Treffen mit (k)einem Resident: Jay Clem in Hamburg

„Ein Resident ist in der Stadt“, so flüsterte man sich unter Kennern hinter vorgehaltener Hand die große Neuigkeit zu. „Wer ist es denn“ – „Jay Clem, von der Cryptic Corporation, aber das weiß doch jeder, das die Cryptic Corporation mit den Residents identisch ist“.

Ist das wirklich so sicher? Oder gehen wir in unserer zweifelhaften Suche nach Stars wieder einer Finte auf den Leim?

Die Indizien sind eigentlich nur zwei: Chris Cutler’s Bemerkung, die Residents managen sich selbst. Doch wer managt die Residents? Die Cryptic Corporation!

Zweitens: Eine Band aus vier Mann braucht nicht vier Manager. Die Übereinstimmung ist sonderbar, ebenso, daß die Cryptic Corporation als Manager und Produktionsfirma genannt wird, seit es die Residents auf Vinyl gibt.

Zweifel an dieser These überkamen mich, aber nicht nur, weil Jay Clem sie rigoros abstritt („Das hört sich zwar alles ganz plausibel an und es wäre auch schön, wenn es so wäre, es ist aber nun einmal leider falsch“) was ja zu erwarten war, sondern weil seine Erscheinung, auch wenn man alles Menschenmögliche an Tarnung und Verstellung in Rechnung stellt, einfach überhaupt nicht wirkt wie ein Resident: ein hellwacher, kalkulierender Geschäftsmann, völlig offen und exakt, von lauter klarer Stimme, korrekt und kalifornisch unbeschwert. Die Residents, denen man einen Louisiana-Akzent nachsagt, gelten als schüchtern. Jay Clem fand sich trotzdem bereit, Fragen bezüglich der Residents zu beantworten, wenn sie nicht zu weit in musikalische Details hineinragen würden („Ich bin in diesen Dingen zu ungebildet“).

Die Residents pflegen normalerweise detaillierte Erklärungen und/oder Obstruktionen in Form von Liner Notes ihren Platten mitzugeben. Beim COMMERCIAL ALBUM waren sie ziemlich wortkarg, was kannst du noch zu diesem Konzept sagen?

Du erinnerst dich, daß vor dem COMMERCIAL ALBUM die letzte LP der Residents ESKIMO war, und damit haben die Residents das schrägste Album der Welt gemacht und das schrägste Album, das sie selber machen können.

Und wenn man etwas so Drastisches und Profundes macht, ist es schwierig, das folgende Projekt zu entwerfen. Also entschlossen sie sich einfach genausoweit in die entgegengesetzte Richtung zu gehen und ein Album zu machen, das so kommerziell wie möglich ist. Als Rahmen für jeden Song setzten sie die Länge von einer Minute fest, weil das die Länge eines „Commercials“ (also eines Werbespots) im Radio oder Fernsehen ist. Eine Minute ist eine kommerzielle Länge. 40 Songs wurden ausgesucht, weil a) sie genau die durchschnittliche LP-Länge ergeben und b) weil das, was du im kommerziellen Radio der USA hörst, Top-40-Musik ist, also die Zahl 40 erinnert immer an die Hitparaden und das Radio. Also das ganze Konzept ist kommerziell: kommerzielle Länge, kommerzielle Verpackung, kommerzielle Werbung, kommerzielles Material…

…aber trotzdem ist das doch keine kommerzielle Platte…

Es ist die kommerziellste, die die Residents machen können. (…) Wir haben Werbung gemacht. Es gibt in San Francisco eine Top-40-Radio-Station, die unter anderem vor zwei Jahren den Billboard-Preis für die beste Hitparadenstation gewonnen hat. Da haben wir eine Kampagne gestartet: jede Nacht, fünf Nächte hintereinander, jede Stunde einen Song à eine Minute. Damit sind wir ins Gespräch gekommen, das war auch das erste Mal, daß die Residents im „Billboard“ erwähnt worden sind.

Hat diese Kampagne sich auf den Verkauf der Platte ausgewirkt?

Schwer zu sagen. Es hat eine ganze Menge Artikel gebracht, den erwähnten in „Billboard“, in „Record World“, in den seriösen San Francisco-Tageszeitungen. Außerdem hatte es einen künstlerischen Wert, den man nicht notwendig in Geldeswert ausdrücken muß.

Was ist denn die bestverkaufte Platte der Residents?

Weltweit und mit den diversen Vertriebsdeals, die Ralph-Records nunmehr in der ganzen Welt hat, ist es das COMMERCIAL ALBUM, aber dicht gefolgt von ESKIMO.

Kommen die Residents nun zu einer Welt-Tournee?

Nicht mit totaler Sicherheit, aber die Gespräche über eine Tournee 1982 sind weit vorgerückt und kurz vor einer Einigung. Das Grundkonzept ist: 7 Auftritte in 7 Städten in der ganzen Welt. Es wird eine Welttournee sein, und es wird die einzige Tournee sein, die die Residents je machen werden. Die Städte werden wahrscheinlich sein: Los Angeles, New York, London, Paris, vielleicht Hamburg, Melbourne oder Tokyo, wenn es möglich wäre auch Peking oder Moskau.

Weitere Zukunftspläne der Residents?

Sie werden weiterhin Platten machen, aber vor allem werden sie sich mehr und mehr den visuellen Künsten widmen, in der Form von Filmen oder Video.

Arbeiten die Residents an Ralph-Records mit?

Sie haben kein vertraglich zugesichertes Recht dazu, aber wir respektieren ihren Geschmack sehr. Sie haben viel mit der Auswahl zu tun. Sie sind z.B. große Yello-Fans. Sie machen Vorschläge. Snakefinger ist ja bekanntlich ein alter Freund von ihnen, Tuxedomoon hingen ja schon monatelang in der Stadt rum.

Können die Residents von Musik leben?

Inzwischen ja. Seit die Cryptic Corporation Ralph-Records gekauft und übernommen haben, haben die Residents sehr klare geschäftliche Verträge mit einem festen Einkommen. Und inzwischen ist auch das Geld da, das es uns erlaubt, ihnen solche Gehälter zu zahlen, so daß sie sich völlig auf die Musik konzentrieren können. Wir arbeiten ja in diversen Sparten, wir haben eine Grafik-Abteilung, Pore-Know-Graphics, wir werden demnächst ein Kino eröffnen und wir waren im Grundstücksgeschäft, wir haben sehr viel am Grundstücksboom in Kalifornien verdient, davon wurde vieles gezahlt, wir haben eine Werbeagentur. Die Cryptic Corporation ist der legale Eigentümer aller Organisationen.

Wie ist die Cryptic Corporation entstanden?

Nun, wir vier waren alle in derselben Situation, daß wir merkten, daß wir älter geworden sind und eine Richtung für unser Leben suchten, keiner will Würstchenverkäufer bleiben. Wir entschieden, irgendetwas zu tun und da waren diese Freunde von uns, diese Residents, die so wunderbare Sachen machten. Also wurden wir ihre Manager. Irgendetwas mußt du ja tun.

Wenn die Residents auf Fotos erscheinen und Masken tragen, stecken dann die wirklichen Residents hinter diesen Masken oder irgendwelche Schauspieler?

Ist das wichtig?

Ich möchte es eben gerne wissen.

Ich bin nicht befugt, darüber etwas zu sagen.

OK. Themawechsel Es heißt, Snakefinger komme zu einer Europa-Tournee. Wenn ja, mit welcher Band?

Snakefinger hat seit kurzem eine Band zusammen, hauptsächlich aus ehemaligen Dead-Kennedys-Mitgliedern bestehend, und eine Tour ist durchaus möglich.

Seit wann kennen sich eigentlich Snakefinger und die Residents?

Snakefinger ist ein Freund vom geheimnisvollen N. Senada. Der geheimnisvolle N. Senada und Snakefinger haben in den 60er Jahren gemeinsam in Deutschland musikalische und andere Forschung betrieben. Später ging der geheimnisvolle N. Senada nach Kalifornien und wurde zum entscheidenden Einfluß für die Residents, was ja auch allgemein bekannt ist. Snakefinger wurde den Residents durch den geheimnisvollen N. Senada vorgestellt, und sie haben zusammen mehrere LPs eingespielt, die nie veröffentlicht wurden. Vor MEET TIIE RESIDENTS ist Snakefinger dann nach England gegangen und hat Chilli Willi And His Red Hot Peppers gegründet.

Werden diese LPs irgendwann einmal veröffentlicht werden?

Die Residents sind zu allem fähig (…) Frag mich ob wir neue Planen herausbringen werden?

Und?

Oh ja! Wir bringen ein neues Album von Tuxedomoon, eine neue Platte von Fred Frith und eine von Renaldo And The Loaf, einem Duo aus Portsmouth, England. Sie spielen vor allem das Studio, reichlich revolutionär, reichlich clever. Brian Poole und David Jenkins, eine tolle Band, ihr werdet noch viel von ihnen hören.

Wie wird die neue Frith-LP?

Er hat wieder das ganze Material geschrieben und arbeitet wieder mit einer Menge Musikern zusammen, nicht exakt dieselben wie auf GRAVITY. Er hat den größten Teil in Zürich aufgenommen.

Fred Frith und Henry Cow arbeiten mit einer Organisation, die sich „Rock in Opposition“ nennt, zusammen. Ihre marxistische Haltung ist bekannt und sie begreifen auch ihre Produktions- und Distributionsweisen als Teil ihrer politischen Haltung. Wie stehst du, wie steht Ralph dazu?

Nun ja. Sie haben da so einen sozio-politischen Unterton, der mich, sagen wir mal, gelinde amüsiert. Ich hab nichts dagegen und ihre Arbeit ist in Ordnung, also ich würde sagen: „Macht weiter so!“ und „Viel Glück“, aber ich weiß nicht so recht, was sie eigentlich erreichen wollen. Ich hab mich mit diesem Thema auch nicht so sehr befaßt.

Aber Fred Frith und Chris Cutler haben ja recht präzise politische Vorstellungen und ich glaube nicht, daß sie mit jemandem zusammen arbeiten würden, der ihre politischen Ideen nicht zumindest teilweise teilt. Hat Ralph da keinen Anspruch?

Nein!

Und ihr macht euch auch keine Sorgen, Vertriebsdeals abzuschließen und dadurch evtl. teilweise eure Unabhängigkeit zu verlieren?

Man muß da den einen oder anderen Kompromiß schließen. Aber wir probieren so etwas jetzt erst aus und wir wollen die Resultate abwarten. Das Wichtigste sind die Leute, mit denen du zusammenarbeitest, nicht so sehr in welchen Firmen sie arbeiten.

Einzelne idealistische Individuen?

Ja, also für mich ist das Problem nicht so kraß. Unsere Interessen und die der Industrie sind weder identisch, noch diametral entgegengesetzt, wir haben eine Menge gemeinsame Interessen und Bedürfnisse.

Was gibt es Neues von den Residents, kann ich von dir noch etwas erfahren, was man nicht ohnehin schon weiß?

Meine Instruktionen sind, keine neuen Informationen anzubieten, nichts zu verlautbaren, was nicht irgendwann, irgendwo schon einmal veröffentlicht worden wäre, wie z.B. daß sie aus Louisiana stammen. Aber ich bin instruiert worden, nichts zu sagen, was eine Reflexion über die Residents als individuelle Persönlichkeiten ermöglichen könnte.

Und wenn ich dich z.B. nach den Büchern fragen würde, die sie gerade lesen, dürftest du mir auch nicht antworren…

Ich könnte es nicht, weil ich nicht mit ihnen über Literatur rede. Ich versteh nämlich nichts davon. (…) Ich könnte ihnen ein Interview mit Ja- oder Nein-Fragen übergeben. Aber sie würden nicht mit „Ja“ oder „Nein“, sondern mit „offensichtlich“, „vielleicht“ oder „wahrscheinlich“ antworten.

Mr. Clem, wir danken…

Man wird sich daran gewöhnen müssen, die Residents weiter mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit zusammen als Gesamtkonzept wahrnehmen zu müssen, auch wenn die Effekte ihrer Anonymität mittlerweile, wo bekannt ist, daß sie nicht bekannt sind, nicht mehr sonderlich erhellend sind, sondern eher lästig. Auch die Residents können eigentlich nicht für sich in Anspruch nehmen, daß ihre offiziellen Äußerungen für eine Beschäftigung mit ihnen auf die Dauer ausreichen. Und so fragwürdig die Vermittlung durch Massenmedien, die der Kontrolle desjenigen, der da vermittelt wird, entzogen sind, fragwürdig ist – der Mensch ist wissensdurstig.

Der höfliche, nette Jay Clem – sei er nun ein Resident, ein kalifornischer Hip-Kapitalist, oder ein Mann mit „Kunstsinn in seinem Blut“ – spielte seine Rolle, leistete seinen Teil zum Gesamtkonzept, informierte und verdunkelte. Und wir Journalisten tragen unseren Beitrag und berichten…

Und ich hab noch ein Geheimnis, das ich nicht verrate, weil ich heute morgen mit einem Ralph-Records-T-Shirt bestochen wurde. Wer bietet mehr?