltet, indem sie dem liebenswerten Trottel Charles die nettere Ehefrau und dem haltlosen Playboy Andrew ein vollschlankes Murkelchen zukommen läßt. Wie dieser Trottel dann mal wieder in London irrlichtert, in einen Pub gerät und dort mit dem Wirt über seine liebste Radio-Show(!) chattet (Wo leben wir?), der „Prince Of Ales“ (The Sun) in einem Pub mit dem Namen „Windsor Castle“! „Properly named“, weiß er zu bemerken. Was meint er, die Frotteehandtücher, die statt Bierdeckeln auf der Theke liegen, wie in allen Pubs? Kennt jemand eigentlich seine selbstgemachten Super-8-Slapstick-Stummfilm-Albernheiten mit dem Prince in der Hauptrolle (ich schweife ab)?
Gut, das ist also Illusion, damit ist auch die Pop-Welt Illusion, Doppeldeckerbusse, Linksverkehr und was sonst so dieses Land zusammenhält, alles Illusion? Wahr sei dagegen Maggie Thatcher. Die Frau, die sich immer mit der Queen herumschlägt, eigentlich doch nur die andere Seite der Medaille dieser britischen Feminokratie. „I have the best job in the world“, kontert sie der Queen: „Plus I’m elected“. Sie repräsentiert die Tatsache, daß die DDR ein höheres Pro-Kopf-Bruttosozialprodukt hat als Großbritannien, genauso inadäquat wie Willy Brandt den Radikalenerlaß. Beide stehen für erfolgreiche Exekution ihrer Ideen, aber das Einzige, was Maggie Thatcher bislang erfolgreich exekutiert hatte, waren argentinische Soldaten (nicht exekutiert, sondern im Felde im Nahkampf von Gurkhas und anderen Killertruppen massakrieren lassen. Man nenne mich einen schwachen Menschen, aber ich weiß bis heute nicht, für wen ich im Falkland-Konflikt bin/war).
Sie ist nicht minder irreal als die Queen. Real und am Leben, und zwar im globalen Maßstab, ist Kohl, adäquate Repräsentation der Epoche (schön noch mal im Vergleich mit den 70ern (Schmidt) zu sehen, beim deutschen Derby in Hamburg-Horn). BRD ist real, GB romantische Projektion; Soundtrack zu diesem Zusammenhang by The Smiths.
Ich sage The Smiths verhalten sich zu Kohl wie The Jam zu Schmidt, sie sind die adäquate Repräsentation des heute möglichen Oppositionellen Jugendlichen (was in England immer einer ist, der als Dandy zu Hause angefangen hat, stolz, anders zu sein als die andern, um dann auf die Straße zu gehen und festzustellen, daß er genauso ist wie alle anderen, menschlich, es aber schafft, sich beide Grundgefühle zu erhalten – das ist, was ich Linksverkehr der conditio humana nenne. In Deutschland kommt die Rolle dieses Oppositionellen in der Schmidt-Ära einem Studenten zu, der sich nicht einmal die Fußnägel schneidet, und heute einem Studenten, der die Friedensbewegung peinlich findet, aber nicht weil er bessere Gedanken hätte, sondern weil er lieber allein ist mit seiner Tschernobylparanoia, so was wie Grönemeyer). Der Oppositionelle Jugendliche (nennen wir ihn kurz Oppi) ist immer genau die Figur, die eine wieselige, verquer-konfuse Undergroundbewegung auf den als Eisbergspitze aus dem Ozean ragenden, allgemeinverständlichen Punkt bringt (was nicht unbedingt schön sein muß, aber schön sein kann). (Wie bei gewissen Momenten von The Jam und anderen, wenn auch wenigeren, bei The Smiths).
In letzterem Fall ist der Oppi nicht mehr scharf, schnell, kantig und JUNG, sondern verspielt, poetisch, homosexuell und melodisch, beide aber interessieren sich für Politik, beide sind links (irgendwie), und beide sind vor allem Humanisten (sie fühlen sich mit, in und durch die Menge, die Massen, die vielen wohl). Vage und generalisierend betrachtet, ist der erste der ewige Mod oder Soul Boy und der zweite der ewige Dandy (obwohl auch ein Mod im Grunde eine Spielart des ewigen Dandytums ist). Beide, vor allem aber der 80er Typ, der poetische, aber engagierte Homosexuelle, sind die einzigen Menschentypen, auf deren Antifaschismus man sich verlassen kann, den ersten impft sein Jugendkult (wir denken uns unsere Jugend-Organisationen selber aus), den zweiten seine Homosexualität. (Es ist interessant, daß Nazis sich immer um Jugendkult und Homosexualität extrem bemüht haben, nachbildend oder vernichtend, die klassische Doppelstrategie.)
Nun sage ich nicht, daß Antifaschist zu sein, das Wichtigste ist, was sich ein junger Pop-Künstler vornehmen muß, eigentlich ist das eine langweilige Selbstverständlichkeit. Andererseits wohnt allem ästhetischen Oppi-tum immer an dem Punkt, wo es gut wird (wirklich gut), das faschistoide Teufelchen inne. Und hier stehen die Smiths für die totale Konsolidierung des rundum Antifaschistischen und dennoch ästhetizistischen, neuen Typus.
Nun mag man einwenden, die Smiths seien einfach langweiliger als The Jam (deren Nachfolge als die britischste Gruppe, die man hierzulande nie ganz versteht, sie angetreten haben), aber das müssen sie auch sein, denn schließlich sind sie die Band der 80er. „Nullösung“, sagte Ruff, und das stimmt, dies ist das Age der Nullösung. Man will nicht mehr etwas Ideales erreichen, man will nur von dem Bösen in Ruhe gelassen werden.
„Hat sich die Welt geändert, oder habe ich mich geändert?“ fragte Morrissey völlig zu Recht, denn wie soll man das heute noch wissen. Die eigene Schlaffheit, besser die terminale Biegsamkeit, die geradezu wundersam melodische Flexibilität der heutigen Wesen und die Tropfsteinhöhlenhaftigkeit der heutigen Zeit, der Welt, wie sie sich uns heute darstellt, gehen geradezu nahtlos ineinander über. (Ich und Welt, vereint zu einem einzigen Joghurt, oder Tee.) Was The Smiths für diesen Zusammenhang an AUSDRUCK zusammengebastelt haben, ist mindestens so prägnant, wie die von den Vertretern des Kultes der Prägnanz immer vorgeschobenen The Jam in ihren besten Zeiten waren. Will sagen: Wer The Smiths nicht mag, weigert sich, die Welt mit offenen Augen zu sehen (so wie sie heute ist). The Smiths sind kein Muddelpop, die Welt ist muddelig, aber die Smiths sind Nullösung-Glamour. Sie sind Was-ist-eigentlich-los-habe-ich-mich-geändert-oder-die-Welt-Nationalhymnen-Autoren, mindestens seit der letzten LP.
Auch wenn sie nicht vollinhaltlich begriffen haben, daß heutzutage weltweit die Welt Kohl ist, und noch zu glauben scheinen, die Welt sei Thatcher, ihre Musik weiß es, Johnny Marr weiß es, er ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere angekommen, er kann es heute besser denn je zuvor: aus dem begrenzten, willentlich begrenzten musikalischen Vokabular, das sein Geschmack und Morrisseys Stimme setzen, die schönsten, ein klein wenig bewegenden Gemmen zu schnitzen (schnitzt man Gemmen? Findet man Sie?), das bißchen Rührung und Wahrheit, das heute noch massenwirksamer Pop bewirken kann, herauszuholen. (Vielleicht sind die Smiths wirklich die letzte klassische, britische Pop-Gruppe, ehrlich und hilflos glamourös, Schmalspur-Dandys und Schmalspur-Politicos, aber Helden, oder sie sind die erste neue, gerade weil sie so klein und ungenial sind im Vergleich zu Beatles, Kinks, Led Zeppelin und Jam. Man wird sie einst lieben, wie alle, die in kleinen Zeiten versuchten groß zu sein, wie Johnny Ray oder Elvis Presley in seinen 60er Filmen oder was weiß ich wen und aus was weiß ich für Gründen). Weil alles, was Morrissey über England und Tiere und wider die Plagiate (In „Cemetry Gates“) lamentiert und in der empörten Brust kochen läßt, alles nur dem Willen zu Ruhm und Heldentum dient: „I’d still rather be famous than righteous or holy, any day.“ Und: „I must move fast you understand me / I want go down in celluloid history.“
Also das Soziale als Mittel zum Zweck für die Wünsche des archetypischen Brit-Dandys. Andererseits Dandyismus als Mittel zum Zweck für das Soziale, das so über die unwahren Formeln des wacker-spießig Mitmenschlichen zu so komischer, großer Pop-Wahrheit ’rübertranszendiert wird (wenn ihr wißt, was ich meine; man kann mir gerne vorwerfen, ich hätte zuviel Verständnis, ich weiß das, aber was soll ich machen?). Und dann dieser uralte Typus Ruhm, von dem Morrissey, der Anhänger abgeschmackter Helden wie James Dean (und Rimbaud und Baudelaire, wie ich annehme, Oscar Wilde gibt er jedenfalls zu, er ist sein Kronzeuge bei der Friedhofsdiskussion wider das Plagiat), träumt. Zelluloid – meine Herren, gibt es das überhaupt noch? „Celluloid Heroes“, das ist von den Kinks. Das ist Jahre her.
Man käme auch unendlich weiter, wenn man Ray Davies und Morrissey gegenüberstellte. Beide in der Lage, köstliche Freiheiten des Nichtsnutzes (at home und in der Straße streunend) wie die Nöte des Two room appartment at the second floor zu besingen, der eine optimistisch, der andere depressiv. Beide zentrale Figuren der Pun-Kultur: Der Pun, das klassische englische Wortspiel (zehn Jahre pun), der Grund, warum kein Zitat aus der englischen Sportpresse über Becker oder Beckenbauer ohne die phantasievollsten, geschraubtesten, erfindungsreichsten, metapherstrotzenden und dann doch wieder ganz einfachen und catchy Wortspiele auskommt, das, worin Shakespeare, ABC, Swift, Sterne, Chaucer und überhaupt die ganze anglophone Welt selbstverliebt baden, Sprache als Können, das Altmeisterliche an jeder englischen Äußerung, das Antidot zur amerikanischen Lakonie: Morrissey liebt die britische Literatur bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, von da an beginnt für ihn das Elend, das er heute als komplett ausweglos und deprimierend schildert. Eigentlich kann man keine Musik mehr machen, eigentlich muß man sich umbringen. Daß es irgendwie doch zu gehen scheint, daß es die Smiths gibt, daß den Smiths, auch von ihren Gegnern, zugestanden wird, daß sie in eine bestimmte Ecke gehören – das sind die erstrittenen Resultate, die das Leben (für Morrissey) so gerade eben noch lohnend erscheinen lassen.
Viel vom Sympathischsten der Prä-Moderne, besonders in England, hat sich in die Pop-Musik, ins Song-Writing zurückgezogen und dort überwintert; Naives, aber Brauchbares, ja zuweilen aufregend richtige Persönlichkeiten wie eben Ray Davies, Morrissey und – believe it or not – Boy George. Dieser verträumt-traurige, unsystematische Blick auf das Leben und die Welt schafft es immer wieder, erstaunlicherweise, sich, immer im aktualisierten Ton, der jeweiligen Gegenwart mitzuteilen, ja sogar die kleine Wahrheit zu sagen. Auch wenn er eigentlich nur wimmert und/oder sich wie Jesus am Kreuz fühlt, er kriegt es immer wieder hin, daß wir alle es uns anhören, daran schmecken und unsere Welt darin finden (mehr davon als so ein Morrissey vielleicht ahnt).
Wenn er dem zeitgenössischen Winseln (seinem eigenen) ein Maximum an Prägnanz abtrotzt, ist er der größte Realist. Er glaubt, sagt er, daß Thatcher uns alle killen könnte. Mit einem Donnerschlag oder so. Es ist anders, es ist Kohl, er killt uns nicht, er läßt uns nur verenden, nicht mit einem Knall, mit einem Winseln. Morrissey, der Sprecher einer Generation.



