Da sind sie nun, die protzigen diesjährigen Großprojekte der deutschen Filmindustrie. Es ist zwar im Prinzip nichts dagegen zu sagen, wenn einer für einen Film viel Geld auftreibt, aber die Kosten/Nutzen-Rechnung geht halt nur selten auf. Bei Herzog mag das Motiv, seinen Film derart aufwendig herzustellen, darin gelegen haben, daß eben das der Gegenstand seines Films ist: nutzlose Gigantomanie auf dem Rücken verendender Volksstämme. So wie Coppola für „Apocalypse Now“ einen kleinen Vietnamkrieg anzettelte, muß Herzog eben ein wenig kolonialisieren, um einen Film über eine Randerscheinung dieses größten Verbrechens der Menschheitsgeschichte, der Kolonialisierung Südamerikas, drehen zu können. Die rührige „Gesellschaft für bedrohte Völker“ erscheint denn auch zur Pressevorführung und verteilt aufklärende Flugblätter mit etwas unbeholfenen moralischen Statements und erschreckenden Fakten über Herzogs Dreharbeiten. Er selber bestreitet zwar die ihm zur Last gelegten Greuel, aber selbst wenn nur irgendein Indio sich eine Grippe geholt haben sollte, wäre das ein Leid, ein Opfer, das der Film nicht rechtfertigt.
Die interessante Geschichte des spinnigen Klaus „Fitzcarraldo“ Kinski, der reich werden will, um in Iquitos eine Oper zu bauen und dafür ein bislang unerreichbares Kautschukgebiet erschließen will, indem er einen armen Indio-Stamm ein Dampfschiff über einen Höhenzug zwischen zwei Flüssen ziehen läßt, hätte einen guten Film abgeben können. Doch muß Herzog während seines sicher strapazenreichen Urwaldaufenthalts dasselbe Schicksal ereilt haben wie seinen Protagonisten: Realitätsverlust. Die mit großem Ehrgeiz hergestellten Naturaufnahmen haben ihren Reiz, doch wären sie besser in einem Expeditionsfilm von Heinrich Harrer am Sonntagnachmittag im ersten Programm aufgehoben als in einem Spielfilm, dessen ohnehin zähen Bilderfluß sie nun eindicken. Die Brisanz, die Widersprüche der Geschichte implodieren wie das Unternehmen des Bankrotteurs Fitzcarraldo, die einladend aufbereiteten ersten 45 Minuten enden in nicht zu Ende erzählten Geschichten, nicht ausgearbeiteten Charakteren, langweilig-kulinarischer Fotografie. Die Indios sterben sinnlose Tode, und am Ende soll eine Pointe (die Aufführung einer Oper auf einem Schiff auf dem Amazonas) für eine sensationelle Wende sorgen, die ebenso sensationell ist wie der berühmte Sack Reis, der in China umfällt. Es gibt nicht einen einzigen ansehnlichen Schauspieler in der ganzen Besetzung: Kinski ist der weirde Kinski, wie ihn der fade Humor deutscher Studenten liebt, eine Walter Brennan-Kopie ist eine Walter Brennan-Kopie, ein großspuriger Kautschuk-Baron ist so undifferenziert, unelegant, fantasielos laut und großspurig, daß man jedesmal weggucken muß, wenn er im Bild erscheint. Die Indios sind selbstverständlich rätselhafte Rothäute, von denen wir nur andeutungsweise etwas erfahren.
Wenigstens in diesem Punkt ist „Der Zauberberg“ überlegen: Mit Hans Christian Blech als Hofrat Behrens, Irm Herrmann als Fräulein Engelhart und Kurt Raab, dem besten deutschen Schauspieler überhaupt, als Assistenzarzt Krokowski ist das Werk wenigstens in drei Nebenrollen glänzend besetzt. Über alles andere, was dem deutschen Feuilleton mal wieder Jubelschreie entlockt (bei gewissen Großkritikern natürlich gleich wieder in identischen Formulierungen in zwei Alternativ-Blättern), sollte man den Mantel barmherzigen Schweigens ausbreiten. Tun wir aber nicht. Wer den Thomas Mann-Roman nicht kennt, wird sich des öfteren fragen, wer wann warum was tut. Aber das wäre nicht so schlimm, schlimm ist mal wieder die zähe Knete, die in spannungslosen Szenen von spannungslosen Gesichtern in deplazierten Dialogen ausgebreitet wird. Settembrini und Naphta, im Buch zwei großartige Intellektuelle mit leichten Schnurren, wirken hier wie zwei schnatternde Trunkenbolde beim Après Ski, zumal sie sich immer dasselbe erzählen. Hans Castorp vertauscht seine leicht mittelmäßige norddeutsche Dezenz mit mittelmäßig aufgesetzter norddeutscher Schnöseligkeit. Sein Vetter ist allerdings sehr gut getroffen.
Aber Mijnheer Peeperkorn hat nie die Actor’s School besucht und mit Rod Steigers Pathos nichts zu tun. Doch was sollen die Vergleiche mit dem Buch? Thomas Manns Welt ist im Film, also ihrer Sprache beraubt, eigentlich noch immer entstellt worden, daran kann weder der manieristische Italiener Visconti noch der gewissenhafte Deutsche Geissendörfer etwas ändern.

