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  • The B-52’s – Futuristische Tanzmusik

    Als ich Tina Weymouth von den Talking Heads, die eng mit den B-52’s befreundet sind, fragte, ob sie den B-52’s beim Bekanntwerden, beim Umgang mit Plattenfirmen und Produzenten geholfen hätten, antwortete sie: „Das war nicht weiter schwierig. Alle mögen sie. Wir mögen sie, Eno mag sie und, was am wichtigsten ist: Chris Blackwell von Island mag sie auch.“ Und eben dieser Chris Blackwell hat soeben die erste LP der B-52’s auf den Bahamas produziert. Drei Tage später in London sollen die B-52’s ihren ersten Gig außerhalb der Staaten machen.

    Es war ein langweiliger Sonntag. An solchen Sonntagen ist London genau wie Hamburg. Überall tritt man auf breitgetretene Big-Mac-Verpackungen. Ich versuche mir die Zeit mit Fernsehen zu vertreiben, denn weder die Band noch irgendein Island-Mensch waren zu erreichen. Nur ein Hausmeister oder Nachtwächter, der sein Lebtag noch nichts von Sounds oder den B-52’s gehört hat. Das englische Fernsehen ist eine abstruse Kreuzung aus amerikanischer Rasanz und Unverbindlichkeit und britischer Behäbigkeit. Mr. + Mrs.: Mr. muß sagen, ob Mrs. den Sellerie eher mit Pfeffer oder mit Salz oder überhaupt nicht ißt, stimmen die Antworten der Ehepartner überein, gibt es 10 Pfund, wahrhaftig ein hübsches Sümmchen. Das ganze soll das Eheleben fördern, und immer bevor die Commercials eingeblendet werden, sagt die Kreuzung aus Johnny Carson und Frankenfeld, die als Moderator fungiert: „Be nice to each other!“ Im anderen Programm laufen stundenlange ungemein aufregende Cricketspiele, pervertierte Komödien mit Miss-Marple-Humor, der wirklich genau die Sorte englischen Humor darstellt, den man schon seit Schulzeiten haßt, weil ihn einem der Englischlehrer so penetrant nahebringen wollte. Die Krone war ein Ultra-Denk-fix, bei dem sich zwei konkurrierende Mannschaften aus verhärmten Studenten die Haare raufen, ob Kaiser Claudinius Tizinius’ Mätresse Valpurtia oder Sesterzina geheißen hat. Und alles typisch englisch, schlecht ausgeleuchtet, man hört die MAZ surren.

    Nachdem ich das Debilenprogramm ausgestellt hatte, war es immer noch nicht halb acht, also bestelle ich mir ein Dinner, das mich an Donald Ducks England-Reise erinnert: „Ist das was zum Essen oder zum Einreiben?“ Endlich im Lyceum: Zwei Vorgruppen, beide unbekannt, beide gut: Delta 5 und Fashion. Dann spielt der DJ abwechselnd James Brown, Ramones und Bunny Wailer und setzt damit bereits das Signal für das, was nun folgt: Futuristische Tanzmusik.

    Die B-52’s bestehen aus einer vorderen und einer hinteren Reihe, die sich nie ins Gehege kommen. Hinten ein Schlagzeuger, Keith Strickland, der präzise und monoton die klassischen Rock-Figuren aus dem Lehrbuch spielt, aber mit sehr viel Energie, sehr laut und einem überzeugten Gesicht. Ein Gitarrist, Ricky Wilson, der teils Rhythmusfunktion, teils Baßarbeit übernimmt. Auch er energisch, traditionell und verbissen. Vorne die optisch und musikalisch moderne Seite der B-52’s. In der Mitte ein Sänger, Fred Schneider, Charmeur aus den dreißiger Jahren mit Oberlippenbart und Hawaiihemd, in dessen Bewegung und Mimik auch ganz andere Einflüsse enthalten sind: Devo’s Robotergebärden, die Neuroseshow eines David Byrne (Talking Heads), schwarze Soulheroen wie Otis Redding oder James Brown und vieles mehr, umgeben ist er von zwei Mädchen, Kate Pierson und Cindy Wilson, die zunächst durch ihre Frisuren auffallen. Frühe 60er-Girlie-Gruppen à la Shangi-Las und Country-Diven à la Tammy Wynette scheinen die Vorbilder zu sein. Der Gruppenname „B-52’s“ bezieht sich übrigens auf diese Frisuren, man nannte sie so wegen ihrer militanten, bedrohlichen Größe. Der Überraschungseffekt tritt ein, wenn man die Mädchen singen hört. Ihre Stimmen klingen so, als hätte man die Daten aller weiblichen Rockstimmen von Diana Ross bis Siouxsie in einen Computer eingegeben und dann künstlich die Synthese erzeugt. In diesen Stimmen ist alles enthalten: die schneidende Schärfe und Coolness einer Grace Slick bis hin zu den überdrehten New-Wave-Stimmen unserer Tage. Wenn die beiden im Chor über ihre Mikrofone gebeugt singen sieht es aus wie von 1955 und klingt wie 1983. Verfremdung. Beide bedienen während des Singens übrigens verschiedene Perkussionsinstrumente und Synthesizer, die entweder die Baßfunktion übernehmen oder die Melodielinien der Sänger unterstützen.

    Die B-52’s erobern das Publikum schnell. Die New-Wave-Exzentriker im Publikum tanzen. Ein Dicker im Kretin-Look ärgert die Umstehenden, auch mich, indem er mit einer brennenden Zigarette in anderer Leute Gesichtern ’rumfummelt. Ein junger Schwuler mit Bowie-Habitus faßt mir und anderen unentwegt an den Arsch, meine Aufmerksamkeit wird eingeschränkt. Dann der Höhepunkt „Rock Lobster“, die einzige Single der B-52’s, bringt alle auf die Beine, das Lyceum tobt, Schweiß rinnt, Make-Up löst sich auf, Badges fallen zu Boden. Was nun noch folgt, einschließlich der drei Zugaben, wird bejubelt. In der Musiker-Garderobe nach dem Konzert ist man zufrieden. Fred Schneider und Kate Pierson erzählen völlig ruhig über ihre Gruppe. Fred ist zwar der Mann in der Mitte, verwehrt sich aber dagegen, als musikalischer Kopf zu gelten. „Das ganze Konzept, von der Musik bis zur Bühnenshow ist eine Kollektividee.“

    Die Gruppe spielt seit zweieinhalb Jahren zusammen. Vor ca. einem Jahr erregten sie die Aufmerksamkeit von Glen O’Brien, New Yorks hipsten Musikkritiker, durch einen Gig in New York. Vorher hatten sie allerdings schon einen Kult-Status in Athens, Georgia. Eine Universitätsstadt, deren Population zur Hälfte aus Studenten besteht. Hier sind die meisten Gruppenmitglieder aufgewachsen, hier haben sie sich kennengelernt. Ihre Einflüsse sind alle Arten guter amerikanischer Tanzmusik, vor allem Soul der 60er-Jahre, Stax und James Brown. Trotzdem ist ihre Musik völlig neu. Der rhythmische tanzbare Background steht einer Melodik gegenüber, die neben Rock’n’Roll-Reminiszenzen Nicht-Tanzmusik-Elemente von Cool Jazz bis Eno, von den Fleetwoods bis Devo aufgesogen hat. Dabei waren sie alle nie große Fans von irgendetwas, keine Musikenthusiasten: „Wir haben halt alles irgendwann gehört“.

    Nachdem Glen O’Brien durch zwei Artikel in Andy Warhols Interview den B-52’s auch in New York zu lokaler Geheimtip-Popularität verholfen hatte, entstand auch die erste Single „Rock Lobster“, die irgendwann auch bei mir ankam und seit der ich auf diese Gruppe gespannt war, obwohl Fred Schneider heute meint, die Produktion sei säuisch gewesen und die Album-Version sei viel besser.

    Eigentlich sind Kate und Fred Filmbuffs gewesen und Fred wäre gern Filmemacher geworden. Jetzt, da sie Musiker sind, leben sie ihre optischen Fantasien in ihrer Bühnenshow aus: „Alte amerikanische Filme, Werner Herzog und Fellini“, meint Kate, aber vor allem wollen sie als Tanzband verstanden werden: „The greatest white American dance band“, wie Tina Weymouth meinte.

  • Ingeborg Schober: Tanz der Lemminge

    Roter Faden ist die Entwicklung in Musik, Arbeitshaltung, Zusammenleben und Weltbild der Musikkommune Amon Düül II. Die Musik als fertiges, konsumierbares Produkt spielt dabei nur eine Nebenrolle, sie ist ja bekannt, für jedermann verfügbar und die Auseinandersetzung mit ihrem Gebrauchswert findet hier nicht statt.

    Die auch unseren Lesern wohlbekannte Rockjournalistin hat stattdessen noch einmal das kulturelle und politische Spannungsfeld in der BRD (incl. geistiger und geografischer Umgebung) durch Dokumente und persönliche Erinnerungen lebendig werden lassen, Musiker und Pressetexte zitiert, Tagesmeldungen neben Underground-Flugblätter gesetzt, sodaß, wie weiland Goethe es forderte, das Besondere zu einem Allgemeinen wird: Das alte Problem, die Träume und Wünsche der Spätsechziger-Subkultur mit effizienter Arbeit in einem ungeliebten System und der dazugehörigen Anpassung zu vereinbaren. Scheitern und Gelingen im Fall Amon Düül II sind exemplarisch für unzählige andere Bands und Kulturschaffende der westlichen Hemisphäre. Wie sie dabei zu einem hoffnungsvollen Schluß kommen kann, bleibt mir als Vertreter einer späteren skeptischeren Generation etwas dunkel.

    Die übereinstimmende Meinung einiger zitierter Zeitgenossen, daß es mit dem Deutschrock bergauf ginge, kann wohl kaum darüber hinwegtäuschen, daß das Spezifische in Musik und Lebensstil von Amon Düül II und der sie umgebenden Münchener Szene, deren geistige Regsamkeit und Phantasie hier so anschaulich geschildert wird, heute ziemlich anachronistisch ist. Deswegen ist Ingeborg Schobers Buch für mich eher hochinteressantes kulturgeschichtliches Material als ein Eingriff in die Problematik der BRD-Kulturlandschaft an der Wende zu den 80ern.

    rororo Sachbuch, 261 Seiten und Anhang, 9,80 DM

  • Iggy Pop – Bevor er böse wurde und etwas Schlimmeres tat, als einfach wegzugehen

    Verschiedene Musik-Geschmäcker oder gar -Theorien sind wichtig für ein Blatt wie Sounds. Die Gegensätze zwischen Diedrich und Michel schienen manchmal unüberbrückbar – Iggy Pop ist eins der wenigen Bindeglieder. Deshalb hatten beide Interesse an einem Interview und trafen ihn am Nachmittag nach seinem zweideutigen Hamburger Konzert. – Über seine Geschichte ist genug geschrieben worden, deshalb beschränken wir uns hier darauf, Iggy selbst sprechen zu lassen – mit all seinen Sprüchen und Widersprüchen.

    Es war der Tag von Jimmy Carters mißglückter Geiselbefreiungsaktion. Ein willkommener Anlaß, um mit Iggy über Politik zu reden.

    Michel: Hast du Nachrichten gehört, Zeitung gelesen?

    Diedrich: Weißt du, was los ist?

    Iggy: Erzählt mir!

    Wir erzählen.

    Iggy: Da lacht ihr (zu Michel), da grinst du, was, die Amerikanskis haben versagt, ha, ha, ha!

    Diedrich: Bist du auf ihrer Seite, findest du, sie hätten es schaffen sollen?

    Iggy: Ach hör doch auf! Wollt ihr über so einen Scheiß nachdenken? Willst du dich auf deinen Arsch setzen und über so einen Mist nachdenken? Mir ist das egal. Wenn jemand dumm genug ist, sein Leben in einer amerikanischen Botschaft im Iran zu verbringen und dann von einem Haufen fettiger Scheißperser gefangen genommen wird, kann er mich am Arsch lecken. Und wenn jemand Arschloch genug ist, Präsident der Scheiß-USA zu sein, und jemand anders ist Arschloch genug, in der Schweine-Armee zu sein, dann können sie von mir aus so viel kollidieren wie sie wollen. Mir ist es egal!

    Diedrich: Das meinen wir auch nicht. Uns geht es darum, wie es jetzt weiter gehen soll. Was die Armeen machen etc.

    Iggy: Wieso?

    Diedrich: Weltkrieg

    Iggy: Warum? Ich bin am Leben!

    Stimme: Noch!

    Iggy: Ha, ha! Weltkrieg – das ist was für Sekretärinnen und Arbeitslose. Leute, die den ganzen Tag Angst haben müssen. Leute, die sagen: Oh, gib mir etwas, worüber ich mir Sorgen machen kann, damit ich nicht den ganzen Tag rumsitzen muß. Außerdem – den nächsten Weltkrieg gibt es im Fernsehen, ihr werdet ihn im Fernsehen sehen können. Man braucht nur 1984 zu lesen und man hat die Programmfolge.

    Michel: Meinst du deutsches oder amerikanisches Fernsehen?

    Iggy: Deutschland und Amerika ist doch dasselbe. Wir sind zwei Teile desselben Landes. Wir alle arbeiten für Ford Motor Company.

    Michel: Warum lebst du dann nicht in Amerika?

    Iggy: Ich hab’ Amerika verlassen, um es los zu werden, und Berlin war eine Zeit lang besonders. Heute sind da zu viele Künstler, zu viele Leute mit Karotten-Jeans, Idioten. Ich hab’ die Wohnung in Berlin aufgegeben und ziehe nach New Orleans. Da habe ich mitten in Amerika einen Ort gefunden, wo die Leute nur Französisch reden. Es ist wirklich toll da, toll. Ich war da während unserer Amerika-Tour, und das erste Konzert war zur Zeit von Mardi Gras (spezielles Faschingsfest in New Orleans – Red.).

    Alles war auf den Straßen, und ich genoß den Mardi Gras und tat alles, was kleine Jungs gerne tun. Und die Musik tropfte nur so … Sie hatten eine schlechte Presse. Aber es ist nicht wie in Easy Rider. Sie sind die besten Leute Amerikas. Sie sehen dir gerade in die Augen und treten dir in den Arsch. Wirklich gute Leute. Sogar die Highschool-Bands, weißt du, die Marschkapellen. Diese Neger greifen sich ihre Instrumente, und die machen eine regelrecht dämonische, satanische Musik.

    Michel: Also wird dein nächstes Album Cajun-Musik enthalten.

    Iggy: Nicht richtig. Etwas Professor Longhair vielleicht. Mehr nicht. Habe ich deutsche Musik gemacht, als ich in Berlin war? Nein, aber ich brauche Musik, die mir etwas antut – Musik, die mir etwas sagt. Mich interessiert nicht viel, aber als ich die Musik in New Orleans gehört habe, hatte ich so ein Gefühl.

    Diedrich: War das gestern das erste Konzert mit der neuen Band?

    Iggy: Es war das erste in Europa. In Amerika haben wir schon 47 Gigs gehabt.

    Diedrich: Wer ist alles neu in der Band?

    Iggy: Weiß nicht. Alle. Alle außer Ivan (Ivan Kral, ex-Patti Smith-Group – Red.)

    Diedrich: Warum hast du die Band gewechselt?

    Iggy: Weil die andern Arschlöcher waren.

    Diedrich: Barry Andrews? Glen Matlock?

    Iggy: Nein, die nicht. Barry und ich waren von Anfang an einig, nur das Album zusammen zu machen. Wenn du dir das Cover ansiehst, stellst du fest, daß mein Name nicht hervorgehoben ist. Wir haben die Platte als gemeinsames Produkt konzipiert. Ich habe versucht, Führungsansprüche zu vermeiden. Ich bin nicht gekommen und habe gesagt: Hier ist der Song, da das Arangement, nun spielt das! Mit Glen Matlock hatte ich auch so eine Übereinkunft.

    Diedrich: Er hat eine Menge geschrieben.

    Iggy: Die Hälfte von vier Songs.

    Diedrich: Aber er war doch ein starker Einfluß, oder?

    Iggy: Fragst du mich, oder erzählst du mir das?

    Diedrich: Ich frage!

    Iggy: Ja, ja, Einfluß nicht. Einfluß ist nicht das richtige Wort. Ich könnte auch mit dir einen Song schreiben. Wir könnten gleich damit anfangen. Ich kann im Prinzip mit jedem einen Song schreiben.

    Die vier Stücke, die er mitgeschrieben hat. Das waren wir beide. Das haben wir zusammen gemacht, du kannst nicht meinen oder seinen Anteil herausfiltern.

    Und bei den Stücken, wo nur mein Name erscheint … Doch! Er hat viel bei den Arrangements geholfen. Ja, eigentlich stimmt „Einfluß“ doch. Ja, er war ein Einfluß. Du hast Recht.

    Diedrich: Und am Anfang seiner Karriere bei den Pistols …

    Iggy: … war er von mir …

    Diedrich: … den frühen Stooges …

    Iggy: … beeinflußt. Ja, wir haben auf dieser Ebene zusammengearbeitet. Er hat jetzt eine Band namens Spectre. Aber du hast wirklich recht. Ich mag nicht so gerne Credits verteilen, aber er war sehr stark. Die anderen waren nach kurzer Zeit untragbar. Einer hing an der Droge, ein anderer hatte einen zu großen Kopf, um ihn auf seinen Schultern tragen zu können, und so weiter.

    Diedrich: Das Konzert war anders als letztes Jahr, mehr neues Material.

    Iggy: Ja, aber das ist keine Veränderung. Mal spiele ich mehr altes, mal mehr neues Material. Das ist wie beim Kartenspielen, man spielt aus, was sticht. Aber es ist keine Veränderung, eine andere Auswahl. Ich mag nicht von Veränderung sprechen.

    Michel: Würdest du auch sagen, daß zwischen 73 und 77, also zwischen den letzten Stooges-Auftritten und der Arbeit mit Bowie, keine Veränderung bei dir stattgefunden hat? Bist du noch derselbe, derselbe Iggy Pop?

    Iggy: Ich als Person?

    Michel: In deiner Arbeit und als Person.

    Iggy: Ja. Das war Veränderung. 1973 – da war ich noch verfangen in das, was ich „die Schrecken der Gitarren-Verehrung“ nennen würde, die Tragödie hübscher Gitarren. Außerdem war ich mehr von meinem eigenen Mythos beeindruckt als ich das heute bin. Als ich „Raw Power“ sang, rebellierte ich gegen Dinge, die mir widerfahren sind, seit ich fünf Jahre alt war. Ich rebelliere immer noch gern, aber weißt du … anders.

    1976 hatte ich drei Jahre Scheiße gegessen. Wirklich Dreck gefressen. Meine Haltung auf The Idiot würde ich beschreiben als – so simpel das auch klingt – den Willen zum Experiment. 73 hielt ich mich für sehr wertvoll, sehr wichtig, glaubte, einen Schatz mit mir herumzutragen. Und 76 fuhr ich zur Hölle, mit der Hilfe von Heroin. Eine Droge, die ich niemandem empfehlen möchte. Also hatte ich nichts zu verlieren. 76 fing ich an, bessere Musik zu machen, die Sachen von 73 sind doch zum Teil sehr steif. Meine besten Perioden waren die von 69 bis 70, die ersten beiden Stooges-Alben also, und die beiden Alben mit David Bowie, The Idiot und Luft For Life. Die neuen, die ich ganz alleine gemacht habe, sind O.K. – Auf Soldier sind einige Sachen wirklich interessant, aber der Rest bringt einfach nicht das, was ich will.

    Diedrich: Was sind deine Favoriten auf Soldier?

    Iggy: „Dog Food“?

    Diedrich: „Dog Food“?

    Iggy: Ja wirklich, ich mag „Dog Food“, ha, ha, ha! Wer es nicht mag, kann mich mal, es ist wirklich ein guter Song.

    Michel: „Logo Mosquito“?

    Iggy: Ja, aber aus irgendeinem Scheißgrund ist es dünner, meine Stimme ist dünner. Ich mag es, aber ich mag die Stimme nicht, sie ist so gequält. Wie Bugs Bunny. Naja, ich mag „Dog Food“ und, laß mich überlegen … „Knockin ’em Down“, ja, das finde ich auch gut.

    Es ist eine Übung in einem bestimmten Genre. Aber „Dog Food“ mag ich noch lieber. Besonders den Mittelteil. Ich wollte was Besonderes. Ich sagte zu den Musikern: „Gebt mir Hongkong-Restaurant-Musik“. Und erst schafften sie’s nicht, und ich sagte: „Verdammt, das ist doch keine Hongkong-Restaurant-Musik, macht das nochmal“, aber es ist gut geworden. Ein interessantes Stück Musik. Und ich hab’ es sogar selbst abgemischt. Aber außer „Dog Food“ fällt mir nichts ein, das mich restlos befriedigt.

    Diedrich: Was ist mit „I’m A Conservative“?

    Iggy: Oh ja! Ich finde es ganz, ganz, ganz toll. Ich mag es wirklich sehr, sehr gerne, aber – ich mag das Schlagzeug nicht.

    Diedrich: Aber das ist doch eine Sache der Produktion, als Song halte ich es für das Beste von Soldier.

    Iggy: Ja, als Song. Das stimmt. Ich habe auch verdammt hart daran gearbeitet. Wirklich hart. Ich hab’s in Berlin geschrieben. Ich schrieb und schrieb und schrieb. Und dann hieß es: „Kannst du nicht mal mit Schreiben aufhören und mit mir reden?“ Und ich antwortete: „Sei still und besorge mir mehr Drogen!“ Und wenn du hinhörst: „I’m A Conservative“ überschreitet die Pop-Song-Form, es ist ein Stück, und es kostete mich fünf Tage. Fünf lange Tage. Und das betrifft nur die Melodie. Für den Text brauchte ich nochmal fünf Tage, und alle Freunde, die vorbeikamen, erklärten mich für verrückt. Und mit dem Text war es wirklich schwer, denn: ich bin wirklich ein Konservativer.

    Diedrich: In welchem Sinn?

    Iggy: Im Sinn dieses Songs, wie er auf der Platte ist, in dem wirklichen Sinn des Wortes. Ich wollte beschreiben, was Konservatismus für mich bedeutet. Das beste Synonym für konservativ ist ein Schwein. Ich bin ein Schwein. Ein sehr charmantes Schwein. Aber kein fettes, sondern ein dünnes Schwein.

    Michel: Dann schlachtet man dich auch nicht.

    Iggy: Ja, man wird mich nicht schlachten.

    Diedrich: Aber das Wort „Konservativer“ hat auch eine politische Bedeutung.

    Iggy: Aber nein!

    Diedrich: Doch, denn …

    Iggy: Wieviele Politiker kennst du? Ich kenn’ einige. Dieses Wort hat keine politische Bedeutung. Was es bedeutet, ein Konservativer zu sein, ist folgendes: Du magst dein Bier, dein Brot, deine Frauen …

    Michel: Dein Geld.

    Iggy: Ja, dein Geld. Und wenn es schlimm wird, dann trinkst du einen.

    Diedrich: Aber …

    Iggy: Was denkst du? Daß diese Politiker, diese Strauße, auch nur ein Wort, das sie sagen, wirklich meinen? Nein! Sie sind wie Kinder. Sie machen das alles wie Kinder. Lalalala-blablabla! Wie Kinder!

    Diedrich: Aber sie benutzen nun mal das Wort Konservatismus …

    Iggy: Aber anders als ich. Darum geht es doch. Ich habe versucht, den Begriff „Konservatismus“ neu zu definieren. Ich habe versucht, zu erklären, was Konservatismus wirklich ist.

    Michel: Aber bedeutet Konservatismus nicht zwangsläufig: „an einer Sache festhalten“, an etwas hängen?

    Iggy: Nein, das ist falsch und flach. Konservative, besonders die in Texas, die wollen etwas. Und dafür töten und lügen, betrügen und morden sie. Konservativ sein heißt, sich auf aggressive Weise eine Sache holen und sie dann nicht mehr loslassen. Wenn du einem Konservativen in den Weg trittst, springt er auf deine Füße. Und das macht die große Kraft der Konservativen aus. Sie haben, was sie wollen, sie kriegen, was sie wollen. Und das zeigen sie ihren Wählern, die lauter kleine Kaninchen sind, die nie die Muckis hatten und haben werden, das zu erwerben, was sie wollten. Sie sehen den erfolgreichen Konservativen und sagen sich: „Wir wollen sein wie er.“ Also wählen sie ihn. Aber sie sind nicht wie er. Er sitzt im 77sten Stockwerk und läßt sich den Schwanz lutschen, und jemand anderes schreibt eine Rede für ihn, während der kleine Henry Averdon im Steinbruch schuftet. Ihr versteht, was ich meine.

    Ihr werdet den Rest schon zusammenschreiben.

    Also wahrer Konservatismus, das ist … wie Hunde. Hunde sind sehr konservativ. Katzen sind anders. Ich ziehe Katzen vor. Ich habe lange wie eine Katze gelebt. Ich konnte andere Lebewesen nicht ertragen, bis 1974 ungefähr.

    Michel: Hat David Bowie deine Meinung vom Alleinsein geändert?

    Iggy: Nein, ich habe das selbst herausgefunden.

    Michel: Du hast ihn also einfach angerufen und gesagt …

    Iggy: Ja, so ähnlich war es, ein Zufall. Er hatte Material, das er von mir singen lassen wollte. Eine glückliche Wendung des Schicksals.

    Michel: Aber du hast doch gesagt, bis 74 oder 76 hättest du es vorgezogen, allein zu sein, und …

    Iggy: Mit Frauen ist es umgekehrt. Aber … babbel, babbel, ich glaube nicht, daß eure Leser so ein Scheiß interessiert!

    Michel: Unsere Leser?

    Iggy: Ja! Scheiß auf sie! Ich habe kein Vertrauen in die Jugend. Sie können mir den Buckel runterrutschen. Ich mag sie nicht. Trau keinem unter fünfzig!

    Michel: Also auch dir selber nicht?

    Iggy: Nein, nie! Ich versuche, die Leute davor zu bewahren, mir zu glauben.

    Michel: Würdest du lieber für alte Leute spielen?

    Iggy: Eines Tages werde ich das, aber heutzutage scheint es umgekehrt zu laufen. Das Publikum wird immer jünger.

    Diedrich: Gestern war es das jüngste Publikum seit Ian Dury.

    Iggy: Ja, mir fiel das auch auf. Aber ich weiß nicht, woran es liegt. Ich spiele meine Musik. Sie sollen zuhören.

    Michel: Und wenn du alt bist und wir alt sind, für wen …

    Iggy: Ich weiß es nicht. Aber ich werde immer spielen, bis zum Zusammenbruch. Das ist der Unterschied zwischen Musik und dem, was man Schauspielen nennt. Schau dir irgendeinen Top-Schauspieler an, die deutsche Industrie ist eine Ausnahme, aber irgendwelche amerikanischen Schauspieler. Sobald sie Geld haben, hören sie auf, gute Filme zu machen oder hören ganz auf; denn eigentlich hassen sie ihren Beruf. Ich dagegen versuche, mich immer so gut auszudrücken, wie es geht. Ich tue immer alles, um mich zu verwirklichen. Deshalb liebe ich die Musik. Weil du nie in die Steve-McQueen-Haltung verfällst: Gib mir 25 Millionen Dollar, dann mache ich einen Film mit dir. Oder Robert Redford und Jane Fonda, die in irgendeinem Kaffeehaus zusammensitzen und über Eskimos palavern. Ja, ja, Jane Fonda. Sie sitzt irgendwo in Hollywood und ist neutral und harmlos, und niemand verletzt sie, und sie verletzt niemanden.

    Diedrich: Was ist mit Robert De Niro?

    Iggy: Ich bin enttäuscht von ihm.

    Diedrich: Man hat dich des öfteren mit ihm in Verbindung gebracht?

    Iggy: Ja, ich auch. Ich hab’ viel aus Taxi Driver entnommen. Und als ich Mean Streets sah, war ich dermaßen begeistert. Es war alles so wie damals mit den Stooges. Da haben wir auch die Scheiße aus uns rausgeprügelt. Nur so aus Spaß, wirklich, nur aus Spaß. Immer bei den Proben. Unsere Beziehungen waren sehr gewalttätig. Aber der Ärger war …

    Michel: Hast du deswegen die Band aufgelöst?

    Iggy: Nein. Mit den Stooges war eigentlich nicht viel los. Sie sind entweder tot oder hängen in Detroit. Mit ihnen war nichts los, sie waren nicht schnell genug für Veränderungen.

    Diedrich: Aber warum bist du von Robert De Niro enttäuscht, was hat er getan?

    Iggy: Was er jetzt so macht in New York. Aber laß den dummen Kerl, er ist ein Schauspieler und muß tun, was sein Regisseur von ihm verlangt. Ich mag keine Regisseure.

    Diedrich: Hast du denn je daran gedacht, selbst Regie zu führen?

    Iggy: Ich hab’ drei 16-mm-Filme gemacht, „Dog Food“ und noch zwei andere Songs. Ich hoffe, sie werden auch in Deutschland gezeigt. Vorher habe ich einen Film zu „I’m Bored“ gemacht. Der ist sehr lustig. Aber ich hasse es einfach, mir von anderen sagen zu lassen, wie ich mich zu geben habe. Aber Film ist sowieso eine saturierte, spießige Angelegenheit. Hör dir an, wie sie alle sagen: „Ich hab’ einen Film“, „Ich hab’ eine Rolle“, diese Hustler.

    Michel: Findest du nicht, daß es im Rockgeschäft dasselbe ist?

    Iggy: Ja.

    Michel: Aber du bist noch im Geschäft.

    Iggy: Ich hab’ die Bühne gemietet. Es ist nicht Rockgeschäft, es ist eine Bühne für mich.

    Michel: Aber zumindest vor einiger Zeit warst du ein wichtiger Bestandteil dieses Geschäfts.

    Iggy: Ich glaube, die denken immer noch so. Aber mir ist das egal. Mir geht es um die Bühne. Um die Kraft, die einen umwirft. Wie als ich die ersten Bo Diddley-Platten gehört hab’ und merkte: Hier ist etwas, das ist wirklich. Die Leute, die im Rockgeschäft sind, zählen nicht.

    Michel: Bowie.

    Iggy: Erzähl mir nicht, der sei im Rockgeschäft. Er ist auch nur auf der Bühne. Einige wenige gute Leute gibt es schon. John Lennon zum Beispiel. Er hat das alles so gehaßt, daß er nicht mal mehr Platten macht.

    Diedrich: Aber er ist einen anderen Weg gegangen. Er hat sich zurückgezogen aus dem Geschäft. Du machst weiter.

    Iggy: Wäre ich bei den Scheiß-Beatles gewesen, hätte ich auch aufgehört. Aber ich war bei den Stooges. Das war eine gute Band. Die Beatles – öh! Die Stooges waren gut. Blut, Sex, Atmosphäre, Musik – es war echt, authentisch.

    Diedrich: Aber wenn die Stooges sechs Jahre später passiert wären, als die Industrie besser eingestellt war auf Außenseiter. Dann …

    Iggy: Eben. Die Stooges sind passiert. Sie sind nicht irgendein Scheiß-Produkt gewesen, das auf irgendwelche Interessen hin hergestellt und verkauft worden ist. Sieh dir doch diese sogenannten Musiker an, wie sie rumspringen und jubeln: „Ich hab’ einen Vertrag“! Die Dinge, die passieren, passieren immer noch in Fleisch und Blut.

    Diedrich: Aber die Sex Pistols waren auch ein Ereignis. Aber die Industrie war clever genug, irgendwann ein Produkt aus ihnen zu machen.

    Iggy: Oh nein! So ein Scheiß! Die Industrie ist nicht clever. Aber was reden wir? Ihr redet von Geld. Ich brauch’ das Geld nicht so, wie ihr es braucht. Also denk ich auch nicht so viel darüber nach.

    Michel: Weil du es hast …

    Iggy: (unterbricht) Hör zu: Ich bin so nett, hierherzukommen und mit euch zu reden.

    Michel: … und zwar von der Schallplattenindustrie.

    Iggy: Scheiße, Baby, ich hab’s vom Publikum, von den Leuten. Ich hab’ von denen nie etwas gekriegt, ich hab’s von meinem Publikum.

    Michel: Aber die Schecks kriegst du von der Firma.

    Iggy: Unsinn. Ich werde von den Leuten bezahlt. Ich werde von den Leuten bezahlt, die meine Platten kaufen, zu meinen Shows gehen. Keine Plattenfirma dieser Welt hat mir je einen Vorteil eingeräumt. Keine Firma hat mich je promotet. Ich habe nicht mal ein Stück Keks von denen bekommen. (Er kippt die halbleere Gebäckschachtel um). Das Einzige, was ich von ihnen kriege, ist, daß ich ihre Büros benutzen darf. Steckt mich nicht mit diesen andern Heinis, mit denen ihr sonst so redet, in eine Kiste!

    Michel: Nein, nein.

    Iggy: Sonst werde ich nämlich böse! Und wenn ich böse werde, passiert etwas Schlimmeres, als daß ich einfach nur weggehe. Ich bin nicht so interessiert an Geld, Industrie und der ganzen Scheiße, wie ihr es zu sein scheint. Ich genieße das Leben. Ich will Spaß. Keine Musik-Industrie, sondern Spaß! Außerdem haben wir jetzt genug geredet, denke ich, oder?

    Michel: Wenn du meinst, wir wollen dich nicht aufhalten.

    Iggy: Also stell ich diesen Kassettenrecorder jetzt aus.

  • Michael Winner: Tote schlafen besser

    Bevor ich den Film sah, hatte ich mir fest vorgenommen, beim Betrachten nicht dem bürgerlichen Unsinn von Werktreue und definitiven Fassungen zu verfallen. Keine Vergleiche also mit Howard Hawks’ Meisterwerk The Big Sleep von 1946, das den gleichen Chandlerroman zur Vorlage hat.

    Um es vorwegzunehmen: Robert Mitchum, einer meiner liebsten Schauspieler, mußte wieder einmal für einen unglückseligen Flop den Kopf hinhalten. Seine zusammengekniffenene Augen, die Ekel vor seiner Umgebung verraten, sind das Einzige, das mich im Kino hielt.

    Sarah Miles spielt die Rolle der dekadenten Offizierstochter so erbärmlich, ohne eine Spur von Charme, stattdessen bemüht verworfen und dabei im Herzen so bieder. Die Namenlose, die ihre kleine Schwester darstellt, wäre selbst für Derrick untragbar: eine Schauspielschulen-Drogensüchtige. Dann die unselige Idee, die Handlung aus dem schwarzen L.A. in ein gesichtsloses Vorstadt-London verlegen, das keinerlei Spuren irgendeiner Zeit verrät. Die oberen Zehntausend leben in opulenten Antiquitätenladen, deren filmische Wirkung von jedem thailändischen C-Picture mühelos übertroffen wird. Selbst die Wohnung von Philipp Marlowe atmet diesen miefigen Dunst spießiger Stilunsicherheit und prätentiöser Überladung.

    Das Schlimmste aber, was eben weder einem Hawks, noch einem Chandler selbst in deren traurigsten Stunden je passiert wäre, ist der, gerade für Robert Mitchum völlig unpassende moralische Zeigefinger, den dieser ständig zu erheben gezwungen ist, etwa wenn er sagen muß: „Dieses Mädchen gehört in eine Anstalt! Ich gebe Ihnen drei Tage Zeit, Ihre Schwester in eine Anstalt zu bringen.“

    Ein Film von einem Mann, der offensichtlich von filmischen Mitteln und deren Effekten, jenseits des Konfektionskrimis, nichts weiß.