Video killed the Radio-Star

Radio, Platten und Live-Konzerte haben massive Konkurrenz bekommen: die Musikvideos. Sie sind zum unverzichtbaren Bestandteil von Fernsehsendungen und Werbestrategien der Plattenindustrie geworden. In diesem Monat schickt die CBS einen zum rollenden Kino umgebauten Truck auf große Deutschland-Tournee, um das Video-Fieber weiter zu schüren. Diedrich Diederichsen nahm die CBS-Vorführung am 14. Juni bei Schaulandt zum Anlaß, um Ästhetik und Ökonomie der Musikvideos zu beleuchten.

A form is born. Mit den Achtzigern und all ihren mehr oder weniger erfreulichen Retrogelüsten und Nostalgien ist auch ein neues Genre der Massenkommunikation entstanden: der Video-Clip, die bisher einzige wirkliche Neuerung, die die Video-Technologie auf ästhetisch-formalem Gebiet eingeführt hat. Der Video-Clip ist historisch ohne Beispiel, auch wenn seine Genealogie, seine Vorläufer und Ursprünge leicht aufzuspüren sind: Seit der Video-Clip in Pop-Single-Länge unverzichtbarer Bestandteil des Pop-Overground und der Promotion der Plattenfirmen geworden ist, herrschen in allen Bereichen des Musik-Business andere Regeln. Video-Etats sind wichtiger Teil von Vertragsverhandlungen, Ideen für die Visualisierung von Songs inzwischen fast bedeutender als die Beherrschung des Instruments, kulturgeschichtlich bewußte Image-Montage und Filmgeschichtskenntnisse wichtiger als das Blues-Schema. Die „amerikanische Einstellung“ bedeutet für manchen „Musiker“ mehr als Tonika und Subdominante.

Eigentlich ist der Einsatz von Pop-Stars in visuellen Inszenierungen so alt wie die Unterhaltungsindustrie, doch erst Elvis und die Beatles sorgten dafür, daß sich ein Genre wie der Pop-Film etablierte: die schrille Komödie, die eine Spielhandlung nur als Vorwand benutzt, um Hits möglichst eindrücklich zu bebildern. Aus diesem Genre entwickelte sich in den Sechzigern der kurze Konzert- oder Studio-Gag-Streifen, der eingesetzt wurde, wenn eine Gruppe zu groß und zu teuer war, um ständig weltweit in TV-Shows präsent zu sein. Je länger diese kurzen, meist einen neuen Single-Hit unterstützenden Filmchen eingesetzt wurden, desto weiter entfernten sie sich von dem Bemühen, die Illusion zu erwecken, einen Live-Auftritt der entsprechenden Gruppe repräsentieren. Sie entwickelten eigene Formen und knüpften an das erfolgreiche Prinzip von Richard Lesters Beatles-Filmen und der amerikanischen TV-Serie mit den Monkees an: Die verrückte, lustige Pop-Gruppe erlebt lustige, wilde Abenteuer, zieht sich ausgeflippt an und hat einfach tonnenweise Spaß. Gefilmt wurde gerne mit extremen neuartigen filmischen Mitteln: Fischauge, psychedelische Linsen, rücksichtslose Zooms, Inserts aller Art. Stil und Ästhetik dieser Filme wirkten auf den Kinofilm derselben Epoche: Von Elia Kazans „The Arrangement“ über die Künsteleien eines Antonioni bis zu Godards intellektuellem Polit-Pop war der Einfluß der Monkees, Small Faces und Beatles zu spüren.

Mit den Siebzigern verschwand die Bedeutung der Pop-Single und mit ihr der sie fördernde kleine Film. Die Musik war jetzt entweder supermusikalisch und instrumental, den kleinen Narrationen dieser Filme widersprach, oder sie wurde pompös und abendländisch und ließ sich lieber abendfüllend in Pompeji abfilmen. Oder sie wurde so verdammt ehrlich und bodenständig, daß sie lieber realen Schweiß als fotografierte Ideen vermitteln wollte. Die Renaissance der klassischen Drei-Minuten-Single mit Alltagskommentar fiel mit der Popularisierung der Videotechnologie zusammen in die beginnenden Achtziger. Gruppen wie Devo hatten Pionierarbeit geleistet; bereits 1978 eröffneten sie ihre Shows mit drei, vier hervorragend gemachten Videos, die die komplizierte ideologische Seite ihres Konzepts ungleich besser vermitteln konnten, als das ihre ambitionierte Bühnenshow alleine geschafft hätte.

Doch erst die Jahre 1981/82, mit ihrer massiven Wiederentdeckung klassischer Pop-Tugenden (Schnelligkeit, Prägnanz, Aktualität, Frechheit) brachten den großen Video-Boom in finanzieller wie ästhetischer Hinsicht. Die scheinbare Vielfalt an Formen (es gibt narrative, „strukturalistische“, epische, an Kinotraditionen anknüpfende, Semi-Animations-, halbdokumentarische, politisch-ambitionierte und selbstironische Videos, es gibt sogar welche, die ganz ohne die Stars auskommen, deren Songs sie visualisieren, z.B. Grace Jones „Nipple From The Bottle“ und Marianne Faithfuls „Broken English“) könnte darüber hinwegtäuschen, daß den Videos eines gemeinsam ist, das letztlich auch ihre Ästhetik bestimmt: die Ökonomie der Single-Länge.

Wie der Pop-Song ein Ergebnis der 17-cm/45-UpM-Single-Schallplatte und ihrer Spieldauer zwischen drei und fünf Minuten war, also alle Einfälle und Ideen unter diesen Bedingungen koordiniert werden mußten, so ist auch der Video-Clip ein Resultat dieser zeitlichen Begrenzung. Wie der Pop-Song muß er leicht wiedererkennbare Reize aufweisen, Signale setzen, die automatisch mit dem Song und auf längere Sicht auch mit dem Interpreten assoziiert werden sollen.

Mit diesen Vorgaben, die zum Dick-Auftragen, zum Übertreiben einladen, entwickelten sich in kürzester Zeit Film-Formen, die tatsächlich Pop-Tugenden in den visuellen Bereich heben. Höhepunkte wie das ereignisreiche, überladen-komisch an Disney-Filmen orientierte ABC-Video „Look Of Love“, Soft Cells Anthologie von Mythen der Pop-Art, Culture Clubs mondäne Märtyrersaga „Do You Really Want To Hurt Me“, die charmant-studentoiden, aber sehr selbstironischen Caligari-, Cocteau- und Orson-Welles-Hommagen von Heaven 17, Bowies rücksichtslose Selbstproblematisierungen („Ashes To Ashes“ – wehmütiges Begräbnis der eigenen Mythologie, „Let’s Dance“ – Glamour kämpft für Minderheiten, „China Girl“ – this Bowie’s in love), die „Wir-sind-eine-Beat-Band-und-gehören-zusammen“-Monkees-Reminiszenzen von Haircut 100 und die Ghetto-Reiseführungen von Grandmaster Flash And The Furious Five sind brillante Zeugnisse von Innovation und Ideenreichtum innerhalb des neuen Mediums. Gruppen zeigen ihre Stärken, ihre Bewußtheit um das, was sie tun, aber auch die etwaigen Peinlichkeiten ihres Selbstverständisses klarer, als das je ein Live-Auftritt zeigen könnte. Sie überwinden die Sprachbarrieren der fremdsprachigen Texte, und sie sensibilisieren das Pop-Publikum für das Gesamtkunstwerk. Mittlerweile nehmen sich bekannte Regisseure des Mediums an. Gerüchte besagen, daß Steven Spielberg höchstpersönlich „Billy Jean“, eines der besten neuen Videos, für seinen Freund Michael Jackson aufgenommen hat. Vor Ideen strotzende, aber auf der Spielfilm-Langstrecke glücklos-pathetische Kunstgewerbler wie Derek Jarman laufen vor der Video-Kamera zu ungeahnter Größe auf. Einer der profiliertesten Video-Regisseure, der ungekrönte König und Schöpfer solcher Meisterwerke wie „Look Of Love“, Julian Temple (Spielfilm-Debüt: „The Great Rock’n’Roll Swindle“), hat mittlerweile eine Produktionsfirma: „Limelight“, die auf Bestellung der Stars (respektive der Plattenfirmen) in wenigen Tagen wunschgemäß und maßgeschneidert das passende Video liefert. Das hochkarätige Limelight-Team steht zur Zeit konkurrenzlos da. Wer nicht selber visuell ambitioniert ist wie etwa Bowie oder David Byrne (Talking Heads), greift auf das Spezialistenteam zurück. Selbst Image-sensible Gruppen wie ABC, Culture Club oder Soft Cell lassen Limelight-Leute nach ihren Ideen arbeiten, und bis jetzt ist es denen noch immer gelungen, den Individual-Charakter der Gruppe mehr als einen etwaigen Firmenstil zu betonen. Die drei Soft-Cell-Videos z.B. haben kaum erkennbare filmtechnische Gemeinsamkeiten, sind aber alle eindeutig der Phantasie und Ästhetik von Marc Almond und David Ball verbunden. Neben Limelight und Julian Temple sind Russel Mulcahey, der die Luxusvideos „Muscle-bound“ für Spandau Ballet und „Vienna“ für Ultravox drehte, David Mallet, verantwortlich für die Blondie-Video-LP „Eat to the Beat“ und Bowies „Ashes To Ashes“ (mit rund einer halben Million Mark Produktionskosten zehnmal so teuer wie der gesamte Video-Etat von CBS-Deutschland und wahrscheinlich das teuerste Video überhaupt), und der Rasta-DJ Don Letts, der 1977 wesentlichen Anteil an der Verbrüderung von Punk und Reggae in England hatte und der heute für daraus hervorgegangene Bands wie The Clash Promotion-Videos dreht, die gefragtesten und originellsten Videoregisseure der aktuellen Szene.

Das erfolgreiche Musiker- und Produzententeam Godley/Creme hat ebenfalls eine Produktionsfirma gegründet und unter anderem für XTC und Visage gearbeitet. Midge Ure, langweiliger Chef von Ultravox, folgte ihrem Beispiel und dreht inzwischen nicht nur für die eigene Gruppe.

Das allererste Werbe-Video, „Bohemian Rhapsody“ von Queen, stand in den mittleren 70ern noch völlig in der Tradition der eingangs erwähnten 60er-Filme. Stilbildend für das neue Medium waren unter anderen Mallets Video zu dem 79er Boomtown-Rats-Nummer-Eins-Hit „I Don’t Like Mondays“ und die drei Clips, die Bowie höchstpersönlich zu seinem ebenfalls ’79 erschienenen Album „Lodger“ aufnahm.

Die damit einsetzende Visualisierung der britischen und in Maßen auch der amerikanischen Pop-Szene brachte ein völlig verändertes, sensibilisiertes Verhältnis zur optischen Präsentation mit sich. Keine Band konnte sich länger auf den langweiligen Standpunkt zurückziehen, man sei nur Musiker und sehe nur irgendwie aus. Pop konnte sich nun vor seinem multimedialen Charakter nicht mehr drücken. Jeder mußte Farbe bekennen. Doch in Deutschland wurde diese Entwicklung nur sehr zögernd verstanden. Es gab praktisch keine Videos zu sehen. Daher begriffen die Deutschen zunächst nicht, was es plötzlich mit all dem Spekulieren über Images und Stil-Semantik auf sich hatte. Wieso man Musik plötzlich lesen und sehen können sollte, statt wie bisher vor der Anlage zu hängen und sich das Zeug durch die Ohren ins Gehirn pusten zu lassen.

Ein paar Agenturen machten den Anfang, indem sie Videos zusammenstellten und an Discos verscherbelten. Diese Kompilationen liefen oft ohne Ton in Ecken, wo die Mauerblümchen nicht knutschten. Plattengeschäfte zogen hier und da nach. Doch das deutsche Fernsehen, wichtigster potentieller Abnehmer, stellte sich auf den Standpunkt, Videos seien unbezahlte Werbung für Produkte der Schallplattenindustrie und gehörten, wenn überhaupt, als bezahlter Spot geschaltet, ins Regional- und Vorabendprogramm.

Doch mit der Zeit verschlechterte sich die Finanzlage auch bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten, irgendwann sah man ein, daß die oft intelligenten Videos mehr zu bieten hatten als dröge TV-Inszenierungen und zudem ungleich billiger waren. In kürzester Zeit wurden drei Video-Sendungen ins Leben gerufen: „Pop-Stop“ (ARD), „Ronny’s“ bzw. „Tommys Pop Show“ (ZDF), und, die erfolgreichste, „Formel Eins“ (WDR, Dritte Programme). Mit dreijähriger Verspätung vollzogen die Deutschen den Bewußtseinsprung, den die Pop-Kultur zur Jahrzehntwende durchgemacht hatte, und öffneten ihre Augen.

Für die Schallplattenindustrie war das zunächst eine erfreuliche Entwicklung. In „Formel Eins“ vorgestellte Songs verkaufen nach Einschätzungen von Fachleuten im Schnitt, je nach Eindrücklichkeit der Clips, zehn bis achtzig Prozent mehr als vorher.

Zum Erfolg von „Formel Eins“ eine Anekdote am Rande: Der rapide Durchbruch dieser Sendung säte in der Branche bereits reichlich Zwietracht. Mike Leckebusch hat sich, wie man hört, mit dem geistigen Vater von „Formel Eins“, Rolf Spinrads, der sich seinerzeit auch „Bananas“ ausdachte, inzwischen unversöhnlich zerstritten. Sein vergreister „Musikladen“ boykottiert seitdem alle Bands, die in „Formel Eins“ zu sehen sind. Heißt: fast alle. Als kürzlich Indeep („Last Night A DJ Saved My Life“) für den „Musikladen“ fest gebucht war, geschah das Unglück, daß Leckebusch kurz vorher die neueste Ausgabe von „Formel Eins“ angeschaltet hatte und Indeep mit „When Boys Talk“ auftreten sah. Das bereits in Bremen angereiste Trio mußte unverrichteter Dinge wieder abreisen. Der „Musikladen“ wurde in letzter Sekunde umgestaltet.

Trotz des Verkaufserfolges explodierten im selben Zeitraum die Kosten. Kurier-, Kopier- und nicht zuletzt die Produktionskosten der ausländischen Vertragspartner ließen die GVL (Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten, ein zur Hälfte von der Industrie, zur Hälfte von Künstlern und Autoren getragenes, der GEMA vergleichbares Institut) auf den Plan treten und Gebühren in Höhe von tausend Mark pro angefangene Sendeminute verlangen. Dies würde das sofortige Ende der Video-Sendungen bedeuten, denn für Pop-Musik ist ein entsprechender Etat nicht vorgesehen. Zur Zeit laufen Verhandlungen, wie sie sich auch zwischen DFB und Sportschau zyklisch wiederholen. Der Ausgang ist zwar noch ungewiß, aber eines scheint sicher: Video-Clips werden nicht aus dem Fernsehen verschwinden.

Die Verkabelung der Republik ist abzusehen. Die Modellversuche in München und Ludwigshafen mit zwölf bis zwanzig Kabel-Kanälen schließen zwei bis drei Kanäle ein, die sich ausschließlich der Pop-Musik und damit zum entscheidenden Teil der Videokultur widmen werden. In den USA zeigt der Kabelkanal MTV seit Jahren 24 Stunden Videoclips. Ebensolange gibt es dort entsprechende Vereinbarungen zwischen Industrie und Sender über die Gebühren.

MTV, eine Gründung von Warner Brothers und American Express, kann gleichwohl ein Licht werfen auf die bundesrepublikanische Pop-Video-Zukunft. MTV orientiert sich am breiten amerikanischen Mainstream-Rock-Geschmack und hält zum Beispiel schwarze Musik fast ganz aus seinem Programm heraus. MTV hat nichts zu tun mit der ästhetischen Revolte, die die Videokultur für die britische Pop-Musik bedeutete, sondern trägt eher zur Konsolidierung jener trägen, toten Mega-Star-Rock-Kultur bei, die wir aus den 70er kennen. MTV hat zwar dem Medium Video zu einem kaum erahnten Durchbruch auf dem Musikmarkt verholfen, aber nicht in dem Sinne einer Innovation, sondern als massenweise verbreitetes Surrogat des Konzert-Erlebnisses. Konzert-Veranstalter in aller Welt führen ihre Krise denn auch auf die Video-Kultur zurück.

So zeichnet sich eine Entwicklung ab, die das Video zur Plattform des etablierten Rock machen könnte. Das Konzert, vielleicht im Moment eine sterbende Präsentationsform, könnte im Verlauf dieser Entwicklung wieder das werden, was es in Pub-Rock- und frühen Punk-Tagen war: Ort der Auflehnung. Die Ideologie des „Live-Erlebnisses“, bislang Bestandteil reaktionärer Schweiß- und Verfestigungs-Gedanken, würde 1984/85 als Versammlungsstätte der nächsten Punk-Bewegung, die dann sicher ganz anders heißen wird, fungieren.

Aber die Geschichte wird kaum das altbekannte Konflikt-Szenario wiederholen, im Sinne von: hier die superteuren Videos als Pendant zu den Technoflash-Gruppen der Siebziger, dort die Renaissance einer Club- und Pub-Kultur als Erhebung aggressiver Ehrlichkeit und Direktheit. Wahrscheinlicher ist eine Anti-Bewegung, die sich desselben Mediums bedient, aber eine andere Distribution als das Fernsehen wählt.

Von Anfang an gab es eine starke Video-Sensibilität auch in der Charts-abgewandten Hälfte der Pop-Kultur. Die Clips von Devo waren in ihrer Exzentrizität ein Untergrund-Phänomen, das sich erst im Nachhinein als kommerziell einsatzfähig und stilbildend erwies. Die guten Videos der Jahre 1980 bis 82 tragen alle diesen Zug: Das Poppige am Pop übertreiben, Ideen reinbuttern, bis das Gehirn käst. Sie verweigern den reinen Werbe-Nutzwert. In Englands New-Wave-Untergrund gab es vor allem rund um das Factory-Label starke Video-Aktivitäten (die Streifen mit Durruti Column, Cabaret Voltaire und A Certain Ratio waren seinerzeit im seligen „Versuchsfeld“ zu sehen) und in den Kreisen von Throbbing Gristle. Die Distribution lief allerdings so schleppend wie am Anfang die der reinen Pop-Videos in Deutschland. Discos und Konzerte waren die einzigen Orte, wo die Filme gezeigt werden konnten.

Für die Bundesrepublik ist der Video-Untergrund unter Umständen noch wichtiger, als er es in England je sein konnte. Der extrem gute Geschmack der Briten und ihre in der Welt beispiellose Offenheit für Pop-Innovationen sorgen dafür, daß kein wichtiges Untergrund-Phänomen der Öffentlichkeit verborgen bleibt. Anders in Deutschland: Die deutschen Plattenfirmen haben für deutsche Künstler fast keinen Video-Etat. Bis vor kurzem gab es im Fernsehen keine Einsatzmöglichkeiten für Video-Clips. Auch durch die Existenz der drei Videosendungen hat sich nichts Wesentliches geändert. „Pop Stop“ und „Pop-Show“ sind bald dazu übergegangen, nur ausländische Clips zu zeigen, da deutsche Künstler durch Sendungen wie die „ZDF Hitparade“ ausreichend im TV repräsentiert seien. „Formel Eins“ zeigt zwar deutsche Videos, produziert deutsche Gruppen aber auch im Studio, was den Firmen die Produktionskosten spart. So werden nur den Künstlern Videos finanziert, von denen man sich einen Erfolg im Ausland verspricht: Trio, Andreas Dorau, Ideal, Spliff und Palais Schaumburg. Doch schon vorher hatten Independent-Gruppen wie seinerzeit Abwärts und inzwischen Hans-a-plast (allerdings sehr öde) in Eigenregie und mit bescheidenen Mitteln versucht, dieses Medium zu nutzen. Die Vernetzung des Musik-Untergrunds mit entsprechenden Kreisen in der bildenden Kunst legt aber noch andere Vorgehensweisen und Organisationsformen nahe. Das Video-Magazin „Infermental“ zum Beispiel vereinigt in seiner zweiten, sechsstündigen Edition interessante Promotion-Videos mit Experimenten von Gruppen wie Die Tödliche Doris, La Loora oder M. Raskin Stichting Ens. Ohne alternative Scheu vor dem potentiell Kommerziellen, aber auch ohne die Spießigkeit der Musikindustrie führt dieses Magazin vor, was zwischen bildender Kunst und Pop-Musik, zwischen Wissenschaft und Slapstick im Untergrund an Energien verfügbar ist, um bei der spätestens in zwei Jahren nötigen Revolte eingesetzt zu werden. Hier trifft das Beste aus der Pop-Video-Szene mit Kräften aus der experimentellen Szene zusammen, um schon jetzt die Eisen für den Kampf gegen den kommenden, langweiligen Video-Mainstream zu schmieden.