Verzagt nicht, ihr Sterblichen! Es wird ein weiteres Mal von Zappa, Spike Jones, dessen Collagen Zappa in die Musik blitzschnell einwiesen, und den Beatles die Rede sein müssen, denn Diedrich Diederichsen, ein Mann, den diese Einflüsse prägten, trifft Zoogz Rift, einen Mann, den diese Einflüsse prägten, um sich hemmungslosem Namedropping hinzugeben. Dabei kommen auch Tim Buckleys Spätphase und Details des SST-Lebens nicht zu kurz. Doch selbst begeisterte Zappa-Hasserinnen in der Redaktion müssen Zoogz Rift ein Händchen für zuckersüße Rare-Groove-Stücke, rührende Plattentitel und andere Talente zugestehen. Alle: „Ob Denken, ob Musik, they don’t care, sie sind einfach dick und brauchen mehr …“ (mit unsterblichen Worten des Propheten gesprochen)
Neulich sprach mich jemand im Rose Club an und fragte mich, ob wir nicht mal was über Algebra Suicide bringen könnten. Wer sind Algebra Suicide? Nun, ein Duo aus Chicago, auf diesem und jenem Sampler vertreten, allerdings jeweils nur in 500er Auflage und sowieso vergriffen … ach, ja und dann auf einer der Obscure Independent Classics-Compilations. Als ich dann pflichtgemäß Algebra Suicide auscheckte, stieß ich auf diesen wunderbaren Obscure Independent-Samplern, die Alan Jenkins von Deep Freeze Mice auf dem Mice-Label Cordelia Records (a.k.a. Hamster Records) in recht regelmäßiger Folge herausgibt, wieder mal auf die Mitwirkung von John Trubee. Dieser Trubee war einmal mit einem psychedelischen Marsch und zweimal mit Telephon-Attacken auf wehrlose Bürger („Haben Sie evtl. noch ein Zimmer für eine Orgie mit nackten Mädchen frei?“) vertreten, damit eine Kunstform – wenn auch nicht genauso niveauvoll und begabt – fortsetzend, die der große Kim Fowley Ende der 60er Jahre mit seinem „The Great Telephone Robbery“ erfunden hatte. In den stets vergnüglichen und informativen Liner Notes hieß es, Trubee hätte zwei LPs für Enigma gemacht, die ich indes nie gesehen habe. Auch Richy Häss, von Richy Häss and the Beatniks, treffe ich hier wieder und natürlich auch Zoogz Rift, den wundersamen Scheißkopf, der auf der CD-Version seiner demnächst erscheinenden neuen LP, Nonentity, eine lange Improvisation im Stile der gelegentlich ganze LP-Seiten füllenden Klangdichtungen der Band seines Freundes, Gönners und Europa-Vertreters Alan Jenkins, The Deep Freeze Mice, aufgenommen hat.
„Schreib bitte was über Trubee und Häss. Trubee ist ein großer Künstler und Musiker, ein Komponist, für den Bartók und Zappa hätten zusammenlegen müssen, aber alle wollen von ihm immer nur Telephon-Witze, als er sich weigerte, hat Enigma ihn rausgeschmissen. Häss ist auch ein alter Freund von mir, ein Genie, das es nicht nötig haben sollte, in meiner Backing Band zu spielen, aber außer Cordelia will ihn niemand haben“, sagt Zoogz Rift. Sein Akkordeonspieler, der auf so nie gehörte Art die Rolle eines Keyboarders übernimmt und dessen Töne sowohl als fiese Früh-Siebziger Jazz-Funk-Moog-Spritzer verkleidet sind wie sie auch zu großen symphonischen Gemälden verdichtet werden, und der sich auch immer wieder gerne an „Toccata und Fuge in d-moll“ versucht, ist mir unbekannt; Baß und Posaune haben bei Scott Colbys Slide Of Hand mitgespielt, hinterm Schlagzeug sitzt Häss, an Rhythmus-Gitarre und vollkommen bekloppten Grimassen, John Trubee: „Warum interviewst Du nicht mich? Ich bin intelligenter, habe mehr zu sagen und mache bessere Musik als er.“
Intelligenz, eine wichtige Sache für Zoogz Rift und seine Band, die nicht mehr The Amazing Shitheads heißt.
„Seit ’72 habe ich diese Band, in wechselnden Besetzungen natürlich. Und Comedy war darin immer gleichberechtigt mit Musik, aber ich habe davon die Schnauze voll, wenn man Humor hat, wird man als Clown mißverstanden. Ich aber bin ein Intellektueller und Philosoph und möchte auch so wahrgenommen werden. Also: keine Witze mehr auf der Bühne, Schluß mit den Amazing Shitheads. Und da mich eh keiner beachtet, heißt die Band jetzt wie die neue Platte: Nonentity.“
Blieb ihm überhaupt etwas anderes übrig, als Komiker zu werden, so wie er aussieht? Ein kugelrunder Torso mit dem Durchmesser eines Lastwagenreifens, aber normal dünnen Ärmchen und Beinchen? Nein, er ist ein großer Musiker und Künstler, und wenn man das ist, fällt Humor ganz von alleine ab, und da ein Witz leichter zu verstehen/zu verarbeiten/zu zitieren ist, entwickelt der Witz ein Eigenleben. Wenn Du Pech hast, frißt er Dich am Ende auf, siehe Frank Zappa, der früher nichts anderes war als einer der besten Musiker des Planeten.
„Als ich ganz klein war, hörte ich Spike Jones“. Ohne dessen Collagen wohl auch Zappa nie so schnell das über Musik gelernt hat, was er schon ’66 wußte. „Dann kamen die Beatles.“ Wie hast Du reagiert, als Du „Revolution No. 9“ das erste Mal hörtest? „Nun, da, ’68, war ich mit Weirdness schon vertraut, denn 1966 kaufte ich mir Freak Out, ich hatte also schon ‚The Return Of The Son Of The Monster Magnet‘ gehört als das Weiße Album rauskam, das ich aber nach wie vor für ein Meisterwerk halte. Das einzige, was in der Mainstream-verwandten Musik der 80er sich noch mit solchen Meisterwerken messen kann, sind ein paar frühe Elvis-Costello-Sachen. Als Jugendlicher habe ich mir dann alles angehört, was auf Zappas Label rauskam, auf Straight und Bizarre, so bin ich dann auch auf Tim Buckley gekommen, von dem ich auf der neuen LP zwei Coverversionen mache.“
Genau und zwar auch noch Stücke von Look At The Fool, der vorletzten Buckley-LP aus seiner von seinen Hardcore-Fans vielgeschmähten Kommerz-Phase.
„So sieht es John Trubee auch. Bis vor Greetings from L.A. nur Meisterwerke, danach Ausverkauf. Ich denke dagegen, daß Greetings From L.A. ein absolutes Meisterwerk war, und Buckley erst in Sachen wie Look At The Fool seine wahre Stärke entwickelt hat, als diese zerfleddernde Tiefe in Songs umzuarbeiten, einzubauen.“
Erst recht bei Sefronia, seiner allerletzten Platte.
„Die hab ich nicht. Gibt’s in den Staaten nicht.“
Zoogz Rift, der zu den verachtenswertesten Vorgängen der Kulturgeschichte Captain Beefhearts Rückzug aus der Musik rechnet, war selbst einst Maler, bevor er in einer dadaistischen – so nennt er es – Aktion alle Bilder/Objekte zerstörte.
Ja, ich fühlte mich als Dadaist oder Surrealist und habe diese Begriffe auch auf meine Musik bezogen, aber in letzter Zeit bin ich etwas vorsichtig geworden. Ich ziehe Dalís Autobiographie jeder Zeile André Bretons vor, und ich meine jede der vier Autobiographien, aber ich hasse den ganzen Irrationalismus. Ich bin nämlich für Vernunft. Ich bin für Denken. Das ist nämlich das ganze Problem: die Leute denken nicht, sie sind bequem, bescheuert, enteignet wie die Idioten im Nahen Osten, die größten Knallköpfe der Welt, die einfach blöd wurden, weil man ihnen alles weggenommen hat. Die Leute in den USA wollen tanzen und Partys feiern oder sonst irgendeinen nutzlosen Unsinn treiben. Ich bin für den Gedanken. Meine Message lautet: Think more! Party less! Alle Probleme der Welt wären zu lösen, wenn man den Kindern zwei Dinge beibringt: 1) Es macht Spaß zu denken. 2) Wie man denkt. Das Dada-Ding ist für mich heute eigentlich nur noch eine Methode, weniger ein Inhalt.
Eine Methode im übrigen, auf die man als Musiker heute nicht mehr gesondert hinweisen muß, sie ist sozusagen allgegenwärtiger Mainstream, das Allernaheliegendste. Für Leute wie Rift oder Deep Freeze Mice gilt denn ja auch eher, daß ihr großes Verdienst darin liegt, zu demonstrieren wie auch aus guten Songs/Motiven/Kompositionen unter den Händen von guten/intelligenten/einfallsreichen Musikern ganz von alleine ein wucherndes monströses Gebilde aus Reichtum, Vielfalt und Reziprozität sich entwickelt, das dann von Leuten, die sowas nicht gewöhnt sind zu hören, als Collage empfunden wird, ohne daß es solche Konzepte nötig hätte.
Rift – zu dessen Gefolgsleuten Kapazitäten wie der neue Universal-Congress-Of-Bassist Gorodetsky ebenso gehörten wie Joaquin „Jack“ Brewer – war von ’72 bis ’79 nur eine obskure Randerscheinung der California-Sounds im Wandel der Zeiten, ist seit ’79 in Insider-Kreisen ein Markenname, aber erst seit SST seinen umfangreichen Backkatalog mit LPs wieder veröffentlichte, die auf deutsch Insel der lebenden Kotze, Idioten auf dem Minigolf-Kurs oder Schwerbehinderte in der Vorhölle heißen, ist die internationale Musikkritik in der Lage, ihn zur Kenntnis zu nehmen.
„Ich hatte mal wieder keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Ein Freund von mir war mit Dukowski befreundet und sagte: geh doch zu SST! Ah so, die die Platten von Black Flag und Hüsker Dü machen, tja … wenn Du meinst. Ich traf mich mit Dukowski und Greg Ginn zum Essen, ich hatte nur ein halbfertiges Band dabei, und sie hörten sich das an, sagten nicht viel. Schließlich hieß es: wir melden uns. Ich weiß, was das normalerweise heißt: Hau ab, wir wollen Dich nie wiedersehen. Am nächsten Morgen, ich schlief noch, war Greg Ginn am Apparat und bot mir den Vertrag an, den ich heute habe. Wiederveröffentlichung aller meiner Platten und Carte Blanche für die Zukunft. Ich kann so oft ich will so viele Platten wie ich will machen, SST wird sie immer veröffentlichen. Erst danach habe ich rausgefunden, daß sie ein sehr gutes Label sind, die gute Sachen gemacht haben wie Crazy Backwards Alphabet, Saccharine Trust und vieles mehr. Am besten allerdings ist Dukowskis Band, SWA. Wenn Du sie von Platten kennst, wirst Du schon ahnen, daß sie sehr gut sind, aber live sind sie das Beste, ich habe seit hundert Jahren nicht so viel Energie gesehen. Nur, wenn Du nicht nach Kalifornien kommst, wirst Du sie nie sehen, sie können nämlich nicht weg, weil Dukowski im SST-Office unabkömmlich ist.“
SST verfolgt ja auch zur Zeit eine Europäisierung ihrer Politik, so viele Künstler wie möglich zu so geringen Kosten wie möglich auf Tournee zu schicken. Da man das in den USA aufgebaute Wohnzimmercouch-Fan-Netzwerk hier nicht gebrauchen kann, heißt das Prinzip: SST zahlt den Flug für jede Band, die nach Europa will, um den Rest muß sie sich selbst und der lokale Promoter kümmern. Also spielt Zoogz Rift vor 50 Leuten die schönsten Songs und Coverversionen seiner neuen LP, aber die langen Instrumentalimprovisationen bleiben doch bei so geringem Zuspruch hinter der einmaligen Schönheit einiger auf Platte festgehaltenen Improvisationen dieses Ensembles zurück. Diese Werke, die oft über zehn Minuten lang klingen wie die letzten, entscheidenden, resultativen Momente großer Ensemble-Musik wie „Facelift“ (Soft Machine), „Dark Star“ (Grateful Dead) oder „Sister Ray“ (Velvet Underground), ohne sich mit Steigerungen, Dramaturgie und Hinführung aufzuhalten, eine gewisse Sorte Augenblicke, die man sich schon immer länger gewünscht hat, auswalzen, in filigraner Spielerei, wobei dem Akkordeon als Steigerung der besonders menschlich-fossil klingenden, elektronischen Orgeln in den genannten Beispielen (Mike Ratledge, Ron McKernan, John Cale) besondere Bedeutung zukommt.
Der Rest der Musik von Zoogz Rift, die ich von Platte kenne (leider nur knapp die Hälfte seines umfangreichen Schaffens), läßt sich in zwei Gattungen unterteilen: gute, weiche Soul/Rock-Songs, die er auch von langjährigen Mitmusikern oder verehrten Fremdautoren schreiben läßt und die ihm Gelegenheit geben, seine überraschend schmusige und, wie bei allen unförmigen, verwachsenen und dicken Männern helle und friedliche Stimme zu entfalten. Das Ergebnis seiner Liebe zu den Beatles.
Die andere Gattung betrifft die Folgen der Comedy, und später ihrer Überwindung. Gleich nach Zappa und den Beatles, mit der frühkindlichen Spike-Jones-Prägung belastet, entdeckte der junge Zoogz das Wirken der Fugs und der Bonzo Dog Doo-Dah Band, von denen man heute, wenn überhaupt, nur noch weiß, daß sie politische Wirrköpfe und Witzereißer gewesen sein sollen, aber nicht, was für großartige Musiker und Komponisten. Im gleichen Maße wie ihr Umgang mit allen sie umgebenden kleinen und großen musikalischen Entwürfen (die sie zerhackten und sortierten und kombinierten, wie es eine musikalische Haltung verlangte, die man mit Humor nur unzureichend und mit Parodie oder Ironie ganz falsch beschreibt) Rift beeinflußte, lernte er auch aus ihrer Rezeptionsgeschichte. Eine Kühnheit wie das schlaffverdaddelte und dennoch uhrwerkmäßig abspulende Soft-Funk-Instrumental „M’Bugulu“ (= großer Schwanz auf hawaiianisch) wird niemand als vordergründigen Witz verstehen können, niemand wird sich seiner musikalischen Wirkung entziehen können und niemand abstreiten, daß es das lustigste Stück auf der Welt ist. Direkt danach kommt „Ah Peeked In Duh Devil’s Secret Hell Files“, eine Collage, wo Rift aus Kritiken zitiert, die ihn mit entweder Beefheart oder Zappa vergleichen, um dann echte Zappa- und Beefheart-Stellen zum Vergleich einzublenden, so daß jeder den Unterschied hören kann.
Gut argumentiert, Rift! So stellen sich Rock-Kritiker ihre Musiker vor.
„Ja, ha! Stimmt ja, was die Leute sagen, über Beefheart und Zappa, nur ist es so gräßlich naheliegend. Sie sollen sich etwas mehr Mühe geben. Kennst Du noch die Contortions mit James White? Die waren genauso wichtig für mich. Oder King Crimson.“
Zoogz Rift, der Philosoph und Intellektuelle, ist Anhänger einer Schriftstellerin und Philosophin namens Ayn Rand, in den USA sehr bekannte Erfinderin einer sich „Objectivism“ nennenden Philosophie, die laut Rift „Hegel and Kant and all those people“ widerlege und einen neuen Rationalismus begründe. Außerdem wurde sie durch den Roman „The Fountainhead“ bekannt, in dessen Verfilmung man Gary Cooper als monomanischen, postmodernen Architekten genießen kann, lange bevor es sowas wirklich gab. Amerikanische Gewährsleute aus texanischen Marxistenkreisen nennen sie eine typisch kalifornische rechte Philosophin des freien Unternehmertums, Rift leitet einen eher typisch kalifornischen Anarchismus aus ihrem Denken ab, mit der Forderung nach dezentralisierter Verwaltung, kleinen Wirtschaftseinheiten, Genossenschaftswesen etc. Außerdem ist er ein großer Toleranzprediger: „Ich bin zum Beispiel Atheist. Die Bibel ist ein Haufen Scheiße für mich. Ich bin auch kein Agnostiker, der sagt, Gee whiz!, wer weiß, vielleicht gibt es doch einen Gott, man kann nie wissen, das ist totale Scheiße, warum sollte es einen Gott geben. Aber ich würde nie hingehen und einem verdammten Bibelleser sein Buch auf den Kopf hauen.“
Stört es Dich, wenn ich rauche?
„Es ist schlecht für Dich.“
Ich weiß.
„Okay. Wenn Dich meine Völlerei nicht stört, stört mich Deine Raucherei auch nicht.“


