Virtueller Maoismus: Das Wissen von 1984

Ein/der Text der achtziger Jahre und die Kunst von Büttner/Kippenberger/Oehlen

Wir haben ja nichts gewußt. Diesen Satz haben unsere älteren Brüder unseren Eltern so übel genommen, daß sie ihn nur als glatte Lüge und Schutzbehauptung verstehen wollten. Sicher zu Recht. Aber natürlich ist was Wahres dran, wenn einer sagt, er hätte (von allem) nichts gewußt. Denn es ist tatsächlich schwierig, heute zu wissen, was man einmal gewußt hat. Man muß nicht nur wissen, was man gewußt hat, sondern auch wissen, was man nicht gewußt hat. Und daran kann man sich nicht erinnern, das muß man rekonstruieren. Die Personen, die beim Durchschreiten einer kurzen Periode von Zeit unter anderem das Buch Wahrheit ist Arbeit als Spur liegen ließen, hatten während dieser Zeit Kontakte zu mir und anderen. Im Verhältnis zwischen meiner Rekonstruktion von dem, was ich damals wußte, und dem, was ich glaube, daß die anderen gewußt haben, zu diesem Buch, das mehr als andere Bücher, die die Beteiligten gemacht haben, des öfteren als „Klassiker“ oder „Manifest“ gelobt wurde, läßt sich möglicherweise rekonstruieren, wie sich Wahrheit ist Arbeit „von innen angefühlt hat“1 um ein methodisches Postulat aus dem Buch selbst aufzugreifen.

Die Phase von 19772 bis 1984 (’82) ist gekennzeichnet durch eine besondere strategische Lage in der Kulturarbeit: Der Feind steht links, man selber steht noch weiter links. Die schlechte Informationslage, die damals noch die Regel war, möglicherweise aber auch ein wohl überlegtes und berechtigtes eigenes Interesse3, verhinderten, daß man (wir) dafür andere historische Beipiele zur Kenntnis nahm(en).4

Das Modell für die Anordnung der semantischen Truppen im Felde war die K-Gruppe.5 Der Vorläufer (und damit das Modell wiederum) der K-Gruppe konnte alles mögliche sein, in Albert Oehlens Biographie war es ein UFO-Club.6 Die kulturelle K-Gruppe konnte erst anfangen zu arbeiten, nachdem die politischen K-Gruppen verschwunden waren.7 Punk-Rock schien hingegen etwas Ähnliches zu sein und zu wollen. Die genaue Überprüfung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten wurde zwangsläufig in der im Laufe des Jahres ’79 von einem Nachbarschaftstreffpunkt der Karolinenviertel-Boheme zu einer Punkkneipe umgewandelten „Marktstube“8 vorgenommen; denn es war Ehrensache, da hinzugehen (A. Oehlen wohnte um die Ecke), wo die Selbstbestimmung als Bohemien sich glücklich mit dem alten moralischen Imperativ überschnitt, vor Fabriktoren Flugblätter zu verteilen. Das Anderssein der Punk-Rocker, die sich nach und nach von dünnen nihilistischen Oberschülern in dicke anarchistische oder rechtsradikale Hooligans verwandelten, konnte die alten Kommunikationsprobleme mit der Arbeiterklasse hervorragend aufheben: Der versöhnende Unterschied zur Agitation vor dem Fabriktor war der von Frühaufstehenmüssen zu Langeaufbleibendürfen. An diesem Ort lernte ich die Künstler kennen, die mir zum ersten Mal zeigten, daß Bildende Künstler ähnliche Interessen haben konnten wie ich.

In der Zeit zwischen ’82 (Ende der Marktstuben-Phase) und ’84 (Entstehung des Buches Wahrheit ist Arbeit) kamen einige neue Probleme hinzu, die damit zu tun hatten, daß die drei Künstler nun irreversibel Künstler geworden waren: das Museum, die Wohnung, die Frau (Familie), die Autobiographie (Mutter) und die Definition einer neuen strategischen Situation, nun, wo der Einflußraum größer geworden war. Glücklicherweise konnte man zu dem Zeitpunkt, als diese Probleme sehr neu waren, sie schon benennen, ohne schon über das Rüstzeug zu verfügen, sie zu lösen. Man wußte, daß Arbeit immer perspektivisch ist; das Ziel „Feste Arbeit, feste Freundin, fester Wohnsitz“9 konnten Büttner und Oehlen schon vor ihrer Übersiedlung nach Hamburg ’77 als strategisches Ziel benennen: Es verwirklicht zu haben, war die operative Notwendigkeit der Künstlergruppe.10 Einer Künstlergruppe, die sich nie einen Namen gab, aus wechselnden Kooperationen von vor allem verschiedenen Duos (Büttner & Oehlen, Oehlen & Kippenberger, Büttner & Kiecol, Herold & Oehlen etc.) bestand und erst einen (sehr ungenauen) Namen von außen bekam, als die Anzahl der Kollaborationen drastisch sank und sich statt dessen eine Galeriebeziehung etablierte („Hetzler-Gruppe“).11 Man ging schon nicht mehr in die „Marktstube“, sondern ins „ Alles wird gut“, als mehrere betrunkene Künstler einen anderen betrunkenen Mann mit folgenden Worten der staunenden Öffentlichkeit als „unseren Galeristen“ vorstellen konnten: „Er ist zwar Stones-Fan, aber sonst ganz in Ordnung.“

Wenn man versucht, das Schreiben der Beteiligten von Wahrheit ist Arbeit zu analysieren, hat man heute den Vorteil, durch die Kenntnis einzeln geschriebener Texte der drei Autoren ihre jeweiligen Anteile leicht ermitteln zu können. Das wäre aber unsinnig; denn entscheidender ist, daß die kollektive und additive Wirkung der Zusammenarbeit die Originalität der Einzelstile dominiert. Wer je mit anderen zusammen geschrieben hat, weiß, wie man die damit verbundenen Schwierigkeiten überwinden kann, indem man, wie eine Band, sich zu scheinbar unsinnigen Regeln und Absprachen zwingt, deren eigene funktionale Schönheit genau dann nicht mehr hält, wenn Einzelne sie als humoristisches Erkennungszeichen ohne organisatorisch-funktionale Not zu reproduzieren versuchen.12 Der Humor lag in der Entschiedenheit, mit der eine Konklusion der nächsten folgte, Folgerichtigkeit und Notwendigkeit behauptet wurden und sich auch dann nicht auflösten, wenn das in der Rhetorik des zu Laien sprechenden Wissenschaftlers Behauptete in eine Absurdität umklappte, die sich gegen die Verflüchtigung in der Pointe sperrte: Der nächste Satz erklärte dann die Absurdität zu nur einem neuen Namen für ein im nächsten Zusammenhang folgerichtiges Element. Die Absurdität war eine Entdeckung, die im Rahmen eines Experiments gemacht wurde. Ein neuer Name war nötig geworden: „Freche Antworten sind gemein, wir haben ein Recht, sie wegzuwünschen. Ironie und Satire und freche Antworten sind verwandte innere Haltungen, Produkte der schwarzen Galle.“13 So weit die Voraussetzungen. Die kleine, geduldete Freiheit der Frechheit und der Stolz auf sie werden in Verbindung zur ausweichenden, selbstgenügsamen, geduldeten Redeweise von Ironie und Satire gebracht. Ihr Gemeinsames aber sei die „schwarze Galle“, ein absurder, aber einleuchtender Ausdruck, der sich sofort als Fachausdruck einführt, obwohl er poetisches Gepäck dabei hat. Er bezeichnet eine eben erst entdeckte Qualität von falschem Bewußtsein, das sich für richtiges hält (frecherweise): „Freche Antworten wollen Fragen verhindern. Freche Fragen sind wie freche Antworten, sie sind wie zwölf unvorstellbare Jahre des Leidens.“14 Hier ersetzt die Litanei die Argumentation. Einerseits erweitert sie den Charakter der poetischen Absurdität, die einen Fachausdruck bildet, indem sie eine Fachsprache möglich macht, zum anderen steht sie für die Gegnerschaft zum Kommunikationsoptimismus der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie: Diese wird aber von links kritisiert – ohne allerdings einen spezifischen linken Ort der Argumentation einzunehmen. Der virtuelle linke Punkt wird durch die Verteidigung der „Überzeugung“ konstruiert, die sich sowohl gegen den – Machtverhältnisse verschleiernden – Kommunikationsoptimismus der pluralistischen Öffentlichkeit richtet wie gegen rechte Religiosität, die abstreitet, daß sie eine konstruierte Realität ist: „Die Beseitigung frecher Fragen ist ebenso ein Akt künstlerischen Rausches wie die künstlerische Beseitigung von Müll in Museum und Wohnung. Wir sind gewiß, daß weder Tod noch Leben, noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes – und wir ergänzen: auch kein Krebs –, uns scheiden kann, von unserer Liebe zu Museum und Wohnung.“15 Die Ersetzung des seinerzeit noch relativ unangetasteten Fetischs Argumentation durch den Feind der Kommunikation, die „hohltönende Phrase“, die ihrerseits durch „heillose“ Mischung der Referenzen nur umschmeichelt, aber nicht übernommen wird, nahm noch keinen Kontakt zur neo-konservativen Vernunftkritik auf, die sich in der zweiten Hälfte der Achtziger in der BRD etablieren sollte (und sich dann tatsächlich in ihrer eigenen Phraseologie verfing). Eine andere Rhetorik, die nicht argumentiert, der man dennoch folgen kann wie einem in ein neues Fachgebiet einführenden Text wird etabliert und durchgehalten. Je mehr sie durchgehalten wird, desto weniger auffällig wird sie. Nach einer Weile klappt die Leseraufmerksamkeit tatsächlich um: Nicht mehr Parodie von oder Anschmiegen an Rhetoriken interessieren den Leser, sondern das, wovon die Rede ist.

Der Eindruck, daß bestimmte Themenkreise (durch bestimmte wiederholte „poetische“ Schlüsselbegriffe und -abkürzungen wie „Gehortete Idioten“, „Wahrheit“, „Wirklichkeit“,„ZPK“ etc. gekennzeichnet) dann doch höhere Positionen in einer Argumentationshierarchie einnehmen, wird dadurch erhärtet, daß erstens Personen, die für diese Zusammenhänge stehen, abgebildet werden, zweitens Künstler mit Werken präsent sind, die als Illustrationen zu „Wahrheit“ oder „Gehortete Idioten“ verstanden werden können, und drittens Autoren als Fußnoten gestaltete Texte beitragen, was nahelegt, daß sie etwas besonders Wichtiges und Erklärungsbedürftiges erläutern: Nicola Reidenbach über Nudeln, Rainald Goetz zur Notwendigkeit, die Hose runter zu lassen, Thomas Leppin über Eric Dolphy, Karl R. Popper mit zwei Ausschnitten aus der Logik der Forschung, Albert Oehlen mit einer autobiographischen Bemerkung, Werner Büttner mit zwei in Sounds bzw. Szene Hamburg schon veröffentlichten Texten und ich selbst über die „Frau im Kapitalismus“.16 Zu den Künstlern gehören Peter Weibel und Timm Ulrichs, Marcus Oehlen, Rosemarie Trockel, Günther Förg, Hubert Kiecol und Georg Herold; zu den abgebildeten Personen Brian De Palma, Andreas Dorau und die Mütter der drei Künstler.17 Im laufenden Text finden unter anderem der damalige Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, die damalige Kultursenatorin Helga Schuchardt, Karl von Frisch, Konrad Lorenz, Goethe und Asger Jorn Erwähnung, sowie diverse Verwandte.

Die Verbindung zwischen Namen, Bildern, „Fußnoten“ und „Argumentation“ des Haupttextes ist unterschiedlich dicht. In manchen Fällen wird die Rhetorik illustriert (etwa bei der Weibel-Abbildung, die in gleichem Maße als Denunziation Weibels, Beifall für seine Kunst, genereller Beifall für Drastik gelesen werden kann), in den meisten Fällen aber stehen Namen, Bilder und „ Fußnoten“ für die Verstärkung der Semantik: Wo Ideen, Referenzen auf Organisationen und Behauptungen wegen ihrer Auflösbarkeit und Anschließbarkeit an das Kommunikationsuniversum“18 nicht in Frage kamen, übernahmen Namen als die ohnehin eindeutigsten Worte die Funktion der inhaltlichen Fundierung und Festlegung. Das hatte seine Entsprechung in den Sitten und Gebräuchen im richtigen Leben. Ganze Abende wurden damals mit dem gegenseitigen Zurufen von Namen verbracht: Wer ist besser, Elfriede Jelinek oder Marlon Brando, George A. Romero oder Jean-Jacques Burnel, Sempé oder der Pyrolator, Käpt’n Nuß oder Roy Lichtenstein, Bazon Brock oder Chris Howland, Louis de Funès oder Diego Cortez, James Chance oder Lee Remick, Charles Mingus oder Robert Crumb, Gaye Advert oder Désirée Nosbusch, Gerhard Merz oder Kathy Acker? Wer diesem Spiel zuzuhören gezwungen war, war oft erstaunt über die „Oberflächlichkeit“, mit der zwei erwachsene Menschen … Es diente der Verständigung im selben Sinne wie Jive: Man ahnte ja jede – nicht ausgesprochene – Begründung seines Gegenübers, wenn nicht, fragte man nach. Die Erklärung ging als neue Bedeutung in den Wortschatz ein. Nach und nach entstand eine Sprache, die wir beide (und ein paar andere) verstehen, er da hinten nicht. In diesem Sinne kann man zum Beispiel die Abbildung von Brian De Palma lesen. Man muß nur verstehen, was „Brian De Palma“ heißt. Günstigerweise besteht der größte Teil der Bedeutung aus öffentlich zugänglichen Fakten, den anderen kleineren Teil kann man fast erschließen. Vorausgesetzt, man ist gewohnt, Jive zu verstehen.

Wenn man aber eine allgemeinverständliche19 Interpretation des Textes und seiner Illustration liefern wollte, würde es zunächst genügen, zu untersuchen, was die meisten und prägnantesten der Schlüsselbegriffe und zugehörigen Eigennamen 1984 bedeutet haben. In einem zweiten Schritt wäre es dann erforderlich, die Frage zu stellen, inwieweit der Stil (gerade als kollektiver Stil), den wir alle damals speziell bei diesem Text besonders bewunderten und für die genaueste Umsetzung unseres Denkens anerkannten, das Wissen von 1984 darstellt und, wenn ja, uns ermöglicht, die Frage zu stellen, was das denn heißen soll: wer wußte, und wußten alle, die wußten, alles, also hatten alle an einem ganzen Stück Wissen, das dann bei den Individuen nur noch ein bißchen individuell ausfranste, im gleichen Maße Anteil? Und bis in welche Bereiche reichte dieses Wissen?

(Zwischen dem Hinschreiben zweier Sätze stand ich auf und ging in meiner Wohnung auf und ab und an den Kunstbüchern vorbei, griff wahllos nach einem Katalog, erwischte den Katalog von Pinot-Gallizio20, stellte ihn wieder zurück und dachte den Satz: „Pinot-Gallizio war der Franz West der Situationisten“ und merkte dann plötzlich, daß dieser Satz unmittelbar ein Ergebnis des Wissens von 1984 war. Ohne das Wissen von 1984 – d. h. von ’79 bis ’84 – hätte ich das nicht sagen und denken können.)

1984 gab es noch nicht: die Lindenstraße – der sozialdemokratische Intimitätsterror war noch zu real, um die Gestalt seiner eigenen Poesie finden zu können. Public Enemy – postmoderne, „zitierende“ Schwarze Musik hatte noch nicht – gerade in der Sekundarität – ihren Zugang zur „Realpolitik“ finden können. Death Metal – die proletarische Version von Lacan schlummerte noch in der Hingabe an Fantasy-Phantasien mit Rittern und Schwertern und Frank-Fazetta-Ästhetik. Die Mode von Systemtheorie und Naturwissenschaft-als-Geisteswissenschaft: Der Geist war noch fest in den Händen französischer Totengräber der Geisteswissenschaft.21 Roxette – der ostentative Genuß der eigenen Entfremdung als Authentizität zweiter Ordnung war noch ein elitäres Phänomen.22 Clarence-Thomas-Debatten – die alten Rassismus- und Sexismus-Debatten waren das unbestrittene Terrain guter Menschen alter Schule – die Re-Politisierung der Postmodernen durch genau diese Themen – als amerikanischer Import – unvorstellbar (kindisch stolz auf etwas, das damals noch nicht „politische Unkorrektheit“ heißen konnte, demonstrierte man, daß man nichts auf die Verbesserung der Welt durch die Verbesserung von Namen gab, in dem man stets den denkbar unkorrektesten verwendete23). Keine Syberberg-Debatte – wenn irgend jemand von Deutschland träumte, konnte einem das ziemlich egal sein, weil es das ja nun zum Glück nicht mehr gab, IBM regierte die Welt, Immendorff ein virtuelles Deutschland. Keinen Historiker-Streit – denn „Death to all who dare rewrite what has been written“.24 Keine Zeitgeistzeitschriften – denn sie sind ja logischerweise das Ende des Wissens einer Zeit: Sie begannen 1985 mit dem Umschreiben dessen, was gewesen war, in Bilder davon, wie es nie sein würde, und überwanden die Weigerung, sich an den sozialdemokratischen Kommunikationsterror anzukoppeln, indem sie das vor diesem Geschützte an den Warenzirkulationsterror ankoppelten. Kein Pro7, kein Kabelkanal, kein MTV Europe – die Musik in den Kneipen machte einen Unterschied, die Kneipiers tauschten Tapes gegen Deckel, und man konnte noch nicht zappen: Es sprachen noch sozialdemokratische große Brüder. Es gab Wolkenkratzer, Electric Boogie und die Eurythmics statt Texte zur Kunst, Sampling und Techno.

Konstant geblieben sind dagegen der Kulturpessimismus, der Glaube, Sprachkritik sei Gesinnungskritik (schlechtes Deutsch verweise auf schlechte Gesinnung25), die „documenta“ (und die Gratis-Feindschaft, die ihr jeder schenkt) und die Anbetung formaler Brillanz der Rede als besonders leerer und besonders stumpfsinniger Widerstand gegen die allgemeine Medienlage (ihre Ideologen pflegten um 1984 zu sagen, „Strauß ist zwar ein Reaktionär, aber unheimlich intelligent“, heute stellen sie die Fans von Marcel Reich-Ranicki und dem Literarischen Quartett).

Klaus von Dohnanyi und Eric Dolphy hätten während der siebziger Jahre nicht zum Gegenstand eines Textes werden können. Daß ein Politiker etwas ist, das eines Namens würdig ist, der ihn von anderen Gegenständen unterscheidet, also nicht nur in seiner Funktion aufgeht, wäre für diejenigen nie von Interesse gewesen, die Eric Dolphy bewundert hätten; also denjenigen unter den Jazz-Innovatoren der frühen Sechziger, dessen Beitrag weniger offensichtlich innovatorisch und geschichtsbuchträchtig war als Ornette Colemans, Cecil Taylors oder John Coltranes; den zu kennen und schätzen und als besonders entscheidend herauszustellen zu einer bestimmten Zeit in der Jazzliteratur die Bedeutung hatte, wie die Walter-Benjamin-Verehrung in den siebziger Jahren, nachdem man von Adorno/Horkheimer (Coltrane/Coleman) genug hatte (heute ist der früh verstorbene Dolphy ebenso klassisch wie der früh verstorbene Benjamin). Wer von Dolphy sprach, konnte nicht von Dohnanyi reden: Der Politiker war im höchsten Maße namenlos, ein kleiner Verwalter seiner kleinen Ecke der verwalteten Welt. Unsere Lieblingslektüre war aber der neu eingeführte „Fragebogen, den Marcel Proust in seinem Leben gleich zweimal ausfüllen mußte“, im FAZ-Magazin. Die Tatsache, daß Feinde wie Margarethe von Trotta ihn als oberflächlich ablehnten, bestätigte uns in seiner Einschätzung als „bester geistiger Warentest“. Hier erwarb einer das Recht, mit seinem Namen für einen Zusammenhang zu stehen: Eine Fülle von Disqualifizierungsmöglichkeiten verschönerte die Freitage. Dohnanyi hatte als Lieblingslyriker „ Gottfried Benn“ – das war vor Gerhard Merz – und als Lieblingsschriftsteller „Robert Musil“ geschrieben; das war circa 1980 noch eine interessante Geste für einen Sozialdemokraten; die Selbststilisierung als Neo-Lasalle eine Proto-Toskana-Fraktion-Geste, die zwar später mit Ulla Hahn statt duellwürdiger Gräfin bestraft wurde, aber damals wert war, einen denkwürdigen Abend im „Hofrestaurant“ als Vorwand, Witze zu erzählen, mit dem denkbar zeitgenössischsten Personal zu bevölkern.26 Daß man Politikaster namhaft machen sollte und so mit ihnen besser verfahren könnte, war ein damals gerade erst aufkommender Gedanke, der auch Zeitschriften wie titanic beflügelte. Das Ausmachen „peinlicher Persönlichkeiten“ eine typische Idee jener Zeit. Später wurde klar, daß mit diesem Konzept völlig eigenschaftslosen Amtsträgern nur die unverdiente Ehre der doch durchaus sympathischen Eigenschaft der Fehlbarkeit zuteil wurde.27 Von der wir gleich hören werden. Namennennen statt Argumentieren, Behaupten statt Empfinden/Einfühlen kann man aber als Praktiken herausstellen, die sich weit über den hier beschriebenen Kreis hinaus durchsetzten.

Sir Karl Popper führt in Wahrheit ist Arbeit28 die Falsifizierbarkeit als Kriterium, aber nicht der Forschung, sondern der Kunst ein: ein entscheidender Punkt. Denn die Möglichkeit des Fehlers, die in der Mystik der wahren Empfindung und deren wilden Ausdruck bei den zeitgenössischen Malerkollegen nicht vorgesehen war, galt es als die wesentliche Chance menschlicher Beschäftigungen zu betonen. Thelonious Monk sagt: „If you make a mistake, play it loud. Then play it again. That way people will think you did it on purpose.“29 Die Umgebung zu schaffen, die es möglich macht, von Fehlern zu sprechen, um diese dann als richtig auszugeben, um die Möglichkeit neuer Fehler zweiter Ordnung zu schaffen, wäre tatsächlich eine Aufgabe der Zeit gewesen: gegen die beiden Positionen, Fehler nur als gedankliche Fehler a priori sich vorstellen zu können (Konzept etc.) oder als Spezifika des Individuellen (individuelle Mythologien, wilde Malerei) wegzurelativieren und so überhaupt auszuschließen. „Erkennen kommt“ aber, wie Niklas Luhmann ganz richtig sagt, „nur aufgrund der Möglichkeit des Sich-Irrens zustande. Das Leben, und selbst das Gehirn, kann sich aber nicht irren.“30 Es war also unbedingt wichtig, das Gehirn wie das Leben aus einer Kunst, die den Anspruch hatte, die „Wahrheit“, die sie finden, zeigen, sein wollte, als „Arbeit“ zu beschreiben, auszuschließen. Nun handelt der Text aber zu einem großen Teil davon, wie Leben, allerdings im Sinne von Autobiographie, in einer ähnlichen Weise Arbeit ist und Fehler macht. Während es das tut, will es nichts von der „Wahrheitsscheiße“ wissen, mit der es „in Hamburg“ „zugeschissen“ wird.31 An dieser kritischen Stelle beherzigen die Künstler erneut einen Rat, den ihnen sechs Jahre später wieder Niklas Luhmann geben wird: „Ferner erfordert die funktionale Spezifikation auf Zugewinn von Erkenntnissen methodische Vorkehrungen gegen das Interferieren von Handlungen und Interessen.“ Deswegen war es so wichtig, die Probleme mit fester Arbeit, Frau und Wohnung schnell zu klären, um der Wahrheit anders als nur einem unkontrollierbaren, noch dazu unangenehmen Naturereignis gegenüberstehen zu müssen, denn andernfalls geht es in „ Angelegenheiten, bei denen es um Wahrheit gehen soll (…) nur noch um Erleben“. „Dies (das Verhindern des Interferierens von Handlung und Interesse – Anm. d. Verf) ist deshalb so nötig, weil nur so (und nicht einfach mit einem: ich wünsche es, ich will es) der Neuheitsschock (Wahrheit als Scheiße von oben – Anm. d. Verf) überwunden werden kann. Die Wissenschaft sucht und produziert das Neue und Überraschende ja nicht um seiner selbst willen, sondern um es zu unterdrücken und in Erwartbares zu transformieren. Mit dem Symbol Wahrheit wird kommuniziert, daß dies gelungen ist. Man präsentiert Überraschungen mit dem Zusatzsymbol: für alle gültig. Die Entdeckung wird sogleich auf die Welt zugerechnet. Das erfordert eine entsprechende Stilisierung der persönlichen Beteiligung, der Inklusion des Forschers. Er wird nicht als Hersteller gefeiert, sondern als Entdecker und Erfinder. Das Genie macht sich (übrigens auch im Bereich von Literatur und schöner Kunst) gerade an der Kombination von Neuheit und Akzeptierenmüssen kenntlich – so als ob gerade diese Kombination so selten, so schwierig ist, daß der Zugang zu ihr besonders rühmenswerte „geniale“ Qualitäten ausweist, denen ein Moment der Irrationalität anhaftet, solange die Rationalität gerade dieser Form von Inklusion und Arbeit noch nicht begriffen ist.“32

Nicht das Experiment aber ist Wahrheit, sondern Arbeit: also alltägliche Experimente, also Leben. Aber nicht Leben im biologischen Sinne, sondern im gesellschaftlichen. Was aber passiert mit diesem anderen Teil, der nicht irren kann? Nun, ihm wird das Symbol Konrad Lorenz zugewiesen. Der „Professor“ gibt gegen Ende der Erzählung den drei Künstlern ein „Privatissimum“ über Gestaltwahrnehmung. Er erklärt den drei staunenden Künstlern, was der nichthintergehbare und „objektive“ Anteil ihres Handwerkzeug ist. Sicher hätte ihnen das auch ein anderer erklären können. Sein Name fällt aber neben Gründen der Huldigung an seine Prosa, wie man annehmen kann, vor allem wegen der Möglichkeit, durch eine so abseitige, unmoderne und abstruse Referenz etwas Uncodiertes, Unbeladenes, für nichts anderes Stehendes und durch keinerlei Diskussionen Relativiertes lesen zu können und für sich zu nutzen. Das Symbol Konrad Lorenz, das im Prinzip so eingesetzt wird33 wie die anderen Namen, die dann an beliebigen Stellen mit einem Sternchen an eine Fußnote gekoppelt werden, erhält seine erklärende Fußnote im Text. Die politische Unkorrektheit Lorenz’, die einige Jahre früher noch mal in der Diskussion gewesen war, war ja auch vergessen: Dennoch war ihn wieder zu entdecken natürlich noch kein Fall von Nostalgie oder Neo-Konservatismus, sondern eher Vorläufer etwa für Albert Oehlens spätere Beschäftigung mit dem Symbol Hitler.34

Das Motto „Wissen erweitern durch Scheitern“35 muß aber noch kurz beschäftigen. Luhmann spricht davon, daß man „in der Kunst (in der Lage sein will), Neuheit und Fehler zu unterscheiden. Ohne diese Unterscheidungen zu machen, kann man Neuheit nicht positiv werten.“36 Nun soll hier aber der Fehler positiv gewertet werden (und die Neuheit des Avantgarde-Paradigmas negativ: Seine Vertreter sind ja diejenigen, die in den frühen Achtzigern „Alles schon mal dagewesen“ schreien). Nicht nur weil er das Wissen erweitert, denn das hieße ja nur Neuheiten als Negativ des Fehlers zu produzieren, sondern, weil er in der als fatal oder paradox wahrgenommenen Kommunikationssituation das einzige fixierbare Resultat der (ursprünglich prozessualen) Wahrheit darstellt, das der Künstler nach außen geben darf. Die in ihm wahrnehmbare Differenz zwischen dem unter den gegebenen Verhältnissen Sagbaren und der von ihm angedeuteten Absichten mache sozusagen seine Schönheit aus.37 Später werden Rainald Goetz und Albert Oehlen davon sprechen, daß „man nicht immer schöner scheitern wollen kann“. Damit wird dann ein Scheitern zweiter Ordnung, ein Scheitern am Scheitern beschrieben, das wieder ästhetische Novitäten hervorgebracht hat, die sich aber verstellen müssen, weil sie ja als gescheitertes Scheitern mehr sein müssen als doppelte Negation (wenn das Prozessuale, die Arbeit, weiterhin Wahrheit sein soll). Ein Bild, das dann ästhetische Novitäten zeigt, ohne zu zeigen, daß sie zunächst nicht zu haben sind, kann man dann aber wieder mißlungen nennen. Mit diesen Mißlungenheiten ist dann nichts mehr anzufangen, und die in diesem Sinne gelungenen Bilder sind dann wieder auf der Seite „Neuheit“ der Unterscheidung „Neuheit/Fehler.“38

Andreas Dorau und Brian De Palma stellen auch ein Paar dar, wie Monk und Luhmann in diesem Text oder Dolphy und Dohnanyi in jenem (ohne daß diese Paare sich begegnen in den jeweiligen Texten). Das Nennen dieser Namen indiziert einerseits – wie gesagt – einen Ekel vor allen, damals vor allem den subkulturellen Alltag prägenden Vorstellungen von Unsagbarkeit, und es war nötig, den auszudrücken, weil man ja auf einer höheren Ebene mit Unsagbarkeiten arbeitete. Zum anderen werden sie aber nicht nur als Namen, sondern auch spezifisch eingesetzt: Dohnanyi und Dolphy markieren eher negative Horizonte (in diesem Falle die Hofgesellschaft und den zurückgezogenen intellektuellen Genuß an seinem eigenen, kleinen, folgenlosen, sauberen Kulturgut, dem sein Rezeptionsstil jede Brisanz nimmt39). Dorau und De Palma stehen für Verwandtschaft mit den drei Autoren im künstlerischen Vorgehen. Beide Namen sind ziemlich gelungene Formulierungen für ein ziemlich kompliziertes Selbstverständnis als Künstler. De Palma steht für den mit dem Satz „Mehr ist mehr“ nur ungenügend angedeuteten Grundsatz, daß eine richtige künstlerische Aussage nicht falscher wird, wenn sie von allerlei tanzenden und lärmenden Hintergründen umgeben wird: im Gegenteil, sie gibt sich als verbunden mit einer Umgebung zu erkennen, die sie sowohl möglich wie wahr macht. De Palma bildet – für die drei vorbildlich – nie einen Vater-Sohn-Konflikt ab, ohne nicht im Hintergrund ein CIA-Landemanöver an einem vollen Badestrand abgehen zu lassen. Keine Strandszene ohne sich überlagernde Radio- und paranoide Stimmen. Die Tiefe seiner Bilder ist nicht nur eine visuelle, perspektivische Tiefe, sondern eine Bedeutungstiefe. Oft schwärmen Betrachter von Oehlens Bildern von Raumeindrücken und meinen in Wirklichkeit eine Bedeutungstiefe, semantische Perspektive. Andreas Dorau steht für den mit dem Satz „Frechheit siegt“ nur ungenügend angedeuteten Grundsatz, daß beherzte Inkompetenz eine viel höhere technische Fähigkeit darstellt als eine bestimmte Kompetenz; denn der so Operierende muß ja an viel mehr Fronten gleichzeitig seine Lehren ziehen. Bei ihm entwickelt sich in der Zeit (der „Karriere“ etc.) das, was sich bei Brian De Palma im Raum entwickelt. Und was sich in der Kunst dieser drei Künstler im Referenzraum entwickeln soll: eine Komposition mit Vorder- und Hintergründen, Überlagerungen, die so wenig auf den Kunstgriff oder die Technik der Referenz, des Zitierens und Zitate-Verwischens reduzierbar sein soll, wie sich De Palmas Räume und Doraus kurzlebige Interventionen in der Pop-Kultur auf Architektur und postmodernen Karrierismus reduzieren lassen. Es geht vielmehr darum, mit seinen erkennbaren Mitteln durch ihren exzessiven Einsatz mehr zu machen, als ihren normalen Zweck zu erfüllen. Referenzen und Zitate verweisen einerseits auf Sekundarität und andererseits sichern sie ab, nennen den Namen der Quelldatei. Wenn die Dateinamen aber benutzt werden, um auf eine andere, nur bedingt öffentliche, versteckte Datei zu verweisen (die Besitzern eines Schlüssels aber durchaus zugänglich ist), verweisen sie auf diese geheime und die allgemein zugängliche gleichzeitig: Sie sichern und entsichern gleichzeitig (etwa Konrad Lorenz, der gleichzeitig für den weltberühmten Gänsevater steht, den ideologisch unsicheren Kantonisten, der ins antisozialdemokratische Paradigma paßt, und schließlich aber plötzlich als Wahrnehmungstheoretiker Dinge sagt, die die Künstler eins-zu-eins „ernst“ nehmen und auf sich beziehen). Wenn mit Referenzen herumgefuhrwerkt wird wie das in einer Vulgärkunstgeschichte die abstrakten Expressionisten mit Farbe getan haben sollen, überlagert die Sekundarität eine Behauptung von Primärität. Anders als Jive-Ausdrücke (wie „steiler Zahn“), die nur im Jive zu gebrauchen sind und nur geringen Zugewinn durch die Absurdität, die ihre Alltagsbedeutung beimengt, verzeichnen (die Alltagsbedeutung wird im Jive zunehmend weniger aktualisiert), bedeutet der Name Andreas Dorau neben dem vereinbarten Sinn auch noch eine lebende Person da draußen zwischen München, Düsseldorf, Tokio und Hamburg, der mit Roy Wood und Michael Nyman zusammengearbeitet und die Zeile „Das ist Demokratie / langweilig wird sie nie“ geschrieben hat.

Namen sind aber nicht nur einerseits präzise und andererseits überschüssige Bezeichnungen, darüber hinaus sind sie ziemlich einfache Zeichen. Damit erfüllen sie eine andere Bedingung der in Wahrheit ist Arbeit proklamierten Ästhetik: kurze und direkte Wege. Das Spiel mit den vollgestellten Referenzräumen läßt sich nur spielen (also kontrollieren), wenn die Zugänge übersichtlich angeordnet sind. Das, was theoretische Sätze prinzipiell zu verhindern scheinen, obwohl sie doch gerade durch Genauigkeit, Differenziertheit und Nachvollziehbarkeit universellen Klartext herstellen, nämlich die Möglichkeit zu einem unmittelbaren Zugang, wird ausgerechnet durch die hermetische Sprache des Jive erreicht, die ursprünglich nur Kommunikationsverweigerung kommunizieren sollte. Auch die Behauptungsrhetorik und der Logik-Jive sind Abschreckung und Einladung in einem. Das könnte man als eine Eigenschaft betrachten, die sie über die historische Berechtigung als antisozialdemokratische Ästhetik40 hinaus legitmieren. Und hierin kommt auch so etwas wie das Wissen einer Generation – The Class of ’84 – zum Ausdruck: gegen Kulturpessimismus auf die Arbeit mit der Gleichzeitigkeit des Gegensatzes von Massenkultur und Tribalismus zu setzen.

Es stellt sich aber darüber hinaus die Frage, wie sich eine ästhetische Praxis nach einem politischen Modell konstituieren konnte und dabei für sich beanspruchen konnte, auch den politischen Kampf und die politische Argumentation in sich aufgenommen zu haben. Wie man sozusagen Konrad Lorenz erfolgreich als linksradikalen Kritiker gegen Revisionisten und Sozialdemokraten einsetzen konnte. Paul Veyne nannte einmal die Semantik die idealistische Illusion schlechthin.41 Die Idee von Wahrheit ist Arbeit war, wie wir gesehen haben, die eines übervölkerten semantischen Raums, eines chaotischen Bedeutungstheaters, das immer dahin strebt, nur noch Namen zu nennen wie in einem jüdischen Witz, wo sich Witzeerzähler auf einer langen Bahnreise Witze erzählen, indem sie sich Nummern zurufen, die sie vorher den Witzen gegeben haben, die sie sich immer wieder erzählt haben. Unter diesem Druck bricht die Semantik zusammen. An ihre Stelle tritt dann, bei den einzelnen Künstlern auf unterschiedliche Weise: die Malerei. Sie konnte – nur durch diese Praxis – selber zu einer Sprache werden42, die alle anderen Effekte der Sprache aus eigener Kraft erzielen kann, und insbesondere den hier entscheidenden: voraussetzungslosen Zugang für jedermann und totale Hermetik zur gleichen Zeit.

  1. „‚Willst du etwas über einen Apfel erfahren, mußt du hineinbeißen‘, behauptete Mao-Tse Tung ganz richtig. Das bedeutet für den Pfadfinder: Geh in den Wald, beiße in einen Baum und Du wirst wissen, wer der härtere ist. Das bedeutet für uns: Mache die Probe, erkenne die Wahrheit am Duktus, laß dich von ihr vollscheißen, stelle fest, wie sie sich von innen anfühlt.“ – Werner Büttner, Albert Oehlen, Martin Kippenberger, Wahrheit ist Arbeit, Essen 1984, S. 31. ↩︎
  2. 1977 kehrte ich nach einem längeren Auslandsaufenthalt im Herbst nach Deutschland zurück, das sich in der Zwischenzeit in einen Polizeistaat verwandelt hatte. Hatte ich die Jahre 1975 bis 77, angewidert von den politischen Verhältnissen in der Hamburger Uni, einer gründlichen Depolitisierung, verbunden mit Benn-Lektüre und Entwicklung eines spätpubertären Elitismus, gewidmet, begann jetzt mit einem Schlag meine Repolitisierung. 1977 zogen Büttner und Oehlen von Berlin nach Hamburg, während Kippenberger drauf und dran war, Hamburg Richtung Berlin zu verlassen. 1977 erreichte die Punk-Bewegung Deutschland. Und es gibt noch weitere Gründe, in diesem Jahr die Periode beginnen zu lassen, die zu Wahrheit ist Arbeit führte. ↩︎
  3. In „Die Verbesserung der Jugend durch Rockmusik“ – in: Sounds 4/80 – sprechen sich Werner Büttner und Albert Oehlen gegen die Floskel „Alles schon mal dagewesen“ aus, sie sei „reaktionär“ und „blockiere das Leben selbst“. ↩︎
  4. Zum Beispiel Situationismus war allen Beteiligten weitgehend unbekannt, obwohl Roberto Ohrt in der gleichen Kneipe verkehrte. Erst 1986 begann die Beschäftigung mit den Schriften der S.I., obwohl mich Albert Oehlen im Jahre ’81 eigenhändig in eine Ausstellung der Gruppe SPUR geschleppt hatte und ich mich an eine Diskussion im „Vienna“ erinnere, bei der wir uns anläßlich eines Konzertes von BowWowWow, die damals von Malcolm McLaren, der ja für sich situationistische Wurzeln beanspruchte, gemanagt wurden, über Debords Gemälde/Slogan „Abschaffung der entfremdeten Arbeit“ unterhielten und inwieweit er von Malcolm McLarens Utopie von umherschweifenden arbeitslosen Jugendlichen mit Walkmännern aufgehoben sei. ↩︎
  5. „… so wurden in der Kunst Arbeiterfamilien gemalt nach einer vorgeschriebenen Technik. Und das erschien uns als eine Form von Einverständnis mit dem System, also von Sich-schon-geschlagen-Geben, die sich darin an Trostlosigkeit nicht mehr unterscheidet von den anderen Leuten, die da mit Pülverchen rumexperimentiert und gewischt und geschoben oder Sachen an die Wand gelehnt haben. Und dazu im Gegensatz erschien uns die maoistische, linksradikale Terminologie mit ihrer unerbittlichen Rechthaberei ein guter Kontrast zu sein, mit dem Vorteil, daß sie in ihren kritischen Analysen recht hatte. Wir hatten kein Gegenmodell zu bieten, aber ich glaube nach wie vor, daß es richtig ist zu kritisieren, auch wenn einem selber nichts Besseres einfällt. Man ist zwanzig Jahre alt, es brummen einem die Eier, und man haßt alle, die zehn Jahre älter sind. Und wenn die ohnehin nur Mist bauen, dann ist das doch eine gute Ausgangsbasis. Der Vorteil dieser revolutionären Schnöseligkeit ist, daß man sich über Vorhandenes hinwegsetzen kann, ohne einen sauberen Gegenentwurf abliefern zu müssen und ohne daß Parodien dabei rauskommen.“ Albert Oehlen, in: Wilfried W. Dickhoff/Martin Prinzhorn, Albert Oehlen, Köln 1991. Oehlen beschreibt hier eine Situation, die am Anfang der beschriebenen Periode liegt, aber für das Selbstverständnis des „virtuellen Maoismus“ entscheidend ist. Bis 1984 ist der Ansatz nicht nur verfeinert, sondern auch um andere Sprechpositionen erweitert worden: Wichtig ist aber, daß „Parodie“ nie angestrebt worden ist. ↩︎
  6. „1972 Umfunktionierung eines UFO-Clubs in die KJVD-Ortsgruppe Krefeld“ – Büttner, Kippenberger, Oehlen, op.cit., S. 154. ↩︎
  7. Sie störten dann nicht mehr dabei, eine gedachte K-Gruppe strategisch im kulturellen Feld unterzubringen, die von einem, spaßeshalber hier „virtuell“ genannten, linksradikalen Punkt aus reden konnte. ↩︎
  8. Der Wirt war übrigens eines der Vorbilder für die Figuren aus Hubert Fichtes Roman Die Palette. ↩︎
  9. „Auf der Fahrt nach Hamburg entwickelten wir drei Ideen (feste Arbeit, feste Freundin, fester Wohnsitz), deren Umsetzung wir sofort in Angriff nahmen“ – Büttner, Kippenberger, Oehlen, Wahrheit ist Arbeit, a.a.O., S. 14. ↩︎
  10. Die Gruppe, von der hier die Rede ist, hat sich nie selber als solche bezeichnet: Aus der Geschichte (vgl. Anm. 4) war aber diesmal klar, daß zu vermeiden wäre, daß die so oft an Gruppenbildung geknüpfte oder von Gruppenbildung vertuschte Lösung primärer postpubertärer oder adoleszenter Probleme auch diese Gruppe belasten. Die Probleme „Wohnung“, „Museum“, „Verhalten“ etc. wurden dann als Probleme derselben Art, aber höherer Ordnung eingeführt. ↩︎
  11. Meine Recherchen zur Problematik der Künstlergruppen haben ergeben, daß im Mittelpunkt der Konstitution von Künstlergruppen in der Modernen immer eine Opferung stand. An die Stelle der Opferung tritt in dieser Gruppe die Aufnahme einer Galerienbeziehung (die ja im gewissen Sinne auch etwas opfert). Diese Vorgehensweise wurde später – z. B. „Gruppe Nagel“ – häufiger imitiert, führte aber selten zu vergleichbar stabilen Beziehungen. Vgl.: Diedrich Diederichsen, „Legitimität und Illegalität“, in: Heaven Sent 7/92. ↩︎
  12. vgl. als weitere gelungene Beispiele etwa: Martin Kippenberger, Café Central, Hamburg 1987 (mit Michael Krebber zusammen geschrieben) oder einige – nicht gezeichnete – Kollaborationen von Guy Debord und Attila Kotányi, in: Situationistische Internationale, Band 1, Hamburg 1976; zur Entstehung von Texten in der S.I. vgl.: Roberto Ohrt, Phantom Avantgarde, Hamburg 1990. Als Beispiele für das Mißlingen vgl. die Verödung mancher Autoren der sogenannten „Neuen Frankfurter Schule“ im Verlauf der Achtziger, besonders den durch haltlose Ideen von Zeitkritik als Sprachkritik („Dummdeutsch“) befeuerten Manierismus des altfränkelnden „guten Deutsch“ bei Eckhard Henscheid, dessen Einfluß auf die Stadtzeitschriftenschreiber der späten Achtziger immens war. ↩︎
  13. Büttner, Kippenberger, Oehlen, Wahrheit ist Arbeit, a.a.O., S. 17. ↩︎
  14. ebenda. ↩︎
  15. ebenda, S. 17–19. ↩︎
  16. Interessanterweise imitiert dieser Text die Rhetorik des Haupttextes (wie oben dargestellt), stößt damit aber an die Grenzen meines vernünftigen Kopfes: Die Pseudo-Stringenz und der zunächst nur spielerisch eingeschlagene Ton einer Abhandlung überwältigen am Ende fast alle Doppelbödigkeit. Noch im selben Jahr konnte ich den Text zu einem „literarischen“ erklären und Peter Glaser für seine Anthologie deutscher New-Wave-Literatur, Rawumms, Köln 1984, zur Verfügung stellen. Im letzten Jahr entdeckte die trotzkistische Wochenzeitung SOZ den Text und druckte ihn ganz seriös als halbsatirischen Diskussionsbeitrag. Habent sua fata … ↩︎
  17. Das kündigte dann die 1986 im Hamburger Kunstverein ausgerichtete Ausstellung der drei mit Georg Herold, „Können wir vielleicht mal unsere Mütter wiederhaben!“, an. Zusammen mit einer in Nizza gezeigten Ausstellung der drei, diesmal mit Marcus Oehlen als viertem Mann, war das die letzte größere Zusammenarbeit. ↩︎
  18. Man sprach damals über die Kommunikationsgesellschaft auch oft von der „Nivellierung“ durch „Pluralismus“. Oder mit Félix Guattaris Wunsch und Revolution, Heidelberg 1978, von der „semiotischen Vergiftung“. Oder mit Burroughs von Kontrolle durch Kommunikation. Auch das dachte sich als eine linke antisozialdemokratische Position, deren „antipluralistische“ Variante später in die Hände von Rechten wie Syberberg gefallen ist. ↩︎
  19. Heute kann man „allgemeinverständlich“ darüber reden, weil diese Zeit vorbei ist. Damals hätte eine Interpretation, wie ich sie hier vornehme, nicht nur die sich ja tatsächlich einstellenden Erfolge dieser Kommunikationsstrategie bedroht: Tatsächlich verstanden ja die Guten, und die Doofen wurden genau in dem Maße abgeschreckt wie sie abgeschreckt werden sollten (ohne sie mit „Denkanstößen“ zu ermuntern); darüber hinaus hätte es auch nichts zum Erklären gegeben: Man konnte das Wissen von 1984 ja noch nicht von außen angucken. Auch heute ist „Allgemeinverständlichkeit“ natürlich nur ein Hilfsbegriff, an dem entlang man solche Texte schreiben kann: Der eigentliche imaginäre Adressat wäre eher jener Kunststudent, der heute die Arbeiten der Künstler sieht und als teilweise bereits klassifiziert und kanonisiert sieht, ohne die vielen sie begleitenden Nebenprodukte (Kataloge, Schallplatten und das Soziale, wofür diese Nebenprodukte standen) zu kennen. Schließlich gibt es ja einen auf „Allgemeinverständlichkeit“ zielenden Anspruch auch in Wahrheit ist Arbeit: die Apologie des Museums. Dort hängen heute die Bilder, aber niemand kennt mehr ihren Weg dahin und die Marschparolen, die sie begleiteten. ↩︎
  20. Galerie 1900/2000 (Hrsg.), Pinot-Gallizio – le situationisme et la peinture, Paris 1989. ↩︎
  21. Im Interesse der Allgemeinverständlichkeit: Totengräber der Geisteswissenschaft kann auch ein „dickes Lob“ sein. ↩︎
  22. Die Vorstellung, das Genießen der eigenen Entfremdung als dem aus warenförmiger Kultur gestanzten eigenen Seelenleben sei eine Möglichkeit, zum einen die herrschenden linken Vorstellungen von Warenförmigkeit eines besseren zu belehren wie auch die objektiv warenförmigen Anteile am eigenen Seelenleben zu überwinden, leitete die Begeisterung für den britischen Pop von 1982 (ABC, Dexys Midnight Runners etc.). Sie erwies sich erst als problematisch als die Eurythmics auftauchten, die genau diesen Stil wieder in eine „eigentliche“ Kunst umwandeln wollten, die von Annie Lennox’ Innenleben spricht, als gäbe es da was zu entdecken. Die Trash-Version wiederum davon stellen Roxette dar. Sie sind leider trotzdem unerträglich (und alle unsere Theorien falsch?). ↩︎
  23. Es ist aber wichtig, sich klar zu machen, daß das ostentative Ignorieren „korrekter“ Bezeichnungen sich strategisch gegen als Aufgeklärtheit ausgebenen Terror richtete (im antisozialdemokratischen Paradigma), während man heutigen p.c.-Sprachgebrauch schon deswegen rechtfertigen kann, weil der naive Gebrauch wieder der unkorrekte ist, der korrekte wieder der unnaive: Das war damals genau umgekehrt. „Politische Unkorrektheit“ war eine linksradikale Position, und in Behindertengruppen setzte sich die Selbstbezeichnung „Krüppelbewegung“ durch. ↩︎
  24. Von Mark E. Smith auf dem Inner Sleeve von The Fall, This Nation’s Saving Grace, London 1986, abgebildeter Zeitungsausschnitt: Sein Wort galt damals (auch schon ’84: Er stellt einen der wenigen, geistesverwandten Zeitgenossen aus der Punk-Welt dar, der noch heute aktiv ist). ↩︎
  25. Da die Feindbilder Sozialdemokratie/Hippietum verschmolzen, hatte das damals eine gewisse Berechtigung: An ihrem „politisierten“ ungenauen Idiom solltest du sie erkennen. Zu der Trübheit derer, die immer noch an dieser Front Leichen zu Gefangenen machen, siehe Anm. 12. ↩︎
  26. Die Passage, die das Essen im „Hofrestaurant“ als Rahmenhandlung benutzt, verweist natürlich auch auf die Neuheit kunstbetriebsimmanenter Rituale im Leben der betreffenden Künstler. Wahrscheinlich wären weder die Prominenten noch der Namen des Restaurants später noch der Rede wert gewesen: Klaus von Dohnanyi tauchte immer öfter auf Vernissagen bei Ascan Crone auf: aber dann war er auch nicht mehr Bürgermeister. ↩︎
  27. Noch blöder ist nur die heute verbreitete Fundamentalopposition gegen „die Politiker“, von rechts (Weizsäcker) bis ganz rechts (kleiner Mann). Ein Politiker, der in der Lage ist, sich einen schönen Lenz in der Toskana zu machen, ist natürlich sympathischer als der „Diener eines Staates“. ↩︎
  28. Büttner, Kippenberger, Oehlen, Wahrheit ist Arbeit, a.a.O.,S. 28f. u. S. 82. ↩︎
  29. in: Peter Keepnews, Linernotes zu Art Blakey & The Jazz Messengers: One For All (1990), S. 10. ↩︎
  30. Niklas Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1992, S. 16. ↩︎
  31. aus dem Gedächtnis aus einem anderen Büttner/Oehlen-Text zitiert. „Facharbeiterficken“? ↩︎
  32. Luhmann, Gesellschaft, a.a.O., S. 218. ↩︎
  33. vgl. besonders die endlose Namensliste in A. Oehlens autobiographischer Notiz. ↩︎
  34. A. Oehlen erklärte einmal, daß an dem beladensten Symbol überhaupt am besten zu klären sei, ob Kunst überhaupt einen Inhalt haben könne; und wenn ja, zu welchen Bedingungen. Die Referenz Lorenz korrespondiert damit, insofern als seine Texte wie später auch immer wieder Hitler-Zitate im Kontext von Oehlen-Publikationen/Bildern/etc. etwas sagen, was sowieso gesagt werden muß, aber durch die Schwere der Referenz jede Selbstverständlichkeit von Aussagen unmöglich wird. Das geht über die seinerzeit moderne, vernunftkritische Meisterdenker-Verfolgung weit hinaus: die Unmöglichkeit der unblutigen Referenz – jeder ganz normale Satz unterhält Verbindung zu Völkermorden, und nicht nur Gedichte. ↩︎
  35. Büttner, Kippenberger, Oehlen, Wahrheit ist Arbeit, a.a.O., S. 29. ↩︎
  36. Luhmann, Gesellschaft, a.a.O., S. 219. ↩︎
  37. Luhmann könnte einwenden, daß dies wiederum eine „neue“ ästhetische Tatsache produziere. Damit würde er allerdings die Voraussetzungen verkennen, die für Künstler galten, die zu arbeiten begannen, nachdem „Neuheit“ eine Ideologie geworden war und es daher plausibel wurde – für alle Künste, vgl. Punk –, mit der anderen Seite dieser Unterscheidung, dem, was früher Scharlatanerie geheißen hätte, zu arbeiten. Wie sie über diese Verweigerung wieder „Neuheiten“ herstellten, werden wir sehen: Das war aber 1984 nicht nur noch nicht absehbar, die Konzentration auf die „Scharlatanerie“ funktionierte noch unmittelbar als „Kritik“ und konnte ein sozial funktionierendes Außen/Anderes der Kunstwelt konstruieren. Luhmann berücksichtigt weiterhin nicht, daß beim Akzeptabelmachen des Neuen die wichtigste Arbeit zu leisten ist: Da das Akzeptierte als einst Neues akzeptiert wurde, wird der Grad der Akzeptiertheit auf den Grad der Neuheit bezogen. Wer da keinen Schwebezustand herstellt, dem ergeht es wie Calder: Das besonders Neue wird als besonders Akzeptiertes banal, während der Schwebezustand zwischen „neu“ und (immer schon) „akzeptiert“ etwa bei Jorn, Broodthaers etc. brisanter blieb. Vgl. Dickhoff/Prinzhorn, Oehlen, a.a.O., S. 22: „Überlege doch einmal, was für ein immenser Schritt das war, als Alexander Calder von was weiß ich, womit der angefangen hat, zum Mobile gefunden hat, der wird sich wahrscheinlich im Atelier kaputtgelacht haben mit seinen Assistenten, was für ein Schock das sein wird, daß seine runden Scheibchen jetzt durch die Luft schweben, und das ist heute als Erfindung außerhalb jeder Diskussion, nicht mal mehr originell – gar nichts, einfach nur Calder und Geschaukel.“ ↩︎
  38. Sie können aber nicht mehr Calder werden, weil ihre Arbeitshypothese eine andere Unterscheidung war: nicht „Neuheit/Fehler“, sondern „Scheitern/Gelingen“. ↩︎
  39. Auch wenn diese Sicht von Dolphy im Text nicht deutlich wird. Ich erinnere mich genau. ↩︎
  40. Die besonders Schönheiten ja vor allem auch darum hervorbringen konnte, weil sie aus dem Luxus schöpfen konnte, sich als Feind einen Herrschaftstyp herauszusuchen, der im Vergleich noch zu den erträglicheren zählte. Vgl. auch Jello Biafras Revision seines gegen den damaligen kalifornischen Gouverneur Jerry Brown gerichteten antiliberalen Klassikers „California Über Alles“, den er nach der Wahl Reagans mit dem neuen Text „We’ve Got A Bigger Problem Now“ zu singen pflegte. ↩︎
  41. In „Foucault révolutionne l’histoire“ in: Comment on écrit l’histoire, Paris 1979, deutsch: Der Eisberg der Geschichte, Berlin 1981. Ohne zu erwähnen, daß es diese Ausgabe gibt, veröffentlichte Suhrkamp den Text vor kurzem noch einmal unter einem anderen Titel. ↩︎
  42. „ERKLÄRUNGEN ZUR MALEREI abzugeben, ist gerade dann besonders schwachsinnig, wenn der Maler die These vertritt und die Malerei die These belegen soll, daß die Malerei denselben Gesetzen gehorcht, wie die Sprache, der man sich bekanntlich bedient, um Erklärungen abzugeben“, schreibt Albert Oehlen einleitend zu Der Übel, Graz 1987. Das klingt, als gelte dies für alle Malerei, was sein mag, aber es wird in der Regel nicht aktualisiert. Daß Oehlen in diesem Bewußtsein malen konnte, scheint mir darin begründet, daß er die Illusionen des semantischen Theaters auf die Spitze getrieben hat, bis zu dem Punkt, wo die Konstruierbarkeit und Kontrollierbarkeit von Jive sich auf die Malerei übertragen ließ. Nur so konnte die Malerei wieder eine Praxis werden, die gerade dadurch, daß sie Sprache wird, die Illusion der Semantik in der natürlichen Sprache hinter sich lassen kann. ↩︎