Eine Kamikazerattenballade von Diedrich Diederichsen. Nach einer Vorlage von Chris Garland. Kein Vorspann: gleich loslesen – DAS NEUE DING.
So geht das Leben der großen Künstler: Panisch und manisch vervollkommnen sie entbehrungsreich in manchen harten Jahren ihre Kunst, um nach und nach zu erkennen, daß die Vervollkommnung und der größte Reichtum nicht nur Vorboten des Todes sind, sondern unmittelbare Vorstufe des Größten und Letzten, was ein Künstler selber noch tun kann: seine Kunst selbst vernichten, dem Tod ein Schnippchen schlagend.
In der Pop-Musik ist das umgekehrt. Im Augenblick der Geburt haben die jungen Ratten Kraft und Größe, das zu zerstören, was in der Pop-Musik doch immer so dringend und schnell der Zerstörung bedarf: die zum Stil geronnene Ex-Wut und Ex-Ahnungslosigkeit der letzten Ratten.
Ich meine: keineswegs entstand alles Großartige in der Pop-Musik durch derlei Punk-artige Kamikaze-Umwälzungen, und nie erwiesen sich diejenigen, die für die Umwälzungen verantwortlich waren, als dauerhaft verläßliche Kräfte – aber das ist dann ja auch schon wieder etwas anderes: dauerhaft verläßliche Kräfte, das ist Arbeitsmarkt. Oder bestenfalls Kunst.
Aber die Kamikaze-Ratten … Nie wären sie so wertvoll wie heute. Sie sollen herniedersteigen zu Weihnachten in Form der Trash Groove Girls und den Platz frei machen, vernichten, was nicht mehr tief treffen kann, vor lauter Bewußtsein von sich selbst. Die Trash Groove Girls kennen nichts und haben absolut kein kulturelles Bewußtsein, geschweige denn Gedächtnis. Eigentlich kein Wunder, denn sie sind ja noch jung. Aber leben wir heute nicht in Zeiten, wo selbst Siebzehnjährige mit dem Beau-Brummels-Backkatalog vertrauter sind als mit ihren eigenen Bedürfnissen?
Seit ein paar Monaten ruft mich in regelmäßigen Abständen ein redseliger Engländer an, Chris Garland sein Name. Früher managte er Medium Medium, eine dieser Neo-Funk/Funk-Punk-Geschichten aus der Pop-Group/A-Certain-Ratio/James-White-Ära. Jetzt arbeitet er für die Trash Groove Girls und projiziert auf die drei Düsseldorfer Mädchen die Erfüllung all dessen, was sich ein Pop-Philosoph ehrenhalber, der seit zwanzig Jahren dabei ist, von einer neuen Gruppe wünschen kann. Jugend. Revolution. Und dann noch von Frauen. Von deutschen Frauen. (Vgl.: Der ewige Besatzungssoldat und die Cadbury-Schokolade – eine Oper von Elton John, Andrew Eldritch, Stu Sutcliff u. a.)
Ich hatte schon immer ein Herz für die Geschwätzigen und Projizierenden, und so schenkte ich seinen Worten Glauben.
Natürlich hat er alle etwaigen Vergleiche aus der Pop-Geschichte von Malcolm McLaren bis zu Sigue Sigue Sputnik bereits präventiv abgewehrt, bevor man sich das erste Bier bestellen kann (nur mit dem Vergleich er = John Sinclair, TGG = MC5 konnte ich ihn kurz beunruhigen: … denn sie wissen nicht, was er in ihnen sieht), hat er sein großangelegtes Projekt einer jungen, genuin deutschen, zeitgenössischen Gruppe in allen Facetten durchgerapt, bevor man einem der drei Mädchen die erste Frage stellen kann, zum Beispiel den Gruppennamen bemängeln. Aber Achtung, hier spreche ich, einer, der andauernd mit Leuten redet, die alles durchberechnen, weil sie alles kennen und eine entsetzliche Angst vor Wiederholungen haben (Tüftler, Bastler, Sammler, Jungs). Ich also: Ob denn Trash und dann auch noch Groove, ob man das nicht alles schon hundert überflüssigere Male zu oft gehört hat und so weiter. Aber bevor Garland mir erklären kann, daß ja gerade das Offensichtliche, Vulgäre – ich würde schon noch verstehen – das Konzept dieser Gruppe ausmache, kommt die Wahrheit der Girls: Die Trash Groove Girls wissen natürlich nichts von dem inflationären Gerede über Trash, sie lesen keine Musikzeitschriften, geschweige denn Fanzines oder Verwässerer- und Zeitgeistorgane, sie lesen überhaupt gar nichts (außer Katinka und The Face), sie kommen prima zurecht mit dem Wort Trash, sie empfinden es als authentisch und original und identifizieren sich damit, ja sie fühlen sich tatsächlich genau wie Müll, wie Dreck sozusagen, deswegen auch die zerrissenen Strumpfhosen und so weiter. Will man ihnen irgend etwas am zerrissenen Zeuge flicken, und auf Vorläufer, ja identifizierbare Vorbilder in Musik (oder Outfit) (oder Haltung) verweisen (daß es das eben alles schon einmal gegeben hat. Aber das ist sowieso ein dummer Gedanke. Nur konnte man ihn früher durch das Gelingen offensiven Zitierens bekämpfen, heute nur noch durch Amnesie), sagen sie einem, daß sie ja damals erst neun gewesen seien und nichts davon wüßten, daß aber heute alles so schlapp und widerwärtig und ekelhaft sei, daß man eben selber was machen müsse … Und so ist es. Was TCG von sich geben, ist 100 % Punk von 1978, nur daß sie davon nichts wissen, daß sie sich nicht bierselig an damals erinnern (was ja gerade in ihrer Heimatstadt Düsseldorf so gerne getan wird) und die dazugehörige Musik, sondern auf alles ganz von alleine kommen mußten, bevor ihnen dann Garland einen Überbau zurechtzimmerte, und demzufolge eben auch eine ganz andere Musik machen.
Von Supermarktkassen!
Denn was ist heute junge Musik, bei was fühlen sich Leute unseren Alters bei aller Aufgeklärtheit immer noch und wieder ungemütlich?
Elektro-Disco natürlich, harter Hip-Hop und diese englische Schule von CabVolt-Verlängerern der dritten und vierten Generation. Hat nie jemand darüber nachgedacht, daß die aktuelle junge Generation, die Jahrgänge 66 bis 71, von ein paar Ausnahmen in akademischen und Künstlerkreisen abgesehen, ausschließlich Elektro-Pop, Elektro-Funk, Elektro-Disco hört? Wahrscheinlich nicht, weil die wenigen innovativen Sachen sich entweder immer noch nach dem anhören, was man böswilligerweise unter später CabVolt ablegen kann, sich Hip-Hop nennen oder gerade erst so langsam aus England rüberwachsen (und aus Australien, Holland, sonstwoher, ein Aspekt der Elektro-Musik war ja seit Kraftwerk, daß sie das anglo-amerikanische Monopol und Gitarrenspiel-Know-How unterlief). Tatsächlich reagieren die TGG bei einem kleinen Hörtest, den ich mit ihnen mache, ausschließlich auf Stücke mit den charakteristischen Synthi-/Computer-Geräuschen. Die Generation, die als Kinder gerne Superkassen fiepen und rattern gehört hat, ist herangewachsen. Alles andere ist lahm und altmodisch. Sam Cooke kriegt noch ein „Das ist wenigstens original“, bevor auch er als unerträgliches Gesülze gebrandmarkt wird, aber auch Lydia Lunch kommt nicht an („Kopfschmerzen“),obwohl sie doch wenigstens mentalitätsmäßig auf der gleichen Linie ist (TGG: „Das einzige, was uns alle interessiert, ist Sex.“).
Nun soll keiner glauben, der Computer stehe jetzt bei einer neuen Generation für eine neue Ausdrucksvielfalt, ein neues Produktionsmittel für neue Produkte etc., er steht nur für die endgültige Durchsetzung bestimmter Sounds als allgemein verbindliche Sprache der Gegenwart. Immer ging es in der Pop-Musik nur um bestimmte Sounds zu bestimmten Zeiten, Signalgeräusche. So erklärt sich auch, daß bei aller Liebe zu Hip-Hop, die die Mädchen immer wieder bekunden (allerdings ohne irgendwelche Namen zu nennen – „Scholly D – wer ist das?“), ihre Musik eigentlich den Namen Heavy Metal verdient.
Ja, überhaupt, diese Musik ist wirklich absonderlich, eigenartig und neu. Ich habe fünf Stücke gehört, die nun auch als Mini-LP erscheinen werden, und ich muß schon sagen. Fünfmal zieht sich ein mittelschneller Beat durch geschätzt fünf bis sieben Minuten lange Stücke, ohne Synkopen, nennenswerte Breaks oder sonstige Veränderungen. Dazu ein sirenenartiger Gesang, der sich meiner Erinnerung nach nur in einem Song halbwegs songförmig, also nach a-a-b-a Schema (oder einem anderen) ordnet, in der Regel wird ziemlich endlos wiederholt und wiederholt. Eine Dramatik entsteht nicht, Steigerungen, Climax und Anti-Climax, Verzögerungen, Beschleunigungen – nichts. Duff-Duff-Duff und dazu die Mischung aus Grace Slick und Rheintöchter. Eine Orgel (oder anderes Keyboard) unterstreicht in der Regel die Melodie, die immer wiederholte, tut auf jeden Fall nichts dagegen, nur die Gitarre deutet gelegentlich mal so etwas wie Funk an, ist aber in der Regel ein Soundfaktor.
Bei Gott, es ist die reizloseste Musik, die je gemacht wurde, sie ist so mechanisch, anti-sprachlich wie nur irgendwas, was ich je gehört habe. Tanzmusik, gut, aber ohne Eleganz, nicht für ein Tanzen geeignet, das noch irgendwelche Spuren von sozialen Ritualen, Drama eben, beinhaltete: Werben und Abgelehnt-Werden und Wieder-Werben und Sich-näher-Kommen oder dergleichen. Nichts!
Nun könntet ihr meinen, die Musik sei reduziert, minimalistisch, charmant in sich zusammengezurrt wie Suicide, die Neo-Geo-Antwort auf DAF – weit gefehlt, auch das nicht. Die Musik ist durchaus voll, da ihr ja jede dramatische Organisation fehlt, passiert alles, was überhaupt passieren kann, immerzu und zur gleichen Zeit. Duff-Duff-Duff. Alles. Sirene, Orgel, Gitarre, Beat. Diese Musik ist wirklich nichts, nichts, nichts nur eines: gewaltig. Um nicht zu sagen: brutal. Um es doch zu sagen: Sie überzeugt total. Ist wirklich gut. Der dumpfeste, autistischste, ehrlichste Sound, den du dir vorstellen kannst. Absolut jenseits von allem, was Kultur oder uns lieb ist.
Von Flachwichsern…
Ich habe auch zwei Interviews mit den Trash Groove Girls versucht, aber eine Verständigung war nicht möglich, obwohl es beide Seiten versucht haben. Was sie sagen, ist so komplett unoriginell und, wenn es nicht der Hintergrund dieser interessant-nihilistisch-nervtötenden Musik wäre, so uninteressant wie wahr.
Simone, die Gitarristin, ist frech und direkt und verweist immer wieder auf Sex und Fernsehen als das einzig Interessante im Leben. Sie gibt an, eine einzigartige Persönlichkeit zu sein. Katinka, die Sängerin, gibt sich am meisten Mühe, mit mir zu kommunizieren. Sie nennt auch ein Buch, das sie beeinflußt habe, Schafe blicken auf von John Brunner, ein sehr guter SF-Roman (was mir führende SF-Kenner bestätigen: eine Art döblineske öko-linke Darstellung der nahen Zukunft), der sie in ihrer Einschätzung bestätige, daß es mit dieser Welt nicht mehr lange weitergehe, „alles ist so versypht“, ergänzt Simone, ohne darüber besonders richtig traurig zu sein. Auch Andrea, die Keyboard/Computer-Spezialistin, ist darüber nicht traurig. Auch sie nennt mir einen Namen, Keith LeBlanc, das bekannte Elektro-Produzenten-Wunderkind, den sie schätze, außerdem Panzer und die Farbe Pink. Das wär’s. Und man solle keine Kinder in die Welt setzen.
Der Rest des Gesprächs, wie auch schon des vorangegangenen, geht drauf damit, daß die Trash Groove Girls ihre Einmaligkeit, ihren Haß auf Hippies und Lahmärsche („Flachwichser“ ist die von Simone immer mit einem preußisch-schneidenden Unterton hervorgebrachte Beschuldigung. „Flachwichsen“ auch als Gegenteil von „gutem Sex“) ausbreiten. Daß sie original seien, Phantasie hätten, „der eigene Körper als Kunstwerk“, sagt Katinka. Es ist das Original-Punk-Interview von 1977 ff. Aber es gibt keinen Konsens mit der Musik von 77. Und deswegen stimmt jedes Wort von ihnen. Es kam mir zuerst auch absurd vor, mir anhören zu sollen, daß die drei sich Neuheit und Eigenheit und Originalität zugute hielten, besonders im Outfit, wie immer wieder betont, wo sie doch genauso aussehen wie renitente Mädchen in westlichen Großstädten seit zehn Jahren, aber das dürfen sie eben nicht wissen oder denken, das ist nicht der Punkt und nicht der Punk. Wir brauchen wieder Jugendliche und nicht mehr so viele jugendliche Jugendkultur-Experten
… und authentischem ’86er Frust.
Ich, das sei klargestellt, ich will damit nichts zu tun haben, mit meiner Welt und meinem Denken, mit meinen Problemen oder mit meinem Körper hat das alles nichts zu tun. Ich höre Lennie Tristano. Aber zwischen Lennie Tristano und den Trash Groove Girls ist nicht viel, das irgend etwas über die Welt verrät. Ist nicht mehr viel – und hier darf dieses Wort neu geboren zum Argument taugen -, das den Namen authentisch verdient. Dies ist authentische junge Frust-Musik von 86. Und komischerweise in unmittelbarer Nachbarschaft eines vor Konzepten und Strategien überlaufenden Managers von keinem Tröpfchen Kultiviertheit getrübt. Warum sollten neugeborene Ratten heute etwas anderes zu sagen haben als vor zehn Jahren oder fünf Jahren, zumal ihre Anliegen auch objektiv in gleicher Weise berechtigt sind? Punk braucht keine Kenntnisse, Punk braucht Brutalität.
Ach ja. Und es sind Frauen. Daher fällt auch all das weg, was bei männlichen Musikern, wie illusionslos sie auch immer daherkommen mögen, Fachsimpelei anrichtet. TGG reden nicht über Musik oder Platten, sie reden über Sex, Panzer und die Farbe Pink, wenn sie überhaupt reden. Als besondere Ehrlichkeit halten sie sich ihre Textergänzungen zu „Gimme, Gimme Good Lovin“ zugute: „I wanna be fucked“ oder „Fuck me“. Das sei doch ehrlicher, als zu singen „Du hast so schöne blaue Augen“ und doch dasselbe zu meinen. Wenn es denn stimmt, daß alle nur das eine wollen … (Individualisten wollen bekanntlich immer das andere. Aber Individualisten sind ja auch doof…)

