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  • President Bush’s Most Wanted – Unterwegs mit Ice-T

    Unter-Road-Manager: „Hey, Ice, das ist …, wie war doch dein Name? Ich kann ihn nicht aussprechen, jedenfalls der Typ, der hier mit uns im Bus reisen soll, dieser Journalist aus Deutschland.“

    Ice-T: „Nett, dich kennenzulernen, hoffe du magst Muschis. Denn wir werden sie dir massenhaft besorgen. Was meinst du, Islam?“

    Afrika Islam: „Oh, ja, wir werden dich glücklich machen, vorausgesetzt, du weißt das zu schätzen.“

    Ice-T: „Nun aber los, geh da rüber und verschaff dir ein Entree bei den Damen.“

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    Ice-T ist zu diesem Zeitpunkt schon seit einigen Monaten auf Tour. Im ersten Teil seiner zweistündigen Show werden Greatest Hits der LPs Rhyme Pays, Power, Freedom Of Speech und Original Gangster aufgeführt, unterbrochen von langen Ansprachen, die das jeweils Kommende erklären, interpretieren und kommentieren. Man fühlt sich erinnert, wie Rap, wie Toasten aus der Kunst der Überleitung, der Conference entstanden ist, ein uneigentlicher Nebeneffekt, der zur Hauptsache wurde. Dann erklärt Ice, daß sein Publikum sogleich Zeuge einer Verwandlung werde, „vom Rapper Ice-T zur Thrash-Metal-Band Bodycount“. Diesen Aspekt der Show finden die schwarzen Intellektuellen New Yorks, mit denen ich mich über die Show unterhalte, besonders abstoßend: „Minstrelshow“, meint Gary Simmons, ein Künstler, der demnächst mit KRS-One zusammen arbeiten wird: „Ich habe große Probleme mit Leuten wie N.W.A., Ice Cube oder Ice-T. Es ist immer die Rede von den großen Errungenschaften der African-Americans. Aber was wir tun, ist doch immer noch in erster Linie Unterhaltungsprogramm für Weiße, denen wir Rollen wie den „Original Gangster“ vorspielen. Und solche Acts sind dann ja auch viel erfolgreicher als jemand wie die hier (die Brand Nubian, die wir gerade hören), die nicht nur positive sind, sondern auch bessere Musik machen.“ Ice-T: „Du mußt crossovern. Wenn du ein rein schwarzes Publikum ansprichst, wirst du kaum über 650.000 Einheiten kommen, wenn du sehr erfolgreich bist. Um 1,5 Millionen zu erreichen, brauchst du auch weiße Käufer.“ Wie unterscheiden sich die weißen Fans von den schwarzen? „Die schwarzen sind ärmer. Sie kaufen sich das Tape. Die weißen haben die CD, das T-Shirt und die Ice-T-Tour-Jacke. Außerdem reagieren die schwarzen Fans manchmal etwas sauer, wenn ich ein bißchen intellektueller werde, sie meinen, daß es nicht cool wäre, daß es zu weiß wäre, wenn man das tut.“

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    Ice-T ist in New York nicht besonders wohlgelitten. Er, der ursprünglich aus der Gegend kam, hat L.A. ja als erster auf der Hip-Hop-Landkarte eingetragen. Entsetzt und angewidert sehen sich seine Hardcore-Band und seine Hip-Hop-Crew im Tourbus Tim Dogs „Fuck Compton“-Video an. In diesem Video rechnet Tim Dog vor stereotyper Bronx-Kulisse mit dem Westcoast-Rap ab. Wir befinden uns drei Monate vor der 92er L.A.-Rebellion, und in diesem Video verbrennt eine Karte von L.A., das Feuer bricht in Compton aus. Schließlich geht es auch persönlich gegen Ice-T, und ein Eazy-E.-Lookalike wird von Tim Dogs Kumpels fertig gemacht. „Ice sollte das persönlich mit diesem Typen austragen, das kann er sich nicht bieten lassen.“ Afrika Islam, selber New Yorker, ist empört. In New York berichten die Besucher des Cypress-Hill-Konzerts begeistert, daß auf „Say Yo!“ und „Wave your hands in the air!“ zwar kein Mensch mehr reagiere, bei „Fuck Compton“ aber das ganze Haus wie ein Mann crazy gehe und brülle, bis die Wände wackeln und die Kühe nach Hause kommen. Das ganze Ice-T-Konzert im New Yorker „Ritz“ steht im Zeichen einer gewissen Nervosität, es in der Vaterstadt des Hip-Hop bringen zu müssen. Dabei bestand das Publikum zu achtzig Prozent aus weißen Queens-Kids mit Biohazard-T-Shirts und um den Bauch gewickelter Oberbekleidung, die schon während des Rap-Teils Pits bilden, moshen und stagediven. Dazu werden sie auch schon von der Vorgruppe ermuntert: Hardcorps bestehen aus zwei MCs, einem DJ und einer weißen Rockband (Gitarre, Baß, Schlagzeug), die wirklich fürchterlich schlecht ist. Sie kommen aus Nashville und symbolisieren die massive Nachfrage, vor allem im ländlichen und provinziellen Amerika, nach einem Crossover von allem, was hart ist und abgeht. Schließlich versucht einer ihrer Gitarristen zu diven, was aber schiefgeht (Absturz). Als Ice-T gegen Ende des Bodycount-Auftritts, inzwischen ohne Mütze, mit wirren, langen Haaren, als MC Kinski den Woyzeck gebend, mit ausgebreiteten Armen jesusmäßig in die schwitzenden Mosher segelt, wird er natürlich aufgefangen. Hinterher meint er zum gescheiterten Hardcorps-Gitarristen: „Stagediving – it’s a black thing, you wouldn’t understand.“1

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    Besonders peinlich wird die Zusammensetzung des New Yorker Publikums, wenn Ice-T zur großen Ansprache ansetzt: „Wißt ihr, warum sie sagen, daß Rap gewalttätig ist, einen schlechten Einfluß ausübt? Weil sie nicht wollen, daß wir miteinander Spaß haben. In den Fünfzigern gab es eine Sache, die hieß Rock’n’Roll. Das machten Leute wie Little Richard, Chuck Berry, Bo Diddley und Fats Domino, und viele weiße Kids waren begeistert. Das konnten sie nicht ertragen. Also mußte Pat Boone das Zeug aufnehmen und verwässern, und motherfuckin’ Elvis wurde der King des Rock’n’Roll. Heute versuchen sie wieder dasselbe. Ich sehe da unten schwarze Kids (wo?), orientalische2 Kids (wo?), hispanic Kids (wo?) und weiße Kids (reichlich!). Wir haben zusammen Spaß, und sie wollen das verhindern.“ In Atlanta, Georgia, sah das ganz anders aus. Nicht nur, daß die Vertreter der genannten Ethnien sich zu relativ gleichen Teilen schwitzend miteinander verknäuelten, auch die diversen Subkultur-Tribes hatten miteinander Spaß: reservierte Stüssi-Vögel, dicke weiße Biker, B-Boys mit Danzig-T-Shirts, alte Blueser mit XTC-T-Shirt, die Biohazard-Crowd, die Cro-Mags-Crowd, die Public-Enemy-Crowd und diverse Moslems und afrocentric Kids nahmen mit Begeisterung Ice-Ts Botschaften auf. In dem schon im frühen März mild warmen Atlanta wartet schon früh eine dankbare, multikulturelle Crowd auf Einlaß. Zwei ausgesprochen nette lokale Cops, die außerdem Hip-Hop-Fans sind und sich auch schon auf die Show freuen, machen relaxed die Security. Für jeden haben sie ein Scherzwort. Als ein Ice-Cube-Lookalike an der Reihe ist, wird er mit „Ah, Ice Cube is in the house“ begrüßt. Ich muß dran denken, daß der Rock-Teil der Show mit dem Song „Cop Killer“ als Finale enden wird. Ein Song, gegen den „Fuck Tha Police“ zum Weihnachtslied wird („Ihr Kinderlein kommet und fickt die Polizei!“). Tatsächlich partyen die beiden netten Beamten hinterher in der wild moshenden Crowd, der eine Arm in Arm mit einem PE-Jacken-Träger, der andere mit einer Southern Belle. Doch Ice erklärt natürlich in einer detaillierten Ansprache, daß es auch nette Cops gibt und dieser Song sich sowieso vor allem auf die berüchtigten und statistisch als notwehrfreudige Folterbullen erwiesenen Polypen vom LAPD beziehe. Die beiden Homeboy-Cops haben kein Problem, zur Aufforderung zum Kollegenmetzel ihren Mosh-Jitterbug-Crossover aufzuführen. Zwei Monate später führt die Legitimierung der LAPD-Übergriffe durch die weißen Geschworenen von Simi Valley nicht nur zur größten urbanen Erhebung der Nachkriegsgeschichte, der Song „Cop Killer“ wird erst von Polizei-Organisationen und später nahezu dem gesamten weißen Establishment zum Anlaß genommen, Anti-Rap-Kampagnen zu führen. Präsident Bush persönlich erklärt Ice-T zum Staatsfeind. Unter Druck nimmt Ice-T den Song von dem Bodycount-Album und ersetzt ihn durch seinen älteren „Freedom Of Speech“.

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    In New York muß sich Ice bei der Pressekonferenz gegen den Vorwurf der diversen schwarzen Hip-Hop-Journalisten verteidigen, er sei heutzutage ja häufiger in Details oder Spin zu finden als in den Hip-Hop-Spezialmagazinen. Der bekannte Ausverkaufs-Vorwurf mischt sich mit einem unausgesprochenen „Rassenverrats“-Vorwurf. Ice verteidigt sich so gut er kann, und er kann gut, der Mann ist ein geborener Volksredner, der jedem gibt, was er will, ohne seine Zentralbotschaft aufzugeben, daß er der Gangster sei, der es sowohl zum radikalen Politiker gebracht habe wie zum snowboardfahrenden Yuppie. „Ich habe doch gerade noch eine Fotosession für euer Blatt gemacht. Eh, Ice vergißt doch seine Leute nicht.“ Einer der Freunde von Ices Manager Jorge Hinojosa, der auch schon für/mit Miles Davis gearbeitet hat, eilt Ice mit einem Miles-Vergleich zu Hilfe – als der Rock gemacht habe, hätten auch alle gesagt, der Brother hätte ausverkauft. Ice: „Oh ja, ich bin ein großer Fan von Miles. Verstehst du, ich hätte ja auch alles ganz anders machen können, ich hätte mir einen Haufen weißer Rockertrottel ausleihen können, die hätten es geliebt, meine Band zu werden, hab ich aber nicht. Ich habs mit denselben gangbanging fools gemacht, mit denen ich auch sonst abhänge. Ich habs in demselben Slang gemacht, den meine Freunde verstehen. Vielleicht bin ich ein abstract black guy, aber meine Homies mögen es. Ansonsten kommt halt jeder rein, der ein Ticket bezahlen kann.“ Schwarzer Journalist: „Aber Schwarze mögen diese Musik einfach nicht, wie willst du sie damit erreichen?“ Ice: „Das ist doch Quatsch. Außerdem habe ich auch auf der Tour mit Public Enemy vor einem rein weißen Publikum gespielt, und würdest du sagen, ihre Raps richten sich an Weiße?“ Weißer Journalist (flötend): „Iß find diß irre gemein, däß du diß so verteidigen mußt.“ Ice: „Das bin ich gewöhnt. (Und in der Tat gibt es wohl keinen Rapper, dessen Platten und Konzerte so voller präventiver Erklärungen und Diplomatie sind wie Ice-Ts. Später zu mir im Bandbus: „Ich will halt immer die ganzen Interviews und Rezensionen schon vorwegnehmen.“) Ich will dir sagen, worum es mir geht, in einem Wort: Mut. Das ist das, was ich von der Gang mitgenommen habe. Es geht immer darum, den Mut zu haben. Es gibt was zu tun: Wer macht es? Wer hat den Mut? Wer traut sich? Wer nimmt verdammt noch mal die Gelegenheit wahr? Und wenn man so etwas wie Mut, ein Gefühl der eigenen Stärke den Brothers geben kann, dann ist das was wert. Darum geht es.“

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    Ice-T betont also ähnlich wie KRS-One („mein Freund Chris“), daß die kriminelle Energie ihn vor der Kriminalität letztlich gerettet hätte, daß sich ein Criminal Mind in ein radikales Mind verwandeln könne, sein literarisches Vorbild dafür heißt Iceberg Slim. Iceberg Slim, bürgerlich Robert Beck, war ein Zuhälter, der Ende der Sechziger, nachdem er mal wieder aus dem Gefängnis kam, seine Biographie schrieb. Darauf kam er, nachdem er einen schwarzen Psychologie-Professor kennenlernte, der ihn dazu ermutigte, seinen reichen Erfahrungsschatz zu vermarkten. Es war eine Zeit, in der Radikale cool waren und Pimps im Begriff waren, demnächst cool zu werden. Der Professor hing für Icebergs Geschmack zuviel mit Weißen rum und legte etwas zu aufsteigermäßig Wert auf einen gewissen bürgerlichen Lebensstil. Aber frisch aus dem Knast und in der Welt der Reichen und Famosen unsicher, schöpfte er keinen Verdacht, er mochte den Brother. Doch dann kam der mit einem uncoolen Vertrag nach dem anderen, Rechtsverdrehern und Kleingedrucktem, da schrieb Iceberg seine Story selbst. Pimp wurde ein Megaseller. In den folgenden Büchern radikalisierte sich Iceberg und wurde zunehmend politisch. Sein letztes Buch, The Soul Of Iceberg Slim3 – das sich nicht zufällig neben William E.B. Du Bois’ Standard-Werk The Souls Of Black Folk und Eldridge Cleavers Soul On Ice stellt –, widmet er diversen schwarzen Revolutionären, darunter Angela Davis. „Er hat sich gefreut, als ich ihn anrief und sagte, daß ich seinen Namen für einen LP-Titel verwenden will. Er sagt, es sei gut, wenn noch mal jemand an das alte Zeug denken würde.“ In der heutigen Lage, wo Leute nicht mehr aus Kalkül, sondern aus Crack-Irrsinn Leute in den Kopf schießen, denen sie eben zwanzig Dollar abgenommen haben, wie Rollins’ Freund Joe Cole geschehen (den man auch aus diversen Pettibon-Filmen kennt), wo sich in Brooklyn täglich Kids umbringen, weil einer eine falsche Bemerkung macht oder seltsam guckt, ist es für meine New Yorker Gesprächspartner verantwortungslos, dumm, negativ und minstrelhaft, sich „Original Gangster“ zu nennen. „Wenn es so toll ist, ein Gangster zu sein, warum ist er dann keiner mehr? Das ist diese Authentizitätsscheiße: Ich war wirklich im Gefängnis. War er das überhaupt? Hat das mal jemand recherchiert? Und wegen was, öffentliches Urinieren? Ich war auch mal im Gefängnis und finde das überhaupt nicht lustig.“ Aber ist es nicht gerade das Problem, daß die 12-Jährigen und 15-Jährigen eben nicht criminal minded sind, eben keine Gangster mit Courage, aus der Radikalität werden kann, sondern höchst verunsicherte Schwerbewaffnete, die das Schweinesystem zum gegenseitigen Abschuß freigegeben hat? Der Crack-Irre, der noch Leute abknallt, die am Boden liegen und vor Angst zittern, hat keinen gangstermäßigen Grund dazu. In einem Round-Table-Gespräch mit Schülern aus Brooklyn sagt einer: „Du hast überhaupt keine Ahnung, wann und wo und warum dir was passiert. Du weißt, daß es verboten ist, auf der falschen Straßenseite des Linden Boulevard zu gehen, aber erst seit sie da neulich ohne Vorwarnung einen erschossen haben. In L.A. haben sie wenigstens Gangs, das bedeutet wenigstens Regeln, du weißt wenigstens, was erlaubt und verboten ist und für was du abgeknallt wirst.“

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    Zur Kriminalität im Ghetto und ihrer Verharmlosung oder Verherrlichung hat jeder eine Meinung. Es gibt eine ganze Generation eines neuen schwarzen intellektuellen Konservatismus, wie er von Leuten wie Stanley Crouch und Wynton Marsalis vertreten wird, die die ganze Hip-Hop-Kultur in diesem Zusammenhang verdammen. Es gibt die New Yorker progressiven Intellektuellen, die die Positivity und den musikalischen Reichtum der Brand Nubians oder Poor Righteous Teachers schätzen, ohne sich einen Reim auf Ciphers, 360°, Clarence 13X und Leonard Jeffries4 machen zu wollen. Zwar ist eigentlich nur der Spiegel so dumm und reaktionär, die Entwicklungen in den Schulen von Brooklyn auf zuviel Gewaltvideos zurückzuführen, aber das Unbehagen über das Gangsterimage bei meinen New Yorker Freunden gilt ja auch nicht der Drastik und Radikalität von Ice-T, Cube, Geto Boys, N.W.A., Too Short etc., sondern der Tatsache, daß sie, die erfolgreichsten Rapper, eine erfolgreiche, schwarze Pop- und Gegen-Kultur an ein einziges Stereotyp verramschen, eines, das auch dem entspricht, was weiße Rassisten schon immer gewußt haben wollen. Auch wenn das vielleicht den beiden Ices oder dem sprach- und hilflosen Blues der Geto Boys gegenüber in unterschiedlichem Maße ungerecht sein mag, ist es doch ein unendlich schwerwiegenderes Argument als die deutsche Liberalenformel Metzelvideos führen zu Selbermetzeln.

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    Noch ein Eisberg. Diesmal der Eisberg der Geschichte. In Paul Veynes gleichnamigem Buch, Merve Verlag, Berlin 1981, widmet sich dieser einem Aspekt der Pop-Kultur im alten Rom, den er, nicht ganz scharf, mit der heutigen Rolle von Porno-Stars analogisiert. Tatsächlich läßt sich die folgende Stelle nur zu gut auf die Funktion schwarzer Künstler – vor allem eben solcher, die das, was Weiße am erzwungenen schwarzen Leben in den USA sensationell finden, aufgreifen – übertragen. Der vorhin vielleicht noch schwer verständliche Bezug auf Minstrel-Shows wird ziemlich klar:

    Und die Gladiatoren hatten nun mal in der Antike den zweideutigen Ruf von Porno-Stars: wenn sie nicht als Stars der Arena faszinierten, verbreiteten sie Schrecken, denn jene Freiwilligen des spielerischen Mordens waren Mörder und Opfer zugleich, Selbstmordkandidaten und zukünftige, wandelnde Leichen. Man hielt sie, genauso wie die Prostituierten, für unrein: beide seien Infektionsherde im Inneren der Städte, es sei unsittlich, sie aufzusuchen, denn sie seien dreckig, man müsse sie mit der Pincette anfassen. Was erklärlich ist: bei der großen Mehrheit der Bevölkerung weckte die Gladiatur, ebenso wie der Henker, ambivalente Gefühle, Anziehung und vorsichtige Zurückweisung; einerseits fand man Gefallen am Leiden-Sehen, war da die Faszination des Todes, der Genuß an der Leichenschau, und andererseits war da die Angst, zu sehen, daß sogar inmitten des öffentlichen Friedens legale Ermordungen geschehen, die weder Feinde noch Kriminelle betreffen: daß also der Gesellschaftszustand nicht mehr vor dem Gesetz des Dschungels schützt. (…) Die Mischung von Horror und Attraktion führte zu der Lösung, dieselben Gladiatoren, denen man als Stars akklamierte, zu bespucken und sie, genauso wie Blut, Sperma und Leichen, für unrein zu halten. So war es erlaubt, den Kämpfen und Hinrichtungen in der Arena mit bestem Gewissen beizuwohnen: die grausamsten Szenen der Arena waren beliebte Motive für „Kunstgegenstände“, welche die Privatwohnungen schmückten.

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    „Das war schon in den frühen Achtzigern, daß mich Freunde zu Punk-Konzerten schleppen wollten. Was soll das heißen, Punk-Rock? Da wo ich herkomme, ist ein Punk was anderes.5 Aber ich war begeistert. Black Flag war eine großartige Band. Ich mochte schon immer Sachen wie Black Sabbath und frühe Blue Öyster Cult. Die Misfits. Slayer wurden eine absolute Lieblingsgruppe von mir (singt, röchelt „Angel Of Death“) und ich mag auch das englische Grindcore-Zeugs, Napalm Death und so. Aber das wollte ich nicht spielen, ich wollte verdaulichen Metal machen. Nicht dieses Brüll-Drissel-Bratz-Brutz-Klönglönglöng-Pling-Peng-Ratatata-Ballallabam-Quietsch-Zerr-Zeugs.“ Digestable Metal ist wirklich ein schönes Wort für die LP von Bodycount, es ist das Wort für alles, was zur Zeit kommerziell abgeht: Nirvana, Metallica, Pearl Jam, Mudhoney. Aus welchen Lagern, Gründen, Ideen, Soziotopen, Suburbs, Verhältnissen sie gekrochen sein mögen: Heute haben sie diese unvermuteten Erfolge mit digestable metal. Japanische Journalistin: „Da gibt es dieses Lied, ‚Winners Loose‘, äh, ich meine: Du kannst ja richtig singen.“ Ice: „Es freut mich, daß es dir gefällt, aber von gutem Singen kann wirklich keine Rede sein. Meine Stimme reicht nicht von hier bis zum Büfett (wo lustigerweise Eistee ausgeschenkt wird). Aber das Lied war so schön, so dramatisch, wir haben beschlossen, es immer noch prätentiöser und prätentiöser zu machen, bis der Aufstrich richtig dick ist. Und es ist mir trotzdem ernst damit, es handelt von meinem Homie, der sich zu Tode gekokst hat.“

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    Nachmittage im Bandbus. Die blaue Stunde. Wim Wenders hat draußen eine „amerikanische“ Kulisse bauen lassen: „endlose“ „Weite“, Gebrauchtwagenmärkte, Gebrauchtwagenmärkte, Heimwerkermärkte. Tacos, Tacos, Burger, Tacos. Drinnen chinesische Gesundheitsdrinks mit Gelee Royal. Räucherstäbchen (der neuerdings wieder ebenso politisch korrekte wie afrozentrische Geruch). An der Tankstelle fragt der Wart mich: „War das eben Ice-T?“ Ja. „Und sie, ich meine die Frau, war sie’s? War sie’s wirklich?“ War sie wer? „Naha, die scharfe Frau von dem Power-Cover?“ Ja, das war Darlene. Darlene und Ice sitzen hinten in ihrem Privatgemach, die Homeboys von der Rap-Show dösen in ihren Kojen. Die Musiker von Bodycount und das mittlere Management hängen mit mir im Gemeinschaftsraum und analysieren Musik. Und immer wieder „Winners Loose“, die schmachtige Rockballade, die bei Blind Dates in der Spex-Redaktion den Scorpions zugetraut wird. Man blättert in den Metal-Fachmagazinen und verfolgt den unaufhaltsamen Aufstieg verdaulicher Metalplatten in allen Charts und Playlists. „Da will ich uns nächste Woche sehen.“ Und noch mal läuft „Winners Loose“ über das System. Ich beginne, mich an den Schmachtfetzen, der live nicht gespielt wird, zu gewöhnen. „Oh, Mann, das ist so perfekt, und kein Mensch käme auf die Idee, daß es Ice-T wäre.“ – „Diese Phrase hat er geklaut, ich weiß nicht wo, aber das ist von Led Zeppelin oder Blue Öyster Cult.“ – „Das Ganze ist eine Mischung aus Cipollina, „Stairway To Heaven“ und Miami Vice-Songs.“ – „Du hast ein feines Ohr.“ – „Wie hier die Baßlinie stehen bleibt.“ – „Und wie er hier noch mal so schmeckleckerisch über die Saiten rutscht.“ Der Bassist starrt mir schon seit zehn Minuten auf die Füße, bzw. auf die verschmutzten, uralten weißen Sneaker: „Welche Größe hast Du? Ah, das ist etwas kleiner als meine Füße. Warte, ich hab da Schuhe, die mir zu klein sind. (Kommt mit einem Paar schwarzer Wildleder-Slipper zurück.) Da. Und die anderen wandern sofort in den Müll, ich will sie nicht mehr sehen.“

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    „Winners Loose“ ist nicht nur wieder eine dieser melancholischen Anti-Drogen-Balladen, die schon immer Werbung für Drogen waren („Heroin“, „Codine“), es ist auch eine Absage an den Versuch, es wie auch immer alleine schaffen zu wollen. Dennoch ruft Ice-T nicht zur Unity auf, sondern schwärmt allenfalls von Momenten der Solidarität in der Hood. Nie wird er müde, von seinen Freunden zu reden. Bei Pressekonferenz, Interview und in jedem der Konzerte, die ich gesehen habe, erwähnt er vor allem Ice Cube und HenryRollins. „This song is dedicated to my homeboy Henry Rollins“, leitet er jeden Abend „Mother’s Gotta Die Tonight“ ein. Man hatte sich auf der „Lollapalooza“-Tour kennengelernt, dem subkulturenverbindenden Großereignis vom letzten Sommer, wo Siouxsie, die Buttholes, Rollins, Nine Inch Nails und Ice-T zusammen unterwegs waren: „Und da er sonst jeden haßt, habe ich es als Kompliment genommen, daß er mich mag. Er ist total korrekt und nimmt keinen Scheiß von niemandem. Ich bin der Auffassung, daß ein schwarzes Kind, ein weißes Kind, ein puertorikanisches und ein orientalisches Kind, wenn man sie ohne Eltern aufwachsen ließe, die besten Freunde würden. Parents fuck you up. Und davon handelt dieser Song. Eltern stopfen dich mit diesem ganzen Rassismus-Scheiß voll. Und dafür steht die ‚Mother‘ aus diesem Song.“ Dafür steht sie aber nur dank der Einleitung, in deren Verlauf Ice von der Mutter eines Freundes spricht, die diesem verboten hätte, mit einem weißen Mädchen auszugehen, weil Weiße prinzipiell böse seien. Ebenso Jamaikaner, Puertorikaner, Chinesen etc. Der Song selber beschreibt nur eine extrem brutale Ermordung, Verstümmelung, Metzelung einer Mutter. Eine Story, die im Hip-Hop-Kontext unmöglich wäre, bei dessen schon in seiner Form – direkte Ansprache, Identität des Rappers mit seinem lyrischen Ich – angelegten Community- und Familien-Bezug. Keine Thanx-Liste, bei der nicht, so vorhanden, der Mutter gedankt wird. Die Wichtigkeit der schwarzen Mütter für den Zusammenhalt der Communities bei oft vaterlosen Familien ist ein Gemeinplatz. Der Muttermord war bisher eine klassische Hardcore-Idee, und es bleibt nur die Frage, ob Ice HC machen mußte, um so etwas sagen zu können, oder ob er einen solchen Text erfand, um einen typischen Hardcore-Text vorweisen zu können, der dann per Einleitung noch bizarrerweise zu einem Statement gegen Rassismus wird. Dein Freund Ice Cube vertritt in diesen Dingen ja genau die Ideen dieser Mutter. „Ich streite mich auch oft mit ihm. Wir reden nächtelang. Aber ich respektiere ihn. Dasselbe gilt für Chuck und Chris, auch wenn mir deren Auffassungen im Moment sicher näher stehen. Aber eben nur im Moment. Wir sind ja Rapper, keine Götter. Nächstes Jahr haben wir vielleicht andere Meinungen, vielleicht redet dann Ice Cube so wie ich heute, und ich wie er. Meine Platten haben alle ein Thema, und wenn ich das behandelt habe, also Strafjustizsystem, Freiheit der Meinungsäußerung etc., dann lasse ich es fallen und wende mich dem nächsten zu. Da gerät man in Widersprüche, aber ich behaupte, daß ich mit jedem Song Science droppe, sogar mit ‚Evil Dick‘.“ Und was sagt Freund Henry Rollins, der bekanntlich Frauen rät, Männern die Schwänze abzuschneiden, sie in einen Briefumschlag zu stecken und an Henry Rollins, P.O. Box zu schicken, zu dieser Werbung für Mildernde Umstände für männliche Genitalien, zu „Evil Dick“?

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    Die Morgen im Bus. Verschlafen trudelt einer nach dem anderen ein. Afrika Islam, die „Hip-Hop-Legende“ (Ice-T in seiner Conference), schmeißt eine Soul-Platte an. „Zum Aufwachen braucht man das, kann nicht wieder gleich den ganzen harten Scheiß hören“, meint er entschuldigend. Heterosexuelle reden offen über ihre Neigungen. Afrika Islam schiebt eine Cassette aus seiner Kollektion in den Recorder, wir sehen „Porno Flicks Vol. 2“: ein endloser Geschlechtsakt folgt. Erst oral, dann a tergo. „That’s my position“, Beatmaster V, Schlagzeuger von Bodycount und ein sehr sympathischer wilder Hund mit wilden, schwarzen Haaren, hat seine Position gefunden. Die nächsten zwei Stunden vergehen mit ausführlichen Schilderungen der letztnächtlichen Vernaschungen. (Es gibt im Süden tatsächlich das, was in Amerika „Babes“ heißt und die wir nur von Peter-Bagge-Comics oder als Sammy Jo aus dem Denver-Clan kennen.) Der Beatmaster trägt ein riesiges Condom als Hut und besteht darauf, daß ich es aufsetzen und zu Ice reingehen soll, „du mußt initiiert werden, dann kriegst du auch dein Interview.“ Wer will da ein Spielverderber sein? „Evil Dick“ ist eigentlich ein lustiger Song, der davon handelt, daß jeden Abend, wenn der an sich treue und verantwortungsvolle Ice nach Hause gehen will, sein Dick sich wie das „Lenor“-Gewissen meldet und insistiert: „Don’t sleep alone, don’t sleep alone, don’t sleep alone.“ Die Science, die darin gedroppt wird, besteht wieder im Vorwort, auf Platte wie Bühne: „Der nächste Song ist euch Girls im House gewidmet. Ich weiß, ihr fühlt euch auch manchmal wie eine eigene Rasse. Besonders in Konzerten von Typen wie mir, die euch auch noch Bitches nennen. Ich weiß, ich weiß, ein schweres Problem. Oft werde ich gefragt, warum Männer immer alles ficken müssen, statt mal treu sein zu können (oder wie es in einem anderen Song heißt: „We like all kinds of girls: black girls, white girls. You can come from Mars, as long as you have a pussy, we fuck you!“). Dann sage ich, wir können nichts dafür. Der männliche Schwanz wird nicht vom Gehirn kontrolliert, er ist direkt mit seinem eigenen Gehirn verbunden.“ – „Es geht gar nicht darum, ob und wie ‚sexistisch‘ Ice-T ist“, meint man, in diesem Fall frau, in New York: „Es ist viel einfacher. Es waren nicht nur kaum schwarze Männer im Konzert, aber es waren absolut null schwarze Frauen da, ich habe mich sehr einsam gefühlt.“

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    David Duke, der Nazi aus Louisiana, ist zwar nicht gewählt worden, aber die Mehrheit der weißen Bevölkerung hat für ihn gestimmt. Houston A. Baker verteidigt „schwarzen Essentialismus“ mit diesem Abstimmungsergebnis: „And this is my word on essentialism: David Duke’s constituency has no doubt about its essentialism. Seventy-five percent of Louisiana’s white males voted because they were white male. And they can code that sign for you if you want to travel down there and ask them. And a greater percentage of that state, essentially speaking, because they were black – not because they carried a whole lot of multiple, multiplying, ambiguous multiplicities in their head, but because they knew that though their minds might be somewhere else, their black asses were not – voted black, essentially black. So, essentially, they voted against David Duke. Now if you want to talk about the politics of all this, I say, if the answer is – ‚We new cultural studies scholars are thinking about these matters because they’re so complex. Get back to us on political strategies in a few years after we’ve worked this through‘ – your thinking might be written on toilet paper from concentration camps. Personally I go with the kind of common-sense essentialism that black Louisiana showed.“6 In einer ausgezeichneten Reportage in Details 3/92 berichtet eine wallraffmäßig als Campaign-Helferin getarnte Journalistin von der abendlichen Hitler-Exegese der Psychos, die mit Duke daran arbeiten, den Klan akzeptabel zu machen. Zu den Songs von Ice, die man in New York besonders haßt, gehört einer, der mir ziemlich gut gefällt, „KKK Bitch“. Darin verliebt sich der Ich-Erzähler in eine Tochter eines Klan-Anführers (verliebt ist zuviel gesagt: Sie hat große Dutteln und kann gut sucken), und es macht ihn besonders geil, sie zu nehmen, wenn ihr Alter im Hintergrund rassistische Reden hält. Der Song kommt in Atlanta gut an. Mir gefällt, wie er alle Widersprüche, Krankheiten, Unsicherheiten in einer von Rassismus verpesteten Kultur zu einem bizarren Herrenwitz verdichtet, eigentlich eine optimale Form. Wenn man nicht zu unmittelbar damit zu tun hat: „Tut mir leid, das Thema ist zu ernst.“ – „Aber man kann doch Ice-T nicht ständig mit irgendwelchen ernsten Denkern und Preachern vergleichen, der Mann ist doch Pop.“ – „Er ist ein verlogener Provokateur.“ – „Eben, das sind Pop-Musiker nunmal, aber er ist facettenreicher, klarer, offener, bewußter als … sagen wir die Rolling Stones. ‚Street Fighting Man‘, das war wirklich bigott, und wußte nichts von seiner Bigotterie.“ – „Also wenn ich eine Weile nachdenke, muß ich sagen: Ich ziehe die Rolling Stones N.W.A. auf jeden Fall vor.“ Man kann eben nur mit einer gewissen Distanz genießen. Einer von Ices Managern erinnert sich an Deutschland. „In Hamburg hatte ich ein sehr nettes Mädchen, hab leider ihre Nummer verloren. Die Berliner mochte ich nie. Und in Düsseldorf hatte ich eine, deren Vater war ein Neonazi.“7

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    Nach zwei Stunden wird Afrika Islam seiner Herrenwitze müde. Er wendet sich mir zu, und wir unterhalten uns über seine große Zeit als DJ im legendären „Roxy“, ’82 und ’83 als „Son Of Bambaataa“. Er spricht noch heute von Afrika Bambaataa nur als „mein Vater“ und erkundigt sich nach den Zulu-Nations in Frankfurt, Berlin und Hamburg. Er ist Techno-Fan, House-Fan und erinnert sich an die legendäre Bedeutung, die Kraftwerk in den frühen Tagen des Hip-Hop hatte, aber auch an den legendären Produzenten Larry Levan und dessen DJing in der „Paradise Garage“: „Der hat ja alles schon gemacht: fünf Minuten den Beat weggelassen, und die Leute haben weiter getanzt, weiter ist heute noch kein Techno-DJ. Die ‚Paradise Garage‘ war schon damals der totale Laden, keine Disco ist je weiter gegangen: Wußtest du, daß sie die Temperatur subtil manipuliert haben, die ganze Zeit wurde die Temperatur auf die Musik abgestimmt. Die haben bestimmte Gerüche zu bestimmten Zeiten durch die Air Condition gejagt, aber nur so, daß es keiner gemerkt hat: Das war die totale Hypnose. Und Larry hat als DJ wirklich alle beeinflußt. Ich bin damals immer zwischen „Roxy“ und „Garage“ hin und hergewechselt. Solche Läden brauchen wir heute. Wenn ich so deutsche Techno-Platten höre, denke ich immer, daß da ein guter, ein wirklich guter Rapper dazugehört. Jemand wie Chuck sollte mal mit euren besten Produzenten zusammenarbeiten. Ich vermisse einfach dieses Universelle, was man früher an einem guten Abend hatte. Heute ist alles aufgeteilt, jeder DJ ist nur noch Spezialist für irgendwas. Ich möchte wieder DJs hören, die an einem Abend Rap und Reggae und House und Techno spielen, und auch Pop oder R&B. Ich habe das eigentlich nur in England immer noch mal wieder gefunden und auch sehr genossen, dieses Durcheinander und Miteinander der einzelnen Genres und Kulturen.“ Islam ist an Musik vom Club-Standpunkt aus interessiert, damit stehen er und Evil E ziemlich alleine; denn die Musiker von Bodycount haben den Musikerstandpunkt, und der Rest der Hip-Hop-Crew sind junge Hüpfer, die kaum was machen, kaum was sagen und einfach nur lernen sollen. Afrika Islam ist sowas wie der Flavour Flav in der Choreographie. Er springt wild rum, animiert das Publikum und macht mehr als sein Chef, der sich nur meldet, wenn es zum eigentlichen Teil des Stückes kommt. Eine Trennung, deren Nichtvorhandensein früher einmal Reiz und Einzigartigkeit von Hip-Hop als der Musik, die eben nur aus Überleitungen, Ankündigungen, Vorstellungen bestand, mit bestimmt hat. Das waren die Tage, als Afrika Islam zum ersten Mal für Spex interviewt wurde. Nach unserem Gespräch holt er einen Geldschein und die Offenbarungen des Johannes in irgendeiner irren Sekten-Version heraus und beginnt zu studieren, zu rechnen und sich in numerologische Studien zu vertiefen.

    *

    Wie kann man über dieses Labyrinth aus Reizen und Widersprüchen schreiben? Nur so, wie ich das gerade gemacht habe, denke ich beim Frühstück in dem Motel bei Athens, Georgia. Die anderen mußten früh raus, es ging weiter nach Jacksonville. Ich warte auf mein Shuttle zum Airport von Atlanta. Die Botschaft meiner Schreibergeneration: Entschiedenheit, Stellungnahme, Klartext, eindeutig Freund und Feind bestimmen, ist durch die Hip-Hop-Komplexität (u. a.) erschüttert worden, was ihr gut getan hat. Zwar wird sich gegen diese Einsicht anderswo in den einschlägigen Jungerwachsenenzeitschriften noch krampfhaft gewehrt, wird, durchaus im Sinne der Arbeitgeber im Großverlag, der unverbildeten Eindeutigkeit, dem „Spaß“, der (eh erzwungenen) „Leichtigkeit“ das Wort geredet. Aber das kann nur, wer sich weigert, die Lektion, die jede Berührung mit der Komplexität globaler Verhältnisse lehrt, aufzunehmen. Dem Credo für Entschiedenheit und Apodiktik kann ich heute nur entschieden und apodiktisch ein Credo für Komplexität und Selbstreflexivität entgegensetzen. Es ist freilich eine bessere Selbstreflexivität als die alte, weinerliche, die die eigenen Defizite feierte und gegen die wir einst angetreten waren; eine, die durch ihre Negation irreversibel hindurchgegangen ist. Diese neue Komplexität hat es schwerer, als es die vermeintlich von unserer Generation durchgesetzte Apodiktik je hatte (und lohnt sich somit unter Vorspiegelung der Illusion von Durchsetzungen erkämpft zu werden). Denke ich noch beim Frühstück, während sich ein Gespräch hinter meinem Rücken entwickelt. Eine weiße Kellnerin sagt zu ihrer schwarzen Kollegin, sie habe vorhin per Zimmerservice Ice-T sein Frühstück gebracht, er hätte mit freiem Oberkörper da gesessen und der sei ja gar nicht schwarz. „Blödsinn“, meint die Kollegin, „er hat nur ’ne etwas hellere Haut, klar ist der schwarz.“ Da tritt der schwarze Kellner, der mich bedient hat, hinzu: „Es kann schon sein, daß er eigentlich weiß ist. Ich mag sowieso nicht, was er macht.“ Ich glaube daraufhin, an diesem stürmischen Morgen in Georgia, während die Ergebnisse des Super Tuesday aus der fatal an das Hamburger Abendblatt erinnernden Morgenzeitung aus Atlanta Clintons Sieg bei den Primaries zu besiegeln scheinen, der eh nichts bedeutet, weil sich alle demokratischen Kandidaten darauf geeinigt haben, daß es nur noch um die weiße Mittelklasse gehe und alle anderen sehen können, wo sie bleiben, ich glaube, es muß noch einen anderen Weg geben, diesen Artikel zu schreiben.

    1. Erklärung für die neuen Leser dieses Textes, der ursprünglich 1992 für Spex geschrieben wurde: Pits und Moshen sind Tanz/Bewegungs-Formen von vornehmlich weißen Metal-Fans, ebenso Stagediving. Die Formulierung, irgendwas sei ein „black thing you wouldn’t understand“, wurde zur stereotypen Formel eines wiedererwachten „cultural nationalism“ unter städtischen, männlichen amerikanischen Schwarzen. Die weiße Psychedelic-Band Monster Magnet bezog sich ca. zur gleichen Zeit wie Ice-T ironisch darauf, als sie unter ihre LP schrieb: „Is’s a satanic drug thing, you wouldn’t understand.“ ↩︎
    2. Amerikaner (ost-)asiatischer Herkunft betrachten die Bezeichnung „Oriental“ als ebenso herabsetzend wie schwarze Amerikaner die Bezeichnung „Negro“. Als Michael Jackson in seinem Fernseh-Interview mit Oprah Winfrey von „Orientals“ sprach, brach ein Sturm der Entrüstung gegen ihn los. ↩︎
    3. Robert Beck alias Iceberg Slim stirbt 1992, kurz nach der Erstveröffentlichung dieses Textes. ↩︎
    4. Die Ciphers sind Figuren aus den Ritualen der 5%er. Eine vollständige Cipher hat 360°. Clarence 13X ist der Begründer der 5%er. Leonard Jeffries ist der Professor, der die Unterscheidung von „Sun people“ (Bewohner der südlichen Hemisphäre) und „Ice people“ (Bewohner der nördlichen Hemisphäre) erfand und mit seinen bizarren pararassistischen Philosophien zur Lieblingsfigur weißer und auch deutscher p.c.-Gegner wurde. Wenn solche Leute lehren zu lassen Ziel des Kampfes um Curricula und Leselisten sei, dann kann es sich tatsächlich nur um eine Kommunisten- und Negerverschwörung handeln (so etwa sinngemäß Matussek [Spiegel] und von Uthman [FAZ]). Vgl.: Diedrich Diederichsen, „PC – zwischen PoMo und MuCu“, in: Neue Rundschau, 3/92. ↩︎
    5. Ein Punk ist in Black English u. a. ein Weichling. ↩︎
    6. Houston A. Baker: „‚You Can’t Trus’ It‘: Experts Witnessing in the Case of Rap“, in: Gina Dent/Michelle Wallace, Black Popular Culture, Seattle 1992, S. 133f. ↩︎
    7. Günther Jacob warf mir implizit vor, die Phantasien, die in diesen Songs zum Ausdruck kommen, zu goutieren oder zu viel Verständnis für sie zu zeigen. Ich tue das so wenig, wie ich glaube, „Cop Killer“ stifte zum Polizistenmord an oder Metzelvideos statt Verhältnisse verursachten Gewalt an Schulen. Aber beim Genuß von formalen Gelungenheiten wie Prägnanz oder Zuspitzung, wird man natürlich immer auch ein wenig Komplize des Inhalts. Daher spricht nach mir eine schwarze Frau im Text zu diesem Song. Darüber hinaus stellt „KKK Bitch“ einen Fall von performativem Widerspruch dar, der so typisch für Raps ist, am besten auf den Punkt gebracht von Cypress Hills Kommunikation der Nichtkommunikation, „Here Is Something You Can’t Understand“: „I fell in love with a KKK bitch“ lebt von dem Kontrollverlust und verliebter Hilflosigkeit, die von In-Liebe-Fallen ausgedrückt wird, während der Song ja ansonsten von hypertrophen Gewalt- und Kontrollphantasien handelt (den Klan, die Bitches, sich selbst beherrschen), von der sexistischen Kriegerphantasie, den männlichen Gegner durch Vergewaltigung seiner Tochter zu demütigen. Zu behaupten, das alles sei, wie schon bei „Evil Dick“, in einem Kontrollverlust begründet (was auch die Musik von Bodycount symbolisch untermauert), ist schon bizarr. Ice-T wies in dem Interview mit mir noch einmal darauf hin, wieviel seine Art zu rappen den großstädtischen männlichen gereimten Kämpfen und Beleidigungszeremonien, die als „The Dozens“ bekannt sind, schuldet; wie stark er neben Iceberg Slim auch von Legenden und Mythen wie „Stack-O-Lee“ oder „Staggerlee“ geprägt ist. Vgl. dazu: Greil Marcus, Mystery Train, S. 65–94, New York 1990³ (1975) und Roger D. Abrahams, Deep Down in the Jungle, Chicago 1970² (1963), S. 129–142; sowie derselbe, Afro-American Folktales – Stories From Black Traditions In The New World, New York 1985, S. 238f. ↩︎
  • Breakfast For Children – Produktive Mißverständnisse – Woodstock

    „Breakfast For Children“ war eine Aktion der Black Panther Party. Als das vordringliche Problem in den Ghettos betrachtete man die (damals verglichen mit heute geringen) Anzeichen von Unterernährung von Kindern. Während also in den späten Sechzigern die Black Panther Party in den amerikanischen Medien als wüste mörderische Gewalttäter dargestellt wurden, was dazu beitrug, daß der veritable Vernichtungsfeldzug, den das FBI gegen die Black Panthers führte, inklusive einiger staatlich organisierter Morde, schließlich zum Erfolg führte (gegen den der Erfolg der Springer-Hetze gegen Dutschke und den SDS harmlos war), war tatsächlich das Hauptgeschäft der Organisation die Bereitstellung von Küchen für arme Familien und eine auf Kinder zugeschnittene Ernährungsoffensive. Freilich war der Zuspruch, die Sympathie, die Unterstützungsbereitschaft, die den Black Panthern von weißen subkulturellen Jugendlichen entgegenschlug, nicht zu gewinnen gewesen mit solchen Community-orientierten, karitativen Selbsthilfemaßnahmen. Gerade die Dämonisierung der Black Panther durch die Medien der weißen Mittelklasse half, deren Kinder für die Party zu begeistern. Das falsche, propagandistisch verzerrte Bild der Panther war die Grundlage sowohl für den Enthusiasmus mitteleuropäischer Intellektueller, wie etwa Michelangelo Antonioni in seinem Film Zabriskie Point, wie für die Gründung einer „White Panther Party“ in Detroit rund um die Band MC5, wie auch für die Gründung einer Black Panther Unterstützungs-Organisation rund um die Welt bis nach Frankfurt. Ein produktives Mißverständnis, if there ever was one. Und es war tatsächlich ein Frühstück für Kinder. In einem höheren Sinne versteht man unter welt-segregationistischen Bedingungen und Image-gestützten Massenkommunikationskanälen im globalen Zusammenhang nur dann etwas, wenn man es falsch richtig versteht. Es geht mir hier um soziale und rassistisch begründete Klüfte, über die hinweg jemand etwas Verschiedenes für das Gleiche hält. Und so die Kluft bejaht und verneint. Produktive Mißverständnisse sind auf der Ebene von Massenkommunikation das, was auf der Ebene von Kulturproduktion unter kulturindustriellen und kapitalistischen Bedingungen Trash ist: unbeabsichtigte wahre (Arbeits-)Spuren falscher Prozesse im Material oder im Medium.

    Zu den produktiven Mißverständnissen gehört die neue Globalität des Medienzeitalters und seiner spezifischen Mischung aus Imperialismus und Segregation. Mit dieser Globalität ist es eine besonders vertrackte Angelegenheit, sie ist nämlich einerseits sowohl Voraussetzung der Produktivität des Mißverständnisses, andererseits auch gleichzeitig sein Resultat. Es ist allgemein üblich geworden, von der geschrumpften Welt und dem globalen Dorf zu reden. In Wirklichkeit hat diese Globalität aber nur wenige Lebensbereiche erfaßt, einer davon ist der karitative. Wer hat keine Eltern, die ein Kind von „World Vision“ adoptiert haben? Der andere betrifft eine Tendenz der Unterhaltungsindustrie und des Tourismus, aber nur eine Tendenz. In all diesen Fällen aber stellt das Mißverständnis tatsächlich Globalität her, eine Wechselwirkung also. Aber um das zu tun, muß es erst einmal in sich Globalität mißverstehen, im Sinne von Utopie oder im Sinne einer gegebenen falschen Internationalität, wie sie heute speziell in der Kunst, aber ganz allgemein in der Kultur in dem Maße herrscht, in dem sie an Börsenverhältnisse angeschlossen ist. Ich muß auch dafür also falsch an Internationalität glauben, um Internationalität herzustellen, die richtig werden kann, weil sie sich selbst, ihren Kern, der ein Mißverständnis ist, auch als solches versteht. Das folgenreichste und gleichzeitig in mancher Hinsicht lehrreichste dieser produktiven Mißverständnisse, die unter Bedingungen von weltumspannender, kulturindustrieller Dominanz möglich sind, ist die Identifikation mit anderer Leute Gefühle. Das geht einen Schritt weiter als die Bewunderung anderer Leute Landschaft oder die Sättigung anderer Leute Kinder. Aber es ist kein Wunder, daß diese Projektionen die Kultur der Kinder der Leute bestimmt, die vorher anderer Leute Landschaft oder Kinder „entdeckt“ hatten. (Daß es so etwas wie andere Leute überhaupt gibt, wollen christlich empfindende Menschen ja ungern wahrhaben, was nichts daran ändert, daß sie die entscheidenden Unterscheidungen, unter dem Vorwand, sie abschaffen zu wollen, zu missionieren, in die Welt gesetzt haben.)

    Ich weiß nicht, wer alt genug ist, um 1970, als er in Deutschland uraufgeführt wurde, noch vom Woodstock-Film ergriffen worden zu sein, wie unsereins und Millionen andere in ihrem zarten Alter. Vielleicht hat jemand die Reruns gesehen, ’89, als Woodstock sein zwanzigjähriges feierte. Es erscheint mir sinnvoll, in diesem Zusammenhang von Woodstock zu reden, zum einen wegen der produktiven Mißverständnisse, die aus einem Festival einen Film plus fünf Schallplatten Soundtrack, aus dem Film einen sogenannten Mythos, aus dem Mythos noch spezieller den Mythos einer „Nation“ werden ließen, zum anderen, weil „Woodstock“ Kern des Mythos der Sixties ist – ein Grund sowohl sie zu begehren, wie sie abzulehnen, wie auch nach alternativen Sixties zu suchen –, die Sixties aber wiederum ein besonders prägnanter Sonderfall des produktiven Mißverständnisses sind. Ihr Revival in den Achtzigern ist nicht nur wie sonst beim produktiven Mißverständnis die Begegnung mit etwas Anderem, Fremden oder Entfernten, das man mißverstehend für seine eigenen Zwecke nutzt, es ist darüber hinaus eine Begegnung mit einem noch ungeklärten Mißverständnis der Vergangenheit.

    Viel wurde von den Freunden symbolischer Akte über Hendrix’ Version der amerikanischen Nationalhymne geredet, von Gitarrenwichsern über Alvin Lees nicht enden wollendes „Going Home“ und von Carlos Santana, von Hippies über Canned Heats Hymne auf das Landleben etc. Viel ist auch gejammert worden über die Kommerzialisierung, daß letztendlich die vom Diktat des Tauschwerts befreite freie Kommunikation in der neuen Nation wieder nur, und zwar symbolisch an diesem Ort zum ersten Mal, neue Tauschwerte hervorzubringen geholfen habe, eben alles nicht echt, sondern Geschäft gewesen sei. Daß sich der Mythos von Woodstock im Blut von Altamont spiegele, daß die neue Gesellschaft sehr viel Müll hinterlassen hätte. Wie jeder mächtige Mythos steht „Woodstock“ genauso für etwas wie für dessen Gegenteil.

    Das alles ist sehr offensichtlich und auch bestimmt nicht die ganze Wahrheit. Wenn über eine Sache so viel geredet worden ist, daß sie mythentauglich ist, und anschließend durch ihre mythologische Patina auch gegen weitere Auslegungen prinzipiell immun ist, geht man davon aus, daß man irgendwann über sie schweigen kann, doch das Gegenteil ist wahr: Es gehört zu den Geheimnissen von Wirkung, daß sie nur über Verfälschung und Ausblendung möglich ist. Jeder kann alle möglichen Bücher lesen und entdecken, Platten hören und Filme ansehen. Doch wenn sich diese Einzelentscheidungen zu dem auswachsen, was man eine Rezeption nennt, ist diese Freiheit vorbei, man ist automatisch in eine Selektion verwickelt, die andere vorher vorgenommen haben; selbst wenn man dieser bewußt entgegenwirkt, versucht, einen anderen Goethe, Brecht oder John Coltrane zu konstruieren – denn was einem immer entgeht, ist das, was durch die Betonung eines Aspekts weder positiv noch negativ aufgehoben ist, sondern was zur Seite geschoben wird. All dies spielt lange bevor etwas mythisch wird und ist auch in diesem Stadium rekonstruierbar und beobachtbar. In diesen Stufen der Genese eines Mythos – Vorgang wird zum Ereignis, Ereignis wird zum Text, Text wird zum Mythos – könnte klar werden, wie man die produktive Seite der fundamentalen Mißverständnisse isolieren und nutzen kann, indem man sie nämlich von dem trennt, das auf ihnen errichtet wurde – in der Hoffnung, auf diese Weise zeitgenössische Mißverständnisse explosiver nutzen zu können, auch ein wenig in der Annahme, daß dergleichen hier und dort schon geschieht, wenn auch ohne ein sich selbst klares Bewußtsein davon (das u. U. auch ein Hindernis sein kann; es könnte sein, daß man die Struktur des Mißverständnisses unumgänglich findet, nur nicht die darauf errichteten Verfestigungen).

    Nun ist es zu einfach, zu denken, genau dieses von Anfang an unterschlagene Moment eines Textes – Text im weitesten Sinne, bis auch Woodstock nur noch ein Text ist – sei sozusagen dessen Wahrheit. Das nimmt dann ein Subjekt der Verdrängung an, wie eine der psychoanalytischen Instanzen, das ein Interesse am Verschwinden von bestimmten Bedeutungen hat, „böse“, „verlogene“ Interessen. Wenn das aber so wäre, wenn es ein vitales Unterdrückungsinteresse von einer Seite aus gäbe, dann gäbe es ja auch die Vitalität des anderen, des zu Unterdrückenden, Totzuschweigenden. Denn, wenn das nicht vital wäre, wozu müßte man es unterdrücken? Und schließlich lebt die Psychoanalyse wie auch jede Machtphilosophie davon, daß der Knecht, das Unbewußte nie verschwindet, sondern zurückkehrt. Die verschwundenen Bedeutungen, von denen ich hier rede, kehren aber nicht wieder oder drücken aufs Gewissen, um sich eines Tages zu erheben, sie werden eher abgelenkt, in eine andere Richtung: Der Mythos schleppt sie nicht mit sich herum, sondern hat sich ihrer tatsächlich entledigt; was wie eine Wiederkehr aussehen könnte, ist eher wie das unberechenbare Wiederauftauchen eines Kometen. Vielleicht liegt die Lösung eher in der großzügig eingeschobenen Parenthese: „Text im weitesten Sinne, bis auch Woodstock ein Text wird.“ Was soll das eigentlich heißen? Weder kann ein Film in dem Sinne nur ein Text sein, auch wenn manch Filmsemiotiker sich das so vorstellt, geschweige denn kann es das Ereignis Woodstock, vom 13. bis zum 15. August 1969 sein. Text ist allenfalls ein späteres Stadium auf dem Wege zum Mythos. Dieser konnte erst entstehen, nachdem es einen Text schon gab. Wir haben also nicht zu fragen, was ist wahr und falsch am Mythos von Woodstock oder ob wir für oder gegen die Aussage dieses Mythos sind, sondern was ist in den, dem Mythos Woodstock zugrunde liegenden Text gar nicht erst eingegangen. Und diese Frage darf sich wiederum nicht als Suche nach einer ausgegrenzten Wahrheit aufführen, sondern als Suche nach einem unverständlichen Bestandteil, der sozusagen der „Grammatik“ des ersten Textes widersprach. Dieser „Widerspruch gegen die Grammatik“ ist das sozusagen „wahre“ Element des Mißverständnisses, der Widerstand gegen eine Nivellierung, die, herausgearbeitet, die eigentliche Brisanz einer Kommunikation oder Konfrontation enthält, die in jedem Sinne zur Bildung vom Mythos geführt hat.

    Es gibt drei Beiträge zu „Woodstock“, die auf verschiedene Weise schon mit der allerersten Version eines Woodstock-Textes nicht kompatibel gewesen zu sein schienen. Die nicht verstanden werden konnten und durften, um dem Mißverständnis die Form des Mythos geben zu können, die aber andererseits auf Verhältnisse verweisen, die in allen produktiven Mißverständnissen der Pop-Kultur herrschen. Und die – da könnte dann vielleicht doch eine psychoanalytische Redeweise berechtigt sein – plötzlich wiederkehren als nun manifestes Muster der heutigen Pop-Kommunikation über Grenzen hinweg.

    Es sind dies 1.) der Auftritt von Sha Na Na im Woodstock-Film, 2.) der nicht sichtbare Auftritt von Grateful Dead und 3.) der Song „Freedom“ von Richie Havens.

    Als ich 1970 zum erstenmal Woodstock sah, gab es schon den Begriff der „Woodstock“-Nation, er war in der knappen Zeit, die Regisseur Michael Wadleigh für den Schnitt des Materials und die deutsche Verleihfirma für die Untertitelung brauchte, entstanden, auch die Kritik der Kommerzialisierung stand schon in der Sounds-Rezension von 1970. Joni Mitchells Song „Woodstock“, der die Zeile enthielt „… by the time we got to Woodstock, we were half a million strong …“, war bereits in einer Coverversion in den deutschen Charts; nämlich von der heute vergessenen Band Matthews Southern Comfort (die lustigerweise Vorgruppe von Johnny Winter im ersten Live-Konzert meines Lebens im Februar 1971 war, also die erste Band, die ich je live gesehen habe). Es war also schon klar, daß ein Volk seinen Staat gegründet hatte. Was nicht nur wichtig war für jenes Jugendmarketing, das in den Siebzigern so erfolgreich werden sollte und das – analog zu den ethnischen Minderheiten der USA – den Begriff der Nation gut als Vorstellung brauchen konnte, es war auch wichtig für diverse andere Jugendnations, die seitdem gegründet wurden: Das staatengründende Moment war Jugendbewegungen vorher eher fremd. Da man Pop-Musik immer nur über ihre Nebenprodukte versteht, ihr Reiz, aber auch ihre Bedeutung immer wieder nicht da sind, wo man sie als Hermeneutiker sucht, noch ein Hinweis auf den Ort des Woodstock-Soundtracks, wo dieses staatengründende Element gespeichert ist. Man frage irgend jemanden, der seinerzeit diesen Soundtrack häufiger gehört, an was er sich noch so gut erinnern kann, daß er es noch reproduzieren könne: Kaum jemand wird irgendwelche Songs nennen (außer „Freedom“, auf den wir noch kommen), sondern die langen Ansagen zwischen den Auftritten auswendig können, etwa: „Friends, you have seen the heavy groups, now you’ll hear morning maniac music, believe me, it’s a new dawn.“ Oder: „I’m a farmer.“ Oder: „This is our second gig. This is the second time we’ve ever played in front of people, man. We’re scared shitless. This is a song that Neil wrote, it’s called ‚Sea Of Madness‘.“ Das waren die alternativen Churchill-Worte.

    Der Film hatte die zu erwartende Wirkung auf den 13-Jährigen, nur eine Stelle konnte er nicht verstehen: die kaum zwei Minuten, als die Rock’n’Roll-Revival-Truppe Sha Na Na auftrat, die allem zu widersprechen schien, was er durch alle anderen Gruppen gelernt hatte. Sha Na Na bestanden zum größten Teil aus Tänzern, kaum Instrumentalisten und – skandalösestes Moment der Täuschung: waren kostümiert. Die erste für jedes Kind spürbare Errungenschaft der Hippie-Bewegung war ja, daß man bequeme, formlose Kleidung aus Jeans- und Cordstoff trug. Ihr Auftritt war penibel choreographiert wie ein Fernsehballett oder Eiskunstlauf, die beiden erzspießigsten Gattungen der Fernsehunterhaltung. Die Differenz von Camp zu den Unterhaltungssendungen des deutschen Fernsehens konnte nicht nur ich damals nicht wahrnehmen. Damals gab es für alles Gestaltete, Einstudierte und daher nicht Authentische den Begriff „kommerziell“, der das Gegenüber von „progressiv“ bildete. Was diese naive Kritik der Warenförmigkeit als deren Charakteristikum ausgemacht hatte, eben Geformtheit, konnte noch nicht ahnen, daß die Formlosigkeit – in gewissen Grenzen – auch Warenform annehmen konnte und war dementsprechend unvorbereitet gegenüber der Camp-Haltung, die Sha Na Na vertrat und die bereits eine Kritik der naiven Kritik der Warenförmigkeit mitzuvertreten schien.

    Fünfzehn Jahre später sah ich Woodstock wieder. In der Zwischenzeit hatte es Glam-Rock, die Anerkennung der Künstlichkeit, Negation der Identität, die als Prinzip der Macht erkannt worden war, sowie den Einfluß von Disco- und Schwulen-Kultur gegeben, stattdessen war der Kultus des Unfestgelegten, des Wabernden, Wallenden, Unkonturierten, symbolisiert von ungestylten, endlos Gitarre spielenden Hippies, zum Feindbild geworden, nun war der Auftritt von Sha Na Na der einzige, der mir gefiel. Damals hoffnungslos zwischen das erste, vergleichsweise schwache Rock’n’Roll-Revival, die ersten schüchternen Anfänge von Gay Pride und zugehöriger Culture, zwischen die noch nicht so benannte Nostalgie-Welle und deren Aufstieg in Form von Roxy Music, Bisexualismus-Mode, Postmoderne gefallen, bildeten sie eine so verwirrende Störung, daß ich damals, beim ersten Sehen, längere Gespräche führte über das, was mich da so verwirrt hatte, als über die restlichen begeisternden zweieinhalb Stunden. Ebenso erleichternd und erholsam waren die zwei Minuten Sha Na Na beim Wiedersehen um 1984. Dennoch sind sie in 17 Büchern über die Sixties nicht im Register zu finden, und im vollständigsten Rock-Schallplattenverzeichnis deutscher Sprache fehlen sie ebenfalls. Es war, als hätten sich die Village People unter die Wandervögel verirrt. Es dauerte bis 1973, Roxy Music waren schon bei der zweiten LP, bis ihnen schließlich Sounds attestierte: „Shananas (Woodstock) Auftritt war kurz aber nachdrücklich. Sie avancierten vom Geheimtip zum Trendsetter der anrollenden Nostalgiewelle. (…) Shanana stecken Fumble, Gary Glitter etc. allemal in den Sack. (…) Es fehlt eigentlich nur ihre Bühnenshow, ein Plattencover ist da ein etwas schwacher Ersatz (die Zeit ist reif für die Audio-Video-Platte).“1 Waren sie am Ende etwa wegen der Wahrnehmung, die dieser letzten Bemerkung zugrunde lag, im Woodstock-Film, in den sie nicht hineinpaßten, gelandet? Weil sie zehn Jahre vor dem ersten Pop-Video und ohne die Chance, über ausgeprägte visuelle Aspekte Erfolg zu haben, ein ausgesprochen visuelles Konzept von Popmusik vertraten, das deswegen in den Film gehörte, der der erfolgreichste Musikfilm werden sollte (diesseits von Saturday Night Fever, der dann auf dem Höhepunkt des Paradigmenwechsels herauskommt), so daß das Mediengesetz, das Auge des Kameramanns stärker war, ja die Kamera ohne Mann, als die inhaltlichen Unvereinbarkeiten? Ja, stellte möglicherweise dieser Zwang, der von ihrer visuellen Präsenz ausging, den „Woodstock“-Hippies vorab mit Geburts- auch den Totenschein aus, in dem dann zu lesen gewesen wäre, daß eine auf Anarchie und Prozessualität setzende Bewegung, wenn sie sich auf massenhafte Verbreitung von Bildern ihrer Prozesse einläßt, keine Chance gegen die Prägnanz des Geplanten hätte? Und ist daraus vielleicht dieses Gesetz abzuleiten: daß sozusagen der medienhistorisch nächste Schritt immer schon aufscheint, wenn die letzte Situation zur Proklamation von Staaten sich endlich geeignet zeigt? Und werden diese Staaten nur ausgerufen als sozusagen Kapitulationserklärungen in einem höheren Sinne, die Unterlegenheit gegen die Eigengesetzlichkeit der Mediengeschichte wie der Warenform zugebend? Oder greift man zum Staatspathos, weil man die Unterlegenheit ahnt und ihr etwas entgegensetzen können will?

    Beim nächsten Beispiel geht es weniger darum, die unpassende Anwesenheit, sondern die Abwesenheit von Künstlern im Woodstock-Film zu klären. 1971/72 spielten die Grateful Dead zum ersten Mal in Europa. In allem, was Woodstock propagierte, waren sie kompetenter, kompletter, radikaler als alle Woodstock-Bands, zumindestens alle, die man in dem Film sehen konnte. Ihre Gitarrensoli waren länger. Und es waren keine Soli, sondern sogenannte Kollektivimprovisationen, wie man sie aus dem Free Jazz, nicht nur als ästhetische Errungenschaft, sondern auch als Metapher einer sozialen Utopie kannte. Die auf Jazz gegen ihren Erfinder übertragene adornitische Vorstellung von musikalischen Formen als gesellschaftlichem (utopischem) Modell lebte bei den Dead-Fans fort. Die Dead lebten wirklich alle zusammen und taten nicht nur so, sie kamen mit ihrer ganzen knapp hundert Köpfe zählenden Kommune nach Europa, sie spielten wirklich endlos, sie trugen den „Geist“ überall hin, statt ihn mit Voraussetzungen wie 500.000 Zuschauern zu verbinden. Es wird berichtet, daß sie nach endlosen Konzerten, die aufgrund äußerer Beschränkungen nach fünf Stunden enden mußten, aufgebrochen seien und noch in der selben Nacht an anderem Ort weitergemacht hätten. Sie hatten das Prozessuale mehrfach über Warenförmigkeit siegen lassen und auf fahrenden Lastwagen gespielt. Sie standen mit einer selbstorganisierten Plattenfirma und drum herum organisierten Lebensmöglichkeiten für 100 Hippies in der ökonomischen Realität für das ein, was diversen Millionen Filmzuschauern Woodstock versprochen hatte. Nun waren Grateful Dead beim Woodstock-Festival aber aufgetreten, ja für viele der Zuschauer war das Konzert in erster Linie ein Grateful-Dead-Konzert mit diversen Nebenattraktionen. Schon damals hatten die Dead, wie noch heute, die mobilste Anhängerschaft, die mit- und nachreisenden Dead-Heads bildeten ein großes Kontingent schon innerhalb der Woodstock-Nation, und die Vermutung ist nicht ganz absurd, daß sie und die anderen von der Westcoast kommenden Bands und Fans Lebensformen und Selbstverständlichkeiten nach Woodstock im Staate New York brachten, die später die Kernaussage des Mythos bilden sollten. Daß die Dead nicht im Film zu sehen sind, obwohl sie seinerzeit sowas wie die Hauptattraktion der drei Tage waren, wird widersprüchlich erklärt. Hätten die Dead als bekanntes Phänomen alles überstrahlt? Bob Weir, einer ihrer Gitarristen, erklärt in einem Interview von 19902, Woodstock sei der schlechteste Gig gewesen, den die Band – die Zufälle und atmosphärische Bedingungen immer als Bestandteile von Konzerten angesehen hat – je gespielt hätte: „Die anderen Bands haben ihre Karriere auf Woodstock aufgebaut, wir sind trotz Woodstock berühmt.“ Die Dead konnten also nicht in dem Sinne die Dead sein, als sie sich in einer Situation befanden – die ja schon vorher als solche klar war –, wo ihre Aufhebung von Grenzen aller Art mythologisiert und fixiert werden sollte. Sie konnten nicht mehr als Dead funktionieren, wo sie tatsächlich getötet werden sollten, die Realität ihrer Praxis in einen Mythos überführt werden sollte. Die Dead waren die Wahrheit der Hippie-Mythologie, und sie haben diesen Namen, Hippie, sowohl als positiven Begriff wie als Schimpfwort überlebt. Woodstock aber konnte nicht „Woodstock“ werden, ohne die Dead herauszuschneiden – egal, von wem die Initiative ausgegangen ist. Interessant ist allenfalls, daß beim nachfolgenden Altamont-Festival – dem Gegenmythos zu Woodstock, der aber auch den Woodstock-Mythos erst vollendete, indem er erklärte, daß die „fremde“ Ordnungsmacht der Hells Angels die Hippie-Nation okkupiert hätte und damit dem keineswegs selbstverwalteten Woodstock-Festival im nachhinein seine utopischen Strukturen bescheinigte (wenn auch um den Preis der Unwiederbringlichkeit) – der damalige Manager der Grateful Dead für die Verpflichtung der Hells Angels als Ordnungsdienst mit allen Folgen verantwortlich war. Interessanter aber ist, daß Jerry Garcia den Grundimpuls zu nunmehr über 25 Jahren erfolgreicher, improvisierter Musik, die live immer besser gelungen ist als im Studio, einst beschrieb als die Entdeckung, daß nur das Medium Schallplatte Musik begrenze. Würde man sich von dem ewigen Gedanken an die Speicherung befreien, erhalte Musik ihre eigentlich immateriellen Eigenschaften zurück. Und es ist klar, daß die Dead in dem Moment versagen mußten, als sie in ein neues Medienformat3, das mit „Woodstock“ geboren wurde, eingehen sollten, den Medienverbund.

    Der dritte Punkt ist die Rolle der schwarzen Kultur bei Woodstock, präsent im Film durch zwei Vertreter, die brillanten Sly & The Family Stone und durch Richie Havens: Jimi Hendrix, ein weiterer brillanter schwarzer Musiker, spielte in der schwarzen Kultur der USA damals keine besondere Rolle und war über sein englisches Exil zurück nach Amerika gekommen. Sly Stone gehörte neben Otis Redding und natürlich Hendrix zu den einzigen Künstlern der neueren schwarzen Musik der Sechziger, der regelmäßig auf Hippie-Festivals auftrat, was auch zu massiver Kritik von Seiten der Aktivisten geführt hatte. Doch während Sly und Jimi eindeutig ein Crossover zur Hippie-Kultur versuchten, stand Richie Havens für eine Kultur, die in der Hippie-Kultur außerhalb New Yorks wenig bekannt war, für die von Leuten wie den Last Poets, Cain oder Felipe Luciano vertretene Straßendichtung.4 Diese stark rhythmisierten Reime wurden meist nur von einer Conga begleitet und versuchten – ähnlich wie heute die afrozentrische Fraktion des Hip-Hop –, traditionell afroamerikanische Kommunikationsformen – wie die auf die westafrikanischen griots zurückgeführten Erzählgedichte5 – für die Politisierung im Sinne der revolutionären bzw. separatistischen Bewegungen der Sechziger zu nutzen. Havens verband diese Form des gesprochenen, rhythmisierten Agitationsgedichts mit gospel-beeinflußtem Gesang und trat vor den Leuten auf, die jemanden wie Cain6, einer der Stammväter dieser Bewegung, ausdrücklich als Publikum ausgeschlossen wissen wollten: Weiße. Havens’ Auftritt mit dem Lied „Freedom“ steht im Zentrum von Woodstock. Es ist in Kurzberichten, Trailern immer wieder hervorgehoben worden, wohl schon allein deswegen, weil sein Text fast ausschließlich aus dem Wort besteht, das in der ganzen Welt verstanden wird: Freedom. Man sollte jedoch auch die beiden anderen Sätze nicht vergessen, die nach dem ausführlichen Chanten von Freedom gesungen werden, nämlich: Sometimes I feel like a motherless child, mehrfach wiederholt, und schließlich: It’s a long, long way from my home. Dann wieder Freedom. Davor wälzen sich Leute nackt im Schlamm, die, von langen Staus etwas gebremst, soeben aufgebrochen waren, um so weit wie möglich wegzukommen, von ihrem Heim wie von ihren Müttern. Beide Sätze, vor allem „Sometimes I feel like a motherless child“, sind Standard-Floskeln aus unzähligen Gospels. In ihrem geläufigen Kontext, im schwarzen baptistischen Gottesdienst, bezogen sie sich sozusagen auf die Lage, die der Gottesdienst vorübergehend aufhebt. Insofern läßt sich Havens’ Adaption dieser Sätze gut auf Woodstock übertragen: Denn auch hier sind ja unbefriedigende Verhältnisse vorübergehend außer Kraft gesetzt. Zum anderen hat Norman Mailer ja schon 1957 in seinem Essay „The White Negro“ beschrieben, wie sich weiße Mittelklasse-Dropouts die existentielle Lage amerikanischer Schwarzer als Modell für die eigene, selbstgewählte Lage adaptieren. Woodstock wäre demnach einfach nur die Übertragung einer anderen Organisationsform Schwarzer Kultur auf die Jugendkultur, die sich so gerne als Parallele denken will: Die symbolische Staatengründung des Gottesdienstes wird übertragen auf die symbolische Staatengründung der Woodstock-Nation. Und damit wird auch das fundamentalste unter den produktiven Mißverständnissen mitgeschleppt und auf einer neuen Ebene genutzt; daß nämlich schwarze Verhältnisse irgend etwas mit dem zu tun haben, woher die kommen, die schwarze Kultur und Musik bewundern und die, wie man es in einer Biographie der Grateful Dead lesen kann, „für das höchste Kompliment halten, nach schwarzen Blut gefragt zu werden“7. Tatsächlich haben die Grateful Dead sogar noch nach Woodstock, im Jahre 1971, auf einer Black-Panther-Veranstaltung gespielt. Das wäre dann auch so ziemlich das letzte Datum eines koordinierten kulturellen Aktivismus zwischen Jugendkultur und schwarzem Widerstand. Er mußte aber als Illusion eingeschlossen sein in den Mythos der Woodstock-Nation, damit dieser vom Individualanarchismus der kalifornischen Hippies und Beatniks, seinerseits den schwarzen Hipstern und Bluesmusikern mißverstehend nachempfunden, aufbrechen und sich zur Nation taufen konnte, ohne seine Herkunft vergessen zu müssen. Andererseits durfte die wahre, nämlich mißverständliche Natur der Beziehungen und Projektionen der weißen Mittelklasse-Dropouts auf die schwarze Kultur nicht klar werden. Die weißen Kids vor Ort und die unzähligen Kunden des Medienverbunds Woodstock hätten eigentlich merken müssen, daß Freiheit und die Klage um den Verlust der Mutter und der Heimat nach ihrem Verständnis von Freiheit frappante Widersprüche sind, die einer Klärung bedurften. Daß sie das nicht wahrnehmen konnten, daß sie nicht hören konnten, daß von einer ganz anderen Freiheit die Rede war und sie sogar von dieser anderen als ihrer Freiheit schmecken konnten, ohne sich darüber klar zu werden, gehört zu den Hypnotisierungen, die Voraussetzung dafür sind, wenn aus einem Ereignis ein Text, aus einem Text ein Mythos werden und auf einem neuartigen Speicher als neuartiges Produkt gespeichert werden soll. Das ist die eine Seite von Woodstock. Und das wäre die eine Seite des Produktiven am produktiven Mißverständnis.

    Nun ist dieser Begriff des Mißverständnisses keineswegs mit nur kulturpessimistischen Absichten ersonnen worden: Durch das Mißverständnis wird der blinden Produktivität gegen das Prozeßhafte zu neuen Produkten verholfen. Produktiv in einem besseren Sinne wird das Mißverständnis, indem es Formen, Mythen, Texte, Bilder fördert, die nicht abgeschlossen sind, die mindestens eine formale Stelle haben, an der sie so geentert werden können, daß sie korrigierbar sind. Nur weil es die Woodstock-Nation so gab, konnte es Punk geben, um nur den prominentesten Fall zu nennen. Etwas entsprechendes läßt sich über andere Mythen nicht sagen. Andere geschichtsmächtige Mythen wie etwa das Genie oder die Rasse haben solche Stellen nicht, denn die Demiurgen dieser Mythen und ihre Geschöpfe sind sich auch über die größten Ungereimtheiten stets im Klaren, sie brauchen die Mythologisierung wegen dieser Ungereimtheiten. Sie sind eher staats- und kirchenförmig, während die produktiven Mißverständnisse eher warenförmig zu nennen wären. Erstere kommen aus der Kontrolle von Lehre und Institution, letztere aus der Produktionsanarchie von Markt und technologischer Umwälzung. Bei auf produktiven Mißverständnissen beruhenden dissidenten Mythen ist das Mißverständnis selber die Quelle der Energie, die Mythologisierung bleibt unvollendet und gelingt nur durch und auf der Ebene der Medien. Diese aber können noch und werden noch entwendet und überspielt, gelöscht, gesamplet oder ergänzt. Das Wichtigste aber ist die Endlosigkeit des Vorgangs: Das produktive Mißverständnis, das in der Projektion von Mittelklasse-Bedürfnissen auf schwarze Kultur bestand, hat sich in nachfolgenden Zyklen verschärft. Es hat einerseits eine innere Kontinuität der Verschärfung erfahren, aber andererseits eine zweite diskontinuierliche Ebene entwickelt, wo es immer wieder und immer schneller produktiv mißverstehende Rückgriffe auf Zwischenergebnisse in Form von Mythen gegeben hat. Dabei fallen regelmäßig sowohl immer mehr Waren als auch immer mehr Annäherungen an Wahrheit an.

    1. Jürgen Legath, „Shanana – Recorded Live! The Golden Age Of Rock’n’Roll“, in: Sounds. Platten 66-77 – 1827 Kritiken, Frankfurt am Main 1979, S. 575f. ↩︎
    2. Detlef Diederichsen, Bob-Weir-Interview, in: Spex, 12/90. ↩︎
    3. Woodstock war der erste Medienverbund: Platte-Ereignis-Film. ↩︎
    4. Es gab neben den Last Poets von Jalal (der sich damals auch noch nicht so nannte) die Last Poets um Felipe Luciano und Cain, die ebenfalls radikale Texte zu Conga-Rhythmen vortrugen, sich aber im Gegensatz zu Jalals Gruppe, die mit Unterbrechungen bis in die Achtziger existierte, in den frühen Siebzigern auflösten. In Los Angeles gab es die Watts Prophets (Rappin‘ Black In A White World), die Rap-artige Texte mit Konversationsprosa mischten und sich nicht nur von Rhythmusinstrumenten begleiten ließen. ↩︎
    5. vgl. David Toop, Rap Attack, St. Andrä-Wörden 1992, S. 39–47. ↩︎
    6. Auf Cains Solo-LP, The Blue Guerilla, spielen dann übrigens doch Musiker mit, und zwar ausgerechnet Sly Stone und der spätere Chic-Gründer Bernard Edwards. ↩︎
    7. Hank Harrison, The Dead Book – A Social History Of The Haight Ashbury Experience, Menlo Park, ca. 1985, Band 1, S. 182. ↩︎
  • Aus dem Zusammenhang reißen / In den Zusammenhang schmeißen

    Zur deutschen Veröffentlichung von Mille Plateaux von Gilles Deleuze und Félix Guattari

    Die amerikanische Sängerin Patti Smith singt das Evangelium des amerikanischen Zahnarztes: sucht keine Wurzeln, folgt dem Kanal …

    Deleuze/Guattari

    Ende der Siebziger riefen Gilles Deleuze und Félix Guattari die Jugend der Welt auf: „Seid nicht eins oder viele, seid Vielheiten! (…) Macht Karten, keine Fotos oder Zeichnungen! Seid der rosarote Panther! Und mögen eure Lieben sein wie die Wespe und die Orchidee, wie die Katze und der Pavian!“1 Damit trafen sie die Stimmung in den Metropolen auf den Punkt. Pavian und Katze waren schon dabei, sich zu paaren, Karten waren im Begriff, an die Stelle von Masterplänen zu treten, und rosarote Panther standen in den Kneipen und rieben ihre „Konsistenzflächen“ aneinander (wie die Erdschichten in dem Mille Plateaux-Kapitel zur „Geologie der Moral“, das die Frage stellt: „Für was hält sich die Erde?“ Damals wollten wir von allem möglichen wissen – Steine, Ideen, Robert Mitchums Gesicht: „Wie fühlt sich das von innen an?“2 Das war fast dasselbe; denn wie sich etwas von innen anfühlt oder für was sich etwas hält, ist eng verwandt und das Gesicht Robert Mitchums eher ein Fall für die Geologie als für die Anthropologie).

    Von den Subkulturen (seitdem im Plural, bis dahin im Singular) griff der Impuls auf den Mainstream über. Nicht nur Jugendliche und neue städtische Stämme träumten von den postapokalyptischen Nomaden aus Mad Max 3. Und Tina Turners Hymne zum Film, „We Don’t Need Another Hero“ (= General), schaffte in kürzester Zeit den Weg von der Nomadologie über ein Barbara-Kruger-Poster zum Dancefloor-Smash auf dem Ball der einsamen Herzen (Damenwahl).

    Um 1990 kann man die Nomadologie- und Tribalismus-Dekade fast schon wieder Revue passieren lassen. Der „Steirische Herbst“ untertitelt sein Periodikum „eine Nomadologie der Neunziger“, und der amerikanische Verlag „Semiotext(e)/Autonomedia“, Zentralorgan der amerikanischen Deleuze/Guattari-Rezeption, bietet eine Reihe von Anthologien an, für die er mit beeindruckenden Vielheiten wirbt: „Studies of lost American history and the cultures of disappearance, including ‚tri-racial isolate‘ communities, the buccaneers, ‚white indians‘, black Islamic movements, the Maroons of the Great Dismal Swamp, scandalous eugenics theories, rural ‚hippie‘ communes, and many other aspects of …“ oder „the turbulent mosaic of artists, ethnics, poets, junkies, barflies, radicals, mystics, street people, con men, flower children, losers, screwballs and professional eccentrics“ oder ganz besonders „anarchists, unidentified flying leftists, neo-pagans, secessionists, the lunatic fringe of survivalism, cults, foreign agents, mad bombers, ban-the-bombers, nudists, monarchists, children’s liberationists, zero-workers, tax resisters, mimeo poets, vampires, xerox pirates, pataphysicians, witches, unrepentant faggots, hardcore youths, poetic terrorists …“3 und was der selbstverliehenen dissidenten Ehrentitel mehr sind, mit denen sich die Leute schmückten, die man in den achtziger Jahren in der Kneipe traf. Was Deleuze/Guattari via Anti-Ödipus und diverse kleine Schriften und fleißiges Interviewsgeben verbreiteten, entsprach der Zeitgeist-Idee einer fraktal zerfransten Subkultur, einem „Patchwork der Minderheiten“, das nichts und niemanden ausschließen wollte und durfte, solange er/sie/es nur irgend etwas vorweisen oder erfinden konnte, das ihn/sie/es als „minoritär“ qualifizierte.

    Während der ganzen Zeit hat es das „Hauptwerk“ von Deleuze/Guattari, Mille Plateaux, in deutscher Übersetzung nicht gegeben. Man könnte es sich also einfach machen und die Oberflächlichkeit der Kongruenz von ein paar Begriffen bei D/G mit den Modeströmungen der Achtziger bemängeln und als Indiz dafür nehmen, daß D/G eigentlich in Deutschland nicht wirklich rezipiert, nicht wirklich verstanden worden seien.

    Zum einen stimmt das auch. Die Universitäten haben sich mit „den Franzosen“ schwer getan, die dafür zuständigen Spezialisten sind zwar alle einigermaßen prominent geworden, aber an einer Hand abzuzählen. Und unter den Franzosen gelten D/G bzw. der „Anti-Ödipus“, als besonders dunkel, besonders wild, verwirrend und unverständlich. So konnte dann auch Manfred Frank bei Erscheinen von Mille Plateaux in der Zeit, wie es in den Bürgerblättern so üblich ist, mit etwas abrechnen, etwas zu Ende bringen, was dort zu seinen angeblichen Lebzeiten nie stattgefunden hat. (Nach dem selben Muster begrub man dann ja auch eine Jugendkultur, die zu Lebzeiten dort nie stattgefunden hat.)

    Zum anderen sind aber D/G auch ohne Hauptwerk sehr intensiv rezipiert worden, nicht im Zentrum des akademischen Diskurses, sondern an seinem Rand – also so wie sie sich das auch gewünscht haben: von rosaroten Panthern. Allein die Liste der Verlage, die in Deutschland, damals noch BRD, D/G gedruckt haben, liest sich wie ein Führer durch die deutsche Alternativverlagsszene vor allem der späten Siebziger: Das Wunderhorn Freiburg, edition subversion, impuls verlag und natürlich und vor allem: Merve-Verlag.

    In einem Reader von 1981, Rudolf Heinz/Georg Christoph Tholen, Schizo-Schleichwege – Beiträge zum Anti-Ödipus4, wird der „seine Leser spaltende Skandal“ Anti-Ödipus in einer sich durch fast alle Texte ziehenden Semantik des Tabubruchs und der Revolte als Ende von und/oder radikaler Neubeginn inszeniert. Seine Autoren, die vor allem gegen das akademische Establishment opponieren (das damals durchaus auch links sein konnte), gefallen sich in der Rolle der neuen Generation, die alle Gewißheiten der letzten zertrümmert. Und recht häufig wird auch darauf hingewiesen, daß nur die Subkulturen noch verstehen dürften, um was es jetzt geht. Heute haben nicht nur die meisten Autoren eine Professur oder einen Job beim Fernsehen, ihre Revolte hat keineswegs, wie sie und auch ich damals dachten, eine „Pop-Philosophie“ (Norbert Bolz) hervorgebracht, sondern eine neue akademische Richtung, etabliert wie alle vorangegangenen, die die revolutionären und später versandeten Projekte der vorhergehenden keineswegs weitergetrieben hat, sondern sich sehr viel schneller in einem Verzicht auf Radikalität und Eingriff eingerichtet hat. Geblieben ist die Radikalität als Geste: Kaum ein Text erscheint seitdem, der nicht vom Ende von irgend etwas handelt oder den Beginn radikal neuer Verhältnisse verkündet, worunter besonders die Medienwissenschaft leidet. Hier ist das Tendenzdenken besonders absurd geworden, das auch mir so vertraut ist, jede gesellschaftliche, intellektuelle oder technologische Novität läutet immer gleich neue Erdzeitalter ein, während der Rest der Welt, Menschen, Verhältnisse viel zu langsam, aber nicht weniger unaufhaltsam zugrunde verelendet. Das kommt davon, wenn man zu einer Zeit Revolten anzettelt, wo die großen politischen Balancen gerade in die falsche Richtung kippen (muß ich da auch selbstkritisch resümieren), eine andere Anwendung des Anti-Ödipus gibt es bei den Revolutionären Zellen, wie dem Nichteingeweihten erst heute zugänglich wird. Lustiger Zufall, daß deren gesammelte Werke fast zum selben Zeitpunkt erscheinen wie Mille Plateaux – die beiden abwesenden Zentraltexte der Epoche.5

    D/G haben sich einmal gewünscht, daß man ihre Bücher lese, wie man eine Schallplatte hört.6 Auch dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Es hat sich in den achtziger Jahren an diesen besagten Rändern des intellektuellen Feldes ein anderes Lesen entwickelt. Das „Lesen“ von „Theorie“ ist an die Stelle von Literatur getreten (und nicht mit dem „Studium“ von „Philosophie“ zu verwechseln). Doch wurde diese Theorie nicht, wie es sich für Theorie gehört, „durchgearbeitet“, sondern osmotisch aufgenommen. In einer Mischung aus eiligem Abgleichen mit der eigenen Praxis, mit Stimmungen und deren Widerhall in der Pop- und Underground-Musik, in der Mischung aus warenfetischistisch und existentiell, die so typisch ist für den Umgang mit Pop-Musik. Das neue Merve-Bändchen war für eine gewisse Zeit für gewisse Kreise so etwas wie die neue Indie-Platte (Merve war und ist da sowas wie ein Major-Indie, das Rough Trade unter den Theorie-Verlagen).

    Die so entstandene und heute in diversen Zines wie Heaven Sent, Fake, Symptome etc. gepflegte „illegitime“ (wie Bourdieu sagen würde) Theorie-Kultur begründet die Nachfrage, die heute nach halbakademischen Symposien, Debatten etc. in der intellektuellen Jugend- bis Enddreißiger-Kultur besteht, und sie muß sich mittlerweile ob ihrer Ungenauigkeit, Flüchtigkeit etc. auch Angriffe aus ihrem Inneren gefallen lassen, wie etwa den von Mark Terkessidis in Texte zur Kunst, Nummer 5.7 So wie sich Rock-Musik und Underground-Musik von ihren älter und gebildeter werdenden Fans auch immer wieder zyklisch Angriffe aus der Position des zum Jazz oder zur E-Musik Konvertierten gefallen lassen muß. Ja, auch Texte zur Kunst (TzK) ist ein Organ dieser Kultur und könnte sich ohne die Theorie-Begeisterung des „Underground“ kaum so vieler Leser erfreuen. Das Spezifikum von TzK aber, anders als die ersten Zeichen von Theorie-Begeisterung in den frühen Achtzigern, auch bei der legitimen Kultur anzuklopfen, beschreibt den Weg, den die rosaroten Panther während der Achtziger eingeschlagen haben und der allen Vertretern illegitimer Kunst ähnelt: Sie warten darauf, daß sich ihr Einsatz im Feld der legitimen Kultur verzinst.

    Jedes Texte zur Kunst hat ein offizielles Thema: Entweder steht es auf der Titelseite, oder man erinnert sich durch die Ankündigung auf der Rückseite des letzten daran, oder das Editorial informiert. In letzter Zeit fällt mir immer noch ein zweites Thema auf, das geheime Thema: eine durch keinerlei Verabredungen erklärbare Häufung von bestimmten Fragestellungen und Problemen in einem Heft. Auch äußere Anlässe scheiden meistens aus. Vor zwei Heften fragten sich an verschiedenen Stellen verschiedene Autoren, ob und wie man Theorie „importieren“ dürfe, solle, könne: entweder importieren von einer bestimmten Praxis und an die andere ausliefern oder einfach über kulturgeographische Zwischenräume hinweg. Im letzten Heft8 stand mehr oder weniger ausgesprochen an verschiedenen Stellen die Frage nach der Demokratisierbarkeit der Kunst (I. Graw über Nauman, T. Holert über Bloom, D. Richter über Kippenberger/Büttner/Oehlen) im Raum. Auch hier blieb offen, wo sie stattfinden soll: Kunst-immanent, innerhalb des sozialen Systems Kunstwelt, in wie auch immer zu beschreibenden Autor-Rezipient-Verhältnissen? In meiner Rede auf der Kasseler TzK-Konferenz9 gab ich zu bedenken, daß diejenige Empfindung, die mir „Import“ meldet und sich dann über Import wundert, Gedanken macht oder nur Import konstatiert, möglicherweise nichts anderes sei, als eine theoretische Hilflosigkeit über eine bei mir wahrgenommene ästhetische Faszination, der man zwar als letztes den Namen ästhetisch geben würde: Aber was sonst liegt denn vor beim Vollzug des Imports, also bei der Transplantation oder Transformation von einem Datum aus einem System in ein anderes, bei dem sein „ursprünglicher Kontext“ nicht mitgedacht werden kann, als eben ästhetische Faszination. Ästhetische Faszination sei Kommunikation über einen Kanal, der sich weder von Vernunft, Moral, Politik, noch von Bildung, Aufklärung, Wahrheit ganz kontrollieren lasse (verstopfen lasse), andererseits ständig von diesen Vorstellungen gestört, durchquert und schließlich auch mit hervorgebracht wird.

    Denke man dagegen Import nur als eine Ausbeutungs- oder Entwendungsbeziehung, müsse es ja einen ausgebeuteten Originalzusammenhang geben (oder den ausbeutenden Original-Drahtzieher). Aber auch die angeblich Importierten, so ließe sich zeigen, sagte ich damals, seien auch immer schon Importeure. Und die Wahrnehmung „anders“ ist nichts anderes als die Rationalisierung des Eindrucks „schön“ unter Global-Village-Bedingungen. Daher meinten auch immer alle deutschen Rezipienten französischer Theorie während der achtziger Jahre, eigentlich sei sie eher Literatur oder Theoriefiktion, unbewußt ihren durch Kontextlosigkeit (um nicht zu sagen Ahnungslosigkeit) hervorgerufenen ästhetischen Impuls zu einer nationalkulturellen Eigenschaft französischer Philosophie erklärend. (Diese Ahnungslosigkeit, die Voraussetzung ist für die ästhetische Freude am Resultat, ist nicht gut oder schlecht, sondern von Fall zu Fall angebracht oder unangebracht. Das reicht von nicht identisch zu sein mit dem Künstler bis zu Differenz-Rassismus und rassistischem Multikulturalismus. Differenz kann immer nur in Momenten, Impulsen [zum Beispiel in jedem Sinne antiintegrationistischen] nützlich sein, helfen, die jeweils benötigten, richtigen Kriegsmaschinen zu bauen. Wer sich in der Differenz einrichtet, wer wie die Fehlfarben singen, „fremde Sprachen im eigenen Land spricht“ oder wie Deleuze es als Gemeinsamkeit von Kafka und Pop definiert, und nicht sich auf eine ihrer Seiten schlägt, kann daraus was machen. Aber das Terrain ist unübersichtlich und das Gelände glitschig. Bei dieser Frage gilt es für die Kritik solcher Praktiken, in Rahmen zu denken, die einerseits stabil bezüglich des [durchaus zufälligen] Gegenstandes und unendlich flexibel beim Zulassen von Umgebungen sind. Weltweit verbreitete Kulturprodukte nivellieren Unterschiede, verschärfen sie aber auch. Michael Jackson bedeutet nicht überall das gleiche. Das gilt noch viel mehr bei den zugespitzteren Semantiken von politisch codierten Kulturprodukten“.)10

    Heute würde ich dem hinzufügen, daß sich in der Figur des Imports der Zusammenfall von Ästhetik und Politik im gutem wie im schlechten Sinne auf den zeitgenössischen Punkt gebracht findet. Einerseits beruht der Import auf der resultativen Verengung eines sozialen Prozesses, der schon immer dessen ästhetische Spur war, also Kunst (in ihrer kollektiven Epoche); andererseits ist die Differenz zwischen zwei verschiedenen Kontexten mit unterschiedlichen Entwicklungsgesetzen Voraussetzung für Import: wer dann importiert, will etwas überspringen oder zurückspringen, er versucht, sich einen Zeitvorteil zu verschaffen, indem er auf Ergebnisse von Entwicklungen zurückgreift, die in seinem Kontext noch bevorstehen, in dem anderen Kontext aber schon gelaufen sind (oder er will durch den Rückgriff auf [vermeintlich] frühere Entwicklungsstufen spätere Fehlentwicklungen seines Kontextes korrigieren). Dieses Handeln ist ein Handeln unter der primär politischen Bedingung: Zeitdruck. Diese politische Bedingung ist andererseits die einer Realpolitik, die – um mit Deleuze/Guattari zu sprechen – ganz und gar molar gedacht ist und nicht molekular. Sie tritt mehr und mehr als die einzige, aber deswegen nicht minder falsche Version auf. Die ihr zugesellte Ästhetik als Import ist eine, die unter Konkurrenzbedingungen zustande kommt und auch nur diese Bedingungen reproduziert: Daher stellt sie das Resultative, mithin tendenziell Warenförmige, aus dem Kontext gerissene Datum in den Mittelpunkt ihrer Praxis.

    Helmut Draxler wies mich noch auf demselben Kongreß darauf hin, daß ich das Problem des Imports unzulässig vereinfacht hätte; seine politische Dimension, die interessierte Verfälschung, die Funktion für die hiesige Diskussion. Eine Nummer später schreibt er11, während er die Import-Leistungen und Chancen von TzK diskutiert, der Merve-Verlag – dessen Frankreich-Import ich in Beziehung zu dem Amerika-Import von TzK gesetzt hatte – hätte eklatante Fehlleistungen vollbracht, die u. a. eben auch genau die Auseinandersetzung, die der Import befördern sollte, verhindern halfen. Tatsächlich läßt sich in der Praxis des Merve-Verlags eine Linie feststellen, keine sogenannten großen Werke zu übersetzen und nur selten komplette Bücher, sondern Interview-Bände, Vorlesungs-Transkripte, einzelne Kapitel, gekürzte Bücher zu veröffentlichen, also im Grunde genommen eher Materialien-Bände zu sog. eigentlichen Werken und Hauptwerken, die oft in Deutschland nie existierten.

    Dazu läßt sich nun erstens anmerken, daß der Merve-Verlag den Verteidigern einer „kleinen Literatur“ (wie Deleuze und Guattari) möglicherweise besser entsprochen hat als deren eigene französische Publikationspolitik, zweitens daß diese Veröffentlichungspolitik den einmaligen Effekt hatte, daß Theorie in den Achtzigern gekauft wurde wie Schallplatten (zu ähnlichen Preisen und von denselben Leuten).„Theorie“, im Gegensatz zu „Philosophie“, erhielt in den Achtzigern – wie gesagt – den Status jener „illegitimen Kulturen“, von denen Bourdieu spricht, auf die sich im akademischen Leben erfolglose, ausgestoßene oder ausgestiegene Intellektuelle stürzen und deren Legitimisierung sie betreiben, um über diesen Umweg den Quer-Einstieg in die akademische Karriere zu erreichen (die Vorgänger der „Theorie“ in dieser Rolle waren in der Reihenfolge ihres Auftretens in der Nachkriegskultur: Jazz, Kino, Rock-Musik, Comics). Nun ist aber bemerkenswert, daß Draxler seine Kritik an Merve just in dem Moment vorbringt, wo Merve angefangen hat, „Hauptwerke“ herauszubringen, die anderswo verhindert werden (die großen Verhinderer sitzen nämlich immer noch vor allem in Frankfurt, wo unzählige Manuskripte und ganze Werke angekauft und nicht weiterverarbeitet wurden und blockiert sind): Mille Plateaux, um das es hier gehen soll, und die Hermes-Reihe von Michel Serres.

    Auf der anderen Seite hat die Mervesche Veröffentlichungspolitik auch wirklich nicht unwesentlich dazu beigetragen, daß das poststrukturalistische Denken in Deutschland als ein vages (eben allenfalls ein schönes, nicht ein richtiges) rezipiert wurde. „Die Franzosen“ wurden zum Gerücht. Und dieser Aggregatzustand war so flüchtig, daß er nicht nur allerhand kreativ-beliebigen Mißverständnissen Material und Energie lieferte, die in diversen subkulturellen Zusammenhängen ihre Berechtigung hatten (und als Karrierestrategie „Legitimieren einer illegitimen Kunst“ ebenso versagten wie bei der Rock-Musik: Die ahnungslosen und ablehnenden Texte sowohl zu Rock-Musik wie Poststrukturalismus der Establishment-Medien sprachen da gerade in jüngster Zeit eine deutliche Sprache), sondern auch zu diversen Gesten einer unerbetenen Hilfestellung durch deutschen Klartext verführte: sei es nun die altlinke Enttarnungs-Geste, daß der Poststrukturalismus auch nur mit Wasser und darüber hinaus mit geschichts- und subjektfeindlich vergiftetem koche, sei es die neo-konservative, wie sie (Merve-Autor) Walter Seitter einnimmt, wenn er einen „rechten Gebrauch der Franzosen“ vorschlägt.12

    Merve handelte sicher in Übereinstimmung mit der eigenen Einschätzung der Texte als „nomadisch“, „minoritär“ etc. und erblickte darin eine Legitimierung für das fragmenthafte Publizieren und Übersetzen. Damit wurde aber auch einem doppelten Druck – idealisierend – nachgegeben: der Weigerung des deutschen Kultur-Mainstreams, sich mit „schwierigen“ Texten zu befassen, und der Bereitschaft von Gegen- und Jugendkulturen, eben dies zu tun, solange sie nicht in der akademischen Form des Hauptwerks daherkommen, sondern in der fragmentarischen Gestalt (illegitimer Kultur). Dies entspricht Jugend- und Gegenkultur nicht nur deswegen so, weil die jungen Leute vor dem Fernseher verlernt haben, sich zu konzentrieren, sondern weil die Nachkriegsgenerationen in der BRD ihre Kultur auf den verstümmelt und verfremdet empfangenen Signalen „anderer“ Kulturen aufgebaut haben. Den Klang des Englischen imitieren bereits dreijährige Popmusikhörer, bevor sie sich dessen Bedeutung als erste Fremdsprache erschließen. Diesem entsprach (und entspricht) die Merve-Reihe von den Inhalten bis zur Gestaltung und Preisgestaltung. Dennoch gelang es dem Magnetismus des Mainstreams, der Akademie und des Suhrkamp-Verlages auf der einen Seite, den neo-konservativen Sekten um Matthes & Seitz andererseits nach und nach, Autoren wie Baudrillard, Derrida, Foucault und ihre Vorläufer von Bataille bis Lacan in den Kanon der Hauptwerke zu stellen. Peter Bürger13, einer der sensibleren unter den deutschen Franzosen-Lesern, baut dann auf diesen auch sein „Denken des Herrn“ auf, seinen posthegelianischen Versöhnungsvorschlag, daß weder der Diskurs des Herrn (Frankreich) noch der des Knechtes (Deutschland, Sozialismus) es auf die Dauer bringe. Deleuze/Guattari waren nach einem Jahrzehnt die einzigen, in deren Werk das deutsche magnetische Feld kein Metall fand. Dies legt den Schluß nahe, es bei ihnen mit den wahren Autoren der Merve-Epoche zu tun zu haben. In dem Sinne, daß nur da, wo der Import nicht zu einer abschließenden Kanonisierung führen konnte, Import im oben beschriebenen Sinne vorgelegen haben kann: Theorie statt Philosophie, essentielle Fragmenthaftigkeit, sich selbst unklare ästhetische Faszination, die sich nicht rationalisieren läßt.

    Deleuze als „richtiger“ Philosoph kann dabei als Einzelautor noch auf eine Fülle von Übersetzungen bei verschiedenen Verlagen zurückblicken. Erst vor kurzem brachte Fink sein 68er „Hauptwerk“ Wiederholung und Differenz auf den Markt, ohne dessen Lektüre nicht nur weite Teile des Anti-Ödipus, sondern auch der Mille Plateaux unverständlich bleiben und das auf der anderen Seite die wertvollsten Beiträge zu der so überaus fruchtlosen Debatte „Differenzkultur“ / „Kulturrelativismus“ / „Partikularismus“ versus „Humanismus“ etc. anzubieten hat.14 Guattari hingegen ist nur als Fragmentautor übersetzt worden, mal von Kleinverlagen, mal von der edition suhrkamp (dem institutionalisierten Kleinverlag, der sich auch nicht scheut, alte, von Merve aus größeren Werken herausgebrochene und ’81 veröffentlichte Paul-Veyne-Texte ohne Angabe von Gründen noch mal neu und mit anderen Titeln zu veröffentlichen): Communists Like Us, Molecular Revolution und andere Texte konnte man noch auf englisch lesen, Chaosmose nicht einmal auf englisch. Es blieben Sachen wie die im kleinen Heidelberger Wunderhorn-Verlag 1978 erschienene Diskussion mit italienischen Autonomen, Wunsch und Revolution.15 Auch in Frankreich war Guattari kein anerkannter „Philosoph“ wie Deleuze, eher kannte man ihn als Aktivisten in allen möglichen halboffiziellen Feldern; von der Anti-Psychiatrie bis zu Beiträgen für Flash Art. In einem Interview im Jahre 1972 spricht er bereits von vier Orten (der „Links-Opposition“, der Psychotherapie in der Clinique de la Borde, der Lacan-Prägung und von der „Verliebtheit“ in Schizos – es sind noch einige andere Orte hinzugekommen, in den folgenden zwanzig Jahren). Selbst nach seinem Tode fand es sein Vorgesetzter in der Clinique de la Borde, der Nestor der französischen Anti-Psychiatrie, Jean Oury, noch angebracht, die Herausgeberin von Texte zur Kunst16, die dort nach Fotos nachfragte, mehrfach, nachdrücklich und ungefragt darauf hinzuweisen, daß Monsieur Guattari zwar ein sehr kultivierter und gebildeter Mann, aber keineswegs ein ausgebildeter Psychoanalytiker und Psychiater gewesen sei. Es gibt also Hinweise, daß die Beziehung zwischen dem legitimen Philosophen Deleuze und dem illegitimen Theoretiker Guattari auch intern Import-Charakter gehabt haben mag. Es ist zwar reine Spekulation, von da aus auf die jeweiligen Anteile an der gemeinsamen Arbeit oder gar die Arbeitsweise zu schließen, aber auch nicht unwichtig, daß die Beziehung zwischen einem legitimen und einem illegitimen Denker im Mittelpunkt einer Arbeitsbeziehung steht, die das radikal Illegitime denken will.

    Als der Anti-Ödipus über den Umweg Theweleit-Fußnoten seinen Weg in die Studentenzimmer angehender Punk-Rocker fand, stellte er eine nahezu undurchdringliche, schroffe Faszination dar, der man bald über die Lektüre leichterer und unmittelbar „anwendbarerer“ Merve-Autoren Herr zu werden versuchte. Allein: Baudrillards prima anwendbarer Kool Killer wurde in der gleichen Geschwindigkeit schal, mit der seine Nachfolgebände auf den Markt kamen (was sich dann nach dem Symbolischen Tausch noch mal ändern sollte). Dann erschloß man sich den Anti-Ödipus über ein Radikalisierungsmodell, das sich leicht mit den Linksradikalisierungsstufen oder Drogenradikalisierungsstufen der eigenen Biographien abgleichen ließ. Man muß weitergehen, hinter sich lassen. Dafür mußte man das Nacheinander der Stationen rekonstruieren, die Deleuze/Guattari jeder für sich und gemeinsam durchlaufen und hinter sich gelassen hatten. Dabei halfen Texte wie das Interview, das im Merve-Band Rhizom17 nachgedruckt war.

    Während man sich so nach althistorischer Gewohnheit seine Genealogie und Radikalisierungs-Teleologie bastelte, brach eben dieses lineare System zusammen und eröffnete einem so, durch den selbstauferlegten Zeitdruck erzwungen, erst die im wahrsten Sinne „Vielschichtigkeit“ des Anti-Ödipus. Daß dieses Handeln unter Zeitdruck – also das realpolitische Handeln enttäuschter Linksradikaler –, einem Zeitdruck, den das für den Import notwendige Kontext- und Kulturgefälle verursacht hatte („in Frankreich sind die viel weiter“), den Zusammenbruch eben genau der Logik des „Weiter“ und des Zeitdrucks herbeiführte, wirft ein interessantes Licht auf einen weiteren Nebeneffekt des Imports. Sozusagen im Inneren der Texte von Deleuze/Guattari passiert mit forcierter Intensität positiv-energieförmig, was im Zeitdruck der globalen Kulturkonkurrenz negativ-warenförmig passiert: Das Nacheinander bricht zusammen, die Geschichte, die zur besinnungslosen Reihe von Steigerungen geworden ist … implodiert? Nein, im Gegenteil: Die überall während der Achtziger totgesagte Geschichte wird nicht aufgegeben, sondern zerlegt (nicht im Sinne von analysiert), zerkleinert, mikroskopisch angesehen. Nicht nur, um die Mikropolitik (Bürgerinitiativen) gegen die Makropolitik (Parteien und Panzerkreuzer) auszuspielen, wie so oft mißverstanden, sondern, um Wirkungskräfte freizulegen, die nicht minder real sind als ihre Verklumpungen in institutionellen oder warenförmigen Zusammenhängen. Daß das, was an die Stelle der Geschichte getreten ist, Anthropologie sei, könnte eine pessimistische Täuschung sein, die die Trauer um die verlorene Geschichte mitverursacht hat.

    Denn es gibt ja nicht nur den Importeur Deleuze, der seine antihegelianische Philosophie – deren zentrale Begriffe wie Hausgötter ja über Jahrzehnte konstant blieben (das Werden der Leute, Vielheiten, Mannigfaltigkeiten, Nietzsche, Bergson, Spinoza etc.) – mit dem konkret nomadischen, explosiv Begriffe erfindenden Denken des praktizierenden Schizo-Analytikers Guattari füllen mußte und ihn zum Zwischenhändler machte, der die Kostbarkeiten von der Front der molekularen Kämpfe mitbringt. Ebenso haben wir den Praktiker Guattari, der seine Praxis auf Begriffe bringen muß, um trotz ihrer auseinanderstrebenden Tendenz und seiner Weigerung, das Finite an Definitionen zu akzeptieren, handlungsfähig zu bleiben (eine Konsistenzfläche bilden?). So wie der „legitime“ Philosoph das Illegitime denken will, will der„illegitime“ Theoretiker das Illegitime legitim denken (vor allem seine auf Verzinsung angewiesene Klientel will das), das heißt dessen Komplexität ebenso gerecht werden wie der Kommunikation von Überprüfbarkeiten. Guattari ist es auch, der in eigenen Publikationen (aber auch in Mille Plateaux) Interesse zeigt für „straighte“ Theorien von Komplexität, die man im D/G-Kontext nicht vermutet hätte: etwa die „Rahmenanalyse“ von Erving Goffman oder den Begriff der „ Autopoiesis“ des Radikalen Konstruktivismus.

    In dieser Konstellation bricht das Nacheinander auseinander, das sich ja in die Molekularität als Radikalisierungsteleologie eingeschlichen hatte. Es gibt kein erstens, zweitens mehr, keinen Prometheus und Epimetheus, eben keine Helden, sondern Verkettungen. Die aber in einem Verhältnis sowohl zu recht grobschlächtigen, offiziell-institutionellen Kategorien wie zu flüchtigen, unübersichtlichen und komplizierten subkulturellen stehen. Subkulturell heißt aber immer, die Komplexität der eigenen Verhältnisse nicht denken können/wollen. Das Primat der Energie, des Erlebnisses, des Ereignisses vor der Reflexion bleibt meistens unangetastet. Und darum geht es/ging es D/G: ereignisförmig/energieförmig die Feinstruktur von Energie und Ereignis zu beschreiben, den Gegen- und Subkulturen die je eigenen Komplexitäten spiegelnd, die zu ignorieren ihre Bedrohtheit steigert.

    War der Anti-Ödipus schroff, kann man sich in den Mille Plateaux ergehen wie in einem gepflegten Garten. Das angenehme Gefühl, daß hier zwei Leute das Buch geschrieben haben, das jeder schon immer schreiben wollte, nämlich: was in all meinen Büchern steht und auf allen Platten drauf ist, die ich je gehört habe, nebst dem, was ich alles dazu denken kann, wird verursacht auch davon, daß hier die Dringlichkeit des Handelns, der Politik als Handeln unter Zeitdruck, verschwunden ist zugunsten der Freilegung des immer schon stattgefundenen, immer noch stattfindenden Handelns: dessen, was ohne Emphase sowieso passiert und deswegen aber nicht minder politisch oder historisch oder „bedeutsam“ ist. Viel der angenehm unanwendbaren, also haltbaren Begrifflichkeiten war im Laufe der Achtziger auf der Fragment-Ebene schon durchgesickert. Sie erwiesen sich als nicht anwendbar auf konkrete benennbare Gegenwartsvorgänge (so wenig wie Mikropolitik in den Siebzigern auf Bürgerinitiativen – bezeichnenderweise warnt Deleuze in den Dialogen mit Claire Parnet ausdrücklich vor der Verkitschung der „Marginalen“, sie hätten ihm schon immer Angst und Schrecken eingejagt, sie seien nicht klandestin genug), wohl aber auf ein Bild der molekularen Revolutionen, von denen Guattari immer wieder sprach.

    Nun ist diese Epoche aber vorüber. Zu dem ’85 gemeinsam von Toni Negri und Guattari geschriebenen Manifest Communists Like Us gibt es ein Nachwort von 1990: Negri hat es allein geschrieben. Es war eine komische Freude, daß man die Wörter Guattari und „Communists“ 1990 zusammen auf einem Buch finden konnte. Damals begann, was heute dominiert. Ein komisch verschobenes, aus dem Ruder geratenes Interesse für das Molekulare überschwemmt die Medien. Wochenlang inspiziert die Presse in Text und Bild Katrin Krabbes Vagina. Alle Menschen sind plötzlich Opfer von Kindesmißbrauch. In alles haben Stasi, Vati, Mami ihre Nase gesteckt. Dem steht eine ebenso hysterische Begeisterung für alles, was nach Ernstfall riecht, gegenüber. Auch die Kritiker und „Mahner“ schnuppern aufgegeilt am Rauch brennender Asylantenheime, und viele Menschen und Medien zapfen stabilisierende Sinnstiftung ab, wenn sie eins ums andere Mal befriedigt konstatieren, daß die angeblich „gemütliche“ BRD tot sei. Die hektische Begeisterung für das, was nach dem Zusammenbruch der großen symbolischen Binaritäten auf den Straßen unsymbolisch gewaltsam ausgetragen wird, bleibt auch in dessen vermeintlicher Anprangerung spürbar. Deutschland ist geil auf Blut und Bosnien. Faschistische Verkettungen und Produktionen, wie sie in Mille Plateaux dargestellt werden.

    „Ländlicher Faschismus und Faschismus der Stadt oder des Stadtteils, junger Faschismus oder Faschismus des alten Kämpfers, linker und rechter Faschismus, Faschismus in der Ehe, in der Familie, in der Schule oder im Büro, jeder Faschismus wird durch ein schwarzes Mikro-Loch definiert, das für sich selbst steht und mit den anderen kommuniziert, bevor es in einem allgemeinen schwarzen Loch Widerhall findet. Faschismus gibt es dann, wenn in jedem Loch, in jeder Nische eine Kriegsmaschine installiert wird.“18 Hier helfen plötzlich diese schon zu Beginn der achtziger Jahre entwickelten Faschismus-Unterscheidungen aus Mille Plateaux. In einer Zeit, wo kleine Faschismen und Kriegsmaschinen nicht mehr nur noch im Verborgenen nisten wie bei der berüchtigten Platitüde vom Faschisten in uns allen, sondern offen produziert werden. Von Kriegsmaschinen, deren Funktionieren jeder beobachten können müßte, aber nicht wahrzunehmen vermag, weil der Blick auf das Große das Kleine aus dem Auge verliert. So berechtigt die Beobachtung der Hegemonialdiskurse und daran anknüpfende Interventionen sind, solange man sich nicht auf die molekulare Ebene begibt, wird man nicht einmal mehr den Status quo ante wiederherstellen können.

    Mille Plateaux verstand sich als zweiter Teil des Projektes „Kapitalismus und Schizophrenie“, dessen erster Teil der Anti-Ödipus war. Das darin von Deleuze/Guattari in dem 1980 veröffentlichten und ein Jahrzehnt lang übersetzten Mille Plateaux entwickelte und geöffnete Feld ist zunächst ein befreiender Horizontgewinn. Dies hat es mit so manchem neuen Ansatz der Achtziger gemeinsam. Aber im Gegensatz zu diesen anderen meistens pessimistischen und rein philosophischen neuen Horizonten, ist es praktisch und radikal optimistisch (letzteres ist übrigens das einzige absolut unantastbare Tabu der legitimen Kultur: ihr Distanz befördernder, Praxis ausschließender Genuß des Pessimismus). Es denkt für die Achtziger, aus der Erfahrung von „Subkultur“ im weitesten Sinne, Praxis, indem es sich gerade nicht als auf eine Realität applizierbare Philosophie denkt, sondern als Bestandteil einer Praxis des Aus-dem-Zusammenhang-Reißens. Dieses Aus-dem-Zusammenhang-Reißen ist das tiefste Gemeinsame all der Praktiken, die man unter Subkulturen, Gegenkulturen etc. zusammenzufassen versucht hat.

    Man muß dieses Reißen aber unterscheiden von dem interessierten Unterdrücken von Zusammenhängen, von Desinformationen wie etwa bei der L.A.-Rebellion. Es geht eben gerade darum, aus dem Medien- und Erzählungszusammenhang zu reißen, der einem angeboten wird, und sich einen eigenen zu machen. Diese Korrektur hätte dann sogar noch den utopischen Horizont einer Rekonstruktion. Man muß das Reißen auch trennen vom Eklektizismus, der zusammenfügt und zusammenstellt, was als unvereinbar galt, um vorgefundene Normen zu sprengen oder ihre Obsoletheit zu demonstrieren. Nein, dieses Aus-dem-Zusammenhang-Reißen, von dem ich rede, ist eine ästhetischpolitische Praxis, die allen gemeinsam ist, die zur legitimen „ästhetischen Einstellung“, wie Bourdieu sie definiert (Distanziertheit, Vertrautheit, Anciennität etc.) nicht finden konnten und die andererseits – ob freiwillig oder unfreiwillig ist unerheblich – auch keinen Erfolg hatten bei dem Versuch, illegitime Ästhetik zu legitimieren. Die unbefugte und „zusammenhangslose“ Übernahme dieser Praxis unter Nutzung des Kanals „ Ästhetik“ scheint die einzige erfolgversprechende molekularrevolutionäre Perspektive von Globalität.

    Ich sprach davon, daß Deleuze/Guattari einen zwangen, ihre eigene Radikalisierungsgenealogie zurückzuverfolgen. Aha, Guattari kam von Lacan und hat ihn überholt. Wer war Lacan? In den Achtzigern vergaß man über die Lacan-Lektüre gerne, warum man sich diese Frage gestellt hatte. Mancher wurde zum Lacanianer und ward nicht mehr gesehen. Oder zum Foucauldianer. Das Parallelereignis zum Anti-Ödipus in der Musik waren die Sex Pistols. Nachdem sie verschwunden waren, kratzte man sich am Kopf und rekonstruierte ihre Radikalisierungsgenealogie. Man stieß auf Dinge, die man in den progressiven Siebzigern nur am Rande oder isoliert wahrgenommen hatte. Die Stooges, Captain Beefheart, aber auch die britische Music-Hall-Tradition, Glam-Rock, Situationismus. Die meisten verbrachten die Achtziger mit Forschungen am Proto-Punk und verloren sich in endlosen Revivals von Stooges und Radio Birdman. Das geheime (und durch Anlaß Buchveröffentlichung Mille Plateaux auch offizielle) Thema D/Gs entspricht der Veröffentlichung der Bücher Lipstick Traces von Greil Marcus und England’s Dreaming von Jon Savage, die jeweils die Sex Pistols als die entscheidende Besonderheit der Achtziger-Jahre-Selbstverständnisse herausarbeiten. Marcus geht weiter und konstruiert ebenfalls etwas, was man als die anthropologische Dimension von Dissidenz (miß)verstehen könnte: die große Kontinuität des Wiederauftauchens und nicht die kurze Geschichte zum Scheitern. Im Falle D/G und der 1000 (Hoch-)Ebenen wäre dies aber tatsächlich ein Mißverständnis ohne Klammer. Die geologischen, biologischen, geographischen und wahrnehmungspsychologischen Metaphern und Ergebnisse, die strudelartig und ununterbrochen aufgesogen und eingefügt werden, sind nicht die andere, die höhere, die wahre und größere Dimension, in die man die bisher für historisch gehaltenen „Singularitäten“ einzufügen hätte. Sie sind das Aus-dem-Zusammenhang-Gerissene und In-einen-Zusammenhang-Geschmissene, ja das live und in Echtzeit Aus-dem-Zusammenhang-Reißen, das nur, wenn es nicht aufhört – wie das Herz –, das Überleben außerhalb der Totalisierung der Legitimität und der Warenform garantiert.

    Heute drängt sich die Frage auf, ob die Helden des Tribalismus noch funktionieren, d. h., das tragen, was man ihnen auferlegt hat, bzw., ob sie es ertragen können, daß sie im Zuge der Achtziger zu Helden geworden sind. Die Listen, mit denen der amerikanische Verlag wirbt, die ich am Anfang dieses Textes zitiert habe, enthalten eben auch all die Kandidaten und Mad-Max-Freunde, die man heute eben auch in Rostock und Hoyerswerda findet. Alte Dissidenz-Definitionen wie Widerstand gegen die Warenförmigkeit scheinen ebensowenig zu tragen wie das Tribalismus-Ideal oder die affirmative Rede von den Gangs (allenfalls deren Variante, die den richtigen Tribe als denjenigen, der sich über sich selbst definiert, vom falschen [Skinhead]-Tribe unterscheidet, der sich über einen äußeren Feind definiert): „ Nichtsdestoweniger bewegt sich alles Wichtige in Vergangenheit und Gegenwart durchs amerikanische Rhizom: beatnik, underground, Keller, bands und Gangs, aufeinanderfolgende Seitenstöße in unmittelbarer Verbindung mit dem Außen …“19 Aber genau in dieser Definitionsnot spielt der geologische Zufall und die Merve-Veröffentlichungspolitik (und die Suhrkamp-Verschleppungspolitik) der deutschsprachigen Bevölkerung den Text zu, der eben genau die nur soziologisierenden Definitionen von Dissidenz unterläuft. Es kann nicht darum gehen, nur zu unterscheiden, wer die Guten und wer die Bösen sind, es geht nicht um Identifikation und Glorifizierung und Feindschaft, sondern darum, „dem Kanal zu folgen“.

    Kanäle nannte ich auch die Importwege, von der Faszination in einer Sprache zu singen, die man nicht versteht, und sich mit diesem Unterschied/Mißverhältnis zu identifizieren (wie mein Bruder und ich als Vorschulkinder, wenn wir Beatles-Songs „interpretierten“), bis zum fortwährenden Aus-dem-Zusammenhang-Reißen als inneres Gesetz sowohl der Beziehung Deleuze/Guattari wie der aus ihrer eigenen Zweiteiligkeit hervorgegangenen Strategie gegen Binarismen (wie z. B. dem von legitim und illegitim, und das nicht nur vom Begriff her, sondern in der Praxis). Dieser Veröffentlichungsfehler als ein Fehler des Zusammenhangs eröffnet die Chance, sich an das zu erinnern, womit man (wir) damals angefangen hat (haben). Ein erfolgreiches Anhören dieser Schallplatte ist nur möglich, wenn man ihrem einzigen Gesetz folgt: immer, wenn ein Kanal verstopft ist, einen neuen zu suchen, bzw. schon vorher; immer, wenn ein Begriff „anwendbar“ wird, einen neuen einsetzen. Oder wie die Rocker sagen: „My confusion is real.“ Oder wie die Rapper sagen: „You don’t stop, you don’t stop, you don’t stop, don’t stop that body rock.“ Dieser Körper hat revolutionäre Zellen.

    1. Gilles Deleuze/Felix Guattari, Rhizom, Berlin 1977. ↩︎
    2. vgl. „Virtueller Maoismus“ in Freiheit macht arm. ↩︎
    3. Alle Zitate aus der Verlagswerbung von „Autonomedia/Semiotext(e)“, auf den letzten Seiten von Félix Guattari/Toni Negri, Communists Like Us, New York 1990. ↩︎
    4. R. Heinz/G.Ch. Tholen, Schizo-Schleichwege – Beiträge zum Anti-Ödipus, Bremen 1981. ↩︎
    5. ID-Archiv im IISG/Amsterdam (Hrsg.), Die Früchte des Zorns – Texte und Materialien zur Geschichte der Revolutionären Zellen und der Roten Zora, Berlin und Amsterdam 1993; dazu die Rezension von Mark Terkessidis, dem ich den Hinweis auf den Anti-Ödipus-Zusammenhang verdanke, in: Spex, 5/93. ↩︎
    6. zitiert nach Brian Massumi, A User’s Guide to Capitalism and Schizophrenia, Cambridge, Mass. und London 1992, S.7. Auch in den Pariser Gesprächen von François Ewald (Berlin 1990) verschweigt Deleuze seine Sehnsucht nach Illegitimität nicht, wenn er erklärt, er würde gerne Vorlesungen wie Rock-Konzerte abhalten. ↩︎
    7. Mark Terkessides, „Jeder lobt, keiner liest“, in: Texte zur Kunst, 5/92, S. 172ff. ↩︎
    8. Texte zur Kunst, Nr. 7/92. ↩︎
    9. Diedrich Diederichsen, „radio free europe“, in: Autoren von Texte zur Kunst halten Reden auf der documenta, Köln 1992. ↩︎
    10. vgl.: „The Kids are not …“ in Freiheit macht arm. ↩︎
    11. Helmut Draxler, „Dreisatz“, in: Texte zur Kunst, 7/92, S. 113. ↩︎
    12. Walter Seitter, „Vom rechten Gebrauch der Franzosen“, in: Tumult, 15/91. ↩︎
    13. Peter Bürger, Das Denken des Herrn – Essays, Frankfurt am Main 1992. ↩︎
    14. Gilles Deleuze, Differenz und Wiederholung, München 1992. ↩︎
    15. Felix Guattari, Wunsch und Revolution, Freiburg im Breisgau 1978. ↩︎
    16. Gemeint ist Isabelle Graw, die bei den Recherchen für die Erstveröffentlichung dieses Textes mit Oury telefonierte. ↩︎
    17. Vgl. Anm. 1. ↩︎
    18. Gilles Deleuze/Felix Guattari, Tausend Plateaus, Berlin 1992, S. 292. ↩︎
    19. ebenda, S. 3. ↩︎
  • Spirituelle Reaktionäre und völkische Vernunftkritiker

    Nach der Wende: Syberberg und Foucaults falsche Freunde

    Wie die alten Völker ihre Vorgeschichte in der Imagination erlebten, in der Mythologie, so haben wir Deutsche unsere Nachgeschichte in Gedanken erlebt, in der Philosophie. Wir sind philosophische Zeitgenossen der Gegenwart, ohne ihre historischen Zeitgenossen zu sein.

    Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, Einleitung

    Erste Initiation im Frühjahr 1982: Dietmar Kamper läßt mich nach Tübingen kommen. Mattenklott, Bergfleth, Sonnemann, Gehrke – und Baudrillard. Ein Hauch von Entspanntheit und savoir vivre. Claudia hat ein ausgezeichnetes Menü organisiert; ich darf neben Baudrillard sitzen und ihm meine Philosophie erzählen. Nach einem Spaziergang trage ich mich mit Kamper und Baudrillard in Hölderlins Turm ins Buch ein. Ich bin glücklich.

    Alexander Dill, „Franzosen, Französinnen und ich“, in: Tumult, 15

    Wenn alle inneren Bedingungen erfüllt sind, wird der deutsche Auferstehungstag verkündet werden durch das Schmettern des gallischen Hahns.

    Marx, ebenda

    Ende 1990 suche ich mir einen Platz in der „Paris-Bar“ in Berlin und stelle fest, daß der einzige freie Stuhl mich zwingen würde, neben HJ Syberberg und schräg gegenüber seiner Muse E. Clever Platz zu nehmen. Den „Fall Syberberg“ gab es noch nicht, der Kampf der völkischen Rechten, deutschtümelnden Kultur- und Identitätsbewahrer um kulturelle Hegemonie, die Flut sogenannter rechter Intelligenz-Blätter zeichnete sich noch nicht ab, das heiße Medienthema „Neue Rechte“ und die Flut von Buchveröffentlichungen, die ihm folgen sollten, war an keinem Horizont zu sehen. Außer für Hubert Winkels, der mir auf der Buchmesse von seinen Recherchen zu diesem Thema erzählt hatte. Und als der leibhaftige Syberberg da wenige Meter von mir sein Herrenmenschenlodencape überwarf, streifte mich doch der Hauch eines Horrors. Die sogenannte „Wiedervereinigung“ hatte also doch stattgefunden. Und Witzfiguren wie dieser windige Wagnerianer waren plötzlich ernst zu nehmen? Ich schrieb einen Artikel für Spex, der dort im Januar ’91 erschien.1

    Drei Jahre später nehme ich in Oberhausen an einem dieser Symposien zum Thema Hip-Hop teil. Da es sich um Filmfestspiele handelt, nähert man sich dem Thema über Videos und die Konstruktion von „Ethnischer Identität“. Natürlich geht es auch wieder um die Frage, ob Weiße rappen können/dürfen/sollen. Die amerikanische, schwarze Universitätslehrerin Tricia Rose erklärt den Anwesenden den Unterschied zwischen den korrekten 3rd Base oder House Of Pain auf der einen Seite und den unkorrekten Vanilla Ice oder Snow auf der anderen. Anhand der Fantastischen Vier erklärt sie, was Minstrelsy bedeutet. Minstrels seien im vorigen Jahrhundert auch oft schwarz geschminkte Weiße gewesen, die sich darüber lustig machten, wie sich Schwarze über Weiße lustig machten. Die Diskussion greift die Frage auf, wie Deutsche, die von dieser komplexen Tradition gegenseitiger, aber letztlich immer von den weißen Machthabern zu ihren Gunsten entschiedenen „Rassen“-Parodien ja kaum etwas wissen können, dennoch das gleiche Verhalten an den Tag legen können. Tricia Rose plädiert dafür, daß man sich mit „sich selbst beschäftigen“ soll, während ich die Ansicht vertrete, daß die deutsche Nachkriegs-Pop-Kultur immer schon offen eine Imitationskultur gewesen sei, darin gerade ihre große Chance lag, Fiktionen wie „Identität“ zu entgehen, die doch nur als offensive Strategien von Machtlosen schön und wahr werden könnten, während Tricia Rose dagegen hält, französischer Rap sei besser, weil er sich auf spezifisch Französisches einlasse, ich wiederum entgegne, guten deutschen Rap unterscheide man von schlechtem am leichtesten dadurch, wenn man untersucht, wer da spricht, die Plattenindustrie oder ein Fan. Chuck Stone III, ein Video-Regisseur, der mit Tricia Rose gekommen ist, spricht sich für House Of Pain aus, weil die ihre irische „Ethnicity“ zelebrieren. Ich melde gerade daran meine Bedenken an und erkläre, daß ich auf deutsche Rapper, die ihre deutsche „Ethnicity“ zelebrieren, gut verzichten kann. Da erhebt sich eine Frau und erklärt, daß man uns Deutschen seit 45 Jahren – sie sagt wirklich: seit 45 Jahren – die Identität genommen habe („Sehen Sie sich nur die Lehrpläne an!“) und daß die Kids, womit sie nur die Skins meinen kann, jetzt die Schnauze voll hätten, nicht sagen zu können, daß sie stolz wären, Deutsche zu sein.

    Bizarrerweise solidarisieren sich die Afro-Amerikaner und Afro-Briten vorübergehend mit diesen Sätzen, die einen auch dann aufhorchen lassen müßten, wenn man nicht weiß, daß „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“ bekanntermaßen ein Aufnäher ist, der nur von offenen Nazis getragen wird. Eine andere jüngere Dame solidarisiert sich ausdrücklich, eine weitere spricht davon, daß man im Film wieder die Nationalkulturen respektieren müsse. Die jüngere erklärt in der auf Englisch geführten Diskussion, daß wir unsere „Whiteness“ befragen müßten und daß die Existenz einer deutschen Identität schon durch prügelnde Nazis bewiesen sei (gegen meine Einlassung, nationale Identitäten seien Fiktionen mit unterschiedlichen Funktionen; die des Black Nationalism z. B. teilweise politisch korrekt, diverse postjugoslawische verheerend und eine deutsche ganz bestimmt unerträglich). Es wurde wirrer und erregter, bis schließlich die erste Frau das Drama der deutschen Umerziehung erneut beklagte. 45 Jahre Erziehung hätten uns unsere Identität ausgetrieben. Wer hat das denn gemacht?, frage ich wiederholt, wer wollte das denn, wessen Interesse entsprach dieser vermeintliche kulturelle Kahlschlag? Die Juden?, die Kommunisten?, biete ich an, als sie eine Antwort verweigert. Da kommt es, leise, aber bestimmt: die Amerikaner.

    In dieser Einschätzung trifft sich diese völkische Kulturpolitikerin nicht nur mit allen Bands der vielbeschworenen und umraunten Rechtsrock-Szene, die alle neben je einem obligaten Kinderficker-Song einen Anti-McDonald’s-die-Amis-haben-uns-unsere-Bratwurst-weggenommen-Klopper im Programm haben, ihre Rede ist auch die Essenz eines Buches, eben von HJ Syberberg, das den Endpunkt eines intellektuellen Verfalls im Westdeutschland der Achtziger ebenso markiert wie den Unstern, unter dem das neue Deutschland seine historische Mission beginnt. Es ist zur Zeit bei Linken die Versuchung zu erkennen, durch Ortung und Beobachtung der neuen Rechten wieder Boden unter die eigenen Füße zu bekommen. Das staunende Lesen der Frechheiten in der FAZ, der immer weiter voranschreitenden Übernahme des Spiegels kann zum Selbstzweck werden: klare Verhältnisse schaffen, die nicht klar sind und zum Spiegelbild der Neurose werden, die sich in der verzweifelten Suche der FAZ nach der Linken ausdrückt. Die Suchanzeige „What’s Left“ ist ja auch ein Hilfeschrei von Leuten, denen das Weltbild kaputtgeht. Nur sind die 1.) an der Macht und damit auch an der Definitionsmacht: Sie erklären, was normal ist und wo die Abweichung beginnt. Normal sind zur Zeit in der FAZ die Nazi-Manifeste ihres Herausgebers Reißmüller („Was sich da alles selbst verwirklicht“), während der amüsante Rortyaner Patrick Bahners auf den Kulturseiten die den guten fraktionsübergreifenden Ruf stabilisierende Ausnahme darstellt. 2.) zeigen Fälle wie die Diskussion in Oberhausen, daß man sich überall und zwangsläufig mit Positionen auseinandersetzen muß, die man zwar auch stärkt, wenn man sie nur benennt und beschreibt, die man aber auch nicht mehr ignorieren kann. Und 3.) geht es mir in diesem Text eher darum, den Anteil an dem Schlamassel aufzuzeigen, den Künstlertypen wie unsereins zu verantworten haben, nicht darum, den neuen und alten deutschen Rechten ihre Geschichte zu schreiben.

    1990 versprach ein Buch2 von Hans-Jürgen Syberberg per Klappentext „unseren kulturellen Identitätsverlust in der Nachkriegsepoche“ zu beschreiben, als eine „Niederschrift der Trauer und zugleich eine Befreiungsgeschichte“: „Nicht nach links, nicht nach rechts geht der Weg.“ Das erinnert an den Titel von Zeev Sternhells „Ni droite, ni gauche“, auf das sich kürzlich eine Auseinandersetzung des Bataille-Experten Denis Hollier mit dem Faschismusverdacht in der Bataille-Rezeption in einer Ausgabe der amerikanischen Zeitschrift October bezieht. Die Bataille-Rezeption lag ja in Amerika in den Händen von Feministen, Körperkünstlern, Anwälten und Praktikern aller Arten von „perversen“ Lebensweisen, vom masochistischen Dichter bis zum gepierceten Techno-Musiker: Die Bataille-Mode war eine gegenkulturelle Mode, eher die Erweiterung des „emanzipativen Projekts“ als ihr Ende. Syberbergs Buch erschien in dem Verlag, auf dessen Konto nicht nur das Gros der deutschen Bataille-Veröffentlichungen, sondern auch die prominenteste Bataille-Sekundärliteratur geht. Aber ich fürchte, daß diese „Ambiguity“ wirklich nicht mehr ist als ein „cover for an univocal fascism“3, was Denis Hollier für Batailles „Collège de Sociologie“ zurückweist, und nicht „profound ambiguities, which are as such – as ambiguities – at the heart of what was thought …“. Alle Eindeutigkeiten im kulturellen Bereich entstehen aber durch eindeutige Kontextualisierungen prinzipiell immer eher zweideutiger, importierter Kunst/Kultur-Daten.

    Der Weg zu dem Ergebnis, daß die taktisch ambige Formulierung „Weder rechts noch links“ sich (nicht nur in diesem Falle) ganz eindeutig mit „rechts“ übersetzen läßt, konnte sich den luxuriös-großherzigen Verzicht auf ermittelndes und verdächtigendes Lesen leider nicht mehr leisten. Er führte uns auch an einem Bataille-Übersetzer und-Herausgeber vorbei. Denn wir müssen ein paar Figuren beobachten, ein paar Orte und Unternehmungen, die mit dem Abbau und der Entsorgung des linken deutschen Denkens der Siebziger während der Achtziger, zum Teil auch aus zunächst guten Gründen, beschäftigt waren und im Namen von Poststrukturalismus, vor allem aber im Namen von Foucault und Bataille, an einem Vergessen mitgewirkt haben, das am Ende – der zeitlich mit dem Anfang des vereinigten Deutschlands zusammenfällt – sich nur noch jener als Geschichte ausgegebenen deutschen Mythen erinnert, die vergessen oder bewältigt und hinter sich gelassen zu haben die ganze Welt unbegründeterweise und unvorsichtigerweise der neuen Nation auf der Suche nach Identität, Vertrauen vorschießend, zutraut.

    Anläßlich der „Wiedervereinigung“ Deutschlands eine „Identität“ zu basteln, war und ist ein weitverbreitetes Anliegen, das ebensoviele ehemalige Linke wie Rechte erfaßt hat. Diejenigen, die die unpassende Frage stellen, wozu man solch Identität denn braucht, wurden mit viel publizistischem und propagandistischem Aufwand aussortiert. Uneinigkeit, welche Materialien für das Fundament der Identität zulässig seien und welche Notwendigkeit überhaupt historisch forderte, Nationen zu Identitäten zu verhelfen, wurde meist durch anspielungsreiche Vagheit überspielt. Da ging Syberberg dann eben doch ein paar Schritte zu weit, oder zu früh ein paar Schritte zu weit, sowohl bei der Festlegung der Materialien wie bei der Bestimmung ihres Zwecks. Zumindestens gemessen an dem, was das offizielle westdeutsche Feuilleton zum Erscheinungstermin an Genauigkeit ertragen konnte, ohne in Konflikt mit dem zu geraten, was es eben immer nur andeutungsweise sagen darf: seinen neuen hegemonialen Ansprüchen, seiner Handlungsfähigkeit, ob mit Blauhelm oder als Weltwirtschaftsmacht, Führung der EG oder Bollwerk gegen anstürmende Ausländer aus dem Osten, deren Reisefreiheit vierzig Jahre lang eingeklagt worden war. Daß konservative Zeitungen wie die FAZ in den Chor der Empörung gegen Syberbergs Buch Vom Unglück und Glück der Kunst in Deutschland nach dem Kriege in einem Ton mit einfielen, der sich schrill von ihrer vertraut mild-manierlichen Melodie unterschied, legte den Verdacht nahe, daß hier einfach einer aus den eigenen Reihen zu deutlich geworden war. Die antisemitischen „Stellen“ waren schnell gefunden und wurden als skandalöse Slogans anstelle einer symptomologischen Lektüre geoutet, die aufgedeckt hätte, daß die Gemeinsamkeiten des Pamphlets mit dem Tagesgeschäft der FAZ-Ideologie bei genauer Lektüre des Buches doch stärker ins Gewicht fallen müßten als die Unterschiede im Ton und in den literarischen Tischsitten.

    Schnell wurde ein Symposion in Berlin einberufen, über das anderntags – eilige Reichssache – alle Tageszeitungen und sogar das Fernsehen berichteten. Syberberg-Fans wie Susan Sontag wurden dort mit Sätzen konfrontiert, die auch sie „erschreckend“4 fanden, auch wenn das keinen Einfluß auf ihre Wertschätzung der Syberbergschen Kunst hätte. Heiner Müller moderierte gelangweilt, im Publikum hörte man rechtsradikale Zwischenrufe, aber nur Klaus Theweleit griff Syberberg direkt an, dem seine Lieblingsdarstellerin Edith Clever sekundierte, indem sie den Verfall des Niveaus in der Demokratie bejammert. Alles sei so gemein geworden.

    Daß Syberberg sich für einen Verfolgten der Kulturbürokratie hält, ist keine neue Information, gegen massen- und gegenkulturelle Erscheinungsformen hat er auch schon vor mehr als zehn Jahren in Die freudlose Gesellschaft und dann wieder 1984 in Der Wald steht schwarz und schweigt in einer atemlosen Sprache gewettert, die Anzeichen einer paranoiden Sinnestrübung nicht mehr zu verbergen versuchte. Dem meist zitierten Satz aus dem „Unglücksbuch“ – „Wer mit den Juden ging wie mit den Linken machte Karriere, und es hatte nicht mit Liebe und Verständnis oder gar Zuneigung zu tun. Wie konnten das Juden ertragen, es sei denn sie wollten nur Macht“5 – folgt unmittelbar die Formulierung von der „Kunst ohne Volk oder billiger, bequemer, schneller Wegwerfwaren wie Punk, Pop oder Junk“, deren Modell sich schon über zehn Jahre zuvor in der freudlosen Gesellschaft als gegen Jeans-, Turnschuhträger und andere gerichtet, mit deren Bekleidung weder Staat noch Identität zu machen ist, lesen ließ.

    Nur eine Rezension ging 1990 freundlich mit Syberberg um. Bernd Mattheus veröffentlichte sie in der klerikalkonservativen Wochenzeitung Rheinischer Merkur – Christ und Welt. Mattheus kann man kennen als Aphoristiker und Essayist, der eine zweibändige „Thanatographie“ Georges Batailles schrieb und mit dem Verleger Axel Matthes zusammen 1985 in dessen Matthes-&-Seitz-Verlag die Anthologie Ich gestatte mir die Revolte6 herausgab, in der neben Texten klassisch konservativer und/oder kulturpessimistischer Autoren wie Jünger, Cioran, Klages und Leon Bloy Radikale und Revolteure aller Art wie Artaud, Bataille, Carl Einstein, Marcel Broodthaers und Oswald Wiener zu Wort kommen. Darin finden sich aber auch bemerkenswerte Sätze des Verlegers, die sich nicht nur stilistisch erstaunlich an den 1990 von Syberberg (nicht zum ersten Mal) angeschlagenen Ton anschmiegen. Z. B. gegen das, was er dem Hörensagen nach als „Radical Chic“ kennt: „Prestige, klischiert und medioker wie das Insein eines heterosexuellen Frisörs und einer lesbischen Mutter. Godards Filme haschen nach Radikalität wie Achternbuschs Hervorbringungen und die von einer Intellektuellenschickeria hochgeputschten pubertären Phantasien à la Rainald Goetz, ähnlich sehe ich den apokalyptischen Dandysmus des späten Beuys. Der Verschönerungspunker sehnt sich nach Ordnung und eindeutigen Verhältnissen wie der Schablonenmensch. Und ist der Computerfreak bei seinen Verrichtungen so anders?“7 Gegen Postmoderne: „Die These, es gäbe nur eine endlose Wiederbelebung bekannter Positionen, halte ich für eine Argumentationsmode der Entertainer in einer Bordellgesellschaft.“8 Und gegen einen „anthropomorphen“ Zeitgeist ohne Sinn für echte Radikalität. Daß der Haß gegen die keiner Mühe der Prüfung und Sichtung mehr unterzogene zeitgenössische Bordell-Kultur wenigstens noch die Namen wahllos herausgegriffener und offensichtlich nicht vertrauter Personen (Beuys, Goetz, Godard, Achternbusch) und vermeintlicher Zeiterscheinungen (Punker, Computerfreak, heterosexueller Frisör) nennt, markiert die sieben Jahre Differenz zu Syberberg, der dann nur noch global von „Pop, Punk und Junk“ reden kann: Jetzt hat man nicht mal mehr die Zeit, sich die Namen dessen zu merken, was man diffus bedrohlich, schmutzig und vor allem frivol findet. Wobei Syberberg nicht einmal die Tautologie aufzufallen scheint, sich selbst „Punk“ oder „Junk“ nennenden Produktionsweisen Wegwerfmentalität vorzuwerfen. Um unter anderen Kritikern der Warenform noch Verbündete zu suchen, ist es zu spät, wohl weil einem langsam, trotz ständigen Beschwörens der leeren Konsum- und Wegwerfmentalität, dämmert, daß es einem eh um was anderes geht: Im Gegensatz zum depressiven Matthes von ’85 hat Syberberg ja mittlerweile eine Hoffnung; nicht nur vom Unglück, auch vom Glück handelt ja sein Buch. Zwar muß vorher sehr viel möglichst schnell verschwinden, was die neue Identität gefährden könnte. Aber im Prinzip herrscht Hochstimmung.

    Syberberg publizierte bei verschiedenen, in der Regel angesehenen, liberalen Mainstream-Verlagen, zuletzt vor Matthes & Seitz bei Diogenes. Sein erstes Buch für Matthes & Seitz hat selbst den, wie wir später sehen werden, einiges gewohnten Verleger schockiert. Aus Syberbergs Vorrede geht hervor, daß Matthes von ihm eine einleitende Standortbestimmung haben wollte, die vielleicht vernebeln sollte, was denn doch nicht zu übersehen war. Syberberg gehorcht und nennt seine Helden: Kiefer, Tarkowski, Thomas Bernhard, in der Politik: Gorbatschow, Václav Havel und Walesa, dann Ernst Jünger, Heidegger und sogar noch Hannah Arendt, bevor er sich bei biblischen, mythischen und antiken Figuren verliert.9 Ein Jahr später tauchen einige dieser Namen (Jünger, Heidegger) wieder auf, als Axel Matthes in einem Beitrag zum Matthes-&-Seitz-Verlagsalmanach Der Pfahl mit dem „Spiesser- und Mitläufertum unter deutschen Intellektuellen“ anläßlich der inzwischen zur „Affäre“ gewordenen Syberberg-Debatte abrechnet.10

    Neben anderen Leitfiguren des „neokonservativen“ (um es mal vorsichtig zur formulieren) Deutschlands (Carl Schmitt, Spengler etc.) kommt auch Theodor W. Adorno zu unerwarteten Ehren („der trotz der voreiligen Malicen zu Heidegger, Spengler und Sibelius ein hervorragender Anarch war“). Matthes zitiert Adorno von 1947: „Stalin braucht sich nur zu räuspern und sie werfen Kafka und van Gogh auf den Misthaufen.“ Das lasse sich bruchlos auf unsere liberal verseuchte Kultur applizieren: „Mittlerweile braucht nur ein Magazin-Redakteur über Syberberg zu zetern und die Kampfbündler rangieren den Autor und Künstler samt Verlag aus.“ Die besondere Komik des Vergleichs von Stalin mit dem hier gemeinten harmlosen Herrn Karasek vom Spiegel, einem Mann, der am liebsten über Woody Allen und gemütliche Glossen unter Pseudonym schreibt und dessen radikalster Moment vermutlich vor über zehn Jahren das Bekenntnis war, sich durchaus auch an einem James-Bond-Film freuen zu können, wird noch verschärft dadurch, daß Matthes hier von einer Steigerung der falschen Verhältnisse spricht: Karasek schlimmer als Stalin, das Verbrechen, Syberberg auszurangieren, fataler als der Misthaufen für Kafka und van Gogh. Daß Adorno dafür herhalten muß, ist allerdings symptomatisch.

    Wir müssen noch etwas weiter ausholen: 1978 veröffentlichte der Berliner Merve-Verlag den Reader Das Schillern der Revolte11, der nicht nur am Anfang der Rezeption neuerer französischer Theorie durch deutsche (ehemalige) Linke steht, sondern auch die bemerkenswerte Karriere des Begriffs Revolte einleitet, die mit Syberbergs heroischer Auflehnung gegen internationales Judentum und Junk Culture ihr vorläufiges Ende findet. Vorher war Merve vor allem ein Verlag der „Internationalen Marxistischen Diskussion“ gewesen. Neben Sohn-Rethel veröffentlichten dort z. B. Toni Negri und andere „undogmatische Linke“, wie man sie damals nannte. Unmittelbare Vorläufer von diesem Reader waren Veröffentlichungen zu den Projekten italienischer Autonomer (etwa die Sendeprotokolle des Senders „Alice A/traverso“) und deutsche Übersetzungen von Foucault, Althusser und Deleuze/Guattari. Im Schillern äußern sich erstmals auch deutsche Anhänger der noch diffus rezipierten französischen Novitäten. Bis dahin waren Foucault und Deleuze/Guattari wie auch Derrida nur einem kleinen Kreis von Spezialwissenschaftlern bekannt gewesen; der immense Erfolg von Klaus Theweleits Männerphantasien hatte durch seine vielen Fußnoten und Verweise, die sich besonders auf Foucault und Deleuze/Guattaris Anti-Ödipus (in Deutschland 1976 erschienen) bezogen, den Boden für das allgemeine Interesse bereitet. Zu den Autoren des Schillerns gehören so unterschiedliche Leute wie der ehemalige SDS-Aktivist Franz Böckelmann, in den frühen Sechzigern gemeinsam mit Dieter Kunzelmann Begründer der „Subversiven Aktion“ (einer Nachfolge-Organisation der deutschen Sektion der Situationistischen Internationale), später „Katastrophentheoretiker“ und Mitbegründer und Herausgeber der Zeitschrift Tumult – Zeitschrift für Verkehrswissenschaft, Dietmar Kamper, heute einer der bekanntesten Professoren der Republik, der sich in Berlin 1993 doch tatsächlich mit dem „Nouvelle-Droite“-Chefarsch Alain de Benoist zu einer Diskussion an einen Tisch setzen wollte, und die Foucault-Übersetzer Walter Seitter und Ulrich Raulff. Seitter nimmt darin Abschied von der „Litanei Marx Marx“12 und schlägt eine andere Lesart des Mai ’68 vor, dessen Symbole nun „die schwarze Fahne der Anarchie und die bunten Wandschriften der Poesie“ gewesen sein sollen. Das nahm ihm im Berlin zwischen Punk und Tunix natürlich niemand übel.

    Tatsächlich war die etablierte Linke in Frankreich mit dem Mai ’68 so erledigt wie sie in Deutschland nicht erledigt sein konnte, weil es eine etablierte Linke in der Nachkriegszeit nicht gegeben hatte. 1956 wurde die KPD verboten, die Sozialdemokraten hatten im Godesberger Programm 1959 den Begriff „Klassenkampf“ gestrichen, und in den fünfziger Jahren war es im Westen nicht einmal immer möglich, ein Stück von Brecht auf die Bühne zu bringen. Die in der Nachfolge der deutschen Studentenbewegung gegründeten diversen maoistischen Sekten, die sogenannten K-Gruppen (KPD, KPD/ML, KBW, KB etc.), die sich im Laufe der Siebziger in selbstquälerischen Spaltungen immer weiter atomisierten, glichen eher einer nachholenden Parodie auf die Geschichte des Weltkommunismus. Man überbot sich an Rigidität und Parteidisziplin und glaubte sich trotz totaler politischer Bedeutungslosigkeit in einer Kampffront mit der Arbeiterklasse. Bezeichnenderweise hatte ein Teil der K-Gruppen im Einklang mit dem offiziellen China den sowjetischen „Sozialimperialismus“ zum Hauptfeind erklärt, die NATO galt als das kleinere Übel. So konnte dann auch die Forderung nach einer „Wiedervereinigung“ eines sozialistischen Deutschlands ein Ziel sein, das teuer genug war, um junge Genossen zu zwingen, nicht bürgerlich-pazifistisch den Kriegsdienst zu verweigern, sondern in der antisowjetischen Bundeswehr Dienst zu tun. Als gegen Ende der Siebziger die K-Gruppen sich der Reihe nach aufzulösen begannen und ihre ehemaligen Mitglieder sich in vielen Fällen in den Reihen von Spontis, Bürgerinitiativen und anderen „autonomen“ oder „mikropolitischen“ Bewegungen wiederfanden, begann auch die Rezeption einer für Deutschland neuen französischen Theorie, deren Texte aber in der Regel damals circa schon ein Jahrzehnt alt waren. Die „Abwicklung“ der eigenen K-Gruppen-Vergangenheit ging mit scheinbar dem gleichen Tempo und der gleichen Reibungslosigkeit vonstatten, die man in den späten Achtzigern noch einmal bei der Wandlung von orthodox marzistischen oder von der kritischen Theorie kommenden Wissenschaftlern in Systemtheoretiker beobachten konnte. Indem man sich einer französischen Theorie zuwandte, die schon lange zuvor auch in Gegnerschaft zur Orthodoxie der etablierten Linken entstanden war, bekämpfte und exorzierte man aber den eigenen Stalinismus in der K-Gruppe; ihm und sich eine Bedeutung zusprechend, die weder die Individuen noch die Parteien je hatten. Denn daß dieser Stalinismus selber schon eine hysterische Antwort auf die Abwesenheit einer kommunistischen Geschichte in Deutschland gewesen war, eine machtlose Farce mit mitunter sympathischen Zügen von Jugendtribalismus und Pfadfindertum, an deren Händen nicht nur kein Blut klebte, von einigen kleineren Psychodramen abgesehen, sondern dessen Zustandekommen eher der „Anamnese der Genese“ als protestantischer Selbstbezichtigung bedurft hätte, wurde in diesem Akt der Reue über die Anmaßung politischer Bedeutung unter den Teppich einer neuen Gewißheit gekehrt: daß wir alle Skelette im Schrank haben und uns ganz schnell zu verantwortungsvollen und handlungsfähigen Demokraten wandeln müssen. In der Grünen Partei oder anderswo. (Man fühlt sich an die Penetranz erinnert, mit der Ex-Linke, vermeintliche Linke und Rechte heutzutage den Mythos von einer kulturellen Hegemonie der Linken aufrecht erhalten und einer schon lange verflüchtigten Linken Verbrechen und Versäumnisse vorwerfen, die sie gar nicht begangen haben kann). Zwar ist von Seitter nicht bekannt oder zu vermuten, daß er eine K-Gruppen-Vergangenheit zu bewältigen hatte. Aber daß man nun anders und von neuem an den Mai ’68 anschließen konnte, der plötzlich ein ganz anderer Mai geworden war, nicht mehr der Mai der Wütenden und Situationisten, nicht der Mai der Maoisten und des Generalstreiks, sondern ein Mai der Poesie und der Cohn-Bendits, ein Mai der unmittelbar zu Ariane Mnouchkine und Jérôme Savary, nicht mehr zu Guy Debord oder Jacques Mesrine oder Malcolm McLaren führen sollte, war eine Botschaft, die zu Anfang der achtziger Jahre überall auf den fruchtbaren Boden fiel, auf dem auch Traumtheater, begnadete Körper und anderer Quatsch wuchs. Überall griffen bunte, zirzensische Phantasien nach der Macht.

    Die Texte im Schillern sind natürlich in ihrer Zeit nicht nur zu erklären, sondern auch oft berechtigt: schon im Benennen von Argumenten gegen einen tatsächlich seinerzeit frigide gewordenen und mit der sozialdemokratischen Kulturbürokratie paktierenden linken Common Sense. Die Wenden von ’77/’78 haben ja auch damit zu tun gehabt, daß die sozialdemokratische Kultur marxistische Positionen und Aufklärungen repressiv einsetzte, ja daß sogar der Erfinder der Rasterfahndung gegen die RAF und andere politische Abweichler, BKA-Präsident Herold, seine Konzepte in einer marxistischen Begrifflichkeit erläuterte (die einem aber schon damals verdächtig nach Systemtheorie hätte schmecken können, wenn man die damals schon beachtet hätte). Da hatte Deutschland seine späte KP und Dialektik der Aufklärung bekommen, aber die Selbstbestrafung durch Fallenlassen der eigenen Politisierung, die die radikalen linken Intellektuellen betrieben, richtete sich gegen sich selbst und das eigene Milieu – anders als etwa der zur selben Zeit aufkommende Punk-Rock –, nicht gegen die sozialdemokratische Macht. Und im Zuge dieser Zerknirschung – die immer das bestätigende Gegenteil von Bearbeitung ist – gerieten auch die antifaschistischen Ursachen der Politisierung der deutschen Intellektuellen in Vergessenheit: Sie war jetzt nur noch die falsche Wahl zwischen zwei Möglichkeiten, den Mai ’68 zu lesen, gewesen. Am Ende heißt es ’78 bei Seitter: „Auch der Solitär ist ein Prüfstein der Politik.“ Dieser wurde dann als heroisches Komplement zu grüner Realpolitik auch die Lieblingsfigur endloser Anthologien und Verlagsmitteilungen aus dem postlinken Nachfolge-Milieu, vom Konkursbuch-Verlag bis zu Matthes & Seitz: so unterschiedlich die Autoren und Traditionen, die in diesem Verlag zusammen kamen, sie alle wurden, wenn nötig durch manchmal krude Interpretationen auf Klappentexten (etwa wenn Marcel Aymé zum kämpferischen Anti-Sozialisten erklärt wird), auf die Position des Solitärs eingeschworen. Und das einzig denkbare korrekte Verhalten des Solitärs bekam den Namen Revolte. Auf dem Klappentext des Schillerns hingegen erscheint noch in aller Unschuld eine Losung, die heute in der Bundesrepublik Deutschland zu den häufigsten Attributen von Klappentexten bis zu Stellenanzeigen gehört und deren Beliebtheit als Gratislob für die billigste Unangepaßtheit bezeichnend ist, besser: für die totale, hysterische Angepaßtheit an die Standards des kulturellen Konkurrenzkampfes: „Querdenken“. Damit wollten sich aber die späteren Solitäre und Revolteure nicht mehr abspeisen lassen.

    „Es handelt sich um eine Methode der Zersetzung, die vor nichts halt macht“, schreiben Robert Müller und Michael Makropoulos13 über das neue Denken, das jetzt an die Stelle des „linken“ Denkens treten soll, in einem Aufsatz, der nicht nur damals für die Theorie der Punkbewegung in Deutschland wichtig wurde, sondern auch heute noch in seiner Anwendung von Foucault und Deleuze/Guattari auf das damalige Elend im Studentenmilieu zutreffend ist: „… und schon gar nicht vor dem Mythos der jeweiligen Identität der revolutionären Gruppen oder Individuen.“ Denn nicht nur diese „Identitäten“ konnten einem damals in der Tat auf die Nerven gehen (wie die meisten „Identitäten“ – wir sprachen davon). Es war die Zeit linker Strickkurse und einer Dritte-Welt-Solidarität, die auf anderer Leute Elend die eigene Regression projizierte und gefahrlos anderswo eine übersichtliche Anordnung von Widersprüchen fand. Dagegen forderte man, und dieser Text untermauerte diese Forderung mit „aufregenden“ Zitaten eines neuen unbekannten Denkens, eine Subversion, die im Namen der „Ränder“ und der „Fluchten“ den Kapitalismus bekämpfte. (Daß es gegen den Kapitalismus ginge, war ’78 noch ziemlich unumstritten, und Agnoli und Brückner dürfen noch als Zeugen auftreten). Am Ende ihres Textes zitieren Müller/Makropoulos ein/en Bonmot/Aphorismus eines gewissen Gerd Bergfleth, den sie wie ein Gedicht umbrechen.

    Ein paar Jahre später erscheint bei Matthes & Seitz in dem Reader Zur Kritik der palavernden Aufklärung14 ein Text von Bergfleth, der erstmals, u. a. von der Hamburger Zeitschrift Spuren, einen Antisemitismus-Vorwurf gegen ein Produkt von Matthes & Seitz laut werden läßt. Bisherige Autoren des Verlages wie z. B. Elisabeth Lenk, die die erste Bataille-Edition für Matthes & Seitz besorgt hatte, ziehen Manuskripte zurück.15 Matthes & Seitz war zu diesem Zeitpunkt, neben Merve, der Verlag, der sich am ausführlichsten und engagiertesten um die Veröffentlichung lange übersehener französischer Texte in Deutschland verdient gemacht hatte: Bataille, Artaud, Laure, Leiris und Barthes waren bei Matthes & Seitz erschienen. Bataille später herausgegeben und teilweise übersetzt von Bergfleth. Als ’8216 Baudrillards Symbolischer Tausch und der Tod erschien, versah Verleger Matthes den Band mit einem langen Nachwort von Bergfleth (gegen den Willen des Autors) und verfuhr dann wieder genauso, als Die Göttliche Linke erschien. Diesmal reichte allerdings ein Nachwort nicht: Neben dem russischen Kunsttheoretiker Boris Groys schrieben diesmal zwei Autoren, die man als Vertreter des deutschen Rechtsradikalismus nicht erst entlarven mußte: Hans Dietrich Sander, Herausgeber der rechtsradikalen Zeitschrift Staatsbriefe – regelmäßig von Hermann Kurzke in seiner FAZ-Zeitschriftenschau berücksichtigt – und Verfasser von Texten wie „Der nationale Imperativ – Ideengänge und Werkstücke zur Wiederherstellung Deutschlands“ oder „Von der geistigen Knechtschaft der Deutschen und ihrer möglichen Aufhebung“; und der besonders schillernde Günther „Cubamaschke“ Maschke, der ursprünglich als Linker nach Cuba ging, sich dort einem Putschversuch gegen Castro anschloß und dann als rechter Theoretiker und Philologe zurückkehrte, die Werke Carl Schmitts in einer eigens für ihn bei Klett-Cotta eingerichteten „Edition Maschke“ herausgibt, die Texte jenes Staatsrechtlers, der seinerzeit Hitlers Ermächtigungsgesetz rechtfertigte und heute an allen Fronten eine Renaissance erlebt (wobei dahingestellt bleiben soll, ob Teile seines Werkes tatsächlich entdeckt zu werden lohnen – Maoisten, aber auch Anarchisten der Siebziger hatten auch immer schon allerlei Übertragbares gefunden, Seitter wird Schmitt 1991 einen „exzeptionellen deutschen Denker des Politischen“ nennen). Heute gibt Maschke die Werke von Schmitts spanischem Vorbild Juan Donoso Cortés heraus und dient jungen neuen Faschos von der Etappe bis zur Jungen Freiheit (auch immer liebevoll in der FAZ rezensiert) als Vaterfigur. Daß Maschke und Sander bei Matthes & Seitz publizierten, verunsicherte aber kaum diejenigen Intellektuellen, die sich bei M&S all die Jahre ihre Batailles und Oswald Wieners, ihre Baudrillards und Panizzas geholt hatten; nur Baudrillard selber: denn der mußte seine Nachworte ja lesen.17

    1990 erscheint ein Text von Bergfleth in den Staatsbriefen, aus dem sicher auszugsweise Zitate genügen, um diejenigen zu widerlegen, die das, was seine Kritiker für „Antisemitismus“ gehalten haben, als den „geschworenen Antifaschismus“ eines eben etwas exzentrischen und besonders radikalen deutschen Anhänger des Poststrukturalismus verteidigen, nur weil Bergfleth auch in seinem 1991er Beitrag zum M&S-Almanach Der Pfahl weiter munter Foucault zitiert18: „… Das Volk hat vollbracht, was sonst nur Beethovens Neunte bewirkt: es hat die Welt erschüttert. Aller Makel ist getilgt, aller ihm zugeschriebener Untertanengeist gelöscht. (…) Die Volksbewegung der DDR stellt das wahre Deutschland dar, das die Westdeutschen verraten haben – verraten an eine kapitalliberale Ökonomieseuche, die den Volkskörper zerfressen hat, an einen Technikkult, der das Land verwüstet, und an weltbürgerliche Lebenslügen, die darauf angelegt sind, die Zerstörung des deutschen Volkscharakters zu vollenden. Der Liberalismus ist die Spitze des europäisch-atlantischen Nihilismus. (…) Eine Aufhebung des Okkupationsstatus auf beiden Seiten mitsamt der wehrhaften Blockfreiheit Gesamtdeutschlands wird das mindeste sein, das zu gewährleisten ist. (…) Denn die Wiedergeburt der Nation setzt eine volkmäßige Erneuerung voraus, die den Westdeutschen noch bevorsteht. Erst wenn dieses Unvolk sich gegen seine technokratisch-amerikanische Knechtung erhebt, wird es reif sein, sich als freies Volk mit dem freien Volk der DDR zu vereinen. Die Volkserhebung der DDR ist der erste Akt einer nationalen Erhebung aller Deutschen, an deren Ende die Einheit der Nation stehen wird: das Deutsche Reich.“19

    Vier Jahre zuvor hatte Rolf Grimminger Axel Matthes mit Sätzen des von ihm so viel beschäftigten Autors Bergfleth konfrontiert.20 „Grimminger: Ihr Autor Bergfleth hat bei ihnen einen Aufsatz stehen, in dem das Irren böse abrutscht, es restauriert völkischnationale bis nationalsozialistische Mythen. Wie verhalten Sie sich als Verleger zu diesem Skandal? Matthes: Ihre Lesart, die Sie mit anderen linker Provenienz teilen, die in der Presse geschrieben haben, ist irrig. Da wurde mit Rosenberg und Streicher verglichen. Man liest nicht, was man liest, sondern was man ist. Grimminger: Moment mal, ich zitiere jetzt im O-Ton Bergfleth, ‚daß das aufklärerische Judentum in der Regel keinen Sinn hat für … deutsche Eigenart … romantische Sehnsucht … Verbundenheit mit der Natur … nicht auszurottende Erinnerung an die heidnisch germanische Vergangenheit …‘ Oder noch schlimmer: ‚So züchtet die neue Aufklärung einen Unmenschen …, einen Deutschen, der Europäer, Amerikaner, Jude oder was immer sein darf, nur nicht er selbst. Er ist dank der linken Reeducation, die seine Kriegsniederlage erst vollständig macht, zum Gastarbeiter im eigenen Land geworden …, der das Gnadenbrot seiner Kultivierung von den linken Herrenzynikern der Aufklärungsmafia empfängt.‘ Das reicht wohl. Matthes: Ich weiß: Bergfleth fordert unseren selbstgewissen Zeitgeist heraus, er hat an ein bundesdeutsches Tabu gerade bei den Intellektuellen gerührt, zu denen ich mich als Verleger auch zähle. Ich kann die Aufregung in meiner Brust nachvollziehen, schließlich bin ich mit Benjamin und Adorno geistig groß geworden. Bergfleth ist kein Philosemit, und wir haben in Bundesdeutschland einen Philosemitismus, der ebenso unfrei wie verlogen ist. Bergfleth (…) ist aber auch kein rassischer Antisemit. So wenig wie Nietzsche! (…) Adorno hat sich beißend kritisch über Dvořák, Rachmaninow, Tschaikowski geäußert, aber ist er darum antislawisch?“

    Und wieder Adorno. Nicht nur, daß geistig mit ihm groß geworden zu sein nicht viel gefruchtet zu haben scheint, daß die unter zuviel Philosemitismus leidenden Geister immer wieder ihn ins Feld führen, geschieht natürlich wegen seiner Kritik der Kulturindustrie, seiner Affekte gegen Jazz, gegen amerikanische Populärkultur, von der er ähnlich undeutliche Vorstellungen hatte wie Syberberg von Junk und Punk und Matthes von Godard und Computerfreaks; wegen seines Geprägtseins von einem bürgerlichen Kunstgenuß der letzten Jahrhundertwende, an dem sich auch der reaktionäre Musikliebhaber immer wieder wärmen kann. So wie in der Dialektik der Aufklärung von allgemeinen Merkmalen der Kulturindustrie die Rede ist, die sich eindeutig einerseits nur auf die New-Deal-Filme beziehen, mehrfach referiert er Capra-Plots, andererseits auf Großproduktionen Marke Cecil B. DeMille, obwohl sogar schon zur Niederschrift die Rückschlüsse über dieses Segment der Kulturindustrie überholt waren, so scheint auch die ganze Aufregung von Syberberg, Bergfleth und Matthes sich gegen kulturelle Produktionen und Erscheinungen zu richten, die zunächst nur als bedrohlich empfunden werden, weil sie nicht verstanden und einsortiert werden können. Den poststrukturalistisch und dekonstruktivistisch von linken Positionen befreiten Schöngeistern bietet sich zur Entsorgung der Kulturmüllberge zunehmend verführerischer die Einsortierung kulturindustrieller und vermeintlich kulturindustrieller Produkte in je nach rechter Radikalitäit „amerikanische“, „fremde“, „künstliche“ bis „jüdische“ an. Nur mit einer gigantischen Abräum-Leistung scheint die Identität wieder herstellbar zu sein, die der – unverkennbar von Matthes stammende – Klappentext des Syberberg-Buches verspricht.

    „Die Plastikwelt hat uns okkupiert. Wenn wir ins Auto steigen, ins Flugzeug, Schiffe betreten, wenn wir heutige Küchen erwerben, in die Fernsehwelt uns einlassen, vom Studio und Material bis Bild der Welt, so betreten wir die Welt der künstlichen Chemieuniversen. (…) Die Computer sind aus diesem Material gemacht und damit unser Denken, unser Erinnern, die Simulation des Lebens.“21 Die hier in schon bizarr falschem Deutsch eingeklagte Echtheit und Authentizität des Materials, die sich offensichtlich vor dem harmlosen Gehäuse eines Computers mehr fürchtet als vor den Chips, die immer noch aus Silizium gemacht werden, gibt einer Interpretation nicht nur Syberbergs Text, sondern auch des Erfolges, den seine Polemik hatte, recht, die die niederländischen Medientheoretiker Geert Lovink und Basjam van Stam in Mediamatic vorschlugen. Lovink / van Stam lesen Unglück und den anderen im selben Jahr bei deutschen Gemütsmenschen eingeschlagenen Theoriebestseller, George Steiners Von realer Gegenwart, als nostalgische Versuche, Authentizität über eine Art Kulturökologie (wieder)herzustellen. Wenn wir uns nur von der uns umgebenden Fülle von Mediendaten, die etwas verbergen, befreien, wenn wir uns der sekundären Diskurse entledigen, wird sich schon wieder „reale Präsenz“ (Steiner) oder Preußen statt Israel, Plastik und Punk (Syberberg) einstellen. Lovink / van Stam schließen: „Steiner and Syberberg fill a need. For the time being, experiments with electronic art are open-ended and offer no certainty in the unstable art world. So the call for a return to the authentic can count on public approval. The overkill, however, which is real, is a logical consequence of the new media’s phase of introduction onto the market. This will regulate itself via restraints and bankruptcies, irrespective of the authenticity wrapper. The drumroll of the oaken sticks on tightly stretched pig’s bladders which can be heard at fetes and street festivals (amplified or not) is at present passing before us in the media’s consolidation phase, followed by an authentic tape of 60s music and the latest technodisco. It is for lack of a primary media theory that Syberberg and Steiner can not only lash out so naively and conservatively, but on top of it get discussed as groundbreaking thinkers. If enough were known about the connections and technical possibilities of the media (and its history), such contributions would instantly be lost in the everyday multicultural shuffle.“22

    Und genau dieser Shuffle ist denn auch Syberbergs größte Sorge, die Multikultur ist sein größter Feind, und erst im Schlußteil seines Buches, den er nach der Maueröffnung geschrieben hat, wittert er Morgenluft: „Und plötzlich wird deutlich, warum alles weg mußte, die Mitte, das Bewußtsein von Einheit und der Untergang triumphierte bis zur Katastrophe, in die das führen mußte, wie Furie des abendländischen Verschwindens aus dem Kraftzentrum seines Lebens mit Popneurosen, Freak-Dekadenz, Punk-Beliebigkeit, Realismus des Untergangs oder Existenzialismus nach dem ’45 der Lügen-Befreiung und mit sozialistischem Realismus des Ostens, blut- und bodenlos die Kunst der Eunuchen der Macht. Wo nur Neubeginn sein kann wie archaischen Ursprungs aus dem Zentrum der Verluste, wenn die Wahrheit der Gefühle den Verstand regelt, wo das ehrliche Weinen und Lachen alle Unnatur vertreibt.“23

    Nüchterner – und in besserem Deutsch – kann sich Walter Seitter mit den neuen Verhältnissen auseinandersetzen. In den Achtzigern erscheinen von ihm, nachdem er über Lacan geschrieben, Foucault übersetzt und herausgegeben hat, regelmäßig seine Vorlesungen zum Nibelungenlied im Merve-Verlag24: darin schlägt er die Lektüre des Nibelungenlieds als Beispiel für „Ethnologie der eigenen Kultur“ mit Foucault vor. Das kann man schon merkwürdig finden, wenn man bedenkt, daß Foucaults Entwurf einer (idealen?, zukünftigen?, erweiterten?) Ethnologie, „die – statt sich, wie sie es bisher getan hat, durch die Untersuchung der geschichtslosen Gesellschaften zu definieren – eindeutig ihren Gegenstand bei den unbewußten Prozessen suchen würde, die das System einer gegebenen Kultur charakterisieren“25, kaum gemeint haben kann, daß sich in diesem Sinne mit dem Nibelungenlied Aufschlüsse über die unbewußten Prozesse, die das System der gegebenen (deutschen) Kultur charakterisieren, gewinnen lassen. Und das nicht nur, weil das Nibelungenlied eine Rezeptionsgeschichte als Staatsmythos hinter sich hat, die Seitter weit weniger interessiert, als sein „politisches Wissen“ hervorzubringen. Nun sind solche eiligen Applikationen im Prinzip sympathisch, weil sie gegen die gelähmte akademische Bewunderungsstarre stehen, die die Regel ist. Wie überhaupt der 1941 geborene Seitter als idiosynkratischer Sonderling (Solitär eben), dessen Vortragsweise ebenso einzigartig ist – er artikuliert jede Vokabel als hätte sie eine magische Macht – wie seine überraschenden Verknüpfungen von gewöhnlich Fernliegendem, schon früher durch eine Mischung aus philologischem Fleiß und originellen Vereinfachungen aufgefallen ist. Beide Nibelungenbücher werden auf der Innenumschlagseite von Helmut-Newton-Fotos geschmückt, eine von Seitters ästhetischen Privatobsessionen; die anderen sind Anselm Kiefer und – Syberberg. Seitter glaubt an Präzision, an analytisches Durcharbeiten („nicht Theorie, nicht spekulative Alleswisserei, sondern Arbeit ….“26). Seitter glaubt an das eine gute und richtige Zeichen für einen Sachverhalt wie an die Deutlichkeit seiner Artikulation. Daher kann man auch davon ausgehen, daß das Wort „rechten“, das dekliniert sowohl von „rechts“ wie von „recht“ kommen kann, nicht umsonst in seiner Doppeldeutigkeit im Titel seines Aufsatzes „Vom rechten Gebrauch der Franzosen“ vorkommt27; um nämlich auch eine politische Richtung anzugeben. An diesem Aufsatz ist manches verwunderlich, gerade auch, was nicht im Zentrum der Argumentation steht. Daß der Österreicher Seitter, der Österreich gerne das „Südosteck des Deutschen“ nennt, den Deutschen einen „Ethnozentrismus“ empfiehlt, den er wieder als Applikation der Foucaultschen „Ethnologie der eigenen Kultur“ geadelt wissen will und als deren Musterbeispiele er, neben den eigenen Arbeiten zu den Nibelungen, Benjamins Ursprung des deutschen Trauerspiels nennt, ist die bislang edelste S-Klassen-Version des vertrauten Liedes „Die Amis haben uns unseren Hölderlin/Bratwurst weggenommen und durch Negermusik und Hamburger ersetzt“. Der überall gedeihende deutsche Ethnozentrismus, der sich nicht darum schert, wie zweifelhaft es ist von ausgerechnet den Deutschen als einer Ethnie zu sprechen, sondern in der Regel ex negativo und mit Baseballschlägern oder FAZ-Leitartikeln dekretiert, wer oder was nicht deutsch ist (oder „Makroorganismus“ statt Mensch, wie Reißmüller formuliert), kommt dabei ohne Benjamin aus. Doch auch Seitter wird bald deutlicher: In der neuen Nummer der von ihm (mit Kamper und Böckelmann, dem alten Schillern-Team also) herausgegebenen Zeitschrift Tumult zum Thema „Osten“ sind es „heftig riechende Türken“, die seiner Meinung nach nichts am Brandenburger Tor verloren haben.

    Dem ging durchaus eine Entwicklung voraus: Noch im Nachwort zu der von ihm herausgegebenen Anthologie von Foucault-Interviews, Von der Subversion des Wissens, billigt Seitter Foucaults Freundschaft zu Althusser und begründet Foucaults Austritt aus der KP ausdrücklich mit deren „staatstragender“ Funktion“28, also als eine Art linke Dissidenz. Jetzt gibt er nicht nur dem neuen deutschen Staat Ratschläge zu dessen innerer Architektur, er spielt dafür auch Foucault mit Eribons Biographie und der darin berichteten Entzweiung mit Gilles Deleuze – bei der es immerhin um die Einschätzung der RAF ging; ob man sie nämlich vorbehaltlos unterstützen soll (Deleuze) oder „nur“ dafür sorgen, daß ihre Mitglieder in Frankreich politisches Asyl (Foucault) erhalten – als Deutschenfreund gegen dessen weniger deutschenfreundlichen Freund Gilles Deleuze aus: Foucault habe Erhards „Soziale Marktwirtschaft“ gewürdigt und sich gegenüber Deutschland von einem „ängstlichen Optimismus“ leiten lassen. Schließlich entledigt sich Seitter en passant der zweitbekanntesten Frankfurter-Schule-Wahrheit – „Wer vom Faschismus spricht, muß auch vom Kapitalismus sprechen.“ (Horkheimer) –: In einer Fußnote versteckt er lapidar die Entlarvung des deutschen Fehlers Antikapitalismus: „Auch der klassische Antisemitismus ist ein Antikapitalismus – ein besonders dummer. Dies vorläufig auch zum Antifaschismus.“ Eine andere Ungeheuerlichkeit wird ebenfalls an einer relativ unauffälligen Stelle versteckt. Dort definiert Seitter Politik als „ Apartheit: die Installation von Verhältnissen zwischen Fremden“. Soll auch hier über die Fast-Homonymie des für die deutsche Sprache neu erfundenen Wortes „Apartheit“ konnotiert sein, daß auch die „ Apartheid“, die man kennt, gar nicht so schlimm, nämlich auch nur Politik war? Und was von der Ablehnung staatstragender Veranstaltungen und der Sympathie für schwarze Fahnen geblieben ist, wenn er in Bonn „das klassische Minimum an politischer Kapazität“ vermißt, einen „Staatsmann“ nämlich, wird klar: nur der Name Foucault.

    In den sozialdemokratischen späten Siebzigern war Foucault auch in Deutschland noch links und sei es anarchistisch, heute liefert er die Modelle für „Genealogie“, „Archäologie“ oder „Ethnologie“ der wiedermal neu geborenen Nation. In Amerika ist er der meist zitierte Autor linker, feministischer und antirassistischer Autoren vom kunsttheoretischen bis zum aktivistischen Spektrum. Man fragt sich natürlich, was jetzt, wo Foucaults populärstes Motiv vom „Mensch“ als mehr oder minder repressives Konstrukt des Humanismus zum Zwecke seiner besseren Versklavung und Ausbeutung nicht mehr so viel hergibt, weil Produktionsweisen sich etablieren, die ganz und gar auf den „Menschen“ in allen seinen Fassungen verzichten können, mit seinen Anhängern passiert und ob sie seine Kritik und Beschreibung der Macht noch einmal mobilisieren können, so wie damals, als sie noch selber gegen eine sozialdemokratisch-bürokratische Macht vorgingen.

    Man könnte Seitters Schillern immer noch mit viel gutem Willen für die eklektizistischen Entgleisungen eines provokanten Privatgelehrten halten, dessen Springen zwischen den Referenzen und Vorliebe für überraschende Übertragungen einem als Methode einmal sympathisch waren und der zitierenderweise immer noch genausoviel auf einen Aufsatz eines nominell linken Autors wie Wolfgang Pohrt zu geben scheint. Daß aber dieser Aufsatz29, der die, dem Thema „Franzosen“ gewidmete, Nummer 15 der Zeitschrift Tumult eröffnet, zuvor schon in der Nummer 6 der Zeitschrift Etappe erschienen ist, ist dann doch leider ziemlich deutlich. Die Etappe ist ein Organ, das seine rechtsradikale Position, wenn auch durch Rezensionen von Seitter, Lipowatz, Foucault etc. aufgelockert, so wenig verbirgt, wie sein gelegentlicher Autor Maschke. Hier gilt jeder zweite Artikel dem Werk Carl Schmitts, Anzeigen werben für Produkte des Karolinger-Verlags, der dem Militärhistoriker und Matthes-Autor Jean-Jacques Langendorf gehört und in dem unter anderem der berüchtigte Hitler-Komplex erschienen ist, ein Buch, das diesen „Komplex“ der Deutschen für verhängnisvoller hält als seine Ursache, und manchmal stößt man auch auf Formulierungen wie „gewisse Philosophen jüdischen Geblüts“. Was machen Foucault und sein Übersetzer in dieser Umgebung?

    Ernesto Laclau schreibt 1990: „An initial reaction to this new intellectual climate has been to become entrenched in the defence of ‚reason‘ and attempt to relaunch the project of ‚modernity‘ in opposition to those tendencies considered ‚nihilistic‘. The work of Habermas is perhaps the most representative of this attitude. Our position, however, is exactly the opposite: far from perceiving in the ‚crisis of reason‘ a nihilism which leads to the abandonment of any emancipatory project, we see the former as opening unprecedented opportunities for a radical critique of all forms of domination, as well as for the formulation of liberation projects hitherto restrained by the rationalist ‚dictatorship‘ of the Enlightment.“30 Dies hätte in Deutschland wohl 1978, aber kaum noch 1990 geschrieben werden können: Die Verbindung einer Vernunftkritik mit emanzipatorischen Projekten wird schon allein deswegen nicht mehr gedacht, weil sie kaum je stattgefunden hat. Habermas wird dagegen mit Geifer und Seiber von rechts kritisiert. Der Widerstand in den Städten ist während der Achtziger in dem Maße theoriefeindlicher und sprachloser geworden, wie die Vernunftkritik bestenfalls zur Depolitisierung, schlimmstenfalls zur Rechtsradikalisierung einer Intellektuellengeneration beigetragen hat. Die alte Marxsche Diagnose von der philosophischen Zeitgenossenschaft der Deutschen, die auf keiner historischen fußt, trifft einmal mehr zu. Weder minoritäre noch gegenkulturelle noch feministische oder antirassistische Bewegungen haben in Deutschland jenseits von grünem Öko-Kitsch und schlichter Friedensbewegtheit in den Achtzigern Fuß fassen (von einigen wenigen, aber marginalisierten autonomen Zentren abgesehen), geschweige denn sich mit einem vernunftkritischen Befreiungskonzept verbünden können. Die „nihilistischen“ drei Ps (Punk, Poststrukturalismus, Postmoderne) haben nur aus Erfahrung und Erinnerung getilgt, was sie einst korrigieren und auf die Höhe der Zeit bringen sollten/wollten: eine frigide und rigide Emanzipationskultur und deren Ursachen. Aber nicht einmal ihre Vorläufer waren gesellschaftlich geerdet; die eine politische Hysterie ließ sich leicht gegen eine andere austauschen, man mußte nicht einmal seine Philosophie wechseln. Heute wundern sich deutsche Professoren, daß und wieso Derrida und Foucault in den USA für den Kampf der Feministinnen oder der African-Americans genutzt werden. Die einzigen prominenten Foucault-Rezipienten der deutschen Linken fand man bei der RAF, die in ihren letzten Erklärungen dessen Begriff der Gegenmacht verwendete.

    Hubert Winkels hat bei seiner Recherche (vgl. Anm. 4) auch eine Fülle persönlicher Beziehungen zwischen der offenen und der Kultur-Rechten entdeckt, die im einzelnen wiederzugeben zu weit führen würde. An entsprechenden Nachschlagewerken wird ja ohnehin zur Zeit überall gearbeitet.31 Tatsächlich läge es mir trotz allem fern, Seitter direkt neben Syberberg einzusortieren, man kann hoffen, daß der Weg von der „Poesie“ des Mai zur Veröffentlichung in der Nachbarschaft des gewöhnlichen Antisemitismus ein Irrweg des Rechtsfoucauldianers ist, der typisch ist für unübersichtliche Zeiten und mangelnde Erdung; während Syberberg schon vor einer Weile in Sphären abdriftete, wo er auch für das Schmettern des gallischen Hahns nicht mehr erreichbar war.

    Durch die Konfrontation mit solchen Erscheinungen wird man auf Positionen zurückgeworfen, die man für überflüssig oder selbstverständlich gehalten hat. Ärgerlich ist eben, daß genau die Expedition in eine Zeitschleife geraten ist, deren Aufbruch nicht nur vielversprechend war, sondern tatsächlich um 1980 weltweit synchron das zu veranstalten oder zu weben schien, was Lyotard so optimistisch das „Patchwork der Minderheiten“ nannte. Es scheint aber, daß die Minderheiten, die sich neu und künstlich definierten, die Tribes der Gegenkulturen, im Laufe der Zeit in ein Patchwork nicht mehr geerdeter Abschottungen und (frei- wie unfreiwilliger) Ausgrenzungen gerieten, eben nicht im Besitz von Definitionsmacht sind, nicht im Besitz von symbolischer Macht wie sie dagegen die Vokabel „links“ oder später oder in Amerika „p. c.“, also politically correct, immer noch hat.

    Auf die Veröffentlichung einer ersten Fassung dieses Textes bekam ich aus wohlmeinend postmodernen Ecken öfter den Vorwurf zu hören, ich würde einer überholten Rechts/Links-Differenz das Wort reden, die in das gleiche System terroristischer Binaritäten gehört wie weiß/schwarz, Mann/Frau etc. Nun denn: die Linien und Fronten, die sich bei der Nachzeichnung einiger „poststrukturalistischer“, „frankophiler“ deutscher Schicksale ergeben, verdienen vielleicht einen neuen Namen, für den ein spezifischer Kulturpessimismus, ein Traum von Ursprünglichkeit und Echtheit, ein Affekt gegen elektronische, multikulturelle und „ausländische“ Künste die Bauelemente bilden. Wenn Seitter im Namen auch Foucaults ein „rationales, stabil-flexibles Verhältnis zur Macht“ fordert, „verbrecherische Regimes“ nur im ehemaligen Osten sieht und in Bonn „einen Staatsmann“ von echtem Schrot und Korn haben will, steht er in der Reihe zu Recht nicht zur Linken gerechneter deutscher Publizisten, die eine Nation handlungsfähig machen und normalisiert sehen wollen, indem sie für „normal“, „deutsch“ und gesund auch das erklären, was man früher „nationalistisch“ oder auch „rassistisch“ genannt hätte. Und während der eine Flügel von Normalisierung spricht, entwirft der andere die Krise der Kultur und der Zivilisation, die halt die Verschärfungen notwendig mache. Vom Spiegel bis zu Reißmüller sind sie sich einig, daß nun Schluß mit lustig ist: Ausländer, Gewaltvideos, Graffiti und Obdachlose bedrohen das Land.

    Als „re-eduzierte“ Kinder eines nur begrenzt, nämlich „nur“ ökonomisch handlungsfähigen Deutschlands hat meine Generation die Chance gehabt, Ethik (und was sie verbietet: Verbrechen) auch dann noch primär global anzusetzen, wenn der Weltausbeutungszusammenhang noch so „komplex“ die Wahrnehmbarkeit globaler Verbrechen vernebeln konnte. Einem weitgehend nicht einmal mehr ausbeutungsfähigen, und daher ganz unauffällig gewordenen Kapitalismus läßt sich dann gut im Namen von Dumézil und Foucault der deutsche Ethnozentrismus und der „verständige Beitrag (Deutschlands) zur Gestaltung einer Erdmacht namens Europa“ (ebenfalls ein running gag, auch bei bekennenden Rechten: immer, wenn der nationalistische Expansionismus und Hegemonie-Anspruch zu offensichtlich wird, ordnet man sich in Europa ein, das so immer mehr zu einem neuen Namen für Großdeutschland wird; nicht umsonst heißt die älteste der heute verbreiteten Rechtszeitschriften Europa und Nation) verordnen. Der Grundgedanke ist so simpel, wie in letzter Zeit weit verbreitet in allen möglichen Segmenten deutschen Schrifttums: nicht Selbstbezogenheit, Nationalismus, Hegemoniestreben etc. seien Deutschlands Problem, sondern, so Seitter, „Selbstvergessenheit“. Die Deutschen tendierten zur Flucht, zur Exotik, statt endlich normal und politikfähig zu werden.

    Von Weglaufen vor der Identität war dann auch in Oberhausen immer die Rede: Du kannst nicht vor deiner Identität als Deutscher davonlaufen. In München hörte ich neulich am Nebentisch eine Frau über mehrere Minuten insistieren: Du kannst nicht vor deinen Genen davonlaufen. Das in rechten Kreisen so überaus erfolgreiche Buch heißt Rückruf in die Geschichte – Volker Rühe empfiehlt es den Lesern der Welt, die neo-völkischen bauen ihr Weltbild daraus auf –: das heißt, wir haben uns um unsere Pflicht gedrückt oder wie wieder die Welt neulich schrieb, wir sollten uns wieder klarmachen, daß Osteuropa deutsche Interessensphäre so sei wie Lateinamerika die der USA. Imperialismus ist die normalste Sache von der Welt, und wir müssen endlich wieder normal werden. (Schleyer und die Seinen aus der deutschen Vor- und Nachkriegswirtschaft müssen sich im Grabe umdrehen, wenn sie immer zu hören bekommen, daß sie’s nicht ernst gemeint haben mit dem Imperialismus.) Folglich widmet sich dann die Nr. 17 der Zeitschrift Tumult, erschienen 1993 dem Thema „Osten“. Da wird dann aus dem Criticón, der von Jüngers ehemaligem Privatsekretär Mohler – der Maharishi der Rechten – herausgegebenen Zeitschrift, zitiert, „Carl Schmitt, kein geringerer als der lang Verdrängte“ angehimmelt und sein geopolitisches Vokabular über die „lang verdrängten“ Themen gegossen. Seitter phantasiert von den zwei deutschen Hauptstädten, und Kamper heideggert durch den deutschen Osten, daß selbst ein Hermann Kurzke in der FAZ das Heft „zu rechts“ fand (immerhin ein Mann, der schon mal kommentarlos Michael-Kühnen-Thesen als erwägenswert referierte). Immerhin hat „Osten“ gezeigt, wozu die Befreiung von der „Litanei Marx, Marx“ auf deutschem Boden immer noch führt, auf östlichen Boden, zur Schmittschen Geopolitik, zu „Ortung und Ostung“. Wer will da nicht wegrennen?

    Wer das aber tut, kriegt zu hören, „daß man über die deutschen Vorgänge nur mit denen sprechen kann, die sie auch innerhalb Deutschlands selbst erlebten. Nur die, die durch die Spannungen der letzten Monate hindurchgegangen sind, die von Stunde zu Stunde, von Zeitung zu Zeitung, von Umzug zu Umzug, von Rundfunkübertragung zu Rundfunkübertragung alles aus unmittelbarer Nähe miterlebten, Tag und Nacht mit ihm rangen, selbst die, die das alles nicht jubelnd begrüßten, sondern es mehr erlitten, mit diesen allen kann man reden, aber mit den Flüchtlingen, die ins Ausland reisten, kann man es nicht. Diese haben nämlich die Gelegenheit versäumt, den ihnen so fremden Begriff des Volkes nicht gedanklich, sondern erlebnismäßig, nicht abstrakt, sondern in gedrungener Natur in sich wachsen zu fühlen …“32 Nein, das war vor sechzig Jahren, aber so ähnlich. Der Autor dieser Zeilen hat schließlich auch ca. zwanzig Jahre vor diesen Worten ein „Modernes Ich“ entworfen, das für seine Zeit einen ähnlichen „poststrukturalistischen“ Aufbruch darstellte wie für die späten Siebziger das „Schillern der Revolte“. Diese Flüchtlinge, denen man dann in der Nachkriegszeit nur sehr zögernd und eigentlich erst in den siebziger Jahren Gehör schenkte, haben aber Nachfahren gehabt. Leute, die in der Nachkriegszeit aufwuchsen und deren Orientierung pro-amerikanisch oder pro-sowjetisch war und für die die deutsche Sprache auch ein Mittel war, ihr selbst zu entkommen. Leute, die dieser Sprache das Maximum an Neuheiten und Fremdheiten aufbürden wollten, das man noch sinnvoll in ihr sagen konnte. Und einige machten auch die Erfahrung, daß schlecht gesungenes Englisch Wahrheiten für und über Deutschland zutreffender und richtiger ausdrücken konnte als deutsche Sätze. Die besten deutschen Schriftsteller der Nachkriegszeit waren solche Flüchtlinge, Hubert Fichte und Rolf Dieter Brinkmann. Fichte, seit 1970 praktisch nur noch auf der Südhalbkugel unterwegs, Brinkmann, der möglicherweise gegen Ende seines Lebens geistig wieder ein Deutscher geworden war, hatte auf literarischer Ebene die Spritze nordamerikanische Kultur injiziert, die das Leben in der BRD erträglich gemacht hat (und teilweise aus amerikanischer Kultur wegen doppelter Fremdheit mehr machte als die USA). Wenn überhaupt, dann verdient dieser brd-deutsche Zug als der bessere eine „Ethnologie“: die Emigrationen und die aus der Differenz und Distanz zum „Eigenen“ entstandenen Beiträge; gegen ein Schrifttum, das nun von deutschen Emigranten so wenig hören will wie die deutschen Politiker und die gewöhnlichen Reaktionäre, die sie regieren, von Immigranten. Doch ist von denen nicht die Rede, ob es sich nun um diejenigen handelt, deren Denken auf dem Geflohensein vor den Nazis aufbaut oder um die wenigen angenehmen Gestalten der deutschen Nachkriegsliteratur, die, wie Fichte oder Brinkmann, eine deutsche Literatur auf der Flucht vor dem und den Deutschen entwarfen.

    Einer der unangenehmsten Nachkriegsschriftsteller, Deutschlands Staatstheaterautor Botho Strauß, der unlängst auch einmal bei Matthes & Seitz veröffentlichte, schrieb das Nachwort zur deutschen Ausgabe des Steiner-Essays, darin bekennt er sich zu dem „spirituellen Reaktionär“ (Selbsteinschätzung) Nicolás Dávila, dessen Name ebensooft in der Etappe oder im Pfahl gedroppt wird. Solchen Connections nachzuspüren mag mir bei der ersten Fassung dieses Textes vor drei Jahren noch der Tätigkeit eines Staatsanwaltes zu ähnlich erschienen sein. Verdächtigendes Lesen und Faschismusverdacht haben wir nur zu oft – damals als Punkrocker – als Methode der sozialdemokratischen Soziologenmacht kennengelernt; doch solange sich die „Rechten“ hinter Ambiguitäten verbergen, bleibt einem nichts anderes übrig. Verhindern konnten wir nichts: Das Bekenntnis zum Reaktionär Dávila, der eklig-elitistische Gestus, der bittere, enttäuschte Ton riefen erst das öffentliche Interesse hervor. So krönte der mittlerweile weltberüchtigte „Abschwellende Bocksgesang“ von Botho Strauß eine Reihe von Artikeln im Spiegel von 1993, über die Manfred Hermes zu Recht schrieb, man hätte mit ihnen „eine Debatte über entartete Kunst führen können.“33 In einer Titelgeschichte über den allgemeinen Verfall der Sitten ging es in einer Allgemeinheit gegen Sex & Violence, daß man schon glaubte, bei Christ und Welt gelandet zu sein. Doch der nachgelieferte Kontext stellt die Bedeutung auch dieses Textes klar: Strauß’ offenes Bekenntnis zur Rechten nebst Entdeckung der „Würde der Zigeunerin“, die Entsorgung Foucaults als S/M-Philosophen auf allerniederstem, homophobverklemmtem Niveau, eine offen homophobe, mieszynelnde Attacke des unglückseligen Matthias Matussek gegen p.c. und die Whitney-Biennale, gegen die man alles mögliche sagen kann, nur nicht, wie Matussek, daß politische Kunst mit der Aufhebung der Sklaverei und Schleierpflicht erledigt sei. Deutschland muß sauberer werden, und die Würde der Zigeunerin beim Betteln darf auf keinen Fall durch Sozialhilfe verletzt werden.

    Das heißt noch nicht, daß in der Chefetage der Befehl zum Rechtsruck des Spiegels laut geworden sei, neben den genannten und an exponierter Stelle, meist als Aufmacher des Feuilletons gedruckten Texten, erscheint immer noch the average linksliberale Besserwisserei: Der Rechtsruck wird nicht gemacht, sondern nur nicht mehr verhindert, und zwar von einer Generation, die genau in den achtziger Jahren flügge geworden ist, als man sich in Deutschland poststrukturalistisch linker Positionen entledigte. Ausgerechnet im Playboy windet sich Nichtmehrsoganz-Spiegel-Mann-Karasek, als er mit den neueren Entwicklungen in dem Hause, dem er so lange verbunden war, konfrontiert wird. Er distanziert sich von Strauß, rechtfertigt aber mehr oder minder die ganze Richtung als „Dokumentation“ von „Zeitgeist“, quasi als korrekte journalistische Reaktion auf das, was anliegt: dokumentieren. Diese blinde, konkurrenzdruckgeförderte, journalistische Neugier und die Scheu gebrannter ex-maoistischer Verleger und Uni-Lehrer vor „verdächtigender“ Lektüre und Parteiausschlüssen bilden das Sprungbrett, von dem aus die Rechten sich ins öffentliche Interesse katapultiert haben. Als Thema sind sie hot und kontrovers (und kontrovers ist immer gut), als Typen sind sie Querdenker und irre originell, und wenn sie über die Stränge schlagen, ist das entweder eine Provokation oder eine Zweideutigkeit, der erst mein verdächtigendes Lesen einen eindeutigen Sinn gegeben hat.

    Da, anders als in Amerika Bataille und Foucault in Deutschland keine Autoren geworden sind, die von neuen „Emanzipationsbewegungen“ (oder wie immer man sie nennen will) gesellschaftlich geerdet und fruchtbar gemacht worden sind, hat ihre Rezeption im günstigsten Falle eine Depolitisierung, im ungünstigeren, von dem hier die Rede war, eine Rehabilitierung rechter Positionen möglich gemacht. Bataille hat nicht Syberberg gemacht, aber eine Linke, die ihn Matthes & Seitz überlassen hat, hat ihn für die Herstellung eines Klimas freigegeben, von dem Syberbergs Publikation und seine und seinesgleichen spätere „kontroverse“ Prominenz profitieren konnten. In diese neue Front konnten auch aus dem Zusammenhang gerissene Reste Adornos miteingeschmolzen werden: denn alle neuen Rechten eint ein Horror vor Massenkultur, Gegenkultur, Pop und vor allem amerikanischer Kunst (die entweder politisch oder frivol ist. Oder gar beides): Jeff Koons ist ihnen der Scheitan, die obskure Alt-Nazi-Gazette namens Europa und Nation empfiehlt genau gegen seine und Warhols „Exkrementenkunst“ Syberberg als Gegenmittel. Die Affekte von Jungnazi-Bands gegen McDonald’s entsprechen hochmögenden Talk-Show- oder Reeducation-Verwünschungen durch Botho und Bergfleth so, wie der Ruf des Spiegels nach einer sauberen Mattscheibe dem Anti-Päderasten-Song, den es eben außer dem Anti-McDonald’s-Song auf allen indizierten sogenannten Rechtsrock-Platten gibt.

    Diese massive ideologische Aufrüstung von rechts existiert 1.) über alle möglichen Grenzen hinweg; sie spricht 2.) grundsätzlich – im Fernsehen wie in der Schrift – von einem minoritären Ort aus gegen eine behauptete linke Hegemonie; sie vermeidet 3.) Festlegungen, redet gar Jive: Wenn Seitter von dem „Politischen“ redet, erklärt er nicht, welchen Politikbegriff er meint oder warum „unpolitisch“ sei, wer nicht Berlin aufrüsten will, die Eingeweihten wissen, wie’s gemeint ist. Aus diesen Gründen konnte „rechts“ für diverse „dissidente“ Typen attraktiv werden. Da die Betonung von Besonderheiten, Unterschieden, „ethnischen Besonderheiten“ ebenso zur Grundausstattung der rechten Diskurse gehört wie ein Affekt gegen Internationalismus, Amerikanismus, ja sogar mitunter Kapitalismus, ist es kein Wunder, daß diese Rechten schließlich einerseits Therapie für so manch erfolglosen 68er-Akademiker, Langzeitdissidenten boten wie auf der anderen Seite Abgrenzungsmöglichkeiten für Mittzwanziger gegen die Altvorderen. Anders als Bundesministerin Merkel, die ihren verlorenen Schäfchen Jugendzentren baut, sollte man aber hier nicht versuchen, durchs Miteinanderreden weiter zu kommen. Sollen die sehen, wie sie da rauskommen. Sie waren gewarnt.

    1. Diedrich Diederichsen, „Todesblei – Get out of Germany“, in: Spex, 1/91. ↩︎
    2. Hans-Jürgen Syberberg, Vom Unglück und Glück der Kunst in Deutschland nach dem letzten Kriege, München 1990. ↩︎
    3. Denis Hollier, „On Equivocation (Between Literature and Politics)“, in: October, 55/90. ↩︎
    4. Diese und andere Informationen verdanke ich einem unveröffentlichten Manuskript von Hubert Winkels, aus dem Auszüge in der Zeitschrift Tempo im Oktober 1990 erschienen. ↩︎
    5. Syberberg, Unglück, a.a.O., S. 14. ↩︎
    6. B. Mattheus/A. Matthes (Hrsg.), Ich gestatte mir die Revolte, München 1985. ↩︎
    7. Axel Matthes, „Achtung vor der Revolte“, in: Mattheus /Matthes, Ich gestatte, a.a.O., S. 384. ↩︎
    8. Matthes, Achtung, a.a.O., S. 371. ↩︎
    9. Syberberg, Unglück, a.a.O., S. 17. ↩︎
    10. Axel Matthes, „Spiesser- und Mitläufertum bei Intellektuellen“, in: Der Pfahl – Jahrbuch aus dem Niemandsland zwischen Kunst und Wissenschaft, 5/91. ↩︎
    11. Frank Böckelmann, Dietmar Kamper, Ellen Künzel, Michael Makropoulos, Robert Müller, Ulrich Raulff, Walter Seitter, Das Schillern der Revolte, Berlin 1978. ↩︎
    12. Walter Seitter, „Strukturalistische Stichpunkte zur Politik“, in: Böckelmann et.al., Schillern, a.a.O., S. 85. ↩︎
    13. Müller/Makropoulos, „Das Schillern der Revolte“, in: Böckelmann et.al., Schillern, a.a.O., S. 19. ↩︎
    14. Gerd Bergfleth et.al., Zur Kritik der palavernden Aufklärung, München 1984. ↩︎
    15. siehe Anm. 4. ↩︎
    16. Jean Baudrillard, Der symbolische Tausch und der Tod, München 1982. ↩︎
    17. Maschke veröffentlichte dann noch einmal 1988 bei Matthes & Seitz im Verlagsalmanach Der Pfahl, 2/88. Staunend entnimmt man dem Impressum, daß sein Aufsatz „Die schöne Geste des Untergangs – Drieu La Rochelle – ein faschistischer Decadent“ bereits 1980 in der FAZ erscheinen konnte. ↩︎
    18. Gerd Bergfleth, „Finis Mundi“, in Der Pfahl, 5/91, S. 8. ↩︎
    19. zitiert nach Wolfgang Schneider, „Deutsche Manifeste“, in Spex, 5/90, S. 74f. ↩︎
    20. Rolf Grimminger, Die Ordnung, das Chaos und die Kunst, Frankfurt am Main 1990, S. 267f. ↩︎
    21. Syberberg, Unglück, a.a.O., S. 114f. ↩︎
    22. Geert Lovink & Basjam Van Stam, „The Souring Of Old Art“, in: Mediamatic 2-3/91. ↩︎
    23. Syberberg, Unglück, a.a.O., S. 169. ↩︎
    24. Walter Seitter, Das politische Wissen im Nibelungenlied, Berlin 1987; und derselbe, Versprechen, Versagen – Frauenmacht und Frauenästhetik in der Krimhild Diskussion des 13. Jahrhunderts, Berlin 1990. ↩︎
    25. Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge (Les mots et les choses), S. 454, Frankfurt am Main 1974². ↩︎
    26. Seitter, Versprechen, a.a.O., Klappentext. ↩︎
    27. Walter Seitter, „Vom rechten Gebrauch der Franzosen“, in: Tumult, 15/91. ↩︎
    28. Michel Foucault, Von der Subversion des Wissens, München 1974, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Walter Seitter. ↩︎
    29. Alle Zitate und Referenzen beziehen sich auf Anm. 27. ↩︎
    30. Ernesto Laclau, New Reflections on the Revolution of Our Time, London und New York 1990. ↩︎
    31. z. B.: Astrid Lange, Was die Rechten lesen, München 1993; H.Joachim Schwagerl, Rechtsextremes Denken, Frankfurt am Main 1993; oder Wolfgang Kowalsky, Kulturrevolution? – Die Neue Rechte im neuen Frankreich und ihre Vorläufer, Opladen 1991. Kowalsky ist allerdings – ob freiwillig oder unfreiwillig ist nicht ganz klar – selbst zum Lieblingsautor der neuen Rechten geworden, gehört er doch zu denen, die an anderer Stelle den Mythos einer noch bestehenden linken kulturellen Hegemonie beliefern. Keines dieser Bücher stellt den Zusammenhang zwischen offenen und Kulturrechten oder gar Underground-Rechten her: Die Attraktivität des Rechtsradikalismus für Künstlertypen sollte doch seit seinem bekanntesten Vertreter sich als Untersuchungsgegenstand anbieten. ↩︎
    32. Gottfried Benn, „Antwort an die literarischen Emigranten“, Gesammelte Werke, Band 7, Wiesbaden 1968. ↩︎
    33. Manfred Hermes, „Wer spricht? – Verkennung in Deutschland“, in: Spex, 5/93. ↩︎