Die SPD ist groovy geworden. All die frischen Newcomer im Vorstand. Die swingenden neuen Leftys, die gleichzeitig Aufrüsten und Abrüsten in einem Konzept unterbringen können, die avantgardistischen Spots zur Europa-Wahl mit ihren inneren Monologen, irgendwo zwischen Alexander Kluge und Inge Meysel und der 1a-Generalsekretär und Chefideologe Glotz, der August Bebel der Microchip-Generation mit seinen „sozial gesteuerten Innovationen“, eine Formel, die man sich sprachlich, inhaltlich, semiowasweißich und historisch auf der Zunge zergehen lassen muß. Das alles ist jetzt über uns hereingebrochen. Eine SPD, die man nicht mal mehr revisionistisch nennen kann, weil sie nämlich innovativ geworden ist. In ganz anderen Dimensionen verkehrt. So neu. So Nuklearzeitalter. So Silicon Valley.
Doch auf der Hinterbank, auf Landeslistenplatz 22, im Herzen des Hurrikans von Hans Apels Bauchspeicheldrüse, in verstaubten vergessenen Ausschüssen des Bundestages, auf den Anklagebänken der Bonner Steuerparteispendenhinterziehungsgerichtsbarkeit gibt es auch noch die alte SPD, die Sozialdemokraten, die mit dem Bluthund, die die uns verraten haben. Sie können einem leid tun. Mir jedenfalls sind sie richtig sympathisch.
Und als gestandene Revisionisten haben sie wenigstens noch eine Beziehung zu den Arbeitern, verkehren im selben Kosmos. Und die Arbeiter haben bekanntlich gesungen. Arbeiterlieder. Und jetzt war ja Europa-Wahl. Und der Europawahlkampf stand ja ganz im Zeichen des Gesanges. Die CDU ließ vielsprachig Deppen trällern, die Friedensliste von dieser Tochter mit dem Doppelnamen ließ die Bots plärren und die sozialistische Fraktion im Europaparlament bringt eine Schallplatte mit Arbeiterliedern auf den Markt. Verantwortlich zeichnet Rudi Arndt, SPD.
Nun habe ich nichts gegen Arbeiterlieder. Es gibt schöne solche. Von Bert Brecht, John Lennon, The Jam, den frühen Ton, Steine, Scherben, Curtis Mayfield („Move On Up“), Chic („At Last I Am Free“). Und im Moment höre ich gerne „We’re Not Gonna Take It“ von Twisted Sister, ein brillantes, sehr proletarisches Agitationslied mit Heavy-Metal-Musik. Auch der „Rote Wedding“ war toll.
Doch nichts davon auf dieser Platte. Stattdessen unter anderem eine Komposition von Theodorakis, in dessen Musik einfach zuviel Knoblauch, Weißkrautsalat, Ziegenmilch, Joghurt und Schafskäse eingearbeitet ist, um halbwegs genießbar zu sein. Dann natürlich das von Portugal-Veranstaltungen sattsam bekannte Grándola Vila Morena, das allenfalls für Otelo-de-Carvalho-Nostalgie taugt (Der Mann erwartet zur Zeit seinen 51. Prozeß wegen Aufrufs zu Straftaten und sitzt natürlich nicht im Europaparlament und säße da auch nicht, wenn Portugal, wie es Kanzler Kohl heute gefahrlos wünschen kann, EG-Mitglied wäre). Ich weiß, daß es keine Kausalbeziehung zwischen dem Scheitern der portugiesischen Revolution und diesem Lied gibt. Aber ich laste es diesem Folklore-Gesülze dennoch an, daß Otelo sitzt. Dann sind da Lieder aus Ländern mit germanischen, aber nicht deutschen Dialekten, die sich schon lautlich kaum bewältigen lassen und in denen Worte wie „Komroode“ oder „Fortschrëtt“ oder „Morgenrood“ oder „Arbetlose“ das geistig-kulturelle und politische Umfeld andeuten, dessen Bestimmung aber ohnehin das Cover erleichtert, das im Stile einer 70er Jahre Selbstdarstellungsbroschüre eines mittelständischen Unternehmens abstrakte rote Fahnen zeigt. Das englische „The Red Flag“ ist dann auch das schönste Lied auf der Platte, neben „Bella Ciao“ und der „Internationale“, guter, harter Kampf-Pop.
Am schlimmsten aber ist gerade der Mißbrauch der Internationale für den gemeinsamen Markt. Daß sich Eugène Pottier unter „international“ etwas anderes vorgestellt hat als das vereinte Europa Konrad Adenauers und Charles de Gaulles, für das sein Song nun wirbt, das sollte die SPD doch wissen, oder zumindest sollte sie genügend Pietät aufbieten, um zu verhindern, daß ihr Name in Form des Namens des Genossen Arndt druntersteht.
Aber die SPD hat eben zur Zeit etwas ganz anderes zu tun, als sich um so etwas irrsinnig Anachronistisches wie diese Platte zu kümmern. Sie hat anderes zu tun, als sich um traditionsmeiernde Platitüdensammlungen in Billigcovern zu kümmern, sie kann sich überhaupt nicht mehr um Arbeiterlieder kümmern, nicht einmal mehr um Arbeiter allgemein, die SPD erneuert, innoviert, erobert die Zukunft.
Ist das nicht maßlos traurig? Alles was geblieben ist, ist eine schlechte banale Sammlung von ollen Kamellen. Der Rest des Sozialismus verfeuert, ohne Rückstand, in den Hochöfen der Geschichte. Man möchte sich mit Rudi Arndt zusammensetzen und weinen. Hört auf, Völker, geht kacken!