Zeitschriften

Mit „The Face“ hat ja das ganze Elend begonnen. Vorher war die Stadtzeitungspest ja noch eine ehrlich-mufflig-schleißige gewesen, plötzlich sahen sie alle nach was aus, von Bremen bis Kassel und über Bochum-Nürnberg wieder zurück. Die wenigen Stadtzeitschriften, die weiter auf grau-schwarzem Dreckspapier Unbedarftheiten äußerten, wurden wie von selbst zu besten Freunden. Schöne Dinge für weltoffene Oberhausener. Die Hip-Kaffeekanne für den Prefab-Sprout-Fan aus Göttingen. Dann kam der zweite Akt, die Stadtzeitschriften wurden bundesweit, und niemand konnte sich vor ihrer Liebe schützen. Sogar von mir haben sie, gegen meinen Willen natürlich, ein uraltes Statement aus dem Zusammenhang gerissen und gedruckt: Aber über „Tempo“ brauchen wir jetzt eh nicht mehr zu reden, da deren vollkommen grenzenlose Widerwärtigkeit ja weitgehend durchschaut und akzeptiert ist (als solche). Sie halten sich Beruhigungs-Kolumnisten, die ihnen und ihrer Leserschaft erklären, daß man sich um Hipness nicht mehr zu bemühen braucht (weil das Geschwindigkeit, mithin Tempo erforderte und der österreichische Verstand eher ein langsam, gemütvoller, leider gelegentlich sogar ein pfiffiger ist, was das schlimmste ist), um dann für ihre Parties das zusammenzukaufen und aus England einzuschiffen, was sie für hip halten. Die gleiche Beruhigungsschreibe über Zodiac Mindwarp, deren Fotos ein Art Director in „The Face“ gesehen hat und daraufhin den armen Musikschreiber zwang, etwas zu dieser Gruppe, von der er bestimmt noch nie einen Ton gehört hat, abzuproben. Dieser, von irgendwo und aus dem eigenen Hause gehört habend, daß getürkte Hipness à la Sigue Sigue Sputnik nicht mehr hip ist (in SPEX gelesen), aufgrund einfacher Analogien schließend, daß es sich bei Mindwarp um dasselbe handelt, beruhigt sich und alle anderen mit einem Artikel, der in etwa sagt, daß man heute wirklich nicht mehr alles zu kennen braucht, was sich die jungen Leute da ausdenken. Angeschmiert! Zodiac Mindwarp sind wirklich gut (bzw. gerade gut). Es steht in SPEX. Hier.

Aber ich wollte ja eigentlich von „The Face“ reden, denen man die Scheiße als Urheber in die Schuhe schieben kann, die aber in der neuen Nummer es wieder geschafft haben, mich mit einem Foto auf die Art fast zum Weinen zu bringen, wie es sonst nur das Foto von John Ford, James Stewart und John Wayne während einer Drehpause von „The Man Who Shot Liberty Valance“ vermag, mit einer Fotografie nämlich, die die beiden rührenden Human-League-Hühnchen vor einem Reklameschild in Sheffield zeigt. Und dazu der Satz: „Hat es sich gelohnt?“

„The Face“ können eben aus dem Vollen schöpfen und finden doch noch das eine oder andere Korn. Und sie trauen sich wenigstens mittlere Kühnheiten und drucken einen Text über Dimitri Schostakowitsch. „Tempo“ kauft sich den abgehalfterten Dauer-Nummer-Eins-DJ Jay Strongman und druckt eine Fotostrecke über Hunde mit schrillen Sonnenbrillen (Headline: „indognito“), Kolumnist Glaser geißelt schonungslos den Kulturbetrieb am Beispiel von (na wen hat sich der schonungslose Geißler wohl ausgesucht?) Fritz J. Raddatz. Wow! Leichen exhumieren und feststellen, daß sie tot sind, pfui Spinne, die berühmte österreichische Morbidität! Aber im Gegensatz zu früheren Vertretern dieser Gattung trauen sie sich heute nur noch an Leichen, die garantiert schon zu Staub zerfallen sind.

Womit wir beim „Wiener“ sind, diesem Blatt, das auf den ersten Blick drei Gramm weniger scheußlich ist als „Tempo“, weil es sich a) um Seriosität zu bemühen scheint (obwohl sich Seriosität zu Sloterdijk verhält wie Pietät zu Peter Glaser), b) ein Interview mit Albert Oehlen zustande bekommen hat und c) die Auslassungen des schwulen, grünen Bundestagsabgeordneten zu den Oberkörpern des WM-Aufgebotes ganz lustig waren. Auf den zweiten Blick wird klar, daß der „Wiener“ eine eiskalte miese Schweinemaschinerie ist, die nur in der Lage ist, besser wichtig und unwichtig zu unterscheiden als „Tempo“. Abgewichste Profis eben, die Porno-Fotos drucken und dazu schreiben: die Träume der Bürger. So perfide und so weit konnte bei „Tempo“ niemand denken: Scheiße und Spekulation und menschenverachtende Scheiße zu rechtfertigen, indem man einen aufklärerischen Satz darüberlügt. Da sind die liebenswerten „Tempo“-Trottel, die alles falsch machen, nur noch aus dem einen Grund hassenswert, daß sie sich eben immer noch viel zu sehr in Dinge einmischen, die sie nichts angehen (Pop, Politik und dergl.). Als Feinde vom Dienst, als Verkörperung des grundsätzlich Falschen, das Journalismus immer ist, wenn ihn ein Großverlag finanziert, eignen sie sich als Nachfolger des „Stern“. Wenn sie mal zufällig die richtigen Leute kaufen, wie einmal Tony Parsons, versauen sie seinen Artikel, bis man ihn nicht mehr wiedererkennt. Als Indikator für das Endgültig-Falsche, für das, was wirklich niemand mehr machen sollte, ist „Tempo“ vielleicht sogar so etwas wie unverzichtbar.

Das einzige Blatt, das trotz viel Geld gut ist, ist „Spin“, das von „Penthouse“-Verleger Guccione für seinen Sohn eingerichtete Spiel-Unternehmen, das enorm davon profitiert, daß mit Glenn O’Brien an entscheidender Stelle ein Guter sitzt, dem sich das Geld (das böse) offensichtlich vollständig unterworfen hat. Der andere Vorteil von „Spin“ ist, daß es anders als „The Face“, „Tempo“, „Wiener“, Stadtzeitschriften einen Gegenstand hat (Musik) und nicht nur einen Anlaß (Anzeigengeschäfte).

Womit wir bei den Kunstzeitschriften wären, wo auch endlich eine grundsätzliche Stellungnahme nötig ist, denn viele der Diskussionen, die heute wirklich von Interesse sind, finden zuerst in den Kunstzeitschriften statt. Mit den Zeitgeist- und Stadtzeitschriften haben diese Blätter in der Regel gemein, daß sie nur der Anzeigen wegen existieren, mit den Gegenstand- und Musikzeitschriften, daß sie über etwas reden, das es gibt, sich keine Hunde mit Sonnenbrillen ausdenken müssen (auch wenn die Lektüre von Kunstzeitschriften helfen kann zu wissen, wo diese Idee geklaut ist, bei William Wegmann nämlich, dem Fotografen, Zeichner und Videokünstler, der unter anderm das Cover der letzten B-52s-LP gestaltet hat).

Es gibt drei Sorten von Kunstzeitschriften: Sammlerorgane, die einen lehren, die Kunst zu hassen, was für den Anfang ja gut sein kann, denn die beste Kunst entstand immer aus dem Haß auf die Kunst. Allgemeine Orientierungsblätter, die alles drucken, was Anzeigenkunden (Galeristen) ihnen nahelegen. Hier ist alles möglich, der Guattari-Text ebenso wie Wolkenkratzer-Zen-Buddhismus, und drittens Kunstzeitschriften, die Politik machen, die etwas behaupten, wobei sekundär ist, ob das, was sie behaupten, richtig oder falsch ist.

Ganz unten rangiert natürlich „Art“, das Massenkunstaufklärungsblatt aus dem Gruner & Jahr-Verlag, das von jeder Hitzigkeit, jeder Debatte, jeder Aktualität so weit entfernt ist wie die Horst-Antes-Gemälde auf den Deutsche-Bank-Kalendern in den Wartezimmern ihrer Klientel. Das Blatt liefert allenfalls milde amüsanten Klatsch aus Gremien und Kulturbürokratie, und es wundert einen nur, daß ein Schreiber wie Jörg-Uwe Albig, der als letzter der „Szene Hamburg“ zu Niveau verholfen hatte, hier zwischen „Für Sie entdeckt“ (garantiert oberbeknackte junge Künstler) und „Sammler mit Courage“ (was man alles in die sprichwörtliche Zahnarztpraxis stopfen kann, ohne daß der Bohrer aus der Reihe tanzt) seine Zeit verschwendet. „Kunstforum“ ist ein biederes, teures Büchlein, daß sich in jeder Nummer viel zu lang meist herzlich irrelevanten Themen widmet, der „Wolkenkratzer“ ist die Zeitgeist-Kunstzeitschrift, die alles druckt, was die unsägliche Karin Aderhold für hip hält, und auch sonst durch gläubige Ignoranz z. B. gegenüber jeder mystischen Scheiße aus Italien auffällt. Wer den galoppierenden Unsinn, den ein Enzo Cucchi in der letzten Nummer von sich gab, unkommentiert bzw. freundlich kommentiert abdruckt, kann auch nur noch als Geigerzähler für die Radioaktivität falscher Gedanken ernst genommen werden. Natürlich gibt es hier, man muß das erwähnen, zwischen all dem blühend-blöden Pier-Luigi-Tazzi-Geschreibsel hin und wieder unabsichtlich etwas – wie das Interview mit einem Anti-Dissidenten-Dissidenten aus der UdSSR –, das lehrreich ist. „Flash Art“ (aus Italien, in Englisch, mit einem deutschen Text-Supplement) druckt ebenfalls alles, ist anzeigengeil, konfliktscheu, frönt nur zu gern der Form des unzensierten Idiotenkünstlerinterviews, hat aber wirklich großartige Momente: In der letzten Nummer fand sich hier, exakt zwei Jahre, bevor es vielleicht im Merve-Verlag erscheinen wird, ein flammendes Statement von Felix Guattari, eine Philippika gegen Lyotard und die Postmoderne, in der Nummer davor Jutta Koethers „Pure Invention“, und immer schön ist es, wenn das tschechisch-italienische Herausgeberpärchen Giancarlo Politti/Helena Kontova sein Bettgeflüster als souveräne Konversation über die internationale Lage ausgegeben und mit Titeln wie „Zwei Italiener in New York“ versehen veröffentlicht.

In der letzten Nummer brachten 95 % aller lebenden Kunstzeitschriften einen Auszug aus einem Gespräch zwischen Beuys, Kiefer, Cucchi und Kounellis, das die Schweizer Zeitschrift „Parkett“ als Sonderdruck herausgebracht hatte. Obwohl Beuys erst zur zweiten Hälfte eingewechselt wird, machen seine Beiträge den Preis von nur DM 45 für das Buch wett! Wer sich über die Qualitäten dieses Mannes, der sich gegen eine Flut schleimigster Nachruf-Publikationen (besonders kitschig: Heiner Bastian) nun nicht mehr wehren kann, noch nicht im klaren war, lernt hier jemanden kennen, der wirklich auf jede Frage eine Antwort weiß und die ganze Welt erklären kann. Darüber hinaus kanzelt er den griechischen Hippie-Spinner Kounellis ab, läßt Cucchi, der glaubt, Tiere hätten einen besseren Kontakt zum Universum, weil sie einen Schwanz haben, ins Leere laufen (Beuys: Es gibt auch Tiere ohne Schwanz) und stuft Kiefer, den Großkünstler, zurück in die Rolle des Studenten, der interessierte Zwischenfragen stellt. Empfehlenswert. Auch sonst ist „Parkett“ nicht schlecht, sehr eigensinnig-egoistisch gemacht, leider von einem äußerst dubiosen Kunstgeschmack (Brice Marden, Markus Raetz, Kounellis etc.) geprägt, aber immerhin von einer Vorstellung gezeichnet, von überhaupt etwas geprägt, und wenn es ein netter Schweizer Eigensinn ist – mir ist’s recht. „Art Forum“ aus New York ist der „Spiegel“ unter den Kunstzeitschriften. Machen nie nichts offensichtlich falsch (außer den Beiträgen ihrer deutschen Korrespondenten), sind schwerfällig, langatmig, aber nie flach und vor allem lesenswert wegen Thomas McEvilley, Glenn O’Brien und vor allem wegen Greil Marcus’ Musik-Kolumne.

Die beste Kunstzeitschrift, sozusagen das SPEX unter den Kunstzeitschriften, ist das von einem Fanzine nach und nach großer gewordene „Artscribe“ aus London. Hier veröffentlichen Kunstschreiber aus aller Welt ihre besten Artikel, gute Künstler wie Art & Language schreiben Reviews, und die Diskussion des Zeitgenössischen findet unabhängig von den auf ein hohes Anzeigenaufkommen angewiesenes Farbseitenzwängen statt. Seit kurzem wird Herausgeber Matthew Collings von einem amerikanischen Sammlerehepaar mäzenatisch unterstützt, und sein Blatt dürfte auch in hiesigen Kunstbuchhandlungen zu bekommen sein.

Übrigens haben wir jetzt einen Strafkatalog für unsere Mitarbeiter festgelegt. Artikel in „Tempo“ bringen 500 miese Punkte, im „Wiener“ 250, im „Musik Express“ 125 miese, in „Indiskret“, „Blitz“, „Hiero Itzo“, „tip“ 100 miese, im „Wolkenkratzer“ und jeder anderen Stadtzeitung 50 miese, für Artikel in „Konkret“ und „Artscribe“ schreibe ich mir zehn gute. Wer mehr als 2000 Miese zusammenhat, wird im Rhein gefunden, da, wo’s am tiefsten ist. Ausnahmeregelungen, die im Volksmund „Lex Scheuring“ heißen, bleiben geheim.

PS: Nach Beendigung der Dreharbeiten an diesem Artikel passierte doch tatsächlich Folgendes. Das Telephon klingelte in der Redaktion. „SPEX-Verlag, Diederichsen.“ – „Sprech’ ich mit dem Dietrich Dietrichsen?“ – „Ja.“ – „Ja, hier ist Hutzliputzli aus München, ich führe gerade eine Umfrage durch: Wer wird Fußball-Weltmeister?“ – „Mmh, ah so. Für wen machen Sie denn diese Umfrage?“ – „Für, äh, ‚Tempo‘.“ – „In diesem Falle möchte ich nichts dazu sagen.“ – „Was? Ist das so hart?“ – „Das ist nicht hart, es ist doch nur normal, daß man sich nicht in ‚Tempo‘ gedruckt sehen möchte, oder?“ – „Tja, da kann man nichts machen, trotzdem vielen Dank, auf Wiederhören.“ Dritte Person in der Redaktion: „Wetten, daß im nächsten ‚Tempo‘ in der Umfrage zur WM stehen wird: Dietrich Dietrichsen, Werbetexter: Ich möchte mich jetzt noch nicht dazu äußern, wetten?“