„Ich erzähle diesen Muff, weil sich kein Mensch vorstellt, was für eine Scheiße das ist, die man in den Feuilletons Kultur nennt.“
Jörg Schröder.
Als die Literatur starb, irgendwann zwischen 1956 und 1968, bäumte sie sich im Todeskampf noch einmal auf und schleuderte, im Aufsitzen, aus ihrem zersetzten, angefressenen, kranken und verwilderten Gedächtnis einen heftigen Sturzbach von aufregenden, billigen, prallen, monomanen, revolutionären, bigotten, lächerlichen und gleichzeitig luziden Wort- und Ideenverknüpfungen. In von den Beteiligten als glückhaft empfundener Regellosigkeit kotzte es: alte Beatniks, neue Acid-Heads, Strandgut eines gottlosen Kleinbürgertums, voreilige Weltverbesserer, Künstler und vor allem, ein letztes Mal: Dichter.
Alles war lächerlich und doch wichtig. Wenn etwas so Großes passiert wie die Geburt des Pop aus dem Geiste der sterbenden Literatur, dann ist jedes Zeugnis dieses Vorgangs von Bedeutung, und ich möchte nichts von dem missen, was ich über, sagen wir, den Lyriker Ted Berrigan weiß. Weder seine Beiträge zu „Silver Screen“ noch seinen Gedichtband „Guillaume Apollinaire ist tot“, noch seine drei Beiträge zu „März Texte 1“, noch die Nachricht von seinem Tod letztes Jahr im East Village, wo er sein ganzes Bohème-Leben lang saß und dichtete.
Es war auch eine Zeit, die vorbildlich zeigte, wie man Spinnkram richtig aufblasen muß, damit er groß und bedeutsam wird. Wie groß die harmlosen Schnurren eines weltfremden Professors werden, wenn sie auf den fruchtbaren Boden von Pop fallen, wenn sie richtig gedüngt und effizient geerntet werden. Nehmen wir Marshall McLuhan, den heute keiner mehr ernst nimmt. Wie haben sie es gefressen, das ganze Zeug: Medium ist Message/Massage. Wir alle leben im Yellow Submarine des globalen Dorfs. Wie wurde das Zeug verlängert. Bis hin zu Jazz-meets-India und Malcolm McLarens „Buffalo Gals“ im Jahre 1982.
Nehmen wir dagegen Jean Baudrillard, der für die 80er das ist, was McLuhan für die 60er war: der definitive Spinner, aber dabei viel gebildeter, tiefsinniger, fundierter, verzwickter und dialektischer. Ihn nimmt heute, außer ein paar Esoterikern, kein Mensch wahr geschweige denn wichtig. Baudrillard war niemals auch nur in der Nähe von Prophet. McLuhan war Gott.
Die Dokumentation der Leben dieser kurzlebigen Instant-Gottheiten verdanken wir Leuten wie Jörg Schröder und seinem März Verlag, in Deutschland ausschließlich Schröder. Schröder, dessen Leben als Abenteurer in der Welt der Verlage und Agenturen ihn 1969 Gründer des März Verlages (aus der Asche des Melzer Verlages) werden ließ, war der einzige in der deutschen Verleger-Szene, der das Gebot der Stunde beherzigt und einfach alles veröffentlicht hat, was damals neu und aufsehenerregend war: also Werke der radikalen Linken ebenso wie verstiegenes Mysto-Zeug, Beatnik-Lyriker und Science-fiction-New-Wave, Sex und Aktionskunst ohne Ansehen konventioneller Kriterien von Qualität und ohne Zusammenhang. Also Dinge wie Verlagsprogramm, Buchreihen. Wir machen nur Lyrik. Hardcover / Weichcover. Er hielt einfach den Eimer hin und nahm alles, was auffiel. Denn er wußte wohl damals schon, daß alles mit allem zusammenhängt. Am Beginn der ersten Lebensphase des März Verlages steht der Reader „März Texte 1“. Der Reprint dieses Readers bildet die ersten 316 Seiten von „Mammut“. Es folgen bis Seite 1274 „März Texte 2“, herausgegeben von Jörg Schröder, 1984.
Als ich „März 1“ Anfang der 70er für ’n Appel und ’n Ei in einem Müsli-Drogen-Laden als Mängelexemplar erstand, faßte das Buch all die Versprechen für ein erfülltes Leben in Bohemia zusammen, die einen jungen Menschen Haus, Hof und Oberschule verlassen machen: Was es nicht alles gab! Man konnte Panzer zerstören (genaue Anweisung! verwundbare Stellen! Don’t read it! Do it!), Schwul werden (in „Trocchi’s Bude“), mit Herrmann Nitsch in Innereien von Schweinen wühlen, sich im Blut suhlen, Drogen nehmen (Stoßt die Pforten der Wahrnehmung auf! Turn On! Tune In! Drop Out!), die Welt verwüsten und neu aufbauen und vor allem die Literatur metzeln. Nieder mit der Narration! Suspension des Sinns! Konventionen knacken! Warum müssen eigentlich alle Buchstaben von links nach rechts aufgereiht stehen wie ein Haufen Wehrpflichtiger? O Paradies der Avantgarde!
Warum nicht einfach so schreiben: „Wilde Schreie auf der Blauspur – Picklige Jungs & Chano P. holen sich einen runter in Madrid – STILLE – Guardia Civil mit Kunstlederdeckeln fliegen durch die Gossen der Dummheit – Gerassel hilfloser Arme, totaler Krieg & verstärkte Anstrengung in runtergekommenem Zustand. Nacht wurde ermordet am Tag als ich Ort & Zeit killte.“
Oder warum nicht nach einem großkotzigen, anstrengenden Avantgarde-Gedicht-Foto-Schock-Fick-Mischmasch Erklärungen von sich geben wie diese hier: „Man kann soviel Besseres machen als beispielsweise lange an einem Gedicht herumbosseln – in der Stadt herumgehen, Zeitung lesen, ins Kino gehen, ficken, in der Nase bohren, Schallplatten hören, mit Leuten dumm herumreden.“ Wie wahr und wie kokett!
Warum also nicht endlich anfangen und kämpfen für China, Afrika, Schüler, Sex, Schwule, Astralleiber. Die Welt der „März Texte 1“: Unterkiefer vorschieben und die Worte rauslaufen lassen. Reden, reden, reden. Und überall MÖGLICHKEITEN, überall Versprechungen, Befreiung, Pop. Und keine Literatur.
Denn hier sprachen keine modernen Literaten, keine Erben von Pound oder Joyce, das waren Verursacher von Instant-Ergüssen, Enkel von Burroughs allenfalls. Dementsprechend ist heute zu bewerten, was sie damals von sich gaben. Solche Texte, die allzusehr gezeichnet sind von der verkrampften Bemühung, Konventionen, Regeln und Charaktermasken zu knacken, gehen mir auf die Nerven. Da, wo erkennbar wird, wie das Rauslaufenlassen in Großes umschlägt, nistet das Wertvolle dieser Anthologie, kann man lernen. Also nicht an Brinkmanns Suada „Vanille“ (nur mühsam!), sondern an seiner „Übersetzung“ von Apollinaires „La jolie rousse“: „Der joviale Russe“, die so funktioniert: „Ayant éprouvé les douleurs et les joies de l’amour / Ayant su quelquefois imposer ses idées“. Deutsch: „Ahja ein Pulver ohne Geruch und wenig Freude als Liebe / Ahja so kelchweiß in Pose deiner Idee.“ „Conaissant plusieurs langages“ – „Kenne Blusen länger.“
Die literarische Avantgarde dagegen, zwar immer auf dem Sprung zum Pop, bleibt so oft im verquält Bürgerlichen hängen, und die eigentlichen Gewinner sind, von heute aus gesehen, die Essayisten, Theoretiker und Reporter: Wie Edgar Snow und Augustin Souchy. Und das im Namen der Republik (Österreich) ergangene Urteil gegen den Blut-Künstler Herrmann Nitsch (der inzwischen auch noch keine neue Idee hatte) sagt mehr als das Interview mit dem Künstler selber über die Aktionen, die so ein Urteil provozierten.
Doch der wichtigste Autor des März Verlages ist in dieser ersten Anthologie nur mit einem fahrig-angetüterten „Gespräch mit einem Verleger“ vertreten. Jörg Schröders erste autobiographische Erzählung „Siegfried“ erschien erst kurz vor der Pleite des ersten März Verlages. Schröder hat „Siegfried“ wie alle seine damals späteren Texte nicht selber geschrieben, sondern einem Partner (Ernst Herhaus) erzählt, diktiert. „Siegfried“ wurde mit Prozessen und Verleumdungsklagen überzogen wie wohl kaum ein zweites Buch der Nachkriegsliteratur. Der Grund: Es handelte von echten Menschen und gab deren Namen preis. Typen aus der Welt der Überbauproduktion, aber auch Banker, Mädchen, Schnösel, Christen, Faschisten, Künstler und Verleger. Sie alle sind nur in zweiter Linie Opfer von Schröders einmaliger Erzähltechnik. Sie sind zunächst Opfer von Schröders Lebenslauf, den zu kreuzen sie das Pech oder Glück hatten und der sie verfolgte mit seinem bohrenden Interesse für Menschen und deren Geschäfte.
Der sich selber immer wieder aufs ruinöseste verstrickte, weil ihn etwas interessierte: „Ich habe die Korrespondenz angesehen. So eine Monomanenkorrespondenz hast du noch nicht gesehen. Und dann die Antworten. Von Horkheimer bis weiß der Kuckuck! Melzer hatte etwas verwechselt: Gute Bücher machen kann nicht jeder, aber alle Welt dafür anklagen, daß keiner die Bücher kaufen will, das ist leider beknackt. Ich bin nach Hause gegangen. Es war aussichtsloser, als ich gedacht hatte. Aber dann sagte ich mir: ‚Weil das so aussichtslos ist, geradezu grotesk aussichtslos, und weil das so ein unbekannter Verlag ist, deswegen reizt mich das.‘“
Später machte Schröder März zum zweiten Mal mit „Zweitausendeins“. Von dem Laden trennte er sich bald, noch mehr Feinde zurücklassend, und machte sein zweites Buch mit Uwe Nettelbeck: „Cosmic“. Über NATO-Geheimnisse in der hessischen Provinz, alternative Schläfrigkeit bei der TAZ, Verschlagen- und Dummheit beim STERN, Arschlöchrigkeit bei TRANSATLANTIK, bizarren Schwachsinn bei grünen Dichtern und anderen Grünen, die heute im Bundestag sitzen. Und liberale Lebenslügen überall. Ausgehend von dem Leitmotiv aller Schröder-Produktionen, daß eben irgendwie alles mit allem zusammenhängt und es der Literatur, oder besser, dem was an ihre Stelle getreten ist, obliegt, den Schleier dieses Irgendwie zu lüften.
Und das geht über den Menschen.
Der große Verknüpfer, der Mittelpunkt in Schröders Texten ist der Mensch. Und prinzipiell liebt er ihn, den Menschen, prinzipiell ist er Humanist. Menschenfeindlichkeit ist eines der schlimmsten unter seinen vielen Verdikten. Also der Mensch. Nicht die Menschheit, für die der Mensch immer wieder geopfert wird, und erst recht nicht das blöde Individuum, in deren Namen Klagen gegen „Siegfried“ und „Cosmic“ oder „Mammut“ angestrengt worden sind, und, noch schlimmer, in deren Namen der Mensch zugrunde geht und der Kapitalismus wütet.
Wenn Schröder Peter Handke beobachtet, nach der posthumen Verleihung des „Petrarca-Preises“ an Brinkmann, und ihn mit der Veröffentlichung dieser Beobachtung eigentlich tötet, dann schafft er es dennoch klarzustellen, daß hier eben nicht aus Machtherrlichkeit gehenkt wird, sondern im Interesse der Wahrheit, und einfach, damit so was nicht wieder vorkommt, eine Anekdote wie diese erzählt werden muß. Muß. „Und endlich draußen die Lavendelwiese, alles verteilte sich, sehe ich doch da diesen unglücklichen Handke, wie der tatsächlich auf einem leichten Hang Kobolz schießt. Im Turnsport nennt man das wohl: Rolle vorwärts. Tatsächlich machte doch dieser Fitti drei unbeholfene Rollen auf dieser Lavendelwiese. Das mußt du dir einmal vorstellen, einer der es nicht kann, jemand, der nicht fröhlich ist, der ein Erwachsener ist, der Schriftsteller ist und erstens einer, der Handke heißt, im Lavendel, drei, vier mißratene Rollen nach vorne!“
Dies stammt aus einem der neuen Schröder-Texte, aus „Mammut“, aus dem neuen Teil, dem „März Texte 2“-Teil. Er hat sie diesmal nicht einem Nettelbeck erzählt, und deswegen ist auch nicht so eine schöne Kunstprosa herausgekommen, sondern mehr O-Ton Schröder („dit und dat“), mehr Wörterauslaufenlassen. The right stuff. „Maggi pur“, „SO-JA-Bohnen“, „Hallo Sandra! Hi Wolf!“ und „Gewissensbisse“ sind kleine Stücke aus dem Kulturbetrieb. Über Reemtsma und den toten Voyeur Arno Schmidt und den Zusammenhang zwischen Schmidt-Boom, Schmidt-Jüngermentalität und das Verhältnis der SPIEGEL-Kulturredaktion zum Fußball („Da ist mir ein Typ wie der alte Stalinist und Ghetto-Kämpfer Reich-Ranicki doch noch lieber als so ein Gerstein, der mit langen Fingern sagt: ‚Jetzt ist Sportschau.‘ Und dann ist das nämlich die Sportschau so wie der Reichsparteitag. Schluß! Bei denen ist das nämlich noch rigider und bescheuerter als bei der Geburtstagsfeier der Frau des Liberos aus Hosenfeld, die wegen der Sportschau keinen Mucks sagen darf, nur Salzstangen servieren und leise Bierflaschen öffnen, während die Elf um den Fernseher sitzt. Ach was Salzstangen. Fischlis, zentnerweise Fischlis muß die für diese Typen kaufen.“)
Lauter großartige Texte: Klatsch. Und zwar Klatsch als die letzte verbliebene materialistische Waffe gegen die Meinung. Wenn Wissen zur Meinung wird und sich von innen nur noch anfühlt wie der auf die Theke gelehnte Unterarm. Wenn Meinung in ihrer unangreifbaren Beliebigkeit zum Terror wird, dann müssen eben Schröders Klatsch, seine Alles-hängt-mit-allem-zusammen-Assoziationen ran. Dann macht der eben auch weiter, wo das allerkritischste Feuilleton oder Anti-Feuilleton aufhört. Die schaffen sich nämlich so einen Popanz, irgendeine oberlächerliche Type wie Fritz J. Raddatz, und kommen sich erschöpfend schlau vor, wenn sie jede neue Stilblüte des Mannes einer wiehernden Gegenöffentlichkeit präsentieren. Schröder schafft zwei, drei, viele Raddatz. Und keiner ist vor ihm sicher, der einmal sein Interesse erregt hat.
Man könnte nun sagen, ich hätte so lange gut reden und Beifall zollen, wie ich nicht selber Opfer geworden bin. Aber mit den Fußballintellektuellen des SPIEGEL bin ich eben auch getroffen. Auch ich hielt Intellektuelle, die sich für Fußball interessieren, zunächst mal für einen historischen Fortschritt gegenüber den Intellektuellen der Vätergeneration, die sich darüber mokieren, wie denn ein Spiel Interesse zu erregen vermöchte, bei dem 22 Männer – höhö – 22 erwachsene Männer hinter einem Ball herrennen. Auch ich hab gerne meine Ruhe bei der Sportschau und hab manchmal ganz gerne Arno Schmidt gelesen. Sicher, der Wollschläger ist bescheuert, wie das von Schröder willkürlich redigierte und mit „Ich bin selber Psychoanalytiker (durchgeknallt)“ humorig betitelte Wollschläger-O-Ton-Exzerpt rechtskräftig beweist. Aber mit dem Für und Wider kommen wir genausowenig weiter wie mit dem Wahr/Unwahr. Hier erzählt ein Mann sein Leben. In Texten und in fremden Texten. Und, Bruder, er macht seine Sache eben verdammt gut.
Schröders Erzählungen sind meist strukturiert wie lange verschlungene Witze. In dem Moment, wo man die befreiende Pointe erhofft, kommt statt dessen ein triumphal eingeführtes Verzögerungselement à la „Und das Beste kommt erst …“. Ein neuer Faden, eine neue Ungeheuerlichkeit. Hat der Mann nun auch noch als Zuhälter gewirkt. Oder so was. Und wenn dann wirklich die Pointe kommt, wird sie nicht, wie erwartet, mit dem eben genossenen Erzählteil C verknüpft, auch nicht mit B, sondern mit A, der freilich mit B und C zusammenhängt. Wie eben alles mit allem.
Derselben Struktur folgt die „Mammut“-Anthologie. Als erstes lernt der Mensch: Was von mir ist, ist von mir (Autoreffekt), was von anderen ist, habe ich geklaut (Plagiat). Dann lernt er, daß er mit Zitaten beweisen kann, darf (Gymnasium, Oberstufe, Universität), sogar muß (Zwischenprüfung). Später lernt er die Kunst des Zitates schätzen, und irgendwann liest er Karl Kraus und ist ungeheuer beeindruckt von der Möglichkeit, einem Idioten seine Idiotie einfach durch vollständige Wiedergabe seines Textes zu beweisen. Am Ende dieser Kette steht Jörg Schröder, der sein Leben als Anthologie erzählt. Kriterium für die Auswahl der Texte ist der Zusammenhang untereinander, der Zusammenhang mit März und der Zusammenhang mit Schröder, seiner Vita und seinen Geschäften.
Was für Geschäfte? Ja, Schröder, besonders der frühe, hat einen Riesenspaß an Geschäften, an kapitalistischen Drahtseilakten, an Kreditpronlongationen, am Klitschen-aus-dem-Nichts-Hochziehen. Neuerdings bringt er sogar teure Subskriptionsausgaben heraus. Besieht man diese Geschäfte aber näher, stellt man fest, daß sie selten lukrativ sind und daß es nicht allein um den schnöden kapitalistischen Erfolg um des Erfolges willen geht. Statt dessen geht es um die Literarizität seiner Geschäfte.
So wie er in seinen Erzählungen immer wieder das Geschäftliche an der Kultur hervorkehrt, so betreibt er selber bizarre literarische Geschäfte. In verschiedenen literarischen Genres. Einmal hatte er eine Agentur gegründet, die „Bismarc Media“, deren Aufgabe es war, nichts zu produzieren. Der Geschäftsführer sollte bloß hochtrabend daherschwafeln, aber nie konkret werden. Leider hielt keiner der angestellten Geschäftsführer dies lange durch. Früher oder später fingen sie an sich Projekte auszudenken. Auf jedem Fall ein klarer Fall von Konzept-Kunst, von konkreter Poesie in Finanzen. Und das Jahre bevor Baudrillard überall seinen philosophischen Horror vor dem Produzieren verbreitete.
„Business Art“ war eine alte Forderung von Andy Warhol, und noch etwas verbindet Schröder mit Warhol. Warhol erzählt seine ganzen Meisterwerke einem gewissen Pat Hackett, der sie dann niederschreibt. Aber nicht deswegen ist der heutzutage unterschätzt wichtigste Künstler der Gegenwart in „Mammut“ vertreten. Seine erstmals ins Deutsche übertragene Schilderung des Attentats auf ihn aus seinen Memoiren „POPISM – The Warhol Sixties“ mußte rein, weil die ehemalige März-Autorin und Warhol-Attentäterin Valerie Solanas Schröder eines Tages zu ihrem „Contact Man Of The Mob“ ernannte. Und der Brief dazu ist abgedruckt. Und da mußte natürlich der Warhol dazu. Warum ist der Songtext „New York New York“, Schrott allererster Kategorie, von Nina Hagen, zudem noch in Faksimile, abgedruckt worden in „Mammut“? Nicht weil „Klar, wenn gar nichts mehr geht, dann März, März druckt alles. Stimmt ja auch irgendwie.“, sondern weil Nina Hagen mit März-Autor Florian Havemann im Sandkasten gespielt hat. Wegen des Zusammenhangs. Er macht jetzt das. Also mal zeigen, was aus ihr geworden ist.
Herausragend in „Mammut“ sind dennoch nicht nur die Schröder-Texte. Der Komplex Terrorismus mit Vespers und Gudrun Ensslins Reisefotoalbum und Wolfgang Pohrts Amnestie-Kampagne und einem Brief über Vesper von Jugendfreund Henner Voss, Gunnar Heinsohns erste materialistische Beschreibung der Hexenverfolgung, der Komplex Psychoanalyse/Otto Groß, Franz Jung etc., der Komplex Upton Sinclair/Henry Ford/U.S.-Anti-Semitismus der 30er Jahre. Man könnte noch viel mehr saugute Texte aufzählen, fast ebensoviel Mystik-Unsinn und moderne Literatur – die den Kampf gegen die Post-Literatur von Schröder, Warhol, Schröders Halbwelt-Spezi Hamlet Kuper, Tom Wolfe etc. so niederschmetternd verliert. Je neuer sie ist, desto schrecklicher ihre Niederlage. Wie peinlich so ein Essay, der fordert, die Literatur möge sich doch überall bedienen und ihre Scheu vor der Trivialität verlieren – ganz neu, hab ich noch nie gehört –, gegen das wirkliche Leben, egal ob es in „Mammut“ von einem Aufsatz Charles Darwins oder einer Dummheit Hubert Burdas, aber von der Gestalt wie ein eigener Beitrag behandelt, vertreten wird.
Da Schröder Lebensgeschichte betreibt, betreibt er automatisch auch Wirkungsgeschichte. Gegen Ende von „Mammut“ dokumentiert er ein paar Reaktionen auf „Cosmic“. In diesem Zusammenhang bringt er, ebenfalls erstmals in Deutsch, einen Ausschnitt aus Tom Wolfes „The Electric Kool-Aid Acid Test“, ein Buch, das auch schon fast 20 Jahre alt ist, „Die gefrorene Friedensversammlung“. Wolfe erzählt darin, wie Ken Kesey und seine Merry Pranksters in den 60er Jahren absolut punkmäßig eine Friedensversammlung sprengen, absolut aktuell, absolut richtig. Die, die in den 60ern wirklich weit vorn waren, sind es bedauerlicherweise immer noch. Eine Alternative zur liberalen Dummheit hat sich nicht durchsetzen können. Am Ende von „Mammut“ steht eine alte Utopie (aus den 60er Jahren) „1994“, die die Hippies als Agenten des Establishments ausweist. Auch das ist leider wahr geworden/geblieben. Der Weg dahin, dadurch und daran vorbei, die Geschichte der letzten 20 Jahre als Geschichte des Scheiterns steht in „Mammut“. Schröder, Warhol und Wolfe haben ihren Humor nicht verloren.