Der Nachweis, daß bei Berücksichtigung des Unterschiedes zwischen „Cause“ und „Reason“ der Grund für Vegetarismus hinfällig wird; die Ahnung davon, daß die Smiths gut macht, daß Morrissey in so logischer Weise Unrecht hat und ein gelegentliches Aufleuchten unseres Interviewcomputers Diedrich Diederichsen: „Bitte eine Erklärung“. Vielleicht nicht die vorletzte Erklärung Morrisseys in seiner Eigenschaft als Tateinheit mit Johnny Marr.
Liebe Leser, es ist August, bald ist es September. Zeit für den zweiten einer geplanten Reihe von Morrissey-Artikeln, die um das Jahr 2014 auslaufen soll, um dann als „38 große Morrissey-Artikel unserer Zeit nebst 38 jeweils in September- oder August-Nummern von Spex erschienenen Titelbildern“ im Greno-Verlag, Nördlingen, als Geschenk für Erstsubskribenten der 418-bändigen Karl-May-Ausgabe ausgeliefert zu werden.
Lieber Leser, ja, es ist das zweite Mal, aber noch etwas: Während ich dies schreibe, sagen sich in meinem Rücken die Synchron-Stimme von Marilyn Monroe (Hallo Audrey Hepburn!) und die Synchron-Stimme von Robert Mitchum harte klare melancholische Sätze, während das Streicher-Ensemble schon mal ouvertürenmäßig das berühmte „River Of No Return“-Lied vorbereitet. Niemand, auch nicht der herzloseste Puritaner, käme heute auf die Idee, diesen Sätzen vorzuwerfen, sie würden von der politischen Lage in den USA ablenken, niemand außer mir auf die Idee, dem Prinzip dieses Filmes, Kindermund Wahrheit kundtun zu lassen, böse zu sein, die Linke liebt ja Holliewuhd, alte Holliewuhd-Filme, womit wir bei einem der Hauptwidersprüche Morrisseys wären, über die noch zu reden wäre: Er hält Madonna für eine gefährliche Verführerin der Jugend, während er Doris-Day-Filme genießt wie du und ich und Sean Penn.
Vor einem Jahr wollte und sollte ich Morrissey interviewen und geriet in ein Gebäude von feinsten Widersprüchen, deren tolerantes Miteinander in Musik, Arbeit, Werk der Band The Smiths mir als Zeichen ihrer Größe auffielen. Ich stellte einen Fragenkatalog zusammen, der in einen Essay mündete, der schließlich in Spex erschien, weil Morrissey seine Moods hatte und also nicht antwortete, und, wie man später dann aus gut unterrichteten Kreisen und von Nick Kent erfuhr, die vorübergehende Drogensucht des Bassisten Andy Rourke den in diesen Dingen nun wirklich nicht unkleinlichen Morrissey und die ganze Band in eine schwere Krise gestürzt haben muß. Heute wollte ich mir einfach die Antworten auf die Fragen, die Lösungen der Widersprüche abholen, die ich vor einem Jahr bestellt hatte, und begab mich zu diesem Zweck in das Hauptgebäude der noch für The Smiths zuständigen Plattenfirma Rough Trade, als – wenige Minuten bevor es dazu kam – eine Angestellte dieser Plattenfirma die Teufelei beging, mir drei Titel der neuen Smiths-LP vorzuspielen und mir das Textblatt in die Hand zu drücken.
Und zwar in umgekehrter Reihenfolge. Ich lese also nacheinander die Geschichte von der Ermordung eines Disco-Girls, eine ganz alltägliche Sache, kommt ständig vor, wirklich nichts Bemerkenswertes und doch ein ganzes Menschenleben. Die Geschichte von der Freundin des guten Freundes, die im Koma liegt, diesmal ist es wirklich ernst, verstehst du, vielleicht wird sie sterben, und tatsächlich, so kommt es. Und schließlich die Geschichte vom gerade verstorbenen Rockstar, dessen Leben nichts anderes war, als Tournee und Elend und Lüge und der Zwang, auch zu der Presse in Belgien nett sein zu müssen.
Und dann die Musik. Lakonisch, zurückgenommen, unwahrscheinlich hübsch, zierlich. Zu „Death Of A Disco Dancer“ hagelt es Sound-Experimente. Dies könnte ein Prepared Piano sein, hier steht ein uralter Orgelakkord, den die Römer zurückgelassen haben. Ewig läuft das Stück aus, „Girlfriend In A Coma“ dagegen beschwingt, mit einem Schock barocker Streicher an den wichtigen Stellen. Und „Paint A Vulgar Picture“ ist ein melancholischer Ohrwurm: Wenn die Eröffnungszeile „At the record company meeting / at their hands a dead star“ erklingt, paßt die Musik eher zu einem Satz wie „Be sure to wear some flowers in your hair“. Johnny Marr habe die Smiths verlassen, heißt es kurz vor Redaktionsschluß, nach unserem Gespräch. Sollte die große Stärke der Smiths, das Unvereinbare zu verschmelzen – z. B. Schönheit und Wahrheit, und zwar selbstverliebte Schönheit und vor Verantwortlichkeit ächzender Realismus – doch nur die Stärke einer Zusammenarbeit zweier nicht zueinander passender Menschen gewesen sein? Oder ist dieser Widerspruch, mit dem zu kämpfen, den auszutragen das Älteste und Wichtigste ist, was Künstler zu tun haben – auch wenn er selten eine so deutlich als das Allgemeine dieses Problems sichtbare Form annimmt wie bei den Smiths und sich meistens in komplizierten, konkreten Nebenwidersprüchen versteckt –, einer, der der Person Morrisseys gehört, die Johnny Marr lediglich als einen strategischen Arm benutzt hat? Wie also kommt sie zustande, diese Mischung aus romantisch-poetischem Narzißmus und Straßenanteilnahme, die zwischen Text und Musik und im Text und in der Musik der Smiths ihre unverbundenen Elemente aufeinanderhetzt, bis sie verschmelzen (Würde ich total spinnen, könnte ich auch fragen: Sind Sie ein Hermaphrodit, Herr Morrissey?)?
„Wie meinst du das? Meinst du, das ist zuviel für einen einzelnen Song?“
Keineswegs. Ich betrachte das als eine Leistung. Ich frage mich nur: Wie lebt man damit? Als Mensch und als Song?
„Würdest du sagen, die Songs erreichen nicht ein Ziel, eine Bestimmung?“
So habe ich darüber noch nicht nachgedacht. Doch das tun sie. Siehst du einen Song als Reise? Vom einen Ende des Widerspruchs durch das Tal der Unentschiedenheit zum anderen Ende, und möglicherweise wieder zurück?
„Nun ja. Offensichtlich muß ein Song ein Ende haben, und zwar ein vernünftiges, einfühlsames Ende. Insofern ja. Das ist die Aufgabe. ‚Death Of A Disco Dancer‘ ist ein sehr wichtiges Lied, vom Text her gesehen, weil ich die Idee aufgebe, daß die Menschen wirklich Frieden wollen, das stimmt nicht. Ich meine nicht unbedingt im Sinne eines Atomkriegs, aber ich meine den Frieden auf der Straße. Ich glaube, die Leute mögen Gewalt, sie mögen Phantasien über Bomben und Vernichtung, nicht die Opfer, soweit will ich nicht gehen, aber man sieht es jeden Tag, z. B. im Unterhaltungsbetrieb. Der Anteil des Gewalttätigen steigt ständig, es muß den Leuten also gefallen.“
Sprichst du von einem Trieb oder von Milieuschäden?
„Schon von Milieuschäden. Die Leute hassen ihre Wohnungen, ihre Häuser, ihre Umgebungen, das ist doch der Punkt. Wenn man so weit ist, hat man auch keinen Respekt mehr vor dem Leben, weder dem eigenen noch dem der anderen.“
Morrissey gibt dagegen sehr viel auf seine Umgebung. Es ist ihm extrem wichtig, wo er schläft z. B., deswegen sind Smiths-Tourneen so selten bis unmöglich. Jedes Hotelzimmer muß überprüft werden, die Angebote der Küche etc. Hier wären wir wieder beim Thema vom letzten Jahr. Niemand widmet sich selbst soviel Aufmerksamkeit und Respekt wie der Dandy, nur folgt normalerweise nicht daraus, daß er auch seiner Umgebung, den anderen, die er traditionellerweise „die Hölle“ nennt, mehr Respekt entgegenbringt, im Gegenteil. Entstehen Morrissey-Texte aus der Wahrnehmung von Widersprüchen an sich und der Welt?
„Ja, meistens. Nein, eigentlich immer. Es muß gar nicht so sein, daß ich damit physisch konfrontiert bin.“
Hältst du dich für eine logische Person?
„Oh ja. Sehr logisch. Ich habe auch immer eine sehr konkrete Vorstellung von allem. Immer schon gehabt. Ich tendiere dazu, gewisse Dinge voraussagen zu können, sie geschehen zu sehen, bevor sie wirklich stattfinden. Ich weiß gar nicht, warum. Wahrscheinlich weil ich sehr zugespitzt lebe, immer alles wahrnehme, was auf den Straßen passiert, wo eine gewalttätige Situation sich anbahnt. Die meisten Leute wandern ja eher ziellos umher. Ich sehe immer die potentiellen Attentäter.“
Hat diese Fähigkeit zur genauen Wahrnehmung und zu logischem Denken einen Einfluß auf dein Gefühlsleben?
„Oh ja. Wenn man sich gezwungen sieht, viel über sein Leben nachzudenken, dann denkt man auch automatisch sehr intensiv über das der anderen nach, weil sie ja das eigene Leben bestimmen, und man kommt zu außerordentlichen Einsichten. Die meisten Menschen erfahren das Leben als Muster, sie geraten in Situationen und lassen sich von ihnen gefangennehmen. Sie kämpfen weder geistig noch körperlich, für gar nichts. Sie gehen durchs Leben, schmecken dieses, schnuppern an jenem. So war ich nie.“
Aber hilft das logische Denken nicht, bestimmte Schmerzen nicht so schmerzhaft zu empfinden wie andere, weil man sie versteht?
„Ja, man wird etwas entrückter, weniger impulsiv. Dafür verliert man auch seine Spontaneität, die gewisse Schärfe. Aber das ist der Preis. Man muß für alles einen Preis zahlen.“
Wie erklärst du dein Talent für Slogans, Statements, Wortspiele?
„Durch meinen Wunsch, unbedingt die Leute auf mich aufmerksam zu machen. Durch das Benutzen einer kräftigen, grundsätzlichen Sprache. Viele, die etwas in die Welt setzen wollen, verderben es durch zu esoterische Sprache. Ich aber finde, daß eine einfache Sprache die stärkste Sprache sein kann. Alle meine Lieblingsautoren benutzen sehr bescheidene Wörter, aber auf eine Weise komponiert, daß sie sehr kräftig sind.“
Oft geht es mir so, daß ich so einen Morrissey-Aphorismus lese und denke: Genau. Dann denke ich eine Sekunde nach und sage: Nein, genau halbwahr. Oder: Genau das Gegenteil ist wahr. Wobei diesen Sätzen das Verdienst bleibt, mich zu solchen Entscheidungen gezwungen zu haben, während ich bei Whitney Houston, David Bowie und sogar Boy George heutzutage nur noch denke: Lüge!
„Klar, als lesendes Individuum kannst du mit meinen Texten machen, was du willst. Man kann über alles lachen, und man kann alles anbeten.“
Als Künstler solltest du vielleicht ein Interesse haben, daß man nicht alles mit deinen Texten macht.
„Richtig, aber die Smiths haben in England mittlerweile eine dermaßen heterogene Gefolgschaft, deren verschiedene Untergruppen uns einfach auf verschiedene Weise lesen müssen. Viele lesen uns sehr politisch, für andere sind wir eine Pop-Band auf einem Smash Hits-Niveau. Wir müssen also damit leben, daß wir auf sehr unterschiedliche Weise gelesen werden.“
Aber ist das nicht gerade die eine Aussage der Smiths: daß Smash Hits und linke Politik, und als drittes muß man hinzufügen: Camp, wichtige und vereinbare Ziele und Arbeitsgebiete sind?
„Richtig, ich stimme zu. Das ist geschehen, und das macht uns zu etwas Eigenartigem.“
Aber ist es nicht eine Unmöglichkeit, dandyistisch und sozialistisch, also egoistisch und altruistisch zugleich zu denken, besonders wenn man so eine logische Person ist?
„Man besteht ja aus verschiedenen Facetten. Warum sollte die eine die andere auf Dauer dominieren?“
Okay. Akzeptierst du es als Widerspruch, mit dem du, so wie du nun mal bist, leben mußt, oder willst du den Widerspruch versöhnen und transzendieren, oder siehst du tatsächlich eine Reihe gleichberechtigter Facetten der Person, die sich nicht einmal bekämpfen müssen?
„Als Facetten. Die ich als Mensch zusammenhalte. Ich habe politische Grundsätze und ästhetische Neigungen. Es ist nur eine Frage, wie man das alles zu der großen Blase ordnet, die dann über die Smiths ans Tageslicht kommt.“
Was geschieht denn, wenn du etwas siehst, das deinen ästhetischen Neigungen schmeichelt, aber von dir als politisch falsch erkannt wird. Oder wenn du etwas politisch Richtiges siehst, das einfach häßlich ist?
„So was kommt vor. In einer solchen Lage hoffe ich einfach, nicht zu extrem in der einen oder anderen Richtung zu sein.“
Es gibt eine Zeile in „Meat Is Murder“, die meiner Ansicht nach diesen Widerspruch zum Ausdruck bringt: „This beautiful creature must die“. Wenn man der Meinung ist, daß man Tiere nicht schlachten sollte, dann ist es doch scheißegal, ob der Mensch sie schön findet, sondern eben nur von Belang, daß sie Geschöpfe sind.
„Aber wenn ich gesagt hätte, ‚This very ugly creature must die‘, hätte der Satz keine Wirkung gehabt.“
Aber du sagst doch genau das: Wenn das Tier wegen seiner Schönheit überleben soll, dann darf man das häßliche Tier unbesorgt töten. Das ist dann die Argumentation derer, die Pferdefleisch ablehnen, aber mit Genuß ein Schweinesteak essen (wobei Schweine wesentlich empfindsamer, klüger und eigenwilliger sind als blöde Pferde). (Kann der Dandy überhaupt zur Ethik reden? Oder redet hier der Ethiker und der Dandy fährt ihm dumm, aber liebenswert störend in die Parade?)
„Aber du weißt doch, wie die Welt ist. Man muß einen Standpunkt gelegentlich abwandeln oder verpacken, um ihn durchzusetzen.“
Ich hatte dich eigentlich für eine sehr kategorische Person gehalten. Die nie etwas sagen würde wie: Du weißt ja, wie die Leute sind. Jetzt, wo ich sehe, daß du anders bist, verstehe ich es.
„Verstehst du es nicht!“
Doch.
Man hat dich und Johnny Marr mit Jagger/Richards verglichen, zeichnet sich zwischen euch eine ähnliche Beziehung ab?
„Ich weiß es nicht, weil ich mich nie, nie, nie für die Rolling Stones interessiert habe.“
Also für die Beatles?
„Wie ein Besessener. Ich besitze alles, was sie gemacht haben. Alles, ich habe sie immer für extrem gut gehalten, während die Rolling Stones für meine Begriffe nie einen Song geschrieben haben. Vielleicht hatten sie was anderes, aber nie einen Song.“
Also Lennon/McCartney. Ich meine in dem Sinne dieser beiden Klischees: Jagger und Richards haben im Prinzip nicht viel gemeinsam, wenn sie aber ins Studio gehen, so wird behauptet, sprüht eine sogenannte magic ihre Funken. Lennon und McCartney verbindet dagegen eine richtige Freundschaft, die durch allerlei Prüfungen mußte und irgendwann ganz normal und normal bösartig zu Ende ging (Ich wußte zu diesem Zeitpunkt nicht, daß Johnny Marr und Morrissey angeblich seit über drei Monaten schon kein Wort mehr miteinander gewechselt haben).
„Ja, es ist eher letzteres. Obwohl Lennon und McCartney beide beides taten, Musik und Worte schreiben, bei uns sind die Aufgaben verteilt. Wahr ist aber auch, daß die Arbeitsweise so einer Songwriter-Partnerschaft etwas Geheimnisvolles hat. Denn schließlich bringen die beiden Partner gemeinsam etwas Drittes hervor, eine neue lebensfähige Einheit, etwas, das außerhalb von ihnen existiert. Möglicherweise ist keiner von ihnen für sich genommen von irgendeinem Wert. Es ist, wie ein Kind zu bekommen, das dann unabhängig von seinen Eltern aufwächst und das nie einem alleine gehört. Ich meine, wir sind keine Heiligen. Man liebt seine Mutter, man haßt seine Mutter, das gleiche gilt für die Geliebte oder für jede andere Beziehung, das ist bei uns nichts anderes.“
Mit seiner Freundin, Mutter etc. hat man aber nichts außer einer Beziehung, in der Regel, und die gilt es zu pflegen und zu behandeln. Sie ist ihrer Form nach ein Selbstzweck, auch wenn ihr Zweck in Wahrheit das Aushalten des Lebens ist, bei einer künstlerischen Arbeitsbeziehung geht es aber um die Fertigung einer Aussage, und da stelle ich mir die uralte Frage: Wie können zwei Personen mit einer Stimme sprechen?
„Kön-nen zwei Per-so-nen mit ei-ner Stim-me spre-chen? Weiß Gott, eine sehr gute Frage. Sie müssen eben.“
Dominiert nicht die eine die andere Stimme, so daß einer spricht, einer unterstreicht, unterstützt?
„Beide werden unterdrückt oder in ihre Schranken gewiesen, und das ist gut so. Denk doch an all die Bands mit mehreren starken Köpfen. Eines Tages bricht einer aus und will es alleine schaffen, ohne ständig von einem Partner geprüft und kontrolliert zu werden, ohne ständig jemanden beeindrucken zu müssen, weil das zuviel Streß wäre und so weiter. Aber das funktioniert nicht. Gemeinsam sind Menschen besser. Natürlich kommt es zu Brüchen und Streits, die einen zurückwerfen, aber auch das ist ganz gut.“
In „Panic“ fällt die Zeile „The music that they constantly play has nothing to do with my life“. Kann Musik überhaupt etwas mit dem Leben zu tun haben? Und wenn ja, wie?
„Ich glaube, Musik kontrolliert ganz massiv das Leben der meisten Menschen. Jeder hat doch eine Platte, die ihn ernsthaft sein ganzes Leben überprüfen läßt. Als ich jünger war, hat mich Musik komplett geprägt. Und in England ist es ganz bestimmt so, gerade in den kleineren Provinzstädten. Die Leute haben dort nichts außer der Musik, das ist ihr ganzes Leben.“
Aber das ist dann sowieso eine andere Musik als die, die DJs spielen.
„Doch, doch. Und das ist mein Hauptvorwurf: Diese Musik hat nichts damit zu tun, wie die Leute 1987 leben, nur damit, wie die Leute 1987 nicht leben. Es erinnert mich an die 50er-Jahre, an Doris-Day-Filme. Während des Krieges waren die Filme viel wahrhaftiger und realistischer. Vor allem die Frauen waren wirklicher. Nachdem das Leben wieder normal wurde, vergaß man alles, totaler Eskapismus brach aus, Lüge, der Glaube an den schnellen Erfolg – so ist die Musik von heute.“
Aber du glorifizierst doch, auf deinen Covern z. B., genau diesen 50er-Jahre-Eskapismus, du bist doch ein Fan von vielen dieser Sachen.
„Ja, sicher. Ich liebe Doris Day. So ist das eben.“
Aber was gibt dir das Recht, Madonna zu verdammen, wenn du Doris Day zu schätzen weißt.
„Madonna ist eben ein politisches Phänomen. Sie ist allgegenwärtig, sie verstopft alle Kanäle und tut das heute.“
Doris Day tat wahrscheinlich vor 30 Jahren nach diesem Verständnis von verderblicher Wirkung des Show-Biz genau dasselbe.
„Nun gut, so stark sind meine Gefühle für Doris Day nun auch wieder nicht. Wäre ich im Film-Geschäft der 50er Jahre gewesen, hätte ich vielleicht auch was gegen sie unternommen, aber ich bin im Musik-Geschäft der 80er, also tue ich was gegen Madonna.“
Auf der anderen Seite … (in Englisch: on the other hand …)
„Es gibt keine andere Hand. Es gibt nur diese Hand!“
Sehr gut. Ein sehr wahrer Satz, entwaffnend. Darüber muß ich nachdenken.
„Das ist eben meine Logik.“
Ja, entwaffnend, man stimmt sofort zu. Und dann kommt der zweite Gedanke. Wieder ein Beispiel, wieder aus „Meat Is Murder“, darin heißt es: „Death for no reason is murder.“ Die zweite Überprüfung ergibt: Genau anders herum. „Death for a reason is murder.“
„Wieso? Man kann krank werden und an dieser Krankheit sterben, das wäre doch ein Grund(reason).“
Nein, das wäre ein Grund im Sinne von Cause, eine Ursache.
„Du willst also sagen, weil es keinen Reason gibt, Tiere zu töten, ist das auch kein Mord.“
Genau.
„Gut, das kann man akzeptieren. Auf der anderen Seite ist es eben sinnlos, die Leute sind nicht so hungrig, es ist einfach nicht nötig.“
Ich wollte jetzt auch nicht Pro und Contra des Vegetariertums diskutieren, ich ernähre mich entweder nur von Steaks oder nur von Brühe, im Moment ist es Brühe. Oder ich habe eine Salatphase. Nein, ich wollte nur auf diese Technik hinaus. Sich des Sounds der Logik bedienen, um eine Überzeugung schlagkräftig zu machen, aber streng genommen sich einer völlig schlampigen Logik bedienen, was ich bereit bin, sympathisch zu finden, weil es so unerschrocken ist gegenüber der Größe der Logik und andererseits so eine nette Faszination für ihren Sound und ihre Autorität verrät, sowie die Einsicht, daß Rechthaben nicht nur mit Argumenten zu tun hat. Andererseits aber doch auch mit Argumenten.
Die neue LP Strangeways, Here We Come wird, egal wie die Geschichte ausgeht, die letzte Studio-LP für Rough Trade sein, dann kommt noch eine Live-LP kurz hinterher. Dann wird, nach dem letzten Stand der Dinge, bereits im Herbst dieses Jahres mit den Arbeiten der ersten EMI-LP begonnen. Die Smiths, die erfolgreichste Indie-Band der letzten Jahre, wären dann keine mehr.
„Wir lebten ja nie in der kleinen, abgeschlossenen, verrückten Welt, in der normale Indie-Bands leben, wir waren ja nie verschroben, also konnten wir die Vorteile, die Indie-Labels solchen Bands bieten, nie auskosten. Wir hatten immer nur mit den Nachteilen zu tun. Schlechterer Vertrieb, weniger Geld. Und wir brauchten Geld für unsere Ideen, also war es nur logisch, daß wir ein gutes Angebot der Industrie annehmen würden. Ich habe nie verstanden, was Indie heißt, außer daß man nicht von der Welt wahrgenommen wird, und das war nie etwas für mich.“
Ich habe auch nur eine unklare Vorstellung von diesem Begriff, aber als ich heute in dieses Office kam, an Packern, Bergen von Platten, Telephonistinnen, die respektlos mit ihren Chefs umgehen, vorbei, fing ich an, mich zu erinnern.
„Das stimmt. Es sind verschiedene Welten, und man wird in der Indie-Welt besser verstanden, weil da Leute herumlaufen, die was von Kunst verstehen. Was bei den Majors sicher nicht der Fall ist, das ist schon wahr. Aber das ist nicht so wichtig. Wenn du etwas zu sagen hast, dann solltest du dich der Welt stellen, dem Markt, den Majors. Die Indies sind eine ungesehene, ungehörte Welt. Und damit eine Welt, die nicht existiert.“
Nur weil wenige es sehen, ist es doch nicht nicht existent.
„Doch, denn was ist es wert, wenn du so geschäftig und eifrig bist und tolle Platten machst, und keiner bekommt es mit? Am Ende des Tages werden die Geschichtsbücher geschrieben, und keiner wird sich deiner erinnern. Ich glaube aber, daß Geschichte wichtig ist. Es ist wichtig, in die Geschichte einzugehen.“
Ganz meiner Meinung. Aber denke an die Moderne Kunst der letzten hundert Jahre, die fast völlig unter Ausschluß einer Major-Welt stattfindet und dennoch den Weg in die Geschichtsbücher findet. Joseph Beuys war immer independent. Der einzige Unterschied zu einem Rough-Trade-Künstler ist, daß er eine Menge Geld verdiente.
„Ja, aber diese Welt hat immer noch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Sie ist im Fernsehen zu sehen. Das ist wichtig. Die Smiths waren zu wenig im Fernsehen. Ich will den Äther kontrollieren, verstehst du? Denke an Bands wie die Ramones oder Patti Smith, die großartige, historisch wichtige Platten gemacht haben, aber während ihrer großen Zeit nie im Fernsehen waren, das ist grauenhaft. Man muß beides versuchen: die Massen erreichen und gute Kunst machen, die Macht dazu ist da, man muß sie sich nur erkämpfen. Man muß ins Fernsehen kommen.“
Das ist natürlich völlig richtig. Wer nur in die Indie-Charts will, hat auch die Indie-Charts nicht verdient, wer aber mehr will und vor lauter Größe, Eigensinn und Tolpatschigkeit dann doch nur Platz 17 der Indie-Charts macht, wird aber doch in die Geschichte eingehen. Denn wer schreibt denn die Geschichtsbücher? Ich natürlich. Und warum sollte ich der Pop Group und den Glaxo Babies ihr Kapitel verweigern? Und warum die Boomtown Rats nur mit einem Wort erwähnen? Was Morrissey sagt, ist völlig richtig, aber es darf immer erst der zweite Schritt, der zweite Gedanke sein, diese Frage, wie erreiche ich die Massen. Davor steht: Was will ich sagen, und wie will ich es sagen?
„Interessierst du dich denn für die Musik von heute?“
Seit zwei Jahren wieder mit wachsendem Interesse, du etwa nicht?
„Es läßt ständig nach. Ich mache mir immer weniger draus.“
Ja, so eine Phase hatte ich in den Jahren 83, 84, aber wohl eher aus persönlichen Gründen. Wenn man sich für die Gegenwart nicht interessiert, dann aus Schwäche oder weil man sich vorübergehend urlaubsreif interessiert hat. So habe ich auch Teile der Smiths-Karriere nicht mitbekommen, oder nur aus der Ferne. Als Meat Is Murder herauskam, dachte ich: eine Band, die „Meat Is Murder“ auf den Helm von Soldaten schreiben läßt …
„… muß total bescheuert sein. Haha. ja, ursprünglich stand was anderes auf den Helmen. ‚Make War Not Love‘ oder so, was wir natürlich nicht gebrauchen konnten. Das Bild stammt aus einem Film von Emile de Antonio. Kennst du den?“
Warhol-Freund, später linksradikaler Underground-Filmer. Der Mann, der Warhol alles erklärt hat und später einen Film über die „Weathermen“ gemacht hat?
„Genau. Und andere politische Filme. Ich finde ihn sehr gut. Im Moment läuft hier auf Channel 4 eine Retrospektive, die die meisten seiner Filme zum ersten Mal in England zeigt, auch den, aus dem wir dieses Bild hatten, In The Year Of The Pig von 1969. Ich sehe ihn in den nächsten Tagen auch zum ersten Mal, aber das Foto habe ich schon seit Jahren, ich weiß gar nicht, woher. Die meisten Plattenhüllen zeigen Bilder, die ich schon seit Ewigkeiten besitze. Dieses hier (von der neuen LP) besitze ich seit sechzehn Jahren. Das ist der Schauspieler, dessen größte Rolle die von James Deans gutem Bruder in Jenseits von Eden war.“
Worauf bezieht sich „Strangeways“?
„‚Strangeways‘ ist das Gefängnis von Manchester, ein riesiges, altes, ekel erregendes Gefängnis, das sehr bekannt ist.“
Ist es wahr, daß du keine Bücher aus dem 20. Jahrhundert anfaßt?
„Im Prinzip ja. Vor allem Zeitgenossen lese ich nicht. Frühere Sachen aus den 20ern und 30ern schon. Aber vor allem mag ich Sachen wie Thomas Hardy, die Schwestern Brontë, Jane Austen. Da komme ich her. Mit zeitgenössischer Literatur kann ich kaum etwas anfangen. Der Gebrauch der Sprache ist ein anderer. Die Literatur des 19. Jahrhunderts fließt mehr, hat mehr Tiefe. James Joyce habe ich nie verstanden, Proust habe ich nie gelesen. Ich mag simple, strenge, sparsame Sprache. Ich mag nichts lesen, wofür ich Fußnoten und Nachschlagewerke brauche. Ich denke, daß es gerade die Gabe eines guten Autors ist, daß er keine Referenz außerhalb seines Werkes braucht, daß er mit grundsätzlichen und bescheidenen Worten auskommt. Die stärkste Sprache sind Sätze wie ‚Ich liebe Dich‘, ‚Ich hasse Dich‘, ‚Ich will Dich‘ – das sind die Worte, auf die es ankommt.“
Glaubst du nicht, daß man mit so einer Einstellung an Genauigkeit verliert?
„Nein, du gewinnst an Genauigkeit. Wie kann man Genauigkeit einbüßen, wenn man sich einfach ausdrückt?“
Weil eben alles nicht so einfach ist.
„Die Welt ist einfach.“
Nein.
„Doch.“
Bitte eine Erklärung.
„Menschen sind einfache Wesen. Ihr Leben mag kompliziert sein, aber ihr Charakter ist ziemlich einfach.“
Bist du nie neugierig, willst du nicht mehr wissen, die komplizierten Ursachen eines einfachen Vorganges untersuchen?
„Wir reden doch von dem Unterschied, ob man seine LP The Queen Is Dead nennt oder ihr einen langen … ich weiß nicht …“
Ob man sie „Es gibt Probleme im Vereinigten Königreich, die sich wie folgt zueinander verhalten …“ nennt.
„Genau. Viel zu lang. Alle guten LP-Titel sind so. True Blue ist zum Beispiel ein sehr guter Titel. Aber The Queen Is Dead ist so was von grundsätzlich und hart und klar. So soll es sein.“
Meine erste Reaktion war: So ein Unsinn. Sie lebt. Ich habe sie noch gestern im Fernsehen gesehen. Was hatte es denn zu bedeuten? Das alte England existiert nicht mehr?
„Ja, das war es in etwa. Die alten Werte haben keine Bedeutung mehr.“
Und was muß man daraus folgern? Thatcher Is Alive?
„Als ich von dem LP-Titel erzählte, sagten Freunde: Hat sie denn je gelebt? Und das ist ein guter Einwand. Und was Thatcher betrifft, falls ein schlagendes Herz und Menschlichkeit ein Kriterium für Leben sind, hat sie bestimmt nie gelebt.“
Aber funktioniert sie nicht als Schurke, also als negatives Kennzeichen der Epoche, als ein scharf gezeichnetes Porträt der Macht? Oder ist sie zu sehr Sonderfall und lenkt ab, und es ist am Ende doch besser, einen langweiligen, miesen Bürokraten als Regierungschef zu haben wie wir und die meisten anderen?
„Man kann sagen, sie aktiviert die Leute. Sie macht sie wütend, und sie machen Schallplatten gegen sie und schreiben Pamphlete. Aber das ist ein Scheinvorteil, denn in Wirklichkeit interessiert es niemanden, ob man gegen Maggie Thatcher Platten macht, am wenigsten Maggie Thatcher. In England kannst du eine Platte machen, die The Queen Is Dead heißt, die auf Nummer 2 in die Charts kommt und die niemand hört, weil sie nicht im Radio gespielt wird. Das gleiche galt für Meat Is Murder, die Platte wurde viel gekauft, aber einfach nicht gehört. Es ist dasselbe, als würdest du sagen: Wenigstens kann man hier frei demonstrieren. Denn was soll man in ganz London herumdemonstrieren, wenn man nicht in die Abendnachrichten im Fernsehen kommt? Dies ist nämlich keine Demokratie, es ist eine Scheindemokratie.“
In diesem Moment der Niederschrift ruft Clara aus Wales an, bis in ihr Exil in dem malerischen welshen Badeort Llghoyxhwqüzztxlx war die Kunde gedrungen, daß Johnny Marr nunmehr endgültig die Smiths verlassen hätte, als Nachfolger sei Johnny Thunders im Gespräch (kleiner Scherz! Diese Band brauchte einen Gitarristen mit „the smack of authority. They should let a real guitar hero in.“ Dick Nietzsche). Dabei war die nächste Frage Morrissey nur stellvertretend für Johnny Marr gestellt, was denn zu erwarten sei im Hinblick auf die in den drei mir vorab vorgespielten Songs sich bereits abzeichnenden Arrangement- und Sounderweiterungen, die – wie führende Experten meinen – wie von Felt geklaute Maulwurfpianoeinwürfe, Streicher- und Bläsergroßangriffe etc. klingen.
„Zunächst denke ich, daß wir einfach immer besser werden. Früher war unser Sound einfach nur dünn, zu jeder LP ist sozusagen eine Dimension dazugekommen. Das waren keine bewußt kalkulierten Schritte, sondern ein immer souveräneres Beherrschen unserer Musik.“
Eigentlich gab es doch auf jeder Smiths-LP das eine experimentelle Stück.
„Bestimmt nicht absichtlich.“
„How Soon Is Now“?
„Ja, das ist ein Sonderfall, das war schon sehr ungewöhnlich für uns, es nahm etwas vorweg, was erst später kontrolliert zu unserem Sound dazukam. Damals war es der Startschuß in eine neue Phase.“
So wie jetzt die Streicher in „Girlfriend In A Coma“?
„Das ist sowieso ein sehr wichtiger Song, der, finde ich, sehr weit geht. Ich erzähle eine wirklich harte, brutale alltägliche Geschichte. Gleichzeitig sage ich: Aber so ist das Leben. Ja. Menschen sterben. Das ist nun mal so. Und die Musik dazu ist ausgesprochen freundlich und aufmunternd.“
Mußte erst jemand sterben, damit die Smiths ein Orchester anheuern.
„Naja. Der Song ist auch sehr schnell und sehr kurz. Es ist nicht ‚Hey Jude‘.“
Wie wird es sein, wenn du durch die EMI-Büros gehst, und jeder Angestellte kennt „Paint A Vulgar Picture“, und sie alle wissen: Hier kommt der Mann, der uns haßt, der Plattenfirmen und ihre Angestellten haßt und für Mörder und Leichenfledderer hält?
„lch glaube nicht, daß sie sich unsere Platten anhören. Außerdem ist das auch egal. Daß man sich Feinde macht, muß man in Kauf nehmen, so ist das eben.“
Kennst du „Stage Fright“ von The Band, ein sehr ähnlicher Song?
„Ich habe Bands wie The Band nie gemocht. Ich mag Pop, britischen Pop. Ich mag T. Rex. Grateful Dead und The Band habe ich ganz einfach verpaßt. Aber es gibt sowieso nur sehr wenige realistische Songs über das Musikgeschäft.“
Mir fällt dazu nur Zappa ein. 200 Motels.
„Kenne ich nicht. Zappa kenne ich ebenfalls nicht.“
Ist es ein Problem für dich, daß man gemeinhin annimmt, daß du in deinen Songs von dir selbst sprichst?
„Ja, man hält sie für mein Tagebuch. Ich habe aber nichts dagegen. Man analysiert sie zu stark, aber so soll es sein. Wenn man Platten macht und Textblätter beilegt, legt man das den Leuten nahe und darf sich nicht darüber beschweren. Und ich lege das den Leuten nahe. Als die Smiths anfingen, waren Textblätter sehr unmodern, aber ich bestand darauf. Texte waren egal, aber mir sind sie wichtig …“
Textblätter galten als prätentiös.
„Mark E. Smith, den ich ansonsten sehr, sehr schätze, sagte einmal: Elvis Presley hat nie ein Textblatt gebraucht. Was Unsinn ist, aber interessant und typisch für die Zeit.“
Und wie ist es nun wirklich? Schreibst du über dein Leben oder über das anderer Leute?
„Über meines. Nur. Entweder Sachen, die ich wirklich erlebt habe, oder solche, die ich fast so erlebt habe, das meiste eigentlich habe ich erlebt. Manchmal handeln mehrere Songs von einem Ereignis. Manchmal muß man über eine Sache auch länger nachdenken und sie von verschiedenen Seiten betrachten. Aber ich habe noch nie etwas erfunden. Und Phantasie ist nicht meine Sache.“
Gut. Ich denke, wir haben alles geklärt. Im Hintergrund ertönen schon wieder die Stimmen des Hollywoods der 50er Jahre. Während ich dies schrieb, sind Albert Dekker wahnsinnig, Alan Ladd betrogen und Cary Grant jünger bzw. high geworden. Das alles passiert, während Leute ins Coma fallen und Rockstars an Interviews langsam zugrunde gehen. Nichts ist wirklich, das nicht eine Kamera sieht. Stimmt das? Nein, das stimmt nicht. Aber die Straße, das Koma und Alan Ladd – sie sind fast gleich stark. Nur wer Augenzeuge war, kann sagen, was wirklich stimmt, aber für den Rest gibt es den Verstand und die Logik. Trau keiner Intuition über 30!
Das Ergebnis der Untersuchung ist, daß schon Morrissey alleine die Widersprüche in ausreichender Fülle in sich trägt, so daß er ein entgegengesetztes Gegenüber nicht unbedingt braucht. Vielleicht ist dies auch die Entwicklung der letzten Jahre, das Ende eines Machtkampfes, der jetzt einen Sieger gefunden hat. Ich kann mir niemanden vorstellen, der ihn in Zukunft begleiten könnte, mit der Autorität der Kontrollinstanz. Das unmögliche Anliegen, das permanente Spektakel durch das hartnäckige Flüstern der Wahrheit zu durchbrechen, kann man nur durchsetzen, wenn man vom Spektakel fasziniert ist wie Morrissey. Er sollte nur aufhören, diese Faszination für eine eigenartige kleine Charakterfacette von sich zu halten, und beginnen zu versuchen, diese Faszination zu verstehen, als höhere Politik im Sinne von höherer Mathematik. Nur wäre er dann kein schön Scheiternder mehr, sondern ein popphilosophisches Monster, was zwar noch schöner wäre, aber ich werde den Verdacht nicht los, und meine Indizien habe ich hier vorgelegt, daß er das lieber auch nicht will. Dann lieber Dichter bleiben (im Sinne von: sauber bleiben).




