„Ich studiere mich mehr als irgendeinen Gegenstand. Das ist meine Metaphysik, das ist meine Physik.“
Montaigne
„Ich muß mich hier eines Gleichnisses bedienen, was ich freilich gern unterlassen würde, da ich ein Weib bin und einfach nur das zu schreiben habe, was man mir aufgetragen hat …“
Teresa von Avila
„Dies ruhelos streunende Weib“
Der päpstliche Nuntius über Teresa.
Es gibt ein kulturelles Segment, in dem Malerei ohne Pop-Musik und vice versa nicht denkbar ist. Offiziell ist unsere Kultur so organisiert, daß die Betrachtung dieser beiden Künste streng getrennt ist. Das Ergebnis dieser Ingnoranz ist, daß die Musik und die Malerei, die ohne ihr jeweiliges Komplement nicht verständlich sind, sich auch gegen diese Ignoranz etwas einfallen lassen mußten: Synthesen.
Neben vielen anderen Dingen hatte Pop-Musik immer zu tun mit der Vergesellschaftung von Produktions- und Stilmitteln, Pop-Musik kämpfte immer darum, einen Zustand zu errichten, wo die Form nur noch folgerichtig und eigendynamisch dem Willen zur Äußerung folgte und nicht dessen Voraussetzung sei. Sichtbar wurde dieser Kampf um die Inhaltlichkeit in der Geschichte der bildenden Kunst erst, als die sogenannte wilde, auf jeden Fall neue Malerei ihren Kampf um Inhalte vor den Augen der Öffentlichkeit focht (auch wenn diese es vorzog und von den schwachen Vertretern des Genre darin bestätigt wurde, das Ganze als ein Aufflackern neoexpressionistischer Authentizitätsträume zu begreifen. Es ging aber darum, ein Feld für Inhalte freizuschaufeln, wenn auch mit Nachdruck). Um aber diese Arbeiten von Jutta Koether zu verstehen, müssen wir weiter zurückgehen in der Geschichte der Pop-Kultur:
Es ist allgemein bekannt, daß ein Aspekt der sogenannten Punk-Revolte darin bestand, zu zeigen, daß technisch jeder in der Lage sei, mit Musik kraftvoll und sinnvoll Aussagen zu machen; außerdem war diese Vergesellschaftung an bestimmte Inhalte gebunden (Kampf dem Medienfaschismus, neue Eindeutigkeiten, Entschiedenheit, auch dann, wenn man nichts weiß). Dem vorangegangenen ist in den 60er/70er-Jahren ein Vergesellschaftungsvorgang ganz anderer Art; eine als solche wenig beachtete Bewegung der späten 60er, frühen 70er, die kurz als Singer/Songwriter-Welle verkauft wurde, aber sich vor allem durch zähes, langwieriges, oft bis an die Grenzen des Erträglichen eigenbrötlerisches Gewerkel durch die Jahrzehnte auszeichnete; in England immer an der Grenze zur Folklore, in den USA immer an der Grenze zu C&W, überall immer an der Grenze zu Kitsch und/oder Dichtung.
Der Arbeit dieser Leute entspricht ein ebenso namenloses, ahnungsloses Gewerkel in der Kunst; ein Gewerkel, das nie Öffentlichkeiten interessierte, da diese von Hippies in Hinterzimmern oder auf wenig bekannten kanarischen Inseln gepinselten Bilder, für jeden professionellen Kunstbetrachter nichts anderes waren als falsch verstandener Surrealismus. So wie auch die Texte besagter Folk-Rebels nie etwas anderes waren als falsch verstandener Surrealismus (und schon richtig verstandener Surrealismus ist bekanntlich eine Zumutung).
Aber was kann so ein offizieller Kulturkopf schon verstehen, von der immer wieder und ständig, vor aller Augen stattfindenden Geburt genialer Pop-Kunst aus dem Geiste falsch verstandenen Surrealismus.
Inhaltlich sind allerdings all diese Bemühungen abzulehnen, dafür gab es in beiden Künsten die Revision der Inhalte um die Jahre 77-80. Die machte das Feld frei für neue Inhalte, bzw. die Rückkehr alter Inhalte an einem anderen Ort. Das ist unsere Geschichte bis hierher.
Im Laufe der Zeit haben sich die beiden Vergesellschaftungstechniken vermischt (Punk: wenig Akkorde, wenige Stilmittel. Folk: simple Technologien) und unabhängig von ihrem eigentlichen Ziel (Vergesellschaftung) haben sie Ausdrucksformen entstehen lassen, denen zwar ihre geschichtliche Herkunft innewohnt, die aber darüber hinaus Eigendynamiken entwickelt haben. In der Kunst entspricht dem Punk: expressives Geschmiere, Folk: einfache Techniken. Die majestätische Synthese, in der sich der Underground der Musik zur Zeit sonnt, ist Folk mit Punk-Inhalten (vereinfacht ausgedrückt), für die Kunst hat Jutta Koether schon mal mit diesem Projekt begonnen.
Der Rückkehr der Inhalte, aber an einem anderen Ort. Der Rückkehr einer Technik, mit einem anderen Inhalt; dazwischen Krisengebiet, entmilitarisierte Zonen und dialektisches Wetterleuchten, elektrisch geladene Zwischenräume. Manchmal hat man den Eindruck, die Bilder von Jutta bilden ihre (sub)kulturgeschichtliche Position, die ganz und gar abstrakte Konkurrenz von Theorien, die rund um die Entstehung der Bilder die Luft elektrisch laden, so konkret ab, wie Blake (oder auf ganz andere Art Immendorff) politische Tageskleinigkeiten, konkret und klassisch dramatisierte.
Das sind Bilder, die die Idee, daß die Seele an einem ganz bestimmten Punkt des Körpers in einer ganz bestimmten Gestalt haust, aufgreifen, und nur den Gegenstand (Kinderglaube) auswechseln (Erwachsenentheorie). Bilder, die die schönsten Graphiken in den sprachtheoretischen Standardwerken Noam Chomskys und Roman Jakobsons aufgegriffen zu haben scheinen, und deren formale Schönheit überhöhen. Gleichwohl wissen diese Bilder, daß die formale Schönheit der linguistischen Graphik nicht unschuldig ist, sie entspringt dem Wollen der linguistischen Graphik, Klarheit in das verschlungenste Ding zu bringen, das uns alle zusammenhält: Sprache.
Als sie an einem Punkt erdfernster Abstraktion angelangt war, entschloß sich die Künstler/Theoretiker-Gruppe Art & Language ihr Wissen zu singen und von einer akustischen Gitarre begleiten zu lassen (LP: „Corrected Slogans“). Und das ist das hier: nicht das Konkrete in hübsche, gefällige Abstraktion auflösen, sondern das Abstrakte zu einem Konkreten verdichten, das dann, dicht wie es ist, nur die Bildsprache des Folk-Song aushält und eine buchstäblich gemalte, dünne Luft, die sprichwörtlich-klischeehafte dünne Luft der Abstraktion. Was ist eigentlich eine Vision? In der Regel dummes Gerede. Meistens, wenn einer etwas gesehen haben will, was man gar nicht sehen kann. Aus Vision und Abstraktion setzt sich eine bürgerliche Lügendialektik zusammen: Wenn das Sichtbare zu unerträglich wird, abstrahiert man, und behauptet einen Schritt zu einer edleren, überblickenderen Denkungsart getan zu haben. Eine Wand von Abstraktionen, die nichts mehr wollen, schotten die bürgerliche Wohnstube von den sichtbaren Grausamkeiten ab. Der Bürger darinnen tut aber weiter sein grausames Werk. Will er es rechtfertigen, hat er oder einer seiner Gewährsmänner plötzlich eine Vision, das heißt, plötzlich ist die Sichtbarkeit von etwas Irrealem (mithin Unsichtbarem) Argument für den, der eigentlich nichts sehen will.
Aber wir (Jutta und die anderen) leben in einer Zeit, wo wir davon Abstand genommen haben, irgendeine Methode ganz auszuschließen. Unschuldig verwendet werden darf eine jede Methode, deren vermeintliche Schuld wir nicht anerkennen, d. h. deren ursprünglichen historischen Zweck wir mit einer Mischung aus Zweifel, Widerwille und Gerührtheit (bei einfachen Irrtümern) betrachten, andere Methoden verlangen eine schuldbewußte Anwendung: die Vision, das Sehen-können-von-Dingen-die-man-nicht-sehen-kann muß zurückgeführt werden zu William Blake, der, wenn er heute leben würde, den Geist Richard von Weizsäckers („Spiritual Form of the President“) als eine Kreuzung aus Milbe und Küchenschabe gezeichnet hätte; die Abstraktion dahin, wo sie half, die endlosen, imperialen Ausdehnungsphantasien mit Flächen, Flachheiten zu bekämpfen.
“… way, way, down inside …“
Led Zeppelin, „Whole Lotta Love“
Juttas Bilder sind flach, wenn da Räume sind, sind es die dimensionslosen Ausdehnungen des Weltalls, die besagte dünne Luft, die keine Luft ist und die Beziehungen zwischen Rigel und Beteigeuze regelt. Tiefe ist Irrtum, die Entscheidung dafür rechtfertigte alle Verbrechen dieser Welt. Das Wissen darum, daß alles Gerede von „Dahinter“, „Innen“ und „Tiefe“ zur Rechtfertigung von Massenmorden genutzt zu werden pflegt, verführt dazu die Welt zur Außenwelt zu reduzieren.
Aber gerade das ist die Leistung dieser Bilder: die Innenwelt bejahen, aber flachmachen, in einer Reihe aufstellen, wie Buchstaben, die erst ein Wort, dann einen Satz und dann alles, was die Welt und der Fall ist ausmachen. Also flach und in Reihe und die einzelnen Elemente, sagen etwas, weil sie anders sind als die anderen Elemente (Differenz), nicht weil sie verschieden beleuchtet sind und an verschiedenen Stellen im Raum stehen – das alles die Lektion des Pop, des Narrativen, und so von verschiedenen beherzigt, aber dann – und jetzt geht’s los! – ist das ganze strikt introspektiv (jedenfalls in allen „nicht theoretischen“ Bildern) und damit auf eine verdrehte Art wieder visionär; denn selbstverständlich kann man von Rechts wegen nicht sehen, was in einem vorgeht. Davon gleich mehr. Halten wir das Resümée dieser didaktischen Einheit fest. Innenleben, nach einer Methode, die auf das Erzählen von Anekdotischem aus der Außenwelt abonniert schien. Das entspricht der Notwendigkkeit von Folk-Rock, an dem Punkt, wo man Punk-Rock zuende gedacht hat.
„Wehe dem, der Symbole sieht!“
Samuel Becket
Wie spricht man aber vom Innenleben, wenn man in Bildern spricht, ohne ins Symbolische zu verfallen? Oder in die Unverständlichkeit einer Privatmytik? Symbole sind immer das Ende einer Subkultur, nicht die Symbole, die eine Subkultur produziert, sondern die, die sie sieht. Die 70er Jahre waren das Ende der Linken, weil sie ihren Lebenswandel unentwegt auf Symbole der Abtrünnigkeit ausforschte – das nur als Beispiel. Symbole sind auch aus anderen Gründen dumm, wie alle Zweigliedrigkeiten. Wie also? Wie spricht so ein Jutta-Bild? So wie es das Flache, das ja bereits den Weg zur Sprache, die eben nicht symbolisch, sondern auf den Differenzen eines Wortes zu allen anderen Worten aufgebaut ist, andeutet, fordert: in zwei Arten von Differenzen.
Da ist einmal die Differenz des einen entweder reduzierten oder abstrahierten oder rätselhaften, aber immer sehr dichten und sehr materiellen und oft fleischlichen Gegenstandes zu dem Vagen, Hellen, sichtbar Weggelassenen drumherum.
Die andere Differenz wird von der Methode hervorgerufen, deutlich als solche erkennbare Ausschnitte, dazu auf kleinen Formaten, zu malen. Einige Bilder, wie „Appetite“, sagen, sozusagen als Ausnahme, was da wäre, wenn man sich auf den Ausschnitt beschränkte (dasselbe nämlich, in monströser Menge und Länge). Diese Methode hilft sagen, daß sich das Innere immer nur abbilden läßt, wo man es gegen einen Rand von Unabbildbaren absetzt, daß gerade, wo es aussieht als ließe sich eine Form nach allen gewohnten Gesetzen ohne weiteres verlängern, vollenden, das lauert, was sich nur weglassen läßt, das man aber, um es wenigstens zu betonen, wenn es schon auf anständige kluge Weise nicht malbar ist, gegen das Letzte was noch malbar ist, stellen muß. Das ist in etwa das, was Caspar David Friedrich tut, wenn er die Menschen nur von hinten zeigt (vorne auf der Fresse haben sie nämlich Innenleben) oder Bettina Semmer Autobahnbrücken nur von unten (oben drauf verbluten nämlich Verletzte). Bei Juttas Bildern beginnt an deren Rand immer die Identitätskrise, die man sich erhalten muß, und nicht der Psychologie anheim fallen lassen darf (was man täte, wenn man auch nur den leisesten Versuch machte, sie abzubilden). Jedes Bild ist der Sieg – und so soll es sein – der Ordnung über das Chaos. Aber jedes Bild verheimlicht nicht, daß immer exakt an seinem Rand das Chaos tobt wie bisher; je mehr Ordnung auf dem Bild, desto heftiger.
„… way, way way, down inside, woman …“
(noch Led Zeppelin)
Und so wie der Folk-Rock zurückkehrt als ultima ratio seines Ex-Feindes Punk-Rock, so kehrt der Feminismus zurück in Bildern, die einfach und klar, all das verweigern, was Feminismus in der Kultur ursprünglich ausmachte: geschwätzig-zügelloses Ausbreiten eines noch zu konstituierenden Innenlebens, eine Art Selbstdenunziation der Frau.
Frauendiskriminierung gipfelt immer in der rhetorischen Figur des pars pro toto, Geschlecht pro toto oder Titten pro toto. Das ist das herrlich glänzende, reduzierte schwarze Dreieck, das ist das Objekt. Und dann sind da die Augen – übrigens auch so ein Motiv aus der alten, unterdrückten Hippie-Kunst: Augen überall als Ausdruck von chemisch verursachter Paranoia und hier als etwas ganz anderes: Die Augen sind das Subjekt, weil hier das Subjekt, das weibliche Subjekt, das sich möglicherweise in seiner kulturellen Position keinen Schritt voranbewegt hat, sich die Freiheit nimmt, so zu tun, als hätte es gesiegt, in Kairo im Triumphe eingezogen, und mit einer überlegenen Reduktion, einer Zurücknahme in der Art des Spions, der durch zwei Löcher in der Zeitung observiert, auf das Reduzierte des vorherrschenden pars pro toto-Faschismus reagiert.
Aber das ist nicht einmal der entscheidende Schritt. Der liegt darin, daß das Schmollende, das von der Geschichte Beleidigte, das dem alten Protest – egal ob er ein feministischer oder kommunistischer war – immerzu anhaftete, überwunden worden ist, daß sich die alten Gegenstände und Themen – die Issues, Jutta Koethers letzte Ausstellung hieß: „Keeping The Issues Alive“ – in der hellen Heiterkeit dünner Luft zu Wort melden, daß sie, alle Revolutionen antizipierend, zwischen Kometen und Meteoriten und Göttern, in unverminderter Heftigkeit ihr Nichteinverstandensein äußern. Keine, die Niederlage verklärenden Schreie aus der Gruft, kein Gretchen im Verließ, auch kein Vergessen der Verließe, aber die Gewißheit von der Guattari spricht, daß die Revolution am nächsten ist, wenn sie am weitesten entfernt scheint.
„… way, way, way, way, down inside, woman, you need, love …“
(immer noch Led Zeppelin)
Dies sind die Bilder, die in jeder Beziehung, auf jeder Achse des vierdimensionalen Koordinatensystems, relativ am Anfang eines langen Kampfes stehen. Aber obwohl dies Folk-Rock ist, ist es eben neuer Folk-Rock, der den Punk-Rock in sich trägt und daher weiß, daß man keine Wege geht, sondern schon im ersten Stadium angekommen ist, daß man unentwegt ankommt, und daß es den Anderen, den Bösen in die Tasche arbeitet, wenn man seine Kämpfe romantisiert, am Ende gar seine Leiden. Daher sprechen diese Bilder nur von Triumphen, auch wenn es keine Endsiege sind, von denen Jutta zu erzählen weiß, ja oft sind es Niederlagen, die aber zu Siegen werden, weil sie eine Form gefunden haben, die nicht wegromantisiert, sondern in der klaren, wahren, heiteren Geste spricht, die man macht, wenn man sagt: „Na, Bitte!“
Und da, wo sie am besten sind, sagen Juttas Bilder, mit der Stimme dessen, der ganz oben in einem Wolkenkratzer die Dinge betrachtet und sich am Telefon meldet: „Ja, bitte?“