Von Captain Beefheart zu Don Van Vliet. Man lebt nur zweimal

Sein Künstlername ist sein richtiger Name, aber sein Musikername ist der, den wir kennen. 20 Jahre, nachdem Don Van Vliet sich Captain Beefheart nannte, um von den A&M-Studios aus mit wechselnden Magic Bands den Blues zu einer abstrakten Phase und noch viel mehr zu verhelfen, beginnt derselbe als Don Van Vliet eine Karriere als bildender Künstler in Zusammenarbeit mit einer Kölner Galerie, die zu den weltberühmtesten gehört.

Über Beefheart zu reden verführt zum Lob des Irrsinns, des Solipsismus, des abgekapselten einzelnen Verrückten. Es ist die ewige Geschichte von den Artauds dieser Welt, die nur kraft ihres massiven Andersseins die Kraft gehabt haben sollen, eine künstlerische Welt aus den Angeln zu heben. Der alte, nicht totzukriegende bürgerliche Geniebegriff, der nicht Intelligenz und Bewußtsein, sondern das Andere, Dunkle für die wirklich tiefgreifenden Veränderungen verantwortlich macht. Und tiefgreifend war es, was Captain Beefheart mit dem Blues gemacht hat. Der Vergleich mit seinem Lieblingsmaler VanGogh drängt sich in seiner ganzen Abgeschmacktheit auf.

Popmusik, wie auch aktuelle bildende Kunst, besteht aus zweierlei auseinanderstrebenden, dann wieder aufeinanderzulaufenden Richtungen. Zum einen aus der großartig gewissenlosen, schnellen Verarbeitung des Aktuellen, zum anderen aus zum Extrem gesteigerten bürgerlichen Eigensinn, aus professionell betriebener Verbohrtheit. Die erste Richtung ist Jugendpolitik, oft eine schöne Politik, meist eine banale, die zweite entspricht heutzutage dem, was früher die Literatur war. Bleiben wir bei abgeschmackten Vergleichen: ihr James Joyce ist Captain Beefheart.

An diesem Sonntagmorgen in der Galerie Werner hatte sich ein hochkarätiger Haufen Kunstprominenz eingefunden: Penck, Immendorff und Lüpertz waren gekommen um ihren Gallery-Mate Van Vliet zu bewundern, der nach geraumer Wartezeit von Amerikas erfolgreichsten Künstler der letzten Jahre, Julian Schnabel, geleitet, leicht schwankend und überaus gewinnend grinsend in die Räume seiner ersten Einzelausstellung trat. „Das ist noch ein echter Künstler, kommt wenigstens betrunken zu seiner Eröffnung“, hörte ich Lüpertz sagen. In würdigen Bewegungen verbeugten und händeschüttelten sich die anwesenden Kollegen voreinander und gegenseitig hielten sie in großen, gemessenen Gesten die schweren Zigarren zur Seite, feierten ihren Adel.

Gerade bei bestimmten Künstlern dieser Galerie ist die eigentlich recht plausible Haltung verbreitet, die bürgerliche Idee vom Geniekünstler, von der großen aristokratisch-geistesgestörten Abweichung nicht nur anzunehmen, sondern ins Bizarre zu steigern. In Beefheart begegnet diesen Künstlern ein in mancher Beziehung ebenbürtiger Vertreter dieser Haltung, nur daß sie bei ihm nie als Haltung im Kunstbetrieb konzipiert wurde, sondern aus dem entspringt, was Beefheart in großer Abgeschiedenheit seit Jahren macht. Blues, Harp-Humanismus, mit Tieren sprechen und sich eine eigene Welt einrichten, in der es bisher nie viel Geld zu verdienen gab.

Die Nachricht, daß Captain Beefheart als Künstler – man wußte ja seit Jahren, daß er ebenfalls schon seit Jahren malt – endlich die finanzielle Anerkennung finden würde, die er als Musiker immer verdient hatte, platzte mitten in eine, ich weiß nicht die wievielte es war, neue „Trout Mask Replica“-Phase. Ich kriege den „Trout Mask“-Anfall in regelmäßigen Abständen, jeder Mensch kriegt ihn von Zeit zu Zeit, wenn er nicht weiter weiß, das ist normal. Und wie bei all meinen späteren Anfällen, die ich diesem wunderbaren Album zu verdanken hatte, fragte ich mich, ob das ganze Beefheart-System nicht die perfideste Variante von Tabubrecher-Kultur, bürgerlicher Heroisierung des großen Einzelnen, Heldengeschichte und hippiehaftem Anderssein darstellt. Und ob es nicht sehr gut paßt, wenn Julian Schnabel Beefheart ausgerechnet mit einem Schamanen vergleicht. Don Juan Van Vliet von Carlos Castaneda?

Und wie immer gab ich mir die Antwort, daß die so verabscheuungswürdige Kultur des routinierten Tabubruchs, des Von-Praunheimtums, ja immer dadurch verabscheuungswürdig wurde, daß sie einen Tabubruch nur vorgab, der bürgerlichen Gesellschaft den Vorwand liefernd, daß ein solcher jederzeit möglich sei, während doch in Wahrheit all diese Abweicher und Artaud-Anhänger doch stets nur den Tabus nachrennen, die nie wirklich welche waren.

Wie zum Beispiel der Irre, der Wahnsinnige, dieses Lieblingskind der Leo-Navratil-Einstürzende-Neubauten-Vincent-Van Gogh-Appreciation-Society, der in seinem Stammeln angeblich beredt sei, statt bedauernswert. Aber Beefheart ist nicht wahnsinnig. Er spricht zwar Leute an und erzählt ihnen, daß er sie aus einem Publikum in Amsterdam von vor fünfzehn Jahren wiedererkenne, tut mindestens vier Dinge gleichzeitig, von denen er die wenigstens zuende bringt. Aber ihm entgeht nichts und er wird scharf, wenn er in Hörweite Sätze wahrnehmen muß, die ihm nicht gefallen. Wie zum Beispiel den, daß man von Zeit zu Zeit Kompromisse schließen müsse.

„Dies ist meine erste Ausstellung. Könnte sein, daß sie mir gefällt. Was!“

Ja und, gefällt sie Ihnen?

„Ja, sehr gut. Gefällt sie Dir?“

Oh, ja!

„Das ist leicht gesagt für Dich.“

Beefheart ist eine Ausnahme, die eine Menge Regeln bestätigt. Von den Leuten, die zu diesem zweiten Zweig der Popmusik gehören, die also langfristig arbeiten und ein „Werk“ auf die Beine stellen, kommt er dem Bild des unbewußten Genies am nächsten. Es war mir von Anfang an klar, daß er als 44jähriger für die Kunst nicht das sein kann, was er als 28jähriger für die Musik war. Trotzdem sind seine Bilder, unabhängig von dem Diskurs der euro-newyorkischen Kunst der Gegenwart, recht schön und eigen. Naiver Expressionismus, der aber, dank der wie in seiner Musik eigenmächtig eingerichteten Regelhaftigkeit wie der Wiederkehr seiner Lieblingsmotive (Tiere, Dämonen, Geister), über Naivität hinausgeht, ohne mitzudiskutieren bei der Debatte New York – Köln.

Normalerweise ist aber gerade dies abzulehnen: sich ausschließen zu wollen aus dem, was heute sagbar ist, sich zurückziehen auf die Scholle, den Blues, die Tiere und an den Pazifik. Normalerweise sind dies die Argumente derer, die nicht mitgedacht haben, die die Künstlichkeit von Kunst, das Gemachte, Konzipierte immer noch nicht begriffen haben.

Aber andererseits haben es eben alle begriffen. Alle faseln jetzt von Taktiken und Strategien, alle faseln von Relativitäten. Was ja zu einer Kunst oder vor allem zu einer Musik geführt hat, deren Relativität zur totalen Bedeutungslosigkeit geworden ist. Und bei aller Unmittelbarkeit liefert ein Don Van Vliet zum Glück keine Argumente für Ich-hörte-die-Doors-da-mußte-ich-mich-gegen-die-Leinwand-werfen-Künstler wie Martin Disler.

Ein Mann kommt während der Eröffnung zu Beefheart und hält ihm ein leeres Weinglas hin: „Ich möchte gerne ein Glas mit ihnen trinken“ – „Oh, gerne, der Wein steht da vorne.“ Der Mann findet den Wein nicht und erwartet, daß Beefheart ihm etwas abgibt. Der hält stattdessen seine Zigarre über das hingehaltene Glas und fragt: „Möchtest Du mein Aschenbecher-Halter sein?“ – „Nein.“ – „Hey, ich hab einen Aschenbecherhalter. Oder möchtest Du meine Asche, er will meine Asche schon zu Lebzeiten hahaha.“

Don Van Vliet wird ein paar Mal gefragt, ob er noch spiele, worauf er stereotyp antwortet, immer wieder: „Ich spiele immer, auch jetzt. In allen Bedeutungen des Wortes.“

Später erzählt er, daß er noch immer mit derselben Band zusammenarbeitet wie auf der letzten LP „Ice Cream For Crow“ von vor 2 1/2 Jahren, daß sie bereits sitzen und auf ihn warten und daß Rockette Morton, einer aus der klassischen Magic-Band, heute als Heilpraktiker Don den Rücken massiert. Zu seiner Frau, die diesen Monomanen seit 15 Jahren offensichtlich sehr still und bescheiden beim Organisieren hilft: „Bei welchem Konzert war es doch gleich, daß ich Rockette Morton in den Hintern getreten habe?“

Auf einige dieser Fragen weiß sie sogar eine Antwort. Am liebsten redet Van Vliet über die großen alten Männer des elektrischen Blues. Howlin Wolf soll im Gefängnis einen Mann mit einer Harke geköpft haben, aber Notwehr zugebilligt bekommen haben. Später als Howlin Wolf schon tot war, schlich sich Beefheart, der viele Blues-Sänger aus dem Stand imitieren kann, während der Proben eines Konzertes von Howlin Wolfs langjährigem Gitarristen Hubert Sumlin hinter die Bühne. Während Sumlin auf den Knien seine Gitarre stimmte, fing Beefheart ihn von hinten an mit der Stimme des gefürchteten Wolfs anzureden. Sumlin sprang mehrere Meter in die Höhe und bat Beefheart mit zitternder Stimme, dies nie wieder zu tun.

Es war der Tag von Reagans Bitburg-Besuch und wir tranken Bitburger. Die Zigarre war ausgegangen. Julian Schnabel zupfte an Don Van Vliets Arm, um ihm irgendeine seiner Stories über „Leo“ (Castelli) oder „Francesco“ (Clemente) zu erzählen. Am anderen Ende des Saales bringt Penck einen Toast auf Captain Beefheart aus. Der bedankt sich, entdeckt im selben Moment, daß das Essen gut ist, fragt sich nach dem Namen von Magic Sam und beginnt einen Blues von Magic Sam zu singen, weist seine Frau daraufhin, was jemand anderes am Tisch gesagt hat. Beefhearts Musik ist oft wegen ihrer Polyrhythmen einzigartig genannt worden. Aber so ist der Mann eben: polyrhythmisch.

Die Malerei repräsentiert dagegen den anderen Beefheart: die Zurückgezogenheit, das Nicht-auf-der-Bühne-stehen, nicht mit dreißig Leuten gleichzeitig reden, ist die physisch notwendige Ergänzung seiner 200%igen sozialen Kraft. Dabei handelt beides von denselben Dingen.

Dann wäre es interessant zu wissen, warum Beefhearts Musik allgemein noch heute als modern angesehen wird, seine Malerei aber von vielen als veraltet: Die Antwort ist einfach. Die Popmusik hat der Kunst ihr 60er-Jahre-Revival voraus.

Der Unterschied ist, daß Beefhearts Musik nicht erst einen solchen Rahmen wie ein Revival braucht, um bedeutend zu sein, seine Malerei, betrachtet man sie unabhängig von all dem, was man über ihn weiß, unter Umständen schon. Aber sie hat die eine entscheidende Qualität, die für seine eben nicht chaotische, sondern ganz und gar nach Gesetzen geordnete Musik, Voraussetzung ist: Verbindlichkeit.

In Zeiten, in denen Verbindlichkeit zählte, war der Name Don Van Vliets denn auch immer in aller Munde. Heute muß die Kunstwelt einen der unseren importieren, um uns an dessen Qualitäten zu erinnern. Und das muß einfach störend auf seinen Anfang in dieser anderen Welt wirken. Es ist niemand da, der sich die Bilder eines 44jährigen Debütanten ansehen kann, ohne dabei nach dessen Geschichte zu fragen. Es ist überhaupt unmöglich, eine vernünftige Aussage über ein Bild zu machen, ohne die Geschichte zu kennen.

In diesem Fall ist die Geschichte aber so mächtig, mythisch und massiv, daß sie noch jedes Bild überlagern würde. Der Eindruck einer Platte wie „Strictly Personal“, „Trout Mask Replica“ oder „Lick My Decals Off, Baby!“ wird für jeden so unauslöschlich stark mit der Person dieses leicht bizarr-originellen Expressionisten verknüpft sein, daß die Malerei niemals mithalten kann, nicht weil sie schwach wäre, sondern weil die Musik zuerst da war.

Bleibt die Möglichkeit, diese Bilder zu betrachten als einfach eine weitere Ausdrucksform der Persönlichkeit dieses Captain, eine Dreingabe, ein Luxus. Und eine Möglichkeit, ein bißchen Geld zu verdienen.

Oder als Therapeutikum eines forcierten Humanisten, der so manisch-produktiv und forciert-menschlich wie Fassbinder, nicht das Ende dieses anderen großen forcierten Humanisten nehmen mußte, der sich auch immer so gerne und so unnötig mit Van Gogh und Artaud in Verbindung brachte. Oft war es nützlich, Fassbinders im Vergleich zu seinen Filmen, blasse und ideenarme Interviews zu lesen, um vor lauter Ideen nicht Fassbinders Inhalte zu vergessen, seinen Humanismus. Für Don Van Vliets Gemälde gilt womöglich dasselbe.