Tugendterror

Diedrich Diederichsen über Horrorvideo

Der Konsens der Demokraten – das große Ding von 77? Remember? – hat wieder zugeschlagen. Das neueste Opfer: Sex und Horror auf Video.

Die ARD hatte, wie es sich gehört, die ungeschrieben gesetzlich vorgeschriebenen sieben biblischen Jahre gewartet bis sie den ersten Punk offiziell eines ihrer Produkte repräsentieren ließ: die hoffnungslos anachronistische maulige Figur sollte an einem Werktag direkt nach der „Tagesschau“ die jugendliche Zuschauerklientel für die folgende Talk-Mumble-Grumble-Live-Show „Klons“ interessieren, die für die ARD neue Dimensionen von Jugendlichkeit erschließen sollte. Moderieren tat eine mehrfach gescheiterte, mäßig originelle Sängerin namens Miko.

Das brisante Thema der letzten halben Stunde waren diese „neuen“ Videohorrorfilme, die die besagte Allparteienkoalition im Bundestag wie im Feuilleton so verdächtig eilig ist, zu vernichten. Miko hatte aber nicht nur Experten (i.e. Leute, die sagen können, daß unter Umständen bei „nicht gefestigten“ Personen das Anschauen von Meisterwerken wie „Texas Chain Saw Massacre“ – ein wirklich großartiger Film – Nachahmungsgelüste freisetzen könnte. Dagegen ist gesichert, daß allein die Vorstellung einer Proust-Verfilmung durch Volker Schlöndorff, alleine die Vorstellung, bei einer gefestigten Persönlichkeit wie mir, massive Massenvernichtungsphantasien auslöst. Was ist also wirklich gefährlich?) eingeladen, sondern auch, wie man heute sagt, „Betroffene“, Opfer also. Einerseits bedauernswerte, andererseits höchst verantwortungslose Mitmenschen, die sich freiwillig, ja mit Genuß, diesem, wie doch nun allgemein übereinstimmend festgelegt, gefährlichen Unsinn aussetzen. Ohne sich zu schämen. Diesen Leuten sollte es an jenem Abend an den Kragen gehen. Das Gesocks mußte weg. Vollständige exemplarische Vernichtung der Schweine-Video-Konsumenten coram publico. Laßt es euch ein abschreckendes Beispiel sein: So ergeht es allen Horrorfilmbegeisterten!

Die harmlosen Jungens, die wie alle Jugendlichen, die in den Siebzigern eingeschult wurden, gelernt hatten, daß man sich zu seinen Neigungen, welcher Art auch immer, wie es heute heißt, „freimütig bekennen“ solle. (Sonst Frust, Magengeschwüre. Das liberale Beichtsystem: entweder gestehen, beichten oder es winkt als Strafe Magenkrebs und lebenslanges Unglück!), hielten mit Ihrer Begeisterung, gerade für die richtig harten Menschenfresser-, Motorsägen- und Hackebeil-Epen, nicht hinterm Berg. Sie taten auch nicht dicke damit. Sie konstatierten einfach, daß sie das Zeug gerne sehen und dafür durchaus auch bereit seien, die eine oder andere Jugendschutzbestimmung zu umgehen. Diese Burschen, die von Provokation und Radikalität so weit entfernt aussahen wie your average Filialleiter in spe, lösten einen giftigen, keifenden Proteststurm, ein Geschimpfe aus, live auf dem Bildschirm zur besten Sendezeit, das angsteinflößender war als alles, was ein Zombie je an Schrecken verbreiten konnte. Es war vollfascho.

Eine SPD-Frauenfrau empörte sich über „Tom und Jerry“ in quäkenden, peinigenden Tönen, und die Moderatorin mit Sängerinnen-Ambitionen beschimpfte Ihre Gäste als „krank“. Und sagte dieses „krank“ mit dem ganzen Ressentiment von „nicht lebenswertes Leben“. Wie konnte es so weit kommen?

Seit es Pop-Kultur gibt, handelt sie im wesentlichen von zwei Dingen: Gewalt und Sex. Neben Pop-Musik, Mode, Drogen, Tanzen, Deflorieren und Unverständlichsein ist der Horror-Film eines ihrer zentralen Elemente. Der amerikanische Horror-Film der 50er Jahre, nicht der europäischen Vorlagen nachempfundene Horrorfilm der 30er Jahre. Der amerikanische Horrorfilm, der eher mit Zombies, dem „purple peopleeater“ und „teenagewerewolf“ zu tun hat als mit Transylvanien und Vampiren. Dessen treibendes Element das schlechte Gewissen wegen der so überaus flächendeckenden, erfolgreichen Besiedlung, Unterwerfung und Kolonialisierung eines ganzen Kontinents ist. Amerikanischer Horror ist die mythifizierte Angst vor dem, was man in der Geschichte der USA einfach planiert hat und das nun zurückkommt.

Ein Umsturz von unten.

Im Teenage Pop Horror fallt dieses „Unten“ der Geschichte zusammen mit dem „Unten“ des eigenen Körpers. Der gemeinsame Ausgangspunkt für Sex und Gewalt. Im Pop-Horror ist dieses Unten die Chance, der Aufstand, das Freiheitsversprechen. Seit den Tagen von „I Was A Teenage Werewolf“ und „I Walked With A Zombie“ sind Dekaden ins Land gegangen. Der moderne Horrorfilm, wie wir ihn heutzutage unter dem Ladentisch von Videotheken oder in besonderen, für Schweine, Perverse und Lustmörder reservierten Separees dieser Läden finden, hat sich in mancher Hinsicht verändert, hat großartige Höhepunkte gehabt wie „Mörderspinnen“, „Nacht der lebenden Toten“, „Poltergeist“ oder „Zombie“, hat Regisseurpersönlichkeiten wie George Romero, David Cronenberg, Tobe Hooper, John Carpenter, Jeff Liebermann oder John „Bud“ Cardos hervorgebracht und gleichzeitig einen Boom an Routinescheiß, der Ideen der Großen des Genres aufgreift und herzlos ausschlachtet.

Doch derlei Differenzierungen gehen den Jugendschutzschreiern natürlich völlig ab. Sie wissen nur dumpf um die Gefahr, die von den Cassetten, wie von allen Produkten guter Pop-Kultur für ihre liberale Kulturscheiße ausgeht. Für den Überbau, der dann eben doch alle Bundestagsparteien eint. Eine Einigkeit aufkommen läßt, die wir seit 77 nicht mehr erlebt haben, als man sich über die Ablehnung von Terrorismus ebenso einig war wie jetzt über die Ablehnung von „The Evil Dead“ von Samuel M. Raimi. Ein exemplarisch gelungener Billig-Horrorfilm der dritten Generation, der in England, einem von staatlicher Geschmackszensur noch mehr geplagten Land, zur Zeit im Mittelpunkt der Diskussion steht. Denn im selben Maße, in dem die Zensur dort schärfer gegen die Pop-Kulturen vorgeht (Der Sex-Disco-Hit „Relax“ von Frankie Goes To Hollywood, in der BRD wochenlang Nummer 1, darf dort nicht im Radio laufen), ist diese bewußter und weiß sich besser und beredter zu verteidigen, weiß, daß „The Evil Dead“ ihr Film ist und läßt sich nicht, wie die Moderatorin von der ARD-Jugendsendung, auf die Argumente der Herrschenden ein, daß gewissenlose Geschäftemacher (aus welchen ökonomischen Gründen auch immer) das teuflische Interesse verfolgten, eine Generation von’ Lustmördern und Menschenfressern heranzuzüchten. Denn bei uns ist der redende, sprechende, sich äußernde Jugendliche immer der Streber, der schon in der Schule vorgab, das „Gute Buch“ der US-Serie vorzuziehen (By the way: In keinem einzigen Zombiefilm kommen so viele Menschen so qualvoll ums Leben wie in Flauberts „Salambo“ oder im „Simplicissimus“.) und heute als Lieblingsschüler einer Generation von linksliberalen TV- und Schulpädagogen gegen seine eigene Kultur herzieht. Ohne zu merken, daß er sich mit Heiner Geißler und der „Bild“-Zeitung gemein macht. Den eigentlichen Erfindern und Nutznießern der Video-Gefahr. Die englische Pop-Kultur weiß, daß das Zombie-Mädchen, das im kranken Sopran singt „We gonna get you“ und alle allzu zufriedenen Normalamerikaner meint, eine von ihnen ist. Die deutschen, vom Establishment ernannten Vertreter der Subkultur schlagen sich auf die Seite derer, die den Jugendschutz-Paragraphen so umgestalten wollen, daß nicht mehr nur noch die „Verherrlichung“ und „Verharmlosung“ von Gewalt indizierungswürdig sein soll, sondern schon ihre „Darstellung“.

Die Lage, die in so vielem an ein Low-Budget-Remake der 50er erinnert, ist die, daß Videoextremitäten bald geächtet sein werden wie das, was man damals den Halbstarken zuschrieb. Ich entbiete allen Menschenfressern meine Solidarität.