Es läge nahe zu sagen, daß die Bilder der Bettina Semmer die Schönheit zeigen, die entsteht, wenn das forciert Rationale umschlägt ins Inintelligible, Paradoxe, ja Labyrinthhafte. Mit anderen Worten: Ein leicht schadenfrohes Lachen, bewegt von der nun endlich wieder erreichten, zweckfreien Schönheit einer über sich selbst hinausgeschrittenen, blödsinnig gewordenen Ratio – meinetwegen, zum Beispiel – moderner Verkehrswege. Und dann die Pforten der Kunst ganz weit aufsperren und hineinlassen – ja durch eigenes Entdecken noch etwas nachhelfen – die an die Funktionalität verlorengegangenen Formen.
Ja, das wäre naheliegend, vor allem bei einer Frau. Denn man meint ja, im Allgemeinen, daß diese dem Schönen wie auch dem Irrationalen, wenn nicht sogar auch dem Kritischen, näher steht als der Mann.
Nun kriecht diese Konstruktion ein wenig zu tief unter dem ästhetischen Entwurf dieser Bilder durch. Nicht weil es blöde wäre, das Naheliegende zu tun, sondern weil dieses Naheliegende blöde wäre. Niemals ist das Nahliegende blöde, aber in jedem Naheliegenden wohnt ein Blödes, das es zu eliminieren gilt. Umgekehrt gilt es, das Naheliegende selbst aus jenem Blöden, das man sich gar nicht anzufassen getraut, herauszueisen und zu unterstützen. Beides sind Prinzipien, mit denen Bettina Semmer die Welt bearbeitet, und ich meinerseits diese Bilder bearbeiten könnte.
Vier einander totschlagende Brücken oder ein Fischer, der vor einer Brücke Charlotte Corday den Kopf abschlägt: In beiden Bildern stehen wir vor einem tödlichen Kuddelmuddel in der Mitte, einem Stau, einem Kräftemessen, einem Gewimmel im Strafraum. Und in beiden Bildern führt aus dem Gewimmel eine Straße nach oben, aus dem Strafraum des Bildes heraus. Es ist wie die glückhafte Situation im Fußball, wenn im Strafraum ein Gewimmel bereinigt wird durch den gelungenen Torschuß oder durch sogenanntes Klären, je nachdem ob man ein Anhänger der angreifenden oder verteidigenden Mannschaft ist. So schön wie es lapidar in „Bild“-Kurzberichten über das Enststehen eines solchen Tores heißt: aus dem Gewühl.
Es scheint also eher darum zu gehen: nicht daß sich die Künstlerin überlegen an den Rand stellt, einen Blick auf die Welt wirft, deren oxymoronhaftes sich in Unordnung und Unsinnigkeiten Verstricken genüßlich konstatiert. Nein, sie ist gesellschaftliches Wesen und stellt sich selbst die Frage: Wie kommen wir da raus? Nach oben.
Nach oben? Natürlich nicht in die vertikale Utopie. Zunächstmal steht der Betrachter unter all der Herrlichkeit. Wie soll er etwas benutzen, das ihm nur den kalten Rücken weist? Wer weiß ob nicht gräßliche Lachen aus Blut und herausgerissenen Därmen auf den Autobahnen treiben? Wer weiß, ob sie nicht vermint, verdrahtet oder gar bewachsen sind? Das Oben, das nach oben herausführt, führt direktemang ins Jenseits, ist ein nicht begehbarer Weg. Wir wissen lediglich, daß das Durcheinander in der Mitte, der Knoten sich immer wieder in diese Richtung auflöst. In der Emblematik der psychedelischen Kultur gibt es ein oben als drogenverbrämtes, politisches Utopia. Man mußte in den sechziger Jahren einem eingefleischten Kommunisten nur genügend LSD geben, und schon begann er, nur noch dreigestrichene Töne zu benutzen, besonders auf Orgeln und frühen Synthesizern. Hier gibt es diesen verlassenen Tempel, auf dem oben ein Wald wächst und im Vordergrund ein Mädchen in der Mülltonne liegt. Das Bild heißt „zu hoch, zu tief“ und handelt von der Unüberwundenheit einer Idee von Transzendenz.
Vor den Autobahnbrücken, alleingelassen, gerät man zu der Einsicht, daß sie uns einen schrecklichen und wenig erstrebenswerten Weg weisen. Daß es nicht darum geht, einen begehbaren Weg zu zeigen, sondern die Verdunklung, die Schatten zu malen, die von jeder Idee eines Weges auf die Welt geworfen werden. Schatten, in denen es sich ein Henker bequem machen kann, in denen Munchsche Schreie ausgestoßen werden. Der Abbau der Unendlichkeits- und Erhöhungshoffnung schafft Raum für fahles, reales, schönes Licht.
Was den Rang dieser Bilder ausmacht, ist folgender Umstand: Sie zeigen etwas Schönes auf schöne Weise, verlieben sich aber nicht in diese schöne Weise, aus der sie ihre Existenzberechtigung ziehen könnten, sondern nutzen diese schöne Weise, um auf den prinzipiellen Irrtum des dargestellten Schönen hinzuweisen, ohne die schöne Darstellung als etwas Anderes zu benutzen denn als Maßnahmen zur Wahrheitsfindung.