Windsurfen – Kalifornien für Kretins

Das zeitgenössischste Vergnügen auf deutschen Baggerseen ist bloß eine Kindergarten-Variante des pazifischen Wellenreitens. Aber das Bretteln mit stolz erigiertem Mast fügt sich nahtlos ins Modell Deutschland BRD

Eine der vielen Unterabteilungen der großen Jugendmobilisierung der 60er Jahre was Leben und Welt der kalifornischen Surfer. Superblond und braun in ausgefransten Shorts, high auf den Wellen und unberührbar, vom wirklichen Leben separiert, immer einen Millimeter über dem Sandstrand, nach Staub und Sonne und Sex duftend, ohne festen Wohnsitz, in Baracken übernachtend oder am Strand, waren sie garantiert weltanschauungsfreie Vorläufer und Brüder der ersten, noch aufregenden Hippie-Generation. Abends fuhren sie nach Watts, in die Slums, wo die Farbigen revoltierten, i.e. brandschatzten, demonstrierten, der Polizei und der Nationalgarde Schlachten lieferten und alles Weiße bis aufs Blut bekämpften.

Aber zu den Surfern sagten die Panther nicht: „Git outa here, motherfuckin’ whitey“, sondern luden sie zum Mitplündern ein. Gemeinsam soff man sich durch die aufgebrochenen Liquor-Stores, Schwarz und Weiß. Morgens um vier kam die Nationalgarde, nahm die schwarzen Plünderer fest und erklärte den weißen, daß man es bedaure, aber in dieser Gegend wirklich nicht für ihren Schutz garantieren könne. Die Surfer rülpsten, setzten sich in ihren Station Car und fuhren zurück an den Strand, wo die Sonne aufging.

Heute gibt es immer noch Surf-Punks, surfende Strand-Gangs, eine angepunkte Variante der alten Surfer, ebenso unantastbar und herausgefallen. Blonde Drop outs.

In Europa geht Surfen nicht. Keine Wellen da.

Daß Sport und Subkultur interferieren, ist in Europa selten und verkrüppelt. Fußball hat eine vage Beziehung zu Pop und Glamour und hat einige echte Pop Stars hervorgebracht: George Best, Kevin Keegan, Günther Netzer. Autorennen haben gegenüber anderen Sportarten den Vorteil, Star-bezogen und nicht Nationen-bezogen wahrgenommen zu werden. Tote Rennfahrer sind sehr glamourös: Lorenzo Bandini Superstar! Aber wer will schon tot sein? Auf dem Wasser dominieren die Segler. Doch ihre Subkultur hängt an alten Status-Traditionen und hat längst eine Phase ins Paralytische lappender Dekadenz erreicht: Ein paar Bübchen aus langweilig gewordenen Reeder- und Neureichenfamilien erwerben ihren A-Schein. Ich bin früher auf die dazugehörige Oberschule gegangen. Ich kenne diese Leute, man kann mir glauben.

In den mittleren 70ern kam das Windsurfen auf. Es war die Instant-Sportart der Technik-Studenten, Status-Prolls und im Zuge der Frauenbewegung aus der richtigen Welt herausgescheuchten Ex-Machos. Es ist wirklich auffallend, daß Frauen nie windsurfen. Immer glitschen sie von dem Brett herunter.

Windsurfen ist Plastiklederjacke und japanisches Auto. Gesichtsloser Mittelstand, Modell Deutschland BRD. Traditionslos. Gottlos. Kretinös. Windsurfer haben die meiste Freude an Initiationsritualen. Wie bei der Bundeswehr. Am Strand liegen und zuschauen, wie die Anfänger ins Wasser fallen. Das ist einfach zu schön.

Windsurfer sind nur allzu oft Ex-Dicke und Ex-Blasse, denen eine bestimmte Dosis Zurückweisung bei einer bestimmten Restmenge übriggebliebenen Selbstwertgefühls den Befehl gab, etwas für sich und ihren Körper zu tun. „Bewegung in frischer Luft“, wie die Ärzte in Entenhausen immer sagen. Und das haben sie dann getan. Und nachdem sie die lange, schmerzliche Zeit der Anfangsdemütigungen überstanden haben, wurden sie süchtig. Das ist wie beim Militär, das ja seit Jahrhunderten so funktionierte. Sagen wir spätestens seit den Stein-Hardenbergschen Reformen.

Je länger man dafür, auf irgendeiner Plattform stehen zu dürfen, im voraus durch echte Erniedrigung gezahlt hat, um so größer ist später das Glück. Das ist nirgendwo so sichtbar wie beim Windsurfen, wo die Erniedrigungen vor aller Augen am Baggersee stattfinden.

Windsurfer halten ihren albernen Mast, ja, hier hilft nur die abgeschmackteste Analogie, wie einen stolz erigierten Penis. Seht nur, ich kann’s! Kurven über diese mittelbewegten europäischen Binnengewässer und präsentieren ihren blöden Pimmel! Damit sind sie das Gegenteil der amerikanischen Surfer, die nichts in der Hand halten, sich nicht festhalten, die sich hineinstürzen, statt uncool drüber wegzuglitschen und in einem skurril-eingefrorenen Imponiergehabe zu verharren.

Nach einer Weile wurde die Sucht so bohrend, daß die Windsurfer nicht mehr ihren eigentlichen Jobs nachgehen konnten. Ganze Tage wollten sie am Baggersee und im Winter im Süden verbringen, ganze Tage herumkurven und ihr Ding präsentieren. Da blieb ihnen nichts anderes übrig, als aus der Ersatzhandlung einen Beruf zu machen und Windsurferschulen zu gründen. Das war der Versuch, die Institution des Skilehrers, des anderen großen Proll-Archetypen aus der Welt, wo sich Sex und Sport im Zeichen der Häßlichkeit vermählen, in den Sommer zu retten. In die Welt des Sonnenölsex.

Skilehrer dürfen junge Mädchen in Einzelunterrichtsstunden anfassen, wenn das nötig sein sollte, beim Erklären des Parallelschwungs. Angeblich schlafen sie später mit den Mädchen, und die Mädchen, so sie wohlerzogene Bürgertöchter sind, schätzen an ihnen ihre bäurische Direktheit, die niemals in lästige Verliebtheit umschlägt.

Windsurfer sind aber nicht bäurisch, sondern degenerierte Opfer des Spätkapitalismus (womit ich nicht sagen will, daß bäurische österreichische Skilehrer nicht auch Opfer … und so weiter). Allein ihre Existenz ist ein Grund zum Weinen. Sie sind nicht direkt, sondern so undirekt, daß sie eine Abart männlichen Imponiergehabes nicht nur zur Sportart, sondern zur Lebensaufgabe, ja gar zum Sinn des Lebens erklären, Ich zeige, also bin ich. Damit konnten sie niemals irgendeine Attraktivität auf Frauen ausüben. Die im übrigen von den glitschigen Brettern eh immer herunterfielen. Wie wir bereits gesehen haben.

In dem Film „Pauline à la Plage“ von Eric Rohmer gibt es einen jungen Mann, der seit Jahren am Strand auf ein Mädchen wartet. Er liebte sie als Teenager. Sie liebte ihn nicht und ging wieder nach Paris. Dann lernt er Windsurfen. Sie heiratet in Paris, macht Karriere, läßt sich wieder scheiden und kommt an den Strand zurück. Er will sie erneut heiraten, sie lehnt ab, willigt aber ein, Windsurf-Unterricht zu nehmen. Er begnügt sich traurig mit den wenigen Momenten während der Unterrichtsstunden, wenn er ihr um die schlanke Taille greifen darf. Das findet sie aber so eklig, daß sie die Unterrichtsstunden an ihre kleine Cousine abtritt. Und die sucht sich auch lieber was Gleichaltriges.