Uh, oh, Jazz, du ungelöstes Menschheitsproblem. Tausendundeine fragmentarische Novelle nach der anderen sonderte Shererazade Diederichsen schon zu diesem Thema ab, ringend mit den Engeln, Teufeln und Dämonen bis er Working Week traf, das große Ding (nicht nur) vom letzten Jahr. Musiker, Schicksale, Charaktere, Gedanken, die Antworten zulassen, auf diese größte aller Menschheitsprobleme. Es ist an der Zeit den Kopf aus dem Fenster zu halten – auch davon handelt diese Musik (just a little bit, just a little bit) …
Working Week sind bestimmt keine Band, die es darauf anlegt, hip zu sein. Working Week ist ja eher eine intelligente Band, und als solche legt sie es darauf an, weder unbedingt hip sein zu müssen, noch ausdrücklich etwas dagegen zu haben; im Gegenteil, man ist ja so intelligent und links und sowohl Pop-Kultur- wie Richtige-Musik-geschult/bewußt.
Oh, wie sie keine Fehler machen! Ihr großer Sieg: Durch sie ist Kompetenz hip geworden (wenn das keine contradictio in adiecto ist, darfst du Aristoteles zu mir sagen, oder Brösel). Dreimal dürft ihr raten (falls ihr es bei Erscheinen nicht schon wißt), von wem diese Band wohl eine Coverversion macht. Wie man weiß, sind sie nicht blöd und rennen in keine Fallen und machen also bestimmt nichts von Stan Getz, Charlie Parker, Aretha Franklin, John Coltrane – das wäre alles zu geschmackvoll-offensichtlich oder zu blöd. Auch der Backkatalog von Velvet Underground, David Bowie und The Jam ist vor ihnen sicher, ebenso natürlich zu Obskures wie Grachan Moncur III oder die musikalischen Versuche von Staatsschauspieler Richard Chamberlein. Schließlich sind sie nicht die Prefab Sprout des New-New-(Pop)-Jazz. Bleibt, mit zwingender Logik, nur Jimi Hendrix.
Falsch geraten. Es ist natürlich Captain Beefheart. Klasse, was, denn Captain Beefheart ist natürlich alles und supergut, und jeder weiß es, aber bestimmt kein Swing oder Jazz oder irgend etwas, was man, und wenn es ein Mißverständnis wäre, in „Absolute Beginners“ packen könnte. Aber andererseits ist er natürlich gerade Jazz („That’s right, The Mascara Snake, fast’n’bulbous“ – „Thight also“), in eben diesem höheren Sinne, in dem Working Week das Schöne, Gute und Wahre zu fusionieren vermeinen.
Wie kommt es eigentlich, daß Simon Booth in fast allem, was er sagt, unrecht hat, aber trotzdem alles immer irgendwie hinhaut (er drückt sich nicht etwa unklar aus)? Wie kommt es weiterhin, daß Larry Stabbins in fast allem, was er sagt, weder recht noch unrecht hat, sondern faktische Fakten hinknallt (über deren normative Kraft Klügere als ich schon Bemerkenswertes gedacht haben sollen). Was ich sagen will, ist: Ein typischer Simon-Booth-Satz ist z. B.: „Das einzige Konzept, an das ich glaube, ist das des Culture Clash.“ Ein typischer Larry-Stabbins-Satz ist: „Klar, das ist auch gut. Ich habe es schließlich schon seit Jahren gespielt, aber es paßt nicht zu dieser Band.“ Oder: „Klar, der ist auch gut, mit dem habe ich auch schon oft gespielt.“
Nun will ich aus meinem Herzen keine Mördergrube machen: Ich hasse Culture Clashes, vor allem, wenn sie Konzepte sind. (Nicht nur, weil es immer einen Sieger und einen Verlierer gibt bei so was. Meistens siegt der Baum, Mensch und Auto bleiben auf der Strecke. Im Sterben wickeln sie sich um den Sieger.) Ich glaube, man sollte an sich arbeiten, und nicht an irgend etwas Fremdem herumpusseln, man kann sich ja was aneignen, aber dann wird es einem eigen und ist nichts Fremdes mehr, und es gibt keinen Clash, sondern pure friedvolle Schönheit und Sphärenharmonie. Ich meine, die Dinge sind ohnehin schon so schrecklich gemischt. Nur weil Faschisten und Schweine gegen Rassenmischungen waren und sind, muß man als progressiver Mensch nicht unbedingt alles andere mischen wollen. Bekanntlich ist dabei noch nie etwas Gutes rausgekommen (jedenfalls wenn es bewußt geschah: Zitat-Pop wurde scheiße, als er so hieß und sich auch so fühlte, und Jazz meets India war naturgemäß immer schon kacke, nicht kacke dagegen war’s, wenn einzelne durchgeknallte Free Jazzer – Sanders, Cherry etc. – für Bali, Indien oder Japan sich begeisterten und sich das Zeug zu eigen machten, beseelt und bescheuert, wie es sein muß.)
Hockey aus Neuseeland
Also wer clasht denn hier?
Larry Stabbins, ein unglaublich sympathischer Free-Musiker, Duz-Freund von Brötzmann, der aussieht wie ein uralter Tennistrainer, der Prä-Tiriac/Bosch-Ära, ein Hockey-Nationaltorwart von Neuseeland, ein Cricket-Crack, der mit all diesen Eigenschaften, Lakonie und Korrektheit britischer Prägung, zeit seines Lebens ausgerechnet freie, improvisierte Musik gemacht hat. Weiterhin Simon Booth, der Jazz-Rock und Fusion immer gehaßt hat und Velvet Underground und Bowie und Marvin Gay liebte und wie alle Beteiligten von der Idee besessen ist, Brötzmann sollte zur Punk-Nacht im „100 Club“ aufspielen – Brötzmann wird ja immer vorgeschoben, wenn Jazzer beweisen wollen, wie frisch, radikal, jung und wahnsinnig ihre Musik noch im hohen Alter klingen kann – und er trägt eine modische Brille mit Kordel, lispelt sehr nett und verrennt sich in Idealismen („Musik ist eine internationale Sprache“), Lieblingsbuch: Die Autobiografie eines tschechoslowakischen Swing Waldhornisten, der erst von den Nazis und dann von den Stalinisten daran gehindert wurde, Jazz zu spielen (was Bosheit und Verschlagenheit von Nazis wie Kommunisten zirkelschlußmäßig ebenso beweist wie die Subversivität von Jazz).
Als drittes Mitglied clasht dazwischen: Julie Roberts. Sie macht mich inkompetent (also hip). Ich verstehe nichts von dem, was sie ausmacht, ja was sie nicht nur ausmacht, was sie geradezu stolz und groß und dick und schön macht: Ich bin weder Frau, noch schwarz, noch Negerin, noch Sängerin, und von Soul habe ich auch keine Ahnung, jedenfalls von Soul, der von Frauen gesungen wird. Sie ist während des Interviews etwas mucksch, weil ich die ganze Zeit auf dem Problem herumreite, ob man etwas zusammenfügen darf, das Gott getrennt, oder nicht, und ob es nicht besonders perfide sei, Pop-Songs mit Jazz zu versetzen, wenn man Jazz auch noch zu allem Überfluß richtig spielen kann. Ihr prägnantestes Statement war, darauf zu bestehen, Working Week habe kein Image, man ziehe sich nur zufällig und höchst individualistisch und frei entscheidend so und so an, um dann mit den Worten, „ich muß man zum Ladies Room“, für eine halbe Stunde zu verschwinden.
In der Zwischenzeit ist das Gespräch beim perfekten Song gelandet, besser: bei der Existenzberechtigung des Songs schlechthin (im Gegensatz zum Jazz, zur Improvisation, zur rechtmäßig-avantgardistischen künstlerischen Unverdaulichkeit des freien Jazz, dem Larry Stabbins fünfhundert Jahre lang gedient hat). Simon Booth wird seltsam euphorisch (während Larry Stabbins mit seinen Cricket-Fingern knackt), er richtet sich auf dem Sofa auf und zitiert Roland Barthes und sagt etwas über „Walk On By“ und die generelle Tatsache, daß Songs traurig, absolut herzzerreißend niederschmetternd, aber dann wiederum doch absolut schön und damit aufbauend, ermutigend sein könnten.
Aber eben genau das ist es, was Jazz nicht ist, denke ich, und so sage ich zu Booth, Jazz sei eben nicht einsetzbar, Jazz ist verdammt noch mal Kunst, Alte-Männer-Kunst, aus Prinzip unkonsumierbar. Wenn man Jazz hört, kann man ihn nicht aufessen, es bleibt immer ein Rest, und deswegen ist aktueller und somit atonaler Jazz nie erfolgreich (ist also nichts mit Crossover-Crossculture: Wenn man den Kids Jazz nahebringt, macht man Pop, den man Jazz nennt, und den hören sie ja sowieso. Oder man injiziert Jazz-Soli in ungefährlichen Dosen. Booth widerspricht auch hier, und Stabbins bringt auch hier die Fakten. Gerade in Deutschland und Japan wären die puren Jazz-Einlagen ihrer Konzerte bei den Pop-Kids über die Maßen gut angekommen, ja in Japan hätten sie mit 16-Jährigen gejammt, die aus dem Hut zaubern konnten wie der junge Parker).
Frankensteins Tochter
Es ist ein widerlicher Gedanke, aber er muß raus: Es gibt zwei Schönheiten. Die Pop-Schönheit, unverdient, verführerisch und verschwenderisch wie die Jugend selbst (geliebter Frühling meiner Tage, wie voller Anmut strahlst du), und die Kunst-Schönheit, und die muß verdammt noch mal verdient sein. Ein junges Mädchen mit einem schönen Gesicht – immer gut. Eine junge Frau mit einem schönen Gesicht muß sich diese Schönheit verdient haben, sonst ist sie Maruschka Detmers. Wenn man nun aber Larry Stabbins heißt und sich die Kunst-Schönheit von Alte-Männer-Unverdaulichkeiten verdient hat, kommt man doch nicht auf die Wahnsinnsidee, sich als Orson Welles plötzlich für Sue Lyon zu halten.
(Natürlich gibt es auch noch die Alte-Männer-Pop-Schönheit von Cale und – da wäre er wieder – Captain Beefheart – aber wir hatten uns ja geeinigt, daß der Jazz ist –, aber die kommt hier nicht in Frage. Ach welch Qual und Uneinsichtigkeit meinerseits, hatte ich mir doch früher immer gewünscht, nicht allein zu stehen mit dem Gedanken, daß Marvin Gaye und Cecil Taylor große Musiker seien, warum muß ich diesen Gedanken heute, wo er breit durchgesetzt ist, wieder bekämpfen? Wegen seiner Verwässerung? Wegen der Musik, die mit ihm sich legitimiert? Aus greisenhafter Renitenz und Besserwisserei?)
Aber er hält sich ja gar nicht für Sue Lyon, eher für Dr. Frankenstein. Denn ist nicht Working Week die erste Band, der die Jugend, flirrend vergängliche Schönheit (Pop, Songs, Schmachtfetzen) künstlich herbeizuschaffen, kraft Kompetenz im Labor konstruiert zu haben, gelungen ist. Kraft einer Kompetenz, die übers Spielenkönnen hinausgeht, die mit einer exzellenten Kennerschaft der wichtigsten Musiker bei den drei Musikern aufbaut (Free Jazz, Bowie/Velvet, Soul). Keiner der drei ist unbedingt auf einem dieser drei Gebiete ein Groß-Meister, aber kein anderer hat auch bislang versucht, diese drei Gebiete zusammenzubringen, und zwar nicht Clash-Konfrontation-Provokation-mäßig, sondern additiv (was naturgemäß immer die schönste Verschmelzung ist: die additive). (Gretchenfrage: Kommt es zum dialektischen Umschlag?, Gretchen ab.)
Also Fusion doch gut? Nein, aber Fanatismus. Echter Musik-Fanatismus, nicht ein Konzept treibt seltsame Blüten, nicht die von den zufälligerweise nebenbei noch als intellektuelle dilettierenden Musikern nachgereichten Ideen, sondern Musiker-Fanatismus, ideenloser.
Noch ein Problem. Jazz wächst und entwickelt sich. Manchmal bleibt etwas als Formel stehen und wird Pop. Das ist nicht nur okay, sondern schön, und die Geburt von Rock’n’Roll, Soul etc. verlief genauso (Hallo Jazz, alter Mephistopheles!). Dann gibt es den Versuch, den Jazz, seine Methode, sein E-Musik-haftes Wachsen und Entwickeln in die Pop-Musik zu integrieren (Chicago), um sie kulturell zu erhöhen, was nicht funktioniert (es ist in etwa so idiotisch, wie wenn Maler ihr Publikum mitmalen lassen würden), und es gibt die Pop-Musik, die aus sich selbst heraus anfängt zu delirieren (zu wachsen), was wiederum schön ist: Soft Machine, Beefheart. In Simon Booth verbindet sich Typ 1 mit Typ 3 aufs netteste (auch wenn er blöderweise Charlie Mingus’ Autobiographie für sexistischen Unsinn hält, auch hier hat Stabbins wieder das bessere Argument, er meint, Mingus hätte sie nicht selbst geschrieben), und er haßt Typ 2 („Ich hasse Mahavishnu und Brand X, aber ich mag McLaughlins erste Solo-LP, ‚Extrapolation‘.“ Ich auch.).
Noch zwei Meinungsverschiedenheiten. Booth und Stabbins mögen die Ornette-Coleman/Pat Metheny-Platte und zitieren einen befreundeten Journalisten mit den Worten: „The acceptable face of fusion.“ Ich hasse diese Platte, Cecil Taylor auch: „Ornette is dancing on his head.“
Zweitens: Sie hassen „Absolute Beginners“. Ich finde, daß dieser Film wenigstens ganz schnafte die britische Pop-Lebenslüge untermauert, aller guter Pop/Jazz/Soul sei britisch und sie hätten keinen R&B, Blues, Rock’n’Roll aus USA gebracht, sie hätten ihre eigenen Schwarzen (Ska, Bluebeat). Rock’n’Roller seien zynische Faschisten.
So gesehen, finden sie den Film dann doch wieder gut, weil sie es politisch wichtig finden, daß die Amis englische Soul-Platten kaufen.
Ein herrlicher Lattenschuß
Noch ein echtes Problem, das aber mein Problem bleiben sollte, weswegen ich es wenigstens soweit für mich behalten will, daß ich es in Klammern setze: (Ich habe noch nie ein Stück von Working Week wirklich gut gefunden; immer ganz gut zwar, auf dem richtigen Wege, schön gedacht, herrlicher Lattenschuß, knapp vorbei, da hätte Toni Schumacher sich umsonst gestreckt, wenn der Ball nur ein paar Zentimeter …, schön durchgesetzt, aber zu unplaziert im Abschluß, herrliches Solo, aber nicht präzise genug, eben nicht Soft Machine, sondern allenfalls fanatisch und gut genug, Beefheart und viele, viele andere richtig einzuschätzen. Warum Working Week, wenn ich mir genauso gut erst Dionne Warwick, dann „Pale Blue Eyes“ und dann „Air Above Mountains (Buildings Within)“ von Cecil Dingsbums auflegen kann? Ich weiß warum, wegen live. Und live habe ich sie noch nie gesehen, und deswegen bin ich ja inkompetent und Kompetenz als frankensteinmäßiges Mittel künstlich-ideenmäßiger Konstruktion von Schönheit ist ja das Leitmotiv des Artikels).
K.O.M.P.E.T.E.N.Z. / Ja das ist doch wirklich nett / dafür geh ich jetzt ins Bett / und esse noch ein Brot mit Mett, äh, kannst auch Otis zu mir sagen.



