Zelig

Der moderne Amerikaner, namentlich der jüdische, sei angepaßt bis zur Unkenntlichkeit, fliehe die Individualität, die eigene Meinung. And so on. So lauten Tenor und Resümee der meisten „Zelig“-Rezensionen, dem Film eine zivilisationskritische Flachheit, einen Allerweltsgedanken, einen falschen darüberhinaus (denn niemand jagd dem Phantasma der Individualität mehr nach als der Amerikaner) unterjubelnd, der alle seine Finessen ignoriert.

„Zelig“ ist ein simuliertes Fernsehfeature über einen fiktiven, klinischen Fall: Leonard Zelig. Der Film besteht aus simuliertem, teilweise stummem Archiv-Material wie auch aus echtem, in das auf äußerst perfekte Art Woody Allen, der den Zelig spielt, einkopiert wurde. In Farbe und modernem Ton äußern sich bekannte Zeitgenossen zu diesem Fall, von Susan Sontag bis Bruno Bettelheim, stets die eigene Sprechweise bis zur Unkenntlichkeit übertreibend, sich selbst parodierend.

Leonard Zelig taucht in der dokumentierbaren Geschichte auf, indem er die Wege von Prominenten kreuzt; denn das ist schließlich die einzige Chance, ein Leben zu rekonstruieren: Schnittstellen mit anderen Biographien suchen. F. Scott Fitzgerald erwähnt ihn als erster in seinem Tagebuch, nicht einmal zehn Jahre vergehen, bis er es mit Franklin D. Roosevelt, aber auch Adolf Hitler zu tun bekommt.

Zeligs Krankheit steht im Mittelpunkt, sie macht ihn berühmt, trägt ihm einen Titel ein („Chameleon-Man“), macht ihn zum Werbeträger, zum Held von Songs, zum Objekt eines 1935 in Hollywood gedrehten Spielfilms, dessen sich auch zitierend das aktuelle TV-Feature bedient, wenn es darum geht, intime Szenen aus dem Privatleben Zeligs angemessen darzustellen.

Zelig beherrscht eine perfekte Mimikry. Nicht nur in Sprache, Verhalten und Kleidung gleicht er den ihn umgebenden Menschen, er wird auch fett in Umgebung von Dicken, schwarz unter Schwarzen, spricht exotische Indianersprachen unter Indianern und redet die Psychoanalytiker, die sich seiner annehmen, an die Wand, weil er halt auch das perfekt beherrscht: Reden wie ein Analytiker.

Nur ihn selbst gibt es nicht, und das wird als Abnormität empfunden. Diverse Bemühungen, ihn zu heilen, scheitern, was Pressekonferenzen und von versteckten Kameras gefilmte Versuche beweisen. Einzig eine Ärztin (Mia Farrow) scheint gewisse Erfolge mit Zelig zu haben, doch ihr wird ihr Patient genommen, der nun als „Chamäleon-Mensch“ als Star dubioser Show-Veranstaltungen durch die Welt reist.

Später gelingt es ihr wirklich, ihn zu heilen (und zu heiraten), doch da Zelig jede Erinnerung an seine Zeit als Chamäleon fehlt, hängen ihm die Leute Schadensersatzklagen aus dieser Zeit an. Zelig bekommt einen Rückfall, flieht nach Hitler-Deutschland, wird zum perfekten Nazi, bis ihn seine Frau und Ärztin befreit und ob des tollkühnen Manövers der Flucht in den Staaten neuer Ruhm winkt.

Die Hypothese von der Kritik an der Massengesellschaft schlägt beim Betrachten des Films in ihr Gegenteil um. Tatsächlich ist das Lustvolle gerade die Nachahmung, das Plagiat. Es gilt sowohl für die Figur Zelig, die augenscheinlich mit großer Freude in fremde Persönlichkeiten, Kulturen und Rassen hineinschlüpft, als auch für die Form des Films, die augenscheinlich Woody Allens Spaß dokumentiert, die Kunst der Mimikry auf filmische Formen zu übertragen: die Simulation des Fernsehfeatures wie auch des Archiv-Materials, aus dem es zusammengesetzt wird, machen ihm auf ähnliche Weise Freude wie in früheren Filmen, wesentlich weniger perfekt, das Anknüpfen an Spielfilm-Traditionen. Und wie immer, wenn er an seiner eigenen Lustigkeit Spaß hat, überzieht er die Tragfähigkeit der komischen Situationen gegen Ende Films, wenn er die am Anfang immer eingehaltene, seriöse Behandlung des historischen Materials zugunsten von Gags stellenweise aufgibt.

Denn gerade das ist der besondere Reiz von „Zelig“, daß hier eine Fiktion nicht nur ihren historischen Rahmen, soweit er schriftlich überliefert oder in Nachbildungen erhalten ist, ernst nimmt, sondern sich darüberhinaus ausschließlich von der fotografisch dokumentierten Historie vorantreiben läßt.