Keiner mag die Stranglers. Man könnte glauben, sie seien die unbeliebteste Band der westlichen Hemisphäre, wenn man all die Statements von „frauenfeindlich“, „bösartig“, „faschistoid“, „Doors-Epigonen“ bis „die schlechteste Band der Welt“ Revue passieren läßt. Ein kurzer, schweifender Blick durchs SOUNDS-Umfeld: Michel Kröher: „Ich würde gerne die Vorgruppe (Dickies) sehen“, Thomas Buttler: „Die sollte man boykottieren,“ Alfred Hilsberg: „Ich hab sie noch nie gut gefunden,“ Reinhard Kunert: „Faschistische Musik,“ Jürgen Legath: „Die haben wir schon 77 verrissen,“ Teja Schwaner: „Da würde ich mich schon lieber von Screaming Lord Sutch erwürgen lassen.“
Erdrückend, nicht war?
Es war der Abend an dem die Entscheidungsschlacht des schon lange schwelenden Konflikts von Punks und Teddys angesagt war, nachdem es in den vorangegangenen Wochen schon einige Scharmützel und Übergriffe gegeben hatte. Hundertschaften von Polizei waren in Bereitschaft, der Konzertbeginn wurde aus taktischen Gründen verschoben. Die Teddys kamen dann doch nicht und in der Innenstadt wurden bewaffnete Jugendliche festgenommen. Die erstaunlich zahlreichen (vgl. obige Statements) Strangler-Fans mußten im Vorraum warten, statt um 21 Uhr wurden sie erst um 22 Uhr 30 eingelassen, Aggressionen wurden geschürt, Stiletts blitzten hier und da auf. Das Publikum rekrutierte sich zu gleichen Teilen aus Punks, Speed Freaks mit langen Haaren und brutalisierten AC/DC-Anhängern, der kleine Prozentsatz Kunststudenten fiel nicht auf, die Musikbranche blieb fast geschlossen fern.
Die Dickies (siehe Plattenkritik in diesem Heft) taten das einzig Richtige, um die aufgestaute Wut in einschlägige Kanäle zu lenken: Noch schneller als auf ihren Platten spielten sie 60er Jahre Balladen als Pogos. Mit Vorliebe die etwas dümmlichen und banalen, die mit dem heiligen Zorn der Spätpubertät: „Sounds Of Silence“, „Eve Of Destruction“, „Nights In White Satin“, und als besondere Einlage Black Sabbaths „Paranoid“. Clevererweise verschwanden sie nach tollen 45 Minuten, als man spürte, daß Kondition und Witz zu erschlaffen drohten.
Es wird dunkel, die Stranglers kommen. Burnel, ein teuflischer, schwarzer Entertainer, eine Genet-Figur (Schwulen-Mörder), teilt gleich zu Beginn ein paar gezielte Tritte in das auf die Bühne quellende Publikum aus („völlig harmlose“ Tritte, wie er nach dem Konzert versichert, er habe mittlerweile eine Technik, bestimmt, aber schmerzlos zu treten). Plötzlich fliegt eine Bierdose und wie einstudiert, legen Burnel und Hugh Cornwell die Instrumente nieder, bahnen sich vehement einen Weg durch die Massen und bringen den Werfer gewalttätig zur Raison.
Dann geht die Musik weiter. Die Stranglers-Musik ist ein Erlebnis, besonders live, eine harte narkotische Droge, etwas Speed und etwas alt gewordenes LSD dazu. Läßt man sich darauf ein, gibt man sich der Wirkung hin, wird man es nicht vergessen. Die Stranglers sind keine Punks, sondern ältere Intellektuelle oder Matrosen, die nie ihren Platz in der Welt fanden und im Jahre des Umschwungs (76/77), die Gelegenheit fanden, ihre düstere Weitsicht an den Mann zu bringen.
Synthi- und Orgelintros, die kein Ende nehmen, dazu Jean Jacques Burnels Bass, so tänzelnd und elegant, wie seine Bewegungen auf der Bühne, Cornwells Gitarre dürr und schlank, aber bestimmt, und Jet Blacks Schlagzeug macht als Rückgrat der Band genau das Richtige, um die Musik vor dem Auseinanderfallen zu bewahren: er spielt sehr dumpf und präzise.
Die Erregung der Fan-Massen nimmt immer mehr zu, das coole Verhalten der Stranglers scheint sie erst recht zu provozieren: sie wollen auf die Bühne, einige sicher um Burnel anzufassen. Mehrfach muß das Konzert abgebrochen werden, weil die Bühne voller Fans ist. Aber die Stranglers wollen das, sie brauchen ein erregtes Publikum, sie haben alles unter Kontrolle: ist das das faschistische Element? Angewandte Massenpsychologie?
Der Auftritt der Stranglers, deren Platten mich nie vom Stuhl gerissen hatten, hat mich mehr begeistert, als der so mancher Lieblingsband. Psychopathisch-eindringliche Gegenwartsmusik, sehr wahrhaftig.
Später im Hotel. Die Stranglers sollen die Journalisten treffen, die sie aber offensichtlich boykottieren, außer einem Fanzine-Schreiber, einem Lokalreporter und mir. Jean Jacques Burnel tritt auf den Plan: Zur Begrüßung beißt er jeden von uns in die Hand, um anschließend die, derer er noch habhaft werden kann abzulecken. Als er erfährt, daß ich bei SOUNDS arbeite, bekommt er ein gefährliches Funkeln in den Augen und auch Cornwell, der der Szenerie bis dahin distanziert und amüsiert zugeschaut hatte, erhebt sich; denn sie haben dieses Magazin noch in unangenehmer Erinnerung wegen des eingangs erwähnten Verrisses.
Meinen Kopf in Burnels Schwitzkasten, erkläre ich ihm, daß ich für den Artikel nicht verantwortlich gewesen sei. Augenblicklich läßt er ab und leckt zur Versöhnung noch ein paar Mal in meinem Gesicht herum, um das Spiel dann mit dem englischen Boss der United Artists fortzusetzen, der in diesem Moment erscheint und willenlos seinen Kopf hinstreckt.
Auf konkrete Fragen reagiert Burnel später weniger schillernd, ergeht sich in linken Allgemeinplätzen, ziemlich lustlos. Gegen AKWs, gegen Aufrüstung.
Dagegen wird er euphorisch, wenn es um sein Innenleben geht: „In meiner Zelle, meinem Gehirn habe ich unglaubliche Bilder und Visionen, was ist das dagegen (zeigt auf die nächtliche Skyline von Hamburg)!“
